Krisenmanagement während „Sabine“: Kritik an Schulen, Stadt und Landkreis Rottweil

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Das Landratsamt Rottweil schwieg bis Montagnachmittag, die Stadtverwaltung Rottweil öffentlich bis heute, die Schulen brachten ihre Hinweise individuell und unabgestimmt: Nachdem „Sabine“ übers Land gefegt ist und Unterricht ausfiel, gibt es Kritik am Krisenmanagement in Rottweil. So sagt der stellvertretende Vorsitzende des Rottweiler Gesamtelternbeirats, Michael Mittelstaedt: „Es gab keine offizielle Aussage mit Gehalt.“ Die Medien seien schnell und detailliert, die Träger der Verantwortung jeweils träge.

Ungünstiger kann ein Sturm für Behörden nicht aufkommen. „Sabine“ kam am Sonntagabend, angekündigt zwar, aber eben außerhalb jeder Bürozeit. Obwohl: Das Kultusministerium Baden-Württemberg, auch eine Behörde, handelte am Samstag, 8. Februar, um 15.29 Uhr. Mit einer E-Mail an die Presse. „Für den Schulbetrieb am Montag, 10. Februar, geben wir … folgende Hinweise“, hieß es da. Und: „Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigte können entscheiden, ob der Schulweg für ihre Kinder zumutbar ist. Falls der Weg zur Schule aufgrund extremer Wetterlagen vor Ort nicht zumutbar ist, können Eltern ihr Kind vom Unterricht befreien lassen. Die Schule ist in diesem Fall zu informieren.“

Eine wichtige Handlungsempfehlung für einen angekündigten schweren Sturm. Mit dem Verteiler „Presse“, weil damit an einem Wochenende am ehesten die Eltern erreichbar sind. Offenbar sind die Schulen auch informiert worden, denn nach und nach reagieren einzelne. Sie veröffentlichen auf ihren Websites Hinweise. Die NRWZ sammelt und veröffentlicht diese. Während der Sturm Fahrt aufnimmt. Am Sonntag um 22 Uhr schreiben wir:

Schulen in Rottweil haben auf die Empfehlung des Kultusministeriums reagiert, nach der Eltern nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob für ihre Kinder der Schulweg zumutbar ist oder nicht. Das Albertus-Magnus-Gymnasium in Rottweil etwa hat angekündigt, nach dieser Empfehlung verfahren zu wollen. Eltern könnten ihre Kinder demnach vom Unterricht telefonisch im Sekretariat der Schule abmelden. Das Leibniz-Gymnasium hat ebenfalls auf die Erklärung des Kultusministeriums verwiesen, allerdings ohne weitere Handlungsanweisung.

Wer nicht reagierte: die Schulträger Landkreis Rottweil und Stadt Rottweil. Letztere schrieb die NRWZ in der Nacht zu Montag an. Mit einer SMS an den Pressesprecher. Sie lautet am Sonntag um 23.14 Uhr: „Gibt es eine Stellungnahme zum Unterricht morgen?“

Diese SMS wird am Montag, 10. Januar, um 10.13 Uhr per E-Mail mit dem Betreff „Ihre SMS-Anfrage“ beantwortet. Währenddessen tobt der Sturm, da haben einzelne Mitglieder der Feuerwehr die Nacht durchgemacht, haben Bäume zersägt und weggeräumt. Und da haben Eltern gebangt, ob sie ihre Kinder nun zur Schule schicken sollen, können, müssen.

Wie die Stadtverwaltung am Montagmorgen reagiert hat? Wie folgt: „Zum Thema Unterricht gab es … ja eine Empfehlung des Landes, die auch für uns maßgeblich war“, schreibt der Pressesprecher der Stadtverwaltung, Tobias Hermann. Und weiter: „Bernd Pfaff“ als Fachbereichsleiter „(und damit auch die Schulverwaltung) stand wie bei solchen Lagen üblich seit gestern“, also Sonntag, „Abend im engen Kontakt mit der Feuerwehr. Was die aktuelle Lage angeht, werden Sie von unserer Feuerwehr ja direkt und auf bewährte Weise auf dem Laufenden gehalten.“

Im Klartext: Die Stadtverwaltung beobachtete im Hintergrund die Lage. Aber sie bezog keine Stellung und gab keine Handlungsanweisung. Die Eltern schulpflichtiger Kinder wenden sich mit der Frage, ob sie den Nachwuchs am Montag zur Schule schicken sollen, noch in der Nacht etwa auch an die NRWZ. So, wie weitere, die wissen wollten, ob sie diese oder jene Straße würden befahren können.

