Erfolgreich, tatkräftig, Stützen eines guten Miteinanders in der Stadt: Das und mehr charakterisiert Frauen aus dem 15. bis 21. Jahrhundert, denen die Rottweiler Historikerin Cornelia Votteler ein jüngst erschienenes Buch gewidmet hat – anknüpfend an Band Eins 2019. Im Gespräch mit der NRWZ schildert Cornelia Votteler, was sie an den Portraitierten beeindruckt – und was junge Frauen heute von ihren Vorgängerinnen lernen können.
NRWZ: Frau Votteler, wie ist die Auswahl in diesem zweiten Band zustande gekommen?
Cornelia Votteler: Die Auswahl ist in Ansätzen bereits nach der Publikation meiner ersten „Frauengeschichte(n)“ entstanden, zum Teil aufgrund von Recherchen, die ich für andere Veröffentlichungen gemacht hatte oder in Gesprächen bei Vorträgen, die ich über Frauengeschichte gehalten habe. Auch in diesem Buch wollte ich Rottweiler Frauen vorstellen, die mit ihrer Arbeit, ihrem Engagement, ihrem künstlerischen Schaffen Spuren in der Stadt hinterlassen haben.
Lange überlegt habe ich, ob ich die drei der Hexerei Verdächtigten mit einbeziehen sollte. Da ich in meinem ersten Buch eine Kindsmörderin und ihr Schicksal vorgestellt habe, kam ich doch zu dem Entschluss, auch diese Frauen, die stellvertretend für so viele Schicksale stehen, mit aufzunehmen. Es ist ein Teil Rottweiler Geschichte und ein Teil Rottweiler Frauengeschichte.
NRWZ: Welche der portraitierten Frauen hat Sie am meisten beeindruckt – und warum?
Cornelia Votteler: Jede hat mich auf ganz eigene Weise beeindruckt: Dr. Gertrud Metzger, die sich – wie sich aus den nüchtern abgefassten Protokollen ergibt – gegen die männliche Dominanz in den politischen Gremien der Nachkriegsjahre immer wieder zu Wort gemeldet und ihren Standpunkt vertreten hat. Margarete Schellhorn, die, wie sie mir noch erzählte, sich nicht beirren ließ.
Angela M. Flaig, die so wunderbare Kunst erstellt und mir Einblicke in ihr Schaffen gegeben hat. Anita Karrais, deren Lebensgeschichte so viel zu ihrem Wirken beigetragen hat, Dr. Gertrud Schumacher, deren soziales Engagement noch in so guter Erinnerung ist. Die Gespräche mit Dr. Augusta Hönle, die ihre großes Wissen Generationen von Schülern weitergegeben hat und die Erzählungen von Hildegard Schneider über ihre Mutter. Beeindruckend auch das Leben von Margarethe von Öttingen, das uns Froben Christoph von Zimmern in der Zimmerischen Chronik in vielen kleinen Episoden nicht ohne Stolz hinterlassen hat. Jede Frau hat mich auf ihre Weise fasziniert.
NRWZ: Bei der historischen Forschung ist es oft ein Problem, dass sich zu Frauen weniger Dokumente finden als zu Männern, unter anderem weil sie weniger im öffentlichen Leben sichtbar waren. Haben Sie interessante Frauen im Blick, zu denen sich aber leider kaum Spuren finden?
Cornelia Votteler: Im Moment habe ich noch keine Frau im Fokus, das kann sich aber rasch ändern.
NRWZ: Wie bereits angesprochen stellen Sie drei Frauen von 234 vor, die – wie auch 53 Männer – zwischen 1561 und 1701 in Rottweil der Hexerei beschuldigt wurden und nur selten der Todesstrafe entkamen. Den Hintergrund für solche wahnhaften Phasen bilden oft gesellschaftliche Krisen, etwa durch Hunger oder Klimaumwälzungen. Was kann man aus Ihrer Sicht aus den von Ihnen dargestellten Fällen lernen?
Cornelia Votteler: Die Frage ist – haben wir je etwas aus der Geschichte gelernt? Hexenverfolgung, Rassenwahn, Judenverfolgung – es ließe sich fortsetzen. Für alle Krisen, denen die Menschen ausgesetzt sind, wurden und werden Schuldige gesucht. Gerade in unserer jetzigen Situation sind die Parallelen erschreckend und die Gräuel der Geschichte scheinen sich auf andere Weise zu wiederholen.
NRWZ: Für das 19. Jahrhundert stellen sie Josepha von Kuon vor, eine tatkräftige, geschäftstüchtige Frau — inwiefern ist ihr Leben für diese Zeit beispielhaft, welche Herausforderungen und Chancen gab es damals?
Cornelia Votteler: Bei meinen Recherchen zu Josepha von Khuon und ihrer Familie habe ich in den Rottweiler Zeitungen viele Hinweise auf Frauen gefunden, die das Geschäft ihres Mannes weiterführten oder auch als ledige Frauen kleine Geschäfte betrieben, sei es als Schneiderin, Putzmacherin oder als Händlerin. Dies wird deutlich an den vielen kleinen Annoncen, die sich in den Zeitungen finden. Damit versuchten sie, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Ungeachtet dessen sind die Listen derer, die auf Hilfe aus den Sozialfonds angewiesen waren, sehr lang. Kinderarbeit war an der Tagesordnung, der Schulbesuch eher zweitrangig, was die Chancen nicht unbedingt erhöht hat. Eine erhaltene Schulliste mit den Fehlzeiten der Mädchen spricht Bände.
Josepha und ihre Familie stehen auch als Beispiel dafür, wie die familiäre Situation der Frauen war – sie brachten viele Kinder zur Welt und mussten viele sterben sehen. Und ihre Schwiegertochter und ihre Enkelin stehen als Beispiel für Frauen, die aktiv an den Aktionen bei der Revolution von 1848/49 teilgenommen haben. Hier sind die Rottweiler Frauen mutig für Demokratie, Freiheit und in der Hoffnung auf mehr Rechte angetreten. Die Chance der Auswanderung auf der Suche nach einem besseren Leben haben auch Frauen mit ihren Kindern wahrgenommen, sie sind in den Listen erfasst.
NRWZ: Mehrere Frauen, die Sie porträtieren, waren in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg enorm tatkräftig und haben sich für die Gesellschaft und ihre Mitmenschen in beeindruckender Weise engagiert, etwa Dr. Gertrud Metzger, die den politischen Wiederaufbau mitgestaltete, die Ärztin Dr. Gertrud Schumacher, auch die 2023 verstorbene Margarete Schellhorn kann man zu dieser Gruppe zählen — was war aus Ihren Sicht das Verbindende bei dieser Generation?
Cornelia Votteler: Ich denke, das Verbindende in dieser Generation war, sich aufgrund der Erfahrungen, die sie gemacht hatten und die in ihren Lebensgeschichten deutlich werden, sich für die Gesellschaft und die Mitmenschen zu engagieren. Sowohl im politischen wie vor allem Dr. Gertrud Metzger beim Aufbau der jungen Demokratie und Dr. Gertrud Schumacher, als auch im sozialen Bereich, der allen drei gemeinsam ist.
NRWZ: Welche Frau hätte aus Ihrer Sicht eine besondere öffentliche Aufmerksamkeit verdient, zum Beispiel indem eine Straße nach ihr benannt wird?
Cornelia Votteler: Eigentlich müsste man Straßen in einem ganzen Viertel so benennen, um den Frauen und ihren Leistungen gerecht zu werden und sie mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu stellen.
NRWZ: Was können aus Ihrer Sicht junge Frauen heute von den historischen Beispielen abschauen, die Sie aufzeigen?
Cornelia Votteler: Beharrlichkeit, Durchsetzungsvermögen, politisches Engagement, Wissen erlangen und weitergeben, sich nicht vom eigenen Weg abbringen lassen, Mut, nicht die eigene Person in den Vordergrund stellen, negative Strömungen erkennen und entgegentreten.
Vieles, was jungen Frauen heute selbstverständlich erscheint, musste erst mühsam erkämpft werden, noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein. Das sollte man nie außer Acht lassen.
NRWZ: Frauen in Spitzenpositionen gelten oft als Indikator für gesellschaftlichen Wandel und gelungene Gleichberechtigung. Rottweil hat mittlerweile sogar eine Bürgermeisterin — bedeutet das aus Ihrer Sicht, dass für Frauen in Rottweil die Geschichte der Benachteiligung zu Ende und sozusagen alles gut ist?
Cornelia Votteler: Ich denke, da ist noch viel Luft nach oben.
Die Fragen stellte NRWZ-Redakteur Andreas Linsenmann.
Info: Das Buch „Künstlerin, Lehrerin, Politikerin … Hexe – Rottweiler Frauengeschichte(n)“ von Cornelia Votteler ist im Neckartal Verlag erschienen und kostet 17 Euro. Mitglieder des Rottweiler Geschichts- und Altertumsvereins (GAV) erhalten es als 124. Jahresgabe.