„Auf, wachet auf!“: Bis Dienstagabend ist er wieder allgegenwärtig und sorgt für viel Freude – der Rottweiler Narrenmarsch. Aber als er zum ersten Mal gespielt wurde, klang er wohl deutlich anders als heute. Das hat der in Rottenburg als Domkantor tätige Robert Kopf herausgefunden.
Wie so oft führte dabei der Zufall Regie: Der zweieinhalbjährige Sohn rückte beim Erforschen der elterlichen Bücherregale unter anderem Werner Mezgers „Narretei und Tradition“ ins Sichtfeld.
Intuitiv muss er erkannt haben, dass der blaue Band von 1984 über die Rottweiler Fasnet immer noch lesenswert ist – und auch nach 40 Jahren interessante Anstöße bereithält. Jedenfalls blätterte Robert Kopf durch das reich illustrierte Buch. Und sein Blick blieb beim Blick am abgebildeten Autograf des Narrenmarschs, also der Erstfassung in der Handschrift Heinrich von Beseles aus den 1880er Jahren, hängen.
Kopf staunte nicht schlecht: „Mir ist gleich aufgefallen, dass sich diese Musik deutlich von dem Narrenmarsch unterscheidet, den wir heute von der Fasnet kennen“, erzählt er im Gespräch mit der NRWZ. Es fängt mit der Besetzung an, die in der Tradition der Harmoniemusik Holz- und Blechbläser vorsieht.
Aber mehr noch: „Auch das Tempo unterscheidet sich, nicht einmal die Tonart ist dieselbe“, berichtet Kopf. Der Gesamteindruck sei anders: „Vom Charakter her war das anfangs überhaupt kein Marsch“, fasst der Musiker seine Verblüffung zusammen.
Kopf nahm das zum Anlass nachzuforschen. Er sah sich im Stadtarchiv die Urfassung im Original an, trug weitere Informationen zusammen. 1882 wurde das Musikstück nach bisherigem Kenntnisstand in der Duttenhoferschen Reitanlage erstmals aufgeführt – Kopfs Recherchen zufolge könnte es sogar bereits bei einer Saal-Veranstaltung zur Fasnet 1880 gewesen sein.
Wobei Fasnet damals etwas anderes meinte als heute. Die Straßenfasnet mit Kleidlesträgern war fast tot, der Narrensprung 1862 verboten worden. Nur wenige Unentwegte trauten sich noch, diese Tradition zu pflegen. Das Publikum orientierte sich stattdessen den bourgeoisen, noblen Vorbildern des Karnevals, die man sich etwa im Rheinland abschaute.
Und für diese Zwecke schuf Besele, damals nicht nur Dirigent der Stadtkapelle, sondern auch prominenter Geiger und gefeierter Organist, wohl das Stück, das später zum Narrenmarsch wurde. Aufschlussreich ist der Kontext: So erklang vor Beseles Werk eine Rossini-Ouvertüre. Also munter plätschernde, opernhafte Unterhaltungsmusik. Und ähnlich scheint auch der heutige Narrenmarsch zunächst angelegt gewesen zu sein: „Man kann sich das so ein bisschen wie einen Galopp von Johann Strauss vorstellen“, verdeutlicht Robert Kopf das Gepräge.
Es war also von der Idee her ein karnevalistisches Stimmungs-Stück. Und dabei ein durchschlagender Erfolg. Auf Händen getragen hat das Publikum Besele nach der Uraufführung einem Zeitungsbericht zufolge – ein Ritual, mit dem heute Popstars gefeiert werden.
Dann jedoch geriet das Musikstück in Vergessenheit. Erst 1911 entdeckte es der damalige Leiter der Stadtkapelle, Otto Sander, wieder. Er war es, der aus Beseles charmantem Stimmungsmacher einen Marsch formte – vom Klangbild her etwas weitgehend Neues: „Das Verbindende zwischen den beiden Versionen ist eigentlich nur die Melodie“, sagt Robert Kopf. Und für die Fasnet auf der Straße wäre das Original „höchst gewöhnungsbedürftig“.
Davon kann man sich übrigens selbst einen Eindruck verschaffen. Denn Kopf hat die Urfassung 2023 mit den „Stadtmusikanten“ eingespielt. Vielleicht hört man dann im Hintergrund noch ein paar andere Klänge mit, wenn es an der Fasnet wieder dutzendfach ins Ohr dringt: Auf, wachet auf!“
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