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    NRWZ.deRottweil„Sie wollen mich im Gefängnis sehen“

    Prozess 1.1 gegen einen mutmaßlichen Unruhestifter aus der Rottweiler Altstadt

    „Sie wollen mich im Gefängnis sehen“

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    Runde 1.1 in der juristischen Auseinandersetzung mit einem mutmaßlichen notorischen Beleidiger und Unruhestifter aus der Rottweiler Altstadt. Runde 1 ging zunächst an die Justiz, im November 2023 wurde der Mann zu 14 Monaten Haft verurteilt. Dagegen wehrt er sich, ging in Berufung, dort folgt also Runde 2 eines Tages in der Zukunft. Runde 1.1 ist nun ein neuerliches Verfahren, das am Donnerstag begann. Es geht um Bedrohung und anderes. Vieles andere. Zu dem aktuellen Verfahren wurden 25 weitere Anklagen aus den vergangenen Monaten verbunden. 25. Und drei laufende Anzeigen sind noch gar nicht eingepreist.

    Hinweis: Dies ist der erste Teil unserer Berichterstattung. Über den weiteren Verlauf des ersten Verhandlungstages berichten wir hier.

    Die Krawatte: fliederfarben. Über weißem Hemd und unter schwarzer Weste. Privat kennt man ihn, kleidet er sich anders. Y., wie wir den Angeklagten nennen, notiert sich vor Verhandlungsbeginn noch dies und das. Was, ist seine Privatsache. Sein Anwalt und er sprechen ein wenig miteinander. Y. kümmert sich zudem um auf der Anklagebank entdeckte Krümel, die er mit feuchtem Daumen aufliest.

    Die Luft im Saal 31 des Rottweiler Amtsgerichts: abgestanden, säuerlich. Auch ein psychiatrischer Sachverständiger ist da. Flapsig könnte man sagen: Er soll schauen und bewerten, ob Y. noch alle Tassen im Schrank hat. Ihm steht eine gewisse Empörung im Gesicht, während er den Angeklagten beobachtet und die vielen schweren Beleidigungen hört, die der Staatsanwalt Y. vorwirft.

    „Ihr Wi…, ihr Ar…, ich bringe euch um.“

    Als da wären, im April 2023: „Ihr Wi…, ihr Ar…, ich bringe euch um.“ So soll Y. Polizeibeamte angesprochen haben. Bedrohung, Beleidigung, am Telefon, zunächst, dann persönlich, als die Beamten bei ihm vorbeischauten. Der erste Anklagepunkt. Auch im Mai 2023 soll er mehrfach im Rottweiler Revier angerufen, die Beamtin am Telefon massiv beleidigt haben. Und mit dem Tode bedroht. Er soll auch unter der 110 beim Führungs- und Lagezentrum der Polizei angerufen haben, um den abnehmenden Beamten zu beleidigen. Das ist zudem Missbrauch von Notrufen. Auch, wenn es mal wieder in der Nähe seines Hauses in der Vogelsangstraße brannte, soll er die eintreffenden Beamte beleidigt haben. Und zwei Feuerwehrleute spuckte er laut Anklage an einem Augustabend an, beleidigte sie, griff sie tätlich an. Beide stellten Strafanzeige, einer ist einer der stellvertretenden Stadtbrandmeister in Rottweil, der damals als Einsatzleiter vom Dienst vor Ort war. Auch den Kommandanten, Stadtbrandmeister Frank Müller, soll er im September vergangenen Jahres als „alter Wi…“ bezeichnet haben. Strafanzeige wegen Beleidigung.

    Brechen wir hier ab, die Verlesung der Anklagen dauert minutenlang. Es ist auch eine Kaskade aus üblen Schimpfworten, alles angebliche Zitate, mit denen Y. vor allem Polizisten und Feuerwehrleute angegriffen, beleidigt haben soll. Und Brandstiftung ist dabei. Ein Fußtritt in einen Hintern eines Nachbarn. Zwei Faustschläge ins Gesicht eines 16-Jährigen. Provozierendes Urinieren vor den Augen der Nachbarn. Missbrauch von Notrufen. Vortäuschen einer Straftat, als er behauptet haben soll, ein Unbekannter habe ein Fenster an seinem Haus eingeschlagen (obwohl er es selbst gewesen sein soll). Und Sachbeschädigung durch Brandstiftung.