An die NRWZ, die nun eindeutig nicht zuständig ist für den Straßenverkehr und den Schulbetrieb.

Es geht auch anders. Am 9. Februar, also Sonntag, um 21.34 Uhr, verschickt die Stadt Villingen-Schwenningen eine Pressemitteilung. Betreff: “ EILT!!! Pressemitteilung, 09.20.2020 / Empfehlung der Stadt VS: Schüler und Kinder zu Hause bleiben!“

Weiter heißt es: „Die Stadtverwaltung Villingen-Schwenningen empfiehlt, dass die Schülerinnen und Schüler der städtischen Schulen sowie die Kinder der Kindertagesstätten der Stadt Villingen-Schwenningen am morgigen Montag, 10.02.2020, aufgrund der hohen Gefährdungslage durch das schwere Sturmtief „Sabine“ zu Hause bleiben und sich nicht auf den Weg zur Schule bzw. zur Kindertagesstätte begeben. Eine Notbetreuung vor Ort wird dennoch gewährleistet sein.“

Eine Behörde, ein Schulträger, eine Ansage. So wünscht sich das Michael Mittelstaedt, der stellvertretende Vorsitzende des Rottweiler Gesamtelternbeirats.

Mittelstaedt wendet sich am Sonntagmittag an die NRWZ. Die hatte ja am Samstagabend berichtet, dass das Kultusministerium die Eltern aufforderte, selbst darüber zu entscheiden, ob ein Schulbesuch am Montag zumutbar ist oder nicht. Mittelstaedt will nun wissen, welche Quelle die NRWZ konkret für diese Aussage habe. Denn: „Auch bei mir rufen mittlerweile Eltern an und fragen, ob das offiziell ist.“

Will heißen: Niemand glaubt so recht, dass das Kultusministerium einen Schulbesuch am Montagmorgen infrage stellt. Und das am Samstagmittag bekannt gibt. Und dann auch noch über die Presse. Auch Gesamt-Elternbeiratsmitglied Mittelstaedt bezweifelt diesen Kommunikationsweg des Kultusministeriums. Er schreibt:

Sollte es tatsächlich eine solche konkrete die morgige Situation betreffende Aussage des KM geben, müsste das ja vermutlich über die lokal Betroffenen auch verteilt werden; davon ist mir bisher nichts bekannt. Daher die Bitte um Quellangabe.

Dem kommt die NRWZ Minuten später nach. Mittelstaedt verarbeitet das und holt tags darauf, am Montagmorgen, während draußen „Sabine“ tobt, zu einem mittleren Rundumschlag aus.

Die NRWZ bringt die Antwort des Rottweiler Vize-Gesamtelternbeiratsvorsitzenden im Wortlaut:

„Eigentlich war/ist das gar keine große Sache sondern nur ein Spiegel unserer Zeit. Die Medien sind schnell und auch detailliert, und die Träger der Verantwortung jeweils träge (man kann es vielleicht auch besonnen nennen, wenn man ihnen nichts Böses will?) und allgemein unterwegs.

Fakt ist: Als Elternvertreter (AMG und Stellvertreter von Frau Hils im GEB) hatte ich gestern (also Sonntag) auch fast den ganzen Tag mit Eltern und dieser Problematik zu schaffen; konnte aber auch nichts Konstruktives beitragen. Warum? Es gab keine offizielle Aussage mit Gehalt.

Dem [von der NRWZ] zitierten Hinweis des Kultusministeriums konnte man nichts entnehmen, was nicht ohne diesen Hinweis sowieso gilt: Eltern sind dem Wohl ihrer Kinder verpflichtet und kommen dem in aller Regel nach bestem Wissen nach. Zuweilen allerdings gibt es Dinge, da bräuchte man qualifizierte Unterstützung – wie in dieser Frage heute. Es ging nicht – wie dort geschrieben – um ‚zumutbar‘, sondern schlicht um ’sicher‘. Natürlich mute ich meinen Kindern auf dem Schulweg schlechtes Wetter zu, aber eben keine unnötigen Gefahrensituationen. Die Bäume und Äste, die gerade noch überall am Straßenrand herumliegen, sprechen da wohl eine klare Sprache. Warum beispielsweise das Leibniz-Gymnasium dann nur auf den geistreichen Satz des Kultusministeriums verweist, bleibt mir ein Rätsel. Das Landratsamt hat gar keine Info auf der Seite. Wer also trägt in solchen Fällen Entscheidungen und wen kann ich (also wir alle als Eltern) fragen?

In VS (Schwarzwald-Baar) beispielsweise ‚EMPFEHLUNG DES LANDKREISES: SCHÜLER ZU HAUSE BLEIBEN! Aufgrund aktueller Wetterprognosen hinsichtlich des Sturmtiefs Sabine, empfiehlt das Landratsamt allen Schülerinnen und Schülern am Montag, 10. Februar 2020, zu Hause zu bleiben und nicht zur Schule zu gehen. Ein regulärer Transport durch den Öffentlichen Personennahverkehr kann aufgrund des Unwetters und der Gefährdung nicht sichergestellt werden.‘ Hinzu kommt, dass der Oberbürgermeister einen Notbetrieb der Einrichtungen anbietet, damit niemand vor der Tür stehen muss.

So etwas hätte ich mir für Rottweil auch vorgestellt beziehungsweise schlicht erwartet und bin (ein wenig) enttäuscht über die fehlende Info. Wenn jetzt niemand zu Schaden kommt, war alles nur Panikmache, und wenn doch, dann gibt’s da ja noch die Eigenverantwortung. Und bei aller ‚in Rottweil war es vielleicht doch gar nicht so schlimm‘-Stimmung: Die meisten Schüler kommen nicht aus der Stadt Rottweil und somit gilt es hier, die Gesamtlage im Auge zu haben.

Noch ein kleiner Seitenhieb zum Thema ‚dann fällt ja schon wieder Unterricht aus‘: Solange Lehrerfortbildung immer noch zu Unterrichtsausfall führt, statt in den ‚Ferien‘ durchgeführt zu werden, müssen Eltern ihre Kinder auch nicht riskanter Witterung aussetzen.“

Mittelstaedt hat’s erwähnt: Das Landratsamt Rottweil hat auch sehr spät reagiert. Da hatten sich Landkreis Schwarzwald-Baar und Stadt Villingen-Schwenningen längst abgestimmt. Da war der Sturm bereits weitgehend durch.

Die NRWZ berichtet in einem Update am Montag um 15.08 Uhr: „Das Landratsamt Rottweil meldet sich erstmals zum Sturmtief zu Wort. Es schreibt knapp: ‚Die Südbadenbus GmbH hat aufgrund der sich beruhigenden Wetterlage den Busverkehr im Landkreis Rottweil wieder aufgenommen.'“

Man könnte erwähnen, dass es den lokalen Medien überlassen geblieben war, herauszufinden, dass die Südbadenbus GmbH den Betrieb überhaupt eingestellt hatte. Neben anderen.

Ausführlich meldet sich das Landratsamt Rottweil dann erst etwa eindreiviertel Stunden später. Die Behörde schreibt als Schul- und Straßenträger unter dem Titel „Aktueller Lagebericht aus dem Landkreis Rottweil – Besonderer Dank an alle Einsatzkräfte“ nichts über die Schulen und gibt detaillierte Infos über die noch gesperrten Straßen. Die NRWZ veröffentlicht das um 16.45 Uhr. Nachzulesen ist das hier.

Mittelstaedt jedenfalls meint: „Verantwortung kann man immer nur an eine Person delegieren und nicht in die Breite verteilen, sonst ist es eben keine Verantwortung.“ Er spricht von Verunsicherung der Eltern, die hätte vermieden werden sollen.

Und er konkretisiert, dass er vom „Geschäftsführenden Schulleiter der Gymnasien erwartet hätte, dass er in solch einer Situation koordinativ tätig wird (gegebenenfalls mit Landratsamt oder dem Geschäftsführenden Schulleiter (bzw. dessen Vertretung) der restlichen Rottweiler Schulen) und für die Eltern verwertbare Aussagen sucht und veröffentlicht, damit die Verunsicherung vermieden wird.

Immerhin: „Sabine“ hat sich verzogen. Der Unterricht kann wieder stattfinden.

In dieser Deeskalationsphase haben sich derweil ebenfalls das Kultusministerium und die Stadt Villingen-Schwenningen zu Wort gemeldet, nicht die Stadt Rottweil und nach dem Montag-Nachmittags-Beitrag auch nicht das Landratsamt Rottweil. Die Stadt Villingen-Schwenningen dagegen ganz ausführlich, sie schrieb selbst immer wieder Updates. Nachzulesen hier.

Zudem erwähnenswert: Die Zimmerner Schule gab ihren Schülern am Sonntag für Montag schulfrei. Schulleiter Jan Hofelich berief sich dabei auf eine Erklärung des Landratsamts Rottweil, dass alle Kinder zuhause bleiben sollten. Diese war in einem Live-Ticker des Schwarzwälder Boten veröffentlicht worden – aber ohne Quellenangabe. Und gegenüber der NRWZ so auch nie ergangen.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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