Mit knapper Mehrheit, so die NRWZ in ihrer Meldung, hat sich der Bauausschuss des Rottweiler Gemeinderats am vergangenen Mittwoch entschieden: Rottweil brauche ein weiteres Parkhaus am Nägelesgraben. Kommenden Mittwoch sollen der Gemeinderat den endgültigen Beschluss fassen. Die Stadtverwaltung argumentierte zuvor mit fehlenden Stellplätzen für Autos, spätestens ab dem Betrieb der Hängebrücke. Doch schon durch die Ausschusssitzung zog sich Unbehagen, an der geplanten Stelle beim künftigen Müller-Markt ein Parkhaus entstehen zu lassen. Aus dem Unbehagen erwächst nun Bürger-Protest. Er mündet aktuell in Online-Kommentare, einige Leser- und einen offenen Brief, die Druck machen sollen auf die Gemeinderäte. Eine Leserbriefschreiberin ruft zur Demo vor der entscheidenden Sitzung auf. Und auf Facebook werden die Pläne als „Katastrophe“ gehandelt. Eine Zusammenfassung des aktuellen Stands.
„Unfassbar“
Gehörte es nicht zu den ursprünglichen Ideen, mittels einer Hängebrücke die Besucher vom Turm in die Stadt zu locken? … Mehr Parkangebote, desto höher das Verkehrsaufkommen. Ist es das, was Rottweil braucht: Noch mehr Verkehr in der Innenstadt? Vorwärts in die Sechzigerjahre? … Es ist unfassbar. Bis zur Abstimmung am 21. Juli bleibt nicht mehr viel Zeit. Bearbeiten Sie Ihre Gemeinderäte!
Thomas C. Breuer in einem Kommentar auf NRWZ.de
Rückwärtsgewandtheit. Förderung des ungerechten und teuren Individualverkehrs. Missachtung der Notwendigkeiten des Klimaschutzes. Das sind die Kernvorwürfe, die immer mehr Bürger jetzt, kurz vor dem geplanten Gemeinderatsentscheid am kommenden Mittwoch, vorbringen. Nur noch wenige Tage, bis das Gremium, das üblicherweise den Empfehlungsbeschlüssen aus den Ausschüssen folgt, einen Knopf an die Sache macht. Ein neues Parkhaus am Nägelesgraben beschließt.
Die Alternativen wurden angedacht oder/und diskutiert. Als da wären: Antrag der Grünen auf ein Parkhaus im Neckartal beim Kraftwerk samt Shuttlebus in die Innenstadt – wegen Aussichtslosigkeit zurückgezogen. Aufstockung des vorhandenen Culinara-Gebäudes und Errichtung eines Parkdecks auf dem bestehenden Parkplatz – bislang als Idee versandet. Groß’sche Wiese mehr einbeziehen, den Parkplatz an der Stadthalle mit einem Shuttlebus anbinden – Vorschläge, die bisher nicht weiter verfolgt wurden. Ein Parkhaus auf dem Stummp’schen Gelände – aktuell nicht realisierbar, weil der Stadt das Grundstück nicht gehört. Eine Tiefgarage statt eines neuen Parkhauses am Nägelesgraben – zu teuer. Eine solche mit 230 Plätzen würde fast über neun Millionen Euro mehr kosten als ein Parkhaus, hatte die Stadtverwaltung argumentiert – umgerechnet würde jeder Stellplatz das Dreifache von einem im Parkhaus kosten (60.000 statt 20.000 Euro).
Offene und Leserbriefe
Die Stadtratsfraktion SPD+FFR wehrte sich vor Wochen gegen die Pläne. In einem offenen Brief:
Gegen die Stimmen dieser und weiterer Räte fiel mit ganz knapper Mehrheit nun der Beschluss für das Parkhaus.
Das wollen einige in der Stadt nicht akzeptieren. So meinte der frühere FWV-Stadtrat Dieter E. Albrecht:
Leider ist dieses Parkhaus an dieser Stelle unsinnig und eine Verschandelung dieser Stadtansicht. Wenn überhaupt da, dann nur als Tiefgarage.
Dieter E. Albrecht in einem Kommentar auf NRWZ.de
Und die Kolumnistin Beate Kalmbach schreibt ebenfalls auf NRWZ.de:
Ich finde dies Parkhausgeplane ganz und gar daneben und verstehe nicht, weshalb nicht ein großer Aufschrei durch die Stadt geht. Eine Tiefgarage wäre denkbar und zu diskutieren, ein Aufstocken am Culinara, ein Einbeziehen samt shuttle der Parkflächen an der Stadthalle – alles wäre denkbar. Ein Parkhaus am Nägelesgraben ist es nicht. Optisch verheerend, finanziell fragwürdig, weil in der Tat die Fläche damit nur und ausschließlich dem Parken des Individualverkehrs vorbehalten ist, und ökologisch und stadtplanerisch eine Vollkatastrophe.
Beate Kalmbach in einem Kommentar auf NRWZ.de
Zuvor hatte sich Einzelhändler Michael Grimm in einem Leserbrief an die Öffentlichkeit gewandt (und wundert sich aktuell darüber, dass der Widerstand gegen die Pläne nicht größer ausfällt):
Weitere Bürger haben sich per Leserbrief zu einem neuen Parkhaus positioniert. Ablehend. So heißt es im folgenden, zu viert verfassten Leserbrief: „Externe Planer sind beauftragt, die Interessen der Besucher so gut es geht abzubilden. Die Besucher bringen Geld nach Rottweil, notwendig und gut. Aber liebe Gemeinderäte, Sie vertreten die Bürger, Sie wurden von diesen gewählt. Wo bleiben die Belange der Bewohner? Die Besucher der Hängebrücke, der Landesgartenschau und des Testturm sind schnell wieder weg. Aber die Bewohner bleiben und müssen ein weiteres Parkhaus, neben dem Parkhaus Kriegsdamm auch in grauen Novembertagen anschauen, wenn die Touristen längst wieder gegangen sind.“
Inzwischen macht auf WhatsApp ein offener Brief die Runde. In der Nachricht, die auch die NRWZ erreicht hat, heißt es: „Ein weiteres Parkhaus am Kriegsdamm? Der Spielplatz gegenüber vom Edeka kommt weg? Ist das Generationengerecht? Mehr Autoverkehr rund um die Kernstadt mit all seinen Konsequenzen? Darüber entscheidet der Rottweiler Gemeinderat am kommenden Mittwoch, den 21.07. In einem offenen Brief, unterzeichnet von Privatpersonen, wollen wir unsere Stimme gegen den Bau eines weiteren Parkhauses am Kriegsdamm erheben. Unter folgendem Link kannst du den Brief, den wir an die Mitglieder des Gemeinderats schicken werden, ansehen.“
Hier ist der Brief im Wortlaut:
An: Die Mitglieder des Gemeinderats Rottweil
Im Namen aller Unterzeicher:innen dieses Briefs sprechen wir uns deutlich gegen den Bau eines Parkhauses im Nägelesgraben in der Rottweiler Innenstadt aus. Wir bitten in diesem Zuge alle Mitglieder des Gemeinderats vor der anstehenden Abstimmung ihre Position noch einmal zu überdenken.
Die Entscheidung für oder gegen ein Parkhaus am Nägelesgraben beinhaltet weit mehr als die Abstimmung über ein paar Parkplätze für Anwohner:innen und Tourist:innen. Die Abstimmung ist ein Sinnbild für die Ausrichtung hinsichtlich der Zukunft der kommunalen Politik. Aus diesem Grund wollen wir uns in diesem Brief nicht auf konkrete Maßnahmen oder alternative Mobilitätskonzepte fokussieren. Viele der Lösungsansätze liegen auf der Hand und genauso gibt es auch andere Städte mit vergleichbarer Struktur, die erfolgreich zeigen, dass es auch andere Wege gibt Mobilität zu gestalten.