    Schwer erträglich: Die jeweils eingesetzten Feuerwehrleute müssen zu den Brandeinsätzen, zu denen es phasenweise wöchentlich rund um das Haus von Y. in der Rottweiler Altstadt kam, nicht nur Löschfahrzeuge, Löschmittel und Einsatzfreude mitbringen. Sondern auch, Entschuldigung für den Ausdruck, ein verdammt dickes Fell. Sind sie nach ihrer Aussage dort doch regelmäßig übelsten Beleidigungen und mitunter körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Ebenso die Polizeibeamten.

    Und was tut der Staat dagegen? Während die Staatsanwaltschaft im ersten Fall noch fünf Monate benötigte, um Anklage zu erheben, waren es bei späteren mutmaßlichen Taten nur noch zwei. Als wäre auch die Justiz daran interessiert, die Serie zu stoppen. Von Amts wegen einzuschreiten, wie das heißt. Deshalb verfolgt die Ermittlungsbehörde auch jede der angezeigten Taten. Während er geduldig und anscheinend gelangweilt den Anklagen gegen ihn lauscht, kümmert sich Y. darum, seinen mitgebrachten Stift korrekt und nachhaltig mit einem Deckel zu verschließen. Das verschlossene Schreibgerät dann sauber auf einem Block Papier auszurichten.

    Eine halbe Stunde für alle Anklagepunkte

    Das stichwortartige Verlesen der aufs Wesentliche verkürzten Anklagen lässt den Mund des Staatsanwalts trocken werden. Er benötigt einen Schluck Wasser. Immerhin: Der Stapel der verlesenen Anklageschriften wächst, während der der noch unvergessenen stetig abnimmt. Nach einer halben Stunde erst ist er fertig. „Das dürften alle gewesen sein.“

    Doch nur vorläufig und nur für diese Runde 1.1: Es liegen aktuell drei weitere Anzeigen vor, die aber bisher nicht gerichtsreif sind. Es geht wieder um Beleidigung und Sachbeschädigung.

    Die Richterin: dieselbe, wie vor einigen Monaten. Sie arbeitet die Verhandlung wie schon damals ruhig, stoisch ab. Immerhin zu seinen persönlichen Verhältnissen, zu seinem Werdegang sagt Y. aus, die Richterin interviewt ihn interessiert, trifft den richtigen, einen freundlichen Ton. Da darf man sich aber nicht irren, sie hat den Mann bereits einmal zu 14 Monaten Haft verurteilt, nun steht mehr an. Allerdings nicht in Summe zum früheren Urteil, das liegt nach der Berufung des Angeklagten dem Landgericht vor. Eine Gesamtstrafe kommt erst infrage, wenn ein Urteil aus den 2023 angeklagten Fällen rechtskräftig wird.

    Wir erfahren: Y. geht aktuell keiner geregelten Tätigkeit nach. „Ich habe brutale Schlafstörungen“, begründet er das. Und der Grund dafür sei der nicht verarbeitete Tod seiner Mutter – den er für einen Mord hält, der im Rottweiler Krankenhaus an der Seniorin verübt worden sei, wie er der NRWZ einmal berichtet hat. Auch befinde er sich in therapeutischer Behandlung, vor allem, um seine Frustrationstoleranz zu erhöhen. Es gebe „einige Fortschritte“. Seine Krankheitsgeschichte, von ihm so dargestellt, währt rund 15 Jahre. Burnout, Depressionen. Und jetzt eben offenbar ein hohes Aggressionspotenzial.

