Mit Mega-Kamera Mensch und Zeit auf der Spur

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222 Bewerbungen für 24 Stipendien: Heiß begehrt ist die Förderung der Kunststiftung Baden-Württemberg. Zu den Glücklichen, die sie derzeit für ein Jahr erhalten, gehört eine Rottweilerin: die Filmemacherin und Medienkünstlerin Sophia Schiller, Jahrgang 1992. Ihr Projekt hat sie nun sogar wieder zurück nach Rottweil geführt.

Eine erstaunliche Wendung, denn Sophia Schiller hatte über ein Studium an der Hochschule für Gestaltung zunächst in Karlsruhe Fuß gefasst. Und beruflich erfolgreiche Schritte unternommen – etwa als Mitgründerin des „Filmwerks Kalliope“, einem Verein der sich künstlerischen Filmen und Installationen verschrieben hat.

„Mein Schwerpunkt lag bisher vor allem im Filmbereich“, erzählt Sophia Schiller im Gespräch mit der NRWZ. In einem breite Spektrum war die Dreißigjährige hierbei tätig: Als Drehbuchautorin, Kamerafrau, zuletzt vor allem als Regisseurin und als Produzentin, bei der die Fäden zusammenlaufen. So etwa bei der 2021 realisierten Produktion „Unterrotenstein“ – ein Titel, der in und um Rottweil unweigerlich Assoziationen weckt.

Aus der Perspektive eines neunjährigen Mädchens wird da knapp halbstündig von einem Familien-Wochenende erzählt: Man erfährt von den rauen Dynamiken einer Gruppe Heranwachsender und dem schmerzhaften Prozess des Erwachsenwerdens, während parallel dazu sich im Hintergrund die Dramen der Erwachsenen abspielen.

Damit verweist die Produktion auf etwas, das für Sophia Schiller fundamental ist beim filmischen Erzählen: Ihr geht es nicht um spektakuläre Inszenierung, sondern „um alltägliche Geschichten, das scheinbar Beiläufige“, wie Sophia Schiller erläutert. Von Gefühlsregungen des Alltags bis zum Scheitern – um das Menschliche, mitunter Allzumenschliche also, könnte man mit Nietzsche zuspitzen.

Die subtile Beobachtung einer ungestümen Kindergruppe in „Unterrotenstein“ war jedenfalls eine gute Referenz für das Auswahlverfahren bei der Kunststiftung Baden-Württemberg. Denn Sophia Schiller konnte deutlich machen, dass sie zu den Themen Mensch und Körper auch im Bereich der Medienkunst kreatives Potenzial aktivieren kann.

So sieht sie im virtuellen Rundgang aus, die riesige Camera Obscura, die Sophie Schiller auf dem Moker-Areal installiert hat. Video-Clip: Sophie Schiller

In diesen Sektor wird sie nun vorstoßen – und die einjährige Förderung gibt ihr dazu die Freiheit. Im Mittelpunkt steht dabei, wie Sophia Schiller griffig zusammenfasst, die Frage, „wie Zeit auf Körper einwirkt“. Mit einer riesigen Camera Obscura, einem dunklen Raum mit einem Loch, an dessen Rückwand ein davor stehendes Objekt projiziert wird, will sie in einem Prozess, den sie als „spielerisch, experimentell“ charakterisiert, in Ganzkörperportraits Menschen ablichten.

Der Clou bei diesem Verfahren, das Wurzeln schon in der Renaissance hat: Durch die Dimensionen des Apparats von Sophia Schiller verlängert sich die Belichtungszeit auf zehn und mehr Minuten. Sogar in den Kindertagen der Fotografie, als Menschen mit Halterungen für lange Belichtungszeiten fixiert wurden, ging es schneller. Aber um das präzise, detailgenaue Abfotografieren geht es gar nicht – im Gegenteil: „Das Spannende ist, was in dieser langen Zeit passiert und wie sich das visuell niederschlägt“, erläutert die Medienkünstlerin. Gerade Bewegungen, Verwischungen, in denen vergehende Zeit ablesbar wird, könnten die Aufnahmen interessant machen – ein Unschärfe-Effekt, mit dem unter anderem Gerhard Richter gearbeitet hat.

Um dieses Projekt umsetzen zu können, ist die von Ideen und Tatkraft scheinbar sprühende Sophia Schiller wieder nach Rottweil gekommen. Auf dem Moker-Areal hat sie sich ein geräumiges Atelier eingerichtet. Die Camera Obscura steht schon. Das Fotografieren ist freilich noch nicht angelaufen. Denn Sophia Schiller ist um weitere Herausforderungen nicht verlegen: In ihrem Zeit-Raum-Projekt will sie Gefangene und deren Partner in Tandem-Settings dokumentieren – ausgehend von der Annahme, dass in und außerhalb von Gefängnissen Zeit anders auf Menschen einwirkt. Wie das alles vonstatten gehen kann, ist freilich noch nicht abschließend geklärt.

Dass sie das Projekt nach Rottweil zurückgeführt hat, sieht Sophia Schiller rundum positiv. Die Stadt, in der sie aufgewachsen ist – mit Schulbesuch in Schwenningen – empfindet sie als „ein Zuhause“, im besten Sinne ein Refugium. „Mich erstaunt, wie umschmeichelnd Rottweil sein kann“, sagt sie lachend im Gespräch. Auch wenn sie einen weiten Horizont hat und viel unterwegs ist: Dass es in Rottweil das Bewusstsein einer alten Stadt gibt, mit viel Kultur, in der die Menschen gerne rausgehen, das empfindet die Stipendiatin als sehr angenehm und anregend – gute Voraussetzungen also für ein kreatives Jahr in Rottweil.

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222 Bewerbungen für 24 Stipendien: Heiß begehrt ist die Förderung der Kunststiftung Baden-Württemberg. Zu den Glücklichen, die sie derzeit für ein Jahr erhalten, gehört eine Rottweilerin: die Filmemacherin und Medienkünstlerin Sophia Schiller, Jahrgang 1992. Ihr Projekt hat sie nun sogar wieder zurück nach Rottweil geführt.

Eine erstaunliche Wendung, denn Sophia Schiller hatte über ein Studium an der Hochschule für Gestaltung zunächst in Karlsruhe Fuß gefasst. Und beruflich erfolgreiche Schritte unternommen – etwa als Mitgründerin des „Filmwerks Kalliope“, einem Verein der sich künstlerischen Filmen und Installationen verschrieben hat.

„Mein Schwerpunkt lag bisher vor allem im Filmbereich“, erzählt Sophia Schiller im Gespräch mit der NRWZ. In einem breite Spektrum war die Dreißigjährige hierbei tätig: Als Drehbuchautorin, Kamerafrau, zuletzt vor allem als Regisseurin und als Produzentin, bei der die Fäden zusammenlaufen. So etwa bei der 2021 realisierten Produktion „Unterrotenstein“ – ein Titel, der in und um Rottweil unweigerlich Assoziationen weckt.

Aus der Perspektive eines neunjährigen Mädchens wird da knapp halbstündig von einem Familien-Wochenende erzählt: Man erfährt von den rauen Dynamiken einer Gruppe Heranwachsender und dem schmerzhaften Prozess des Erwachsenwerdens, während parallel dazu sich im Hintergrund die Dramen der Erwachsenen abspielen.

Damit verweist die Produktion auf etwas, das für Sophia Schiller fundamental ist beim filmischen Erzählen: Ihr geht es nicht um spektakuläre Inszenierung, sondern „um alltägliche Geschichten, das scheinbar Beiläufige“, wie Sophia Schiller erläutert. Von Gefühlsregungen des Alltags bis zum Scheitern – um das Menschliche, mitunter Allzumenschliche also, könnte man mit Nietzsche zuspitzen.

Die subtile Beobachtung einer ungestümen Kindergruppe in „Unterrotenstein“ war jedenfalls eine gute Referenz für das Auswahlverfahren bei der Kunststiftung Baden-Württemberg. Denn Sophia Schiller konnte deutlich machen, dass sie zu den Themen Mensch und Körper auch im Bereich der Medienkunst kreatives Potenzial aktivieren kann.

So sieht sie im virtuellen Rundgang aus, die riesige Camera Obscura, die Sophie Schiller auf dem Moker-Areal installiert hat. Video-Clip: Sophie Schiller

In diesen Sektor wird sie nun vorstoßen – und die einjährige Förderung gibt ihr dazu die Freiheit. Im Mittelpunkt steht dabei, wie Sophia Schiller griffig zusammenfasst, die Frage, „wie Zeit auf Körper einwirkt“. Mit einer riesigen Camera Obscura, einem dunklen Raum mit einem Loch, an dessen Rückwand ein davor stehendes Objekt projiziert wird, will sie in einem Prozess, den sie als „spielerisch, experimentell“ charakterisiert, in Ganzkörperportraits Menschen ablichten.

Der Clou bei diesem Verfahren, das Wurzeln schon in der Renaissance hat: Durch die Dimensionen des Apparats von Sophia Schiller verlängert sich die Belichtungszeit auf zehn und mehr Minuten. Sogar in den Kindertagen der Fotografie, als Menschen mit Halterungen für lange Belichtungszeiten fixiert wurden, ging es schneller. Aber um das präzise, detailgenaue Abfotografieren geht es gar nicht – im Gegenteil: „Das Spannende ist, was in dieser langen Zeit passiert und wie sich das visuell niederschlägt“, erläutert die Medienkünstlerin. Gerade Bewegungen, Verwischungen, in denen vergehende Zeit ablesbar wird, könnten die Aufnahmen interessant machen – ein Unschärfe-Effekt, mit dem unter anderem Gerhard Richter gearbeitet hat.

Um dieses Projekt umsetzen zu können, ist die von Ideen und Tatkraft scheinbar sprühende Sophia Schiller wieder nach Rottweil gekommen. Auf dem Moker-Areal hat sie sich ein geräumiges Atelier eingerichtet. Die Camera Obscura steht schon. Das Fotografieren ist freilich noch nicht angelaufen. Denn Sophia Schiller ist um weitere Herausforderungen nicht verlegen: In ihrem Zeit-Raum-Projekt will sie Gefangene und deren Partner in Tandem-Settings dokumentieren – ausgehend von der Annahme, dass in und außerhalb von Gefängnissen Zeit anders auf Menschen einwirkt. Wie das alles vonstatten gehen kann, ist freilich noch nicht abschließend geklärt.

Dass sie das Projekt nach Rottweil zurückgeführt hat, sieht Sophia Schiller rundum positiv. Die Stadt, in der sie aufgewachsen ist – mit Schulbesuch in Schwenningen – empfindet sie als „ein Zuhause“, im besten Sinne ein Refugium. „Mich erstaunt, wie umschmeichelnd Rottweil sein kann“, sagt sie lachend im Gespräch. Auch wenn sie einen weiten Horizont hat und viel unterwegs ist: Dass es in Rottweil das Bewusstsein einer alten Stadt gibt, mit viel Kultur, in der die Menschen gerne rausgehen, das empfindet die Stipendiatin als sehr angenehm und anregend – gute Voraussetzungen also für ein kreatives Jahr in Rottweil.

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