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Kleine Jungen sexuell missbraucht – und die Öffentlichkeit soll das wissen

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Widerlich, was der Mann laut Anklage mit kleinen Jungen angestellt hat – und weswegen ihm nun der Prozess gemacht wird. Der 43-Jährige hat mehrfach einen ihm von einer Bekannten anvertrauten Jungen missbraucht, sagt die Anklage, und listet im Einzelnen schlimme Fälle auf. Außerdem soll der Mann Filmchen nackter Buben gedreht haben. Tatorte: das Freibad in Sulz und Nachhilfeeinrichtungen in Oberndorf und Rottweil. Die angeklagten Taten des ehemaligen Postzustellers, der heute in U-Haft sitzt, sind öffentlich verlesen worden, das wollte das Gericht so. Die eigentliche Verhandlung findet in diesen Tagen nicht-öffentlich statt.

Zwei Verteidiger, zwei MacBooks, zwei Kaffeebecher to Go, doppelte Geschäftigkeit auf der Anklagebank. Die Staatsanwältin dagegen geht den Prozess gegen den 43-Jährigen alleine an. Die Haare zum Zopf gefasst, die Nase frisch geputzt, die Verhandlung kann beginnen. Der Angeklagte fehlt allerdings noch, er wird erst später an den Füßen gefesselt in den Saal geführt. Die Staatsanwältin tauscht sich daher mit dem psychologischen Sachverständigen aus: über die Parksituation rund ums Gerichtsgebäude und die Notwendigkeit, rechtzeitig Mittag zu machen, bevor der jeweils gelöste Parkschein abläuft.

Der Angeklagte selbst: früh ergraut, schlank, recht groß, gepflegt bärtig. Mit ovaler Brille und kräftigem Oberkörper im weißen T-Shirt sitzt er auf der Anklagebank. Er macht einen entschuldigenden, ängstlichen, beschämten Eindruck. Tom B. (Name geändert) wirkt wie der nette, anständige Mann von nebenan. Zuletzt arbeitete er im Kreis Rottweil als Postzusteller und wohnte im Landkreis Freudenstadt. Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft.

Der erste Antrag der Verteidiger des Mannes: die Öffentlichkeit auszuