Rottweil: Abstauber sagen Staub den Kampf an

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Seit den 1930-er Jahren werden in der großen Narrenstadt Rottweil am Dreikönigstag, am 6. Januar, die Abstauber ausgesandt: feine Herren in Frack und Zylinder, mit einem ledernen Täschchen ausgestattet, in dem sich als wichtigstes Utensil ein Bürstlein befindet. Sie alle dienen einem Zweck: die Narrenkleider abzustauben. Symbolisch vom Staub zu befreien. Hier ein Beitrag darüber, sozusagen aus erster Narrenhand.

Von Zunftschreiber Frank Huber

Die Rottweiler Fastnacht als Fest der Lebensfreude, als Fest der „verkehrten Welt“, auch als Gelegenheit zur Kritik darf ruhigen Gewissens als nationales Kulturgut betrachtet werden. Sie spiegelt uns, wie vieldeutig, gar gegenpolig das Leben sich zeigt, wenn wir das Leben an die lange Leine lassen. Mal sehnen wir uns nach Tradition, mal lockt der Stachel zur Anarchie. Heimatscholle und Exotik, Vulgäres und Elitäres, Großherzigkeit und Narzissmus schunkeln Schulter an Schulter.

Ferner ist es aber auch das Fest, das den Aspekt unserer eigenen Endlichkeit deutlich macht, wenn es am Aschermittwoch heißt: „Memento mori! – Sei der Sterblichkeit bewußt“. Auch das gehört zur Fasnet, wenngleich die Fastnachtfeiernden dies längst nicht mehr interessiert.

Trallala versus Kulturgut

Viele in unserer kulturellen Wegwerfgesellschaft nehmen die Fastnacht eher als billiges Trallalla unterhalb von Volksmusik-Gejodel wahr. Von Kulturgut ist wenig zu spüren. Vielmehr sind in den Augen der Fastnachtspartygänger die Tage vor der Fastenzeit nichts anderes als eine legitimierte Gelegenheit zu maßlosem Essen und Trinken, zur hemmungslosen Überschreitung von Normen im Bereich von Sitte und Anstand. Begründet wird die Aufgabe von Normen mit einem allgemeinen Trend in der Gesellschaft und mit einer Sinn-Entleerung des Brauchs.

Die Sinn-Entleerung wiederum ist damit zu erklären, dass die Eltern und die verantwortlichen „Brauch-Pfleger“, es versäumt haben zu erklären, worum es sich bei den fastnachtlichen Bräuchen tatsächlich geht.

Den Fasnetssinn erhalten

Wenn sich am Dreikönigstag nun 30 Brauchtumspfleger in Frack und Zylinder auf den Weg in die Bürgerhäuser machen, um die Narrenkleidle vom Staub der vergangenen Tage zu befreien, so bringen sie nicht nur Lebensfreude und ein Stück Fastnacht mit. Nein, sie versuchen durch das Ritual des Abstaubens die Entgrenzung der Fastnacht und deren Sinn-Entleerung aufzuhalten. Sie versuchen in den Häusern den Bürgern und Narren die Fastnacht als Fest des kontrollierten Kontrollverlusts darzustellen, bei dem es nicht um Selbstdarstellung und Regellosigkeit, sondern um Gemeinschaft, Identifikation und um Zusammengehörigkeit unter Beachtung von Regeln geht.

Gesundheitsgefährdende, harte Arbeit

Die Abstauber haben zwar das närrische Feuer nicht erfunden, doch sie hüten mit voller Hingabe seine Flamme. Einfach ist das für die professionellen Staubbobblsucher nicht, denn in einem Gramm Staub sind über 1,5 Millionen Bakterien enthalten, von diesen sind viele gesundheitsschädlich.

Wie gesundheitsgefährdend Staub ist, erkennt man jedes Jahr daran, dass die 30 zünftigen Reinigungsexperten nach 14 Stunden der Arbeit oft ihren Gleichgewichtssinn verlieren. Auch das Sprachzentrum sowie die Sehkraft können betroffen sein.

Wer die vom Staub gezeichneten Sauberkeitsfanatiker bei der Rekonvaleszenz unterstützen möchte, trifft alle Abstauber und alle der Fasnet treu verbundenen Bürgersleute ab 21.00 Uhr im Bruderschaftsstüble (Weinstube Russ). Die Narrenzunft freut sich auf Ihr Kommen.

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