    Er fühlt sich verfolgt

    Die Stadt Rottweil hat ihn nach mehreren Vorfällen mit Nachbarn durch einen Amtsarzt des Gesundheitsamts untersuchen lassen, was allerdings nicht in eine Diagnose einer Krankheit mündete. Es gebe keinen Grund, ihn für längere Zeit einzuweisen, hieß es. Er leide unter dem Tod seiner Mutter. Die Folge war ein kurzer Therapieaufenthalt im Vinzenz-von-Paul-Hospital.

    Zudem fühlt er sich verfolgt, regelmäßig beleidigt, werde bespuckt, es gebe regelmäßig Sachbeschädigungen. Früher habe er aggressiv reagiert, „konnte schon austeilen“. Nun versuche er, sich „zu fügen, aber das gelingt mir nicht in jedem Fall“. Er sieht sich provoziert, als Opfer. Aber er bleibe nunmehr ruhig. Schweige zu all den An- und Übergriffen. Zu auf sein Grundstück geworfenem alten Fleischkäse, zum Beispiel. Zu einem zerschnittenen Stromkabel. Jugendliche seien das, die ihn einfach endlich in Ruhe lassen sollten. Oder einer der Nachbarn.

    „So schöne Nachbarn habe ich, da soll einem nicht mal irgendwas rausrutschen.“ Für ihn scheint es eine Frage des „Wer hat angefangen“ zu sein. Dies seien die anderen. Immer.

    Er scheint aber auch zu eigenen Taten fähig zu sein: Zehn Vorstrafen hat er, Diebstähle, Betrug, Urkundenfälschung.

    Vor Gericht wirkt Y. – wie schon im vergangenen Herbst – ruhig, gefasst. Erst, als der Psychiater nachfragt, wird der Angeklagte bockig: „Ich lasse mich Ihnen nicht vorführen. Ich werde zu Ihnen nichts mehr sagen, keinen Ton. Daran sind Sie selbst schuld, denken Sie darüber nach. Ich lasse mich nicht mehr schikanieren.“ Das hätten ihm seine Ärzte geraten, „ich habe sieben Ärzte an der Hand.“ Und auch die Richterin kommt dran: „Sie wollen mich im Gefängnis sehen“, sagt er. „Ich möchte mir ein umfassendes Bild machen“, kontert sie.

    Zu diesem Bild werden heute noch Zeugen beitragen. Wir werden entsprechend berichten.

    Als nachts die Polizei kam

    Ein aktuelles Ereignis: In der Nacht von 26. auf 27. Juli kam die Polizei – sie sei bei ihm eingebrochen, habe 10.000 Euro Schaden angerichtet, er habe schon im Bett gelegen, habe geschlafen, sie hätten ihn rausgeholt. „Die Straße war abgesperrt wie bei einem Schwerverbrecher. Die kamen zu zehnt mit einem Stemmeisen, mit Gewalt, völlig sinnlos. Die haben mich rausgetragen wie eine alte Sau. Die waren mit Hunden bei mir im Haus.“ Er kam zwangsweise in Vinzenz-von-Paul-Hospital. Blieb nach eigenen Worten freiwillig, sei dort dann angegriffen worden, „von einem Patienten mit einem heißen Kaffeebecher“, sagt Y. Und am Sonntag, am zweiten Tag, „am Mittag um zwei ist die Tür aufgegangen.“ Es seien Gespräche geführt worden, „wie normale Menschen“, keine Untersuchung. Dann sei er gegangen. „Ich war nicht einmal 48 Stunden drin.“ Zu dem Einsatz sei es gekommen, weil er mit der Tötung eines Menschen gedroht haben soll (der zunächst ihn mit dem Leben bedroht haben soll). Jetzt werde er in der Stadt gefragt: „Was war auch bei Dir los?“, sagt Y. Denn von dem Zugriff der Polizei gebe es im Internet ein Video. Sehr zu seinem Missfallen.

    Zeugenaussagen

    Am Donnerstag ist ein 16-Jähriger als Zeuge vor Gericht. Er will gesehen haben, wie Y. mit einem älteren Mann gestritten habe, lautstark. Der ältere habe sich abgewandt. Und dann habe Y. zugetreten, seinen Kontrahenten knapp oberhalb des Hinterns erwischt.