Was den Bau des Parkhauses angeht, gibt es Pro- und Kontra-Argumente, doch verlieren einige davon bei näherer Betrachtung ihren Bestand. Bei vergleichbaren Investitionen und Eingriffen in die Verkehrsinfrastruktur drängen sich unweigerlich Fragen nach der Zukunft auf. Was sind die Auswirkungen einer solchen Entscheidung, die schließlich langfristig einen Mehrwert für Rottweiler Bürger:innen und Tourist:innen bringen soll? Dieser Mehrwert sollte insbesondere auch für die Jahrzehnte nach der Fertigstellung gewährleistet sein.
Eine langfristige und nachhaltige Planung geht schließlich über die Landesgartenschau hinaus, sie sollte ebenso eine Investition und keine Belastung für die Jahre nach 2030 sein. Ein Zeitraum in dem eine führende Industrienation wie wir es in Deutschland sind und insbesondere ein Innovationsstandort wie Baden-Württemberg, nach allen Forderungen der Wissenschaft nicht mehr weit von der Klimaneutralität entfernt sein sollte.
Leider machen globalen Krisen an den Grenzen des Landkreises und der Stadt Rottweil keinen Halt. Aktuelle Klimakatastrophen wie die extremen Hochwasser in Deutschland, oder auch die Hitzewellen im Nordwesten Amerikas zeigen die akute Brisanz durch ihre große Zerstörung und die schmerzhafte Zahl der Todesopfer. Genauso zeigen aktuelle Klimaszenarien für den Landkreis Rottweil, welche erst vor wenigen Wochen vom Helmholtz-Zentrum veröffentlicht wurden, dass Wetterextreme mit Hitzewellen und Starkregen auch in unserer Stadt in Zukunft zur Realität gehören können.
Der Konjunktiv ist bewusst gewählt, da diese Szenarien keine Panik machen sollen, sondern ebenso eindrücklich aufzeigen, welche Macht wir als Menschen auf diese klimatischen Entwicklungen haben. Verursacht werden diese schließlich hauptsächlich durch den Ausstoß von Treibhausgasen und den daraus resultierenden globalen Temperaturanstieg, welcher weltweit Ökosysteme und Klimaphänomene aus der Balance bringt.
Die Entscheidung für oder gegen ein Parkhaus für sich gesehen wird nicht die Welt retten, doch ist sie eben mehr als nur die Entscheidung über ein paar Parkplätze. Sehr deutlich wird diese These durch eins der gerne angebrachten Argumente für den Bau des Parkhauses: die Notwendigkeit durch seine Einbettung in ein Gesamtkonzept.
Damit kommen wir direkt bei einer der Kernproblematiken von Mobilitätskonzepten an: der Frage nach Ursache und Wirkung. Unabhängig davon, wie viele Parkplätze im Umkreis des Nägelesgrabens aktuell leer stehen und wie viele Parkplätze im Rahmen der Umgestaltung wegfallen werden, wird man durch das Schaffen von mehr Parkplätzen tendenziell auch mehr Verkehr verursachen. Natürlich ist es auch für kommende Generationen von Interesse Rottweil als attraktiven Standort für Einzelhandel, Industrie und Tourismus und den damit einhergehenden Wohlstand zu erhalten. Doch ist die Förderung von Individualverkehr dabei der Schlüssel zum Erfolg?
Der jüngeren Generationen wird immer deutlicher wie ungerecht und teuer Individualverkehr häufig ist. Kein Mensch wohnt gerne an einer stark befahrenen Straße und genauso bezahlen alle Menschen den durch Steuergelder subventionierten Pkw-Verkehr mit. Ganz egal, ob sie viel, wenig oder gar nicht Auto fahren.
Eine Stadt wie Rottweil sollte den Fokus ihrer zukunftsweisenden Investitionen auf die Alternativen zum privaten Pkw lenken und ein Gesamtkonzept zum Wohle aller Bürger:innen anstreben, anstelle von einem welches scheinbar das private Auto in seinen Fokus rückt. Jede:r Rottweiler:in und nicht zuletzt auch jede:r Tourist:in profitiert von einer guten Nahversorgung und von weniger Verkehr. So bieten der Ausbau dieser Nahversorgung, von mobilem Arbeiten, Naherholung und Freizeitangeboten in Kombination mit alternativer Mobilität wie Rad-und Fußverkehr sowie Carsharing als Ergänzung des ÖPNV reichlich Handlungsmöglichkeiten, um einen echten Mehrwert zu schaffen.
