Im Juni 2016 war der Gemeinderat der Stadt Rottweil mit großer Mehrheit einem ungewöhnlich politischen Vorschlag aus der Verwaltung gefolgt. Das erste Wohngebäude für dauerhaft in der Stadt bleibende Flüchtlinge werde am Hegneberg entstehen, so der Beschluss. Nun, bald ein Jahr später, stellt sich der AfD-Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Rottweil, Emil Sänze, dagegen. Er kritisiert das fast fertig gestellte Projekt als „soziale Ungerechtigkeit und eine potentielle Bedrohung des sozialen Friedens.“
„Migranten zu Migranten„, hatte die NRWZ im Juni 2016 getitelt. Denn in dem Wohngebiet kommen Familien etwa aus Syrien zu Aus- und Übersiedlern, die sich in den 90-er Jahren dort niedergelassen haben. Allerdings im Verhältnis von etwa 50 zu 700 bei rund 1100 Hegneberg-Bewohnern insgesamt, so die damalige Rechnung. Die Stadtbau Rottweil hat nun am obersten Zipfel des Hegnebergs, am Ende der Überlinger Straße auf einem erschlossenen und städtischen Grundstück ein Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnung für 48 Menschen errichtet. Im Juni soll es bezugsfertig sein.
Jetzt meldet sich der AfD-Landtagsabgeordnete Emil Sänze zu Wort. Er hat vernommen, dass in Rottweil bereits im Juni Flüchtlinge in das von der Stadt Rottweil und ihrem Betrieb „Stadtbau Rottweil“ neu errichtete Zwölf-Parteien-Haus auf dem Hegneberg einziehen sollen. Der Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Rottweil und stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Baden-Württemberg nennt das einen „Vorgang“, zu dem er Stellung beziehen wolle. Er kritisiert „die in Rede stehende Wohnungsvergabe an Flüchtlinge als soziale Ungerechtigkeit und potentielle Bedrohung des sozialen Friedens.“
Der Stadtbau geht es nach ursprünglicher Darstellung in erster Linie darum, vom Land ausgelobtes Fördergeld einzustreichen, immerhin eine halbe Million Euro bei Gesamt-Projektkosten von zwei Millionen. Mit diesen Mitteln rechne sich das Projekt – zehn Jahre lang Unterbringung von anerkannten Asylbewerbern mit Bleiberecht inklusive ihrer Familie, danach Anbieten auf dem freien Wohnungsmarkt und eine Gesamtlebensdauer von 50 Jahren – hin zu einer Schwarzen Null.
Der Stadtbau ging es auch darum, ein Grundstück, das er in den 90-er Jahren mit der Stadtbau erschlossen hat, nun auch zu vermarkten. Bislang ist das mangels Bauträger-Interesse gescheitert. Die Stadtbau will es nun mit Flüchtlings-Fördermitteln schaffen.
Dem stellt sich Emil Sänze entgegen. Bezugnehmend auf die Satzung des kommunalen Wohnungsbaubetriebs „Stadtbau Rottweil“, der zufolge der Betrieb „vorrangig eine sozial verantwortbare Wohnungsversorgung für breite Schichten der Bevölkerung sicherzustellen“ habe, stellt er AfD-Abgeordnete die Frage, was die beschleunigte unkomplizierte Wohnungsvergabe an Flüchtlinge bei gleichzeitiger extremer Wohnungsnot mit sozial verantwortlicher Wohnungspolitik zu tun habe. Sänze sieht in der Wohnungsvergabe eine „satzungswidrige eklatante soziale Ungerechtigkeit“, die dadurch entstehe, dass Gäste aus anderen Ländern mit größtenteils begrenzter Bleibeperspektive mit schneller und großzügiger Hilfe rechnen könnten, die gastgebende Heimatbevölkerung hingegen leer ausginge.
Der Appell des AfD-Mannes an die kommunalpolitischen Entscheidungsträger: „Der Bürgermeister und der Gemeinderat von Rottweil sollten sich wieder primär auf das Wohl derer konzentrieren, die dauerhaft einen Beitrag zu unserer Gesellschaft geleistet haben.“ Er meint wohl (auch) den Oberbürgermeister.
Sänze glaubt auch Hinweise darauf erkannt zu haben, dass sich die angestammten Hegneberg-Bewohner gegen die Neuankömmlinge wehren könnten. „Nicht nur die Gerechtigkeitsfrage“ treibe ihn um, so Sänze, „sondern auch die Sorge um den sozialen Frieden auf dem Hegneberg.“ Er merkt an, dass auf dem Hegneberg viele Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion wohnten, wovon sehr viele vor Muslimen hätten fliehen müssen. „Ob es jetzt klug ist, dort Muslime anzusiedeln, darf bezweifelt werden“, so Sänze.
Schon vor knapper Jahresfrist hatte Bürgermeister Dr. Christian Ruf dem entgegen argumentiert: „Wir haben einen sozialen Auftrag und müssen unseren Beitrag leisten.” Die Hegneberg-Bewohner schloss er ein. „Wer jeder Kritik aus dem Weg gehen will, findet keinen Standort“, so der Bürgermeister. Ruf zeigte auch die Verhältnisse auf – 60 dauerhaft anerkannte Flüchtlinge, und nur um diese geht es, leben in der Stadt Rottweil, verteilt im ganzen innerstädtischen Gebiet, mal dort alleine, mal dort mit bis zu elf Personen. Zumeist sind es Syrer. Mit bis zu 500 dieser Flüchtlinge, die in Deutschland und dort in Rottweil bleiben wollen, können und dürfen, rechnet die Stadtverwaltung. Knapp 50 sollen nun im ersten Schritt Wohnraum erhalten.
An den Hegneberg sollen zudem „keine 48 junge syrische Männer” kommen, wie Ruf es auf den Punkt brachte, diese Befürchtung wolle er zerstreuen. Vielmehr gehe es um ein handverlesenes Publikum – „wie haben das ja in der Hand”, so der Bürgermeister, mit wem dort ein Mietvertrag geschlossen werde.
Auch sei der Hegneberg mittlerweile als Wohngebiet strukturell in der Lage, Neuankömmlinge mit Bleiberecht aufzunehmen. Kriminalstatistisch sei der Stadtteil inzwischen unauffällig, ließ sich für die Diskussion vor knapp einem Jahr Fachbereichsleiter Bernd Pfaff, der ganz offenbar auch hinter dem Projekt steht, von der Polizei und den Jugendrichtern in der Stadt bestätigen. Es gebe kleinere Delikte und hier und da mal eine Schlägerei. Gegenüber den 90-er Jahren habe sich ein Wandel vollzogen. Herbert Stemmler vom Kinder- und Jugendreferat unterstrich dies in der damaligen Gemeinderatssitzung, verwies auf vorhandene und funktionierende Strukturen der Kinder- und Jugendsozialarbeit dort. Stemmler – auch ein Verfechter des Projekts.
Die breite Front der Haltung und der Argumente überzeugte die Freien Wähler – seinerzeit nicht ganz. Sie hatten beantragt, dass es keine Ansiedlung von Flüchtlingen am Hegneberg geben solle, und nannten als Grund: das sehr überdurchschnittliche Abschneiden der rechtspopulistischen und „islamkritischen” AfD bei der Landtagswahl im Wahlbezirk Hegneberg. Der Stadtrat der Freien Wähler Jörg Stauss ergänzte, er hielte den Hegneberg nach den Ausführungen der Stadtverwaltung nun allerdings „nicht mehr für den falschen, doch aber für einen kritischen Standort.”