    Während dieser, wie später auch während weiterer Zeugenvernehmungen, legt Y., der Verfolgte, eine gewisse Verachtung in seine Haltung. Sollen alle wissen, was er von den Menschen, die ja eigentlich ihn im Visier hätten, denkt. Etwa von einem Beamten, der eines Abends eine Gefährderansprache vornehmen, Y. klarmachen wollte, dass es nicht okay sei, die Kollegin auf dem Revier telefonisch mit dem Tode zu bedrohen. Das mündete nach Angaben des Beamten in massive Beleidigungen, einen ausgestreckten Mittelfinger und eine Todesdrohungen. “Ich bringe dich um!“ Das, was Beamte ihren Angaben zufolge an der Wohnadresse von Y. in der Altstadt eben so zu hören bekommen. Oder am Telefon. Derselbe Beamte berichtet davon, wie er an einem Freitagabend dreimal von Y. angerufen worden und dabei aufs Übelste beleidigt worden sei. Sein Vergehen: Er habe vorgeschlagen, dass Y. den auf seinem Grundstück ablegten Müll doch einfach selbst entsorgen könne.

    Eine der Aussagen dieses Beamten bezeichnete der Psychiater – der ja von Y. selbst nichts mehr erfahren soll – als „hilfreich“. So sei das Verhalten Y. sehr wechsel- und sprunghaft. Von hoher Aggressivität könne es in fast übertriebene Freundlichkeit umschlagen, es dringe hier und da Verständnis dafür durch, dass sein Gegenüber auf eine anständige Gesprächsführung Wert lege, doch verliere sich Y. dann oft rasch wieder in Monologen, während derer er die Zugänglichkeit verlöre.

    Hinweis: Über den weiteren Verlauf des ersten Verhandlungstages berichten wir hier.

    Zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt, zehn Zeuginnen und Zeugen sind insgesamt geladen. Die nach eigener Aussage beleidigten und bedrohten Beamten und Feuerwehrleute und Nachbarn.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Runde 1.1 in der juristischen Auseinandersetzung mit einem mutmaßlichen notorischen Beleidiger und Unruhestifter aus der Rottweiler Altstadt. Runde 1 ging zunächst an die Justiz, im November 2023 wurde der Mann zu 14 Monaten Haft verurteilt. Dagegen wehrt er sich, ging in Berufung, dort folgt also Runde 2 eines Tages in der Zukunft. Runde 1.1 ist nun ein neuerliches Verfahren, das am Donnerstag begann. Es geht um Bedrohung und anderes. Vieles andere. Zu dem aktuellen Verfahren wurden 25 weitere Anklagen aus den vergangenen Monaten verbunden. 25. Und drei laufende Anzeigen sind noch gar nicht eingepreist.

    Hinweis: Dies ist der erste Teil unserer Berichterstattung. Über den weiteren Verlauf des ersten Verhandlungstages berichten wir hier.

    Die Krawatte: fliederfarben. Über weißem Hemd und unter schwarzer Weste. Privat kennt man ihn, kleidet er sich anders. Y., wie wir den Angeklagten nennen, notiert sich vor Verhandlungsbeginn noch dies und das. Was, ist seine Privatsache. Sein Anwalt und er sprechen ein wenig miteinander. Y. kümmert sich zudem um auf der Anklagebank entdeckte Krümel, die er mit feuchtem Daumen aufliest.

    Die Luft im Saal 31 des Rottweiler Amtsgerichts: abgestanden, säuerlich. Auch ein psychiatrischer Sachverständiger ist da. Flapsig könnte man sagen: Er soll schauen und bewerten, ob Y. noch alle Tassen im Schrank hat. Ihm steht eine gewisse Empörung im Gesicht, während er den Angeklagten beobachtet und die vielen schweren Beleidigungen hört, die der Staatsanwalt Y. vorwirft.

    „Ihr Wi…, ihr Ar…, ich bringe euch um.“

    Als da wären, im April 2023: „Ihr Wi…, ihr Ar…, ich bringe euch um.“ So soll Y. Polizeibeamte angesprochen haben. Bedrohung, Beleidigung, am Telefon, zunächst, dann persönlich, als die Beamten bei ihm vorbeischauten. Der erste Anklagepunkt. Auch im Mai 2023 soll er mehrfach im Rottweiler Revier angerufen, die Beamtin am Telefon massiv beleidigt haben. Und mit dem Tode bedroht. Er soll auch unter der 110 beim Führungs- und Lagezentrum der Polizei angerufen haben, um den abnehmenden Beamten zu beleidigen. Das ist zudem Missbrauch von Notrufen. Auch, wenn es mal wieder in der Nähe seines Hauses in der Vogelsangstraße brannte, soll er die eintreffenden Beamte beleidigt haben. Und zwei Feuerwehrleute spuckte er laut Anklage an einem Augustabend an, beleidigte sie, griff sie tätlich an. Beide stellten Strafanzeige, einer ist einer der stellvertretenden Stadtbrandmeister in Rottweil, der damals als Einsatzleiter vom Dienst vor Ort war. Auch den Kommandanten, Stadtbrandmeister Frank Müller, soll er im September vergangenen Jahres als „alter Wi…“ bezeichnet haben. Strafanzeige wegen Beleidigung.

    Brechen wir hier ab, die Verlesung der Anklagen dauert minutenlang. Es ist auch eine Kaskade aus üblen Schimpfworten, alles angebliche Zitate, mit denen Y. vor allem Polizisten und Feuerwehrleute angegriffen, beleidigt haben soll. Und Brandstiftung ist dabei. Ein Fußtritt in einen Hintern eines Nachbarn. Zwei Faustschläge ins Gesicht eines 16-Jährigen. Provozierendes Urinieren vor den Augen der Nachbarn. Missbrauch von Notrufen. Vortäuschen einer Straftat, als er behauptet haben soll, ein Unbekannter habe ein Fenster an seinem Haus eingeschlagen (obwohl er es selbst gewesen sein soll). Und Sachbeschädigung durch Brandstiftung.

    Schwer erträglich: Die jeweils eingesetzten Feuerwehrleute müssen zu den Brandeinsätzen, zu denen es phasenweise wöchentlich rund um das Haus von Y. in der Rottweiler Altstadt kam, nicht nur Löschfahrzeuge, Löschmittel und Einsatzfreude mitbringen. Sondern auch, Entschuldigung für den Ausdruck, ein verdammt dickes Fell. Sind sie nach ihrer Aussage dort doch regelmäßig übelsten Beleidigungen und mitunter körperlichen Übergriffen ausgesetzt. Ebenso die Polizeibeamten.

    Und was tut der Staat dagegen? Während die Staatsanwaltschaft im ersten Fall noch fünf Monate benötigte, um Anklage zu erheben, waren es bei späteren mutmaßlichen Taten nur noch zwei. Als wäre auch die Justiz daran interessiert, die Serie zu stoppen. Von Amts wegen einzuschreiten, wie das heißt. Deshalb verfolgt die Ermittlungsbehörde auch jede der angezeigten Taten. Während er geduldig und anscheinend gelangweilt den Anklagen gegen ihn lauscht, kümmert sich Y. darum, seinen mitgebrachten Stift korrekt und nachhaltig mit einem Deckel zu verschließen. Das verschlossene Schreibgerät dann sauber auf einem Block Papier auszurichten.

    Eine halbe Stunde für alle Anklagepunkte

    Das stichwortartige Verlesen der aufs Wesentliche verkürzten Anklagen lässt den Mund des Staatsanwalts trocken werden. Er benötigt einen Schluck Wasser. Immerhin: Der Stapel der verlesenen Anklageschriften wächst, während der der noch unvergessenen stetig abnimmt. Nach einer halben Stunde erst ist er fertig. „Das dürften alle gewesen sein.“

    Doch nur vorläufig und nur für diese Runde 1.1: Es liegen aktuell drei weitere Anzeigen vor, die aber bisher nicht gerichtsreif sind. Es geht wieder um Beleidigung und Sachbeschädigung.

    Die Richterin: dieselbe, wie vor einigen Monaten. Sie arbeitet die Verhandlung wie schon damals ruhig, stoisch ab. Immerhin zu seinen persönlichen Verhältnissen, zu seinem Werdegang sagt Y. aus, die Richterin interviewt ihn interessiert, trifft den richtigen, einen freundlichen Ton. Da darf man sich aber nicht irren, sie hat den Mann bereits einmal zu 14 Monaten Haft verurteilt, nun steht mehr an. Allerdings nicht in Summe zum früheren Urteil, das liegt nach der Berufung des Angeklagten dem Landgericht vor. Eine Gesamtstrafe kommt erst infrage, wenn ein Urteil aus den 2023 angeklagten Fällen rechtskräftig wird.

    Wir erfahren: Y. geht aktuell keiner geregelten Tätigkeit nach. „Ich habe brutale Schlafstörungen“, begründet er das. Und der Grund dafür sei der nicht verarbeitete Tod seiner Mutter – den er für einen Mord hält, der im Rottweiler Krankenhaus an der Seniorin verübt worden sei, wie er der NRWZ einmal berichtet hat. Auch befinde er sich in therapeutischer Behandlung, vor allem, um seine Frustrationstoleranz zu erhöhen. Es gebe „einige Fortschritte“. Seine Krankheitsgeschichte, von ihm so dargestellt, währt rund 15 Jahre. Burnout, Depressionen. Und jetzt eben offenbar ein hohes Aggressionspotenzial.

    Er fühlt sich verfolgt

    Die Stadt Rottweil hat ihn nach mehreren Vorfällen mit Nachbarn durch einen Amtsarzt des Gesundheitsamts untersuchen lassen, was allerdings nicht in eine Diagnose einer Krankheit mündete. Es gebe keinen Grund, ihn für längere Zeit einzuweisen, hieß es. Er leide unter dem Tod seiner Mutter. Die Folge war ein kurzer Therapieaufenthalt im Vinzenz-von-Paul-Hospital.

    Zudem fühlt er sich verfolgt, regelmäßig beleidigt, werde bespuckt, es gebe regelmäßig Sachbeschädigungen. Früher habe er aggressiv reagiert, „konnte schon austeilen“. Nun versuche er, sich „zu fügen, aber das gelingt mir nicht in jedem Fall“. Er sieht sich provoziert, als Opfer. Aber er bleibe nunmehr ruhig. Schweige zu all den An- und Übergriffen. Zu auf sein Grundstück geworfenem alten Fleischkäse, zum Beispiel. Zu einem zerschnittenen Stromkabel. Jugendliche seien das, die ihn einfach endlich in Ruhe lassen sollten. Oder einer der Nachbarn.

    „So schöne Nachbarn habe ich, da soll einem nicht mal irgendwas rausrutschen.“ Für ihn scheint es eine Frage des „Wer hat angefangen“ zu sein. Dies seien die anderen. Immer.

    Er scheint aber auch zu eigenen Taten fähig zu sein: Zehn Vorstrafen hat er, Diebstähle, Betrug, Urkundenfälschung.

    Vor Gericht wirkt Y. – wie schon im vergangenen Herbst – ruhig, gefasst. Erst, als der Psychiater nachfragt, wird der Angeklagte bockig: „Ich lasse mich Ihnen nicht vorführen. Ich werde zu Ihnen nichts mehr sagen, keinen Ton. Daran sind Sie selbst schuld, denken Sie darüber nach. Ich lasse mich nicht mehr schikanieren.“ Das hätten ihm seine Ärzte geraten, „ich habe sieben Ärzte an der Hand.“ Und auch die Richterin kommt dran: „Sie wollen mich im Gefängnis sehen“, sagt er. „Ich möchte mir ein umfassendes Bild machen“, kontert sie.