Auch wenn Sie von einem temporären Anstieg des Parkplatzbedarfs ausgehen, muss es bei den vorhandenen und häufig nicht ausgelasteten Parkplätzen im Umkreis des geplanten Neubaus ihr Ziel sein, eine Lösung für die Nutzung dieser Kapazitäten anzustreben. Dazu muss dieser Anstieg des Bedarfs durch gezielte Maßnahmen so gering wie möglich gehalten werden. So können Emissionen, Ressourcen und Geld eingespart werden.
Bitte stellen Sie sich alle die Frage, welchen positiven Einfluss der Bau des Parkhauses wirklich auf die Attraktivität der Stadt für Tourist:innen und insbesondere für Bürger:innen Rottweils haben wird. Beim Klimaschutz geht es schließlich um weit mehr als den Schutz des Enzians, es geht um das Überleben zukünftiger Generationen. Dies macht nicht erst das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich, welche die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung mit der Freiheit kommender Generationen als unzureichend begründete.
Eine solche Gerechtigkeit gegenüber jungen Generationen geht auch über die immensen finanziellen Belastungen durch die Schäden unberechenbarer Wetterextreme hinaus. Wirksamen Klimaschutz zu betreiben bedeutet auch nachfolgenden Generationen ein Recht auf Leben, ja ein Recht auf Zukunft zu bewahren. Es bedeutet sich dafür einzusetzen, dass Rottweil auch in fernerer Zukunft noch attraktiv und lebenswert ist.
Diese Forderung, Kriterien der Nachhaltigkeit und des Umwelt- und Klimaschutzes mit höchster Priorität zu bewerten, ist keine Einzelmeinung. Nehmen Sie ihre Verantwortung ernst und entscheiden Sie im Sinne aller Generationen und Bürger:innen von Rottweil!
Im Namen aller Unterzeichner danken wir Ihnen für ihre Aufmerksamkeit und ihre Arbeit.
Savio Banholzer, Hannes Soballa, Carl Soballa
Info: Die Initiatioren dieses offenen Briefes haben eine E-Mail-Adresse eingerichtet, unter der sie erreichbar sind: gegendasparkhaus@gmail.com
Für den nächsten Mittwoch wird zu einer Demonstration aufgerufen. In diesem Leserbrief:
Auf der geschlossenen Facebook-Seite „Du weißt, dass Du aus Rottweil bist …„, einst von der NRWZ ins Leben gerufen, läuft die Diskussion ebenfalls. Dort ist von einer Katastrophe die Rede.
Jahrelang wurde darüber gesprochen, dass die Besucher von Turm und Brücke auf Parkplätzen beim Turm parken sollen.
Jetzt soll es für diesen Zweck ein weiteres Parkhaus in der Stadt sein.
Welche Gebühren soll (will) ein Besucher dann für Parkhaus, Brücke und Turm bezahlen?
In welchem Umkreis sollen die sonst vorhandenen Parkmöglichkeiten gebührenpflichtig werden, damit die Besucher nicht nach kostenfreien Möglichkeiten suchen?
Wie soll die Verkehrsführung erfolgen; zumal schon darüber diskutiert wurde, das Hauptstrassenkreuz für den Verkehr zu sperren?
Vorschläge für die Stadt kommen schon lange nicht mehr aus dem Rathaus sondern nur noch von kostenintensiven Planungsbüros, die alle zusammen das Interesse haben, dass in neue Projekte investiert wird.
Die erste Runde an Gebührenerhöhungen in Rottweil steht vor der Tür. – wie geht das weiter?
Von Tübingen ist heute zu lesen, dass der OB für Anwohnerparkplätze künftig bis zu 12 mal so hohe Gebühren verlangen will. Wir schaffen dann die Autos ab aber bauen neue Parkhäuser.