    Zu diesem Bild werden heute noch Zeugen beitragen. Wir werden entsprechend berichten.

    Als nachts die Polizei kam

    Ein aktuelles Ereignis: In der Nacht von 26. auf 27. Juli kam die Polizei – sie sei bei ihm eingebrochen, habe 10.000 Euro Schaden angerichtet, er habe schon im Bett gelegen, habe geschlafen, sie hätten ihn rausgeholt. „Die Straße war abgesperrt wie bei einem Schwerverbrecher. Die kamen zu zehnt mit einem Stemmeisen, mit Gewalt, völlig sinnlos. Die haben mich rausgetragen wie eine alte Sau. Die waren mit Hunden bei mir im Haus.“ Er kam zwangsweise in Vinzenz-von-Paul-Hospital. Blieb nach eigenen Worten freiwillig, sei dort dann angegriffen worden, „von einem Patienten mit einem heißen Kaffeebecher“, sagt Y. Und am Sonntag, am zweiten Tag, „am Mittag um zwei ist die Tür aufgegangen.“ Es seien Gespräche geführt worden, „wie normale Menschen“, keine Untersuchung. Dann sei er gegangen. „Ich war nicht einmal 48 Stunden drin.“ Zu dem Einsatz sei es gekommen, weil er mit der Tötung eines Menschen gedroht haben soll (der zunächst ihn mit dem Leben bedroht haben soll). Jetzt werde er in der Stadt gefragt: „Was war auch bei Dir los?“, sagt Y. Denn von dem Zugriff der Polizei gebe es im Internet ein Video. Sehr zu seinem Missfallen.

    Zeugenaussagen

    Am Donnerstag ist ein 16-Jähriger als Zeuge vor Gericht. Er will gesehen haben, wie Y. mit einem älteren Mann gestritten habe, lautstark. Der ältere habe sich abgewandt. Und dann habe Y. zugetreten, seinen Kontrahenten knapp oberhalb des Hinterns erwischt.

    Während dieser, wie später auch während weiterer Zeugenvernehmungen, legt Y., der Verfolgte, eine gewisse Verachtung in seine Haltung. Sollen alle wissen, was er von den Menschen, die ja eigentlich ihn im Visier hätten, denkt. Etwa von einem Beamten, der eines Abends eine Gefährderansprache vornehmen, Y. klarmachen wollte, dass es nicht okay sei, die Kollegin auf dem Revier telefonisch mit dem Tode zu bedrohen. Das mündete nach Angaben des Beamten in massive Beleidigungen, einen ausgestreckten Mittelfinger und eine Todesdrohungen. “Ich bringe dich um!“ Das, was Beamte ihren Angaben zufolge an der Wohnadresse von Y. in der Altstadt eben so zu hören bekommen. Oder am Telefon. Derselbe Beamte berichtet davon, wie er an einem Freitagabend dreimal von Y. angerufen worden und dabei aufs Übelste beleidigt worden sei. Sein Vergehen: Er habe vorgeschlagen, dass Y. den auf seinem Grundstück ablegten Müll doch einfach selbst entsorgen könne.

    Eine der Aussagen dieses Beamten bezeichnete der Psychiater – der ja von Y. selbst nichts mehr erfahren soll – als „hilfreich“. So sei das Verhalten Y. sehr wechsel- und sprunghaft. Von hoher Aggressivität könne es in fast übertriebene Freundlichkeit umschlagen, es dringe hier und da Verständnis dafür durch, dass sein Gegenüber auf eine anständige Gesprächsführung Wert lege, doch verliere sich Y. dann oft rasch wieder in Monologen, während derer er die Zugänglichkeit verlöre.

    Hinweis: Über den weiteren Verlauf des ersten Verhandlungstages berichten wir hier.

    Zwei weitere Verhandlungstage sind angesetzt, zehn Zeuginnen und Zeugen sind insgesamt geladen. Die nach eigener Aussage beleidigten und bedrohten Beamten und Feuerwehrleute und Nachbarn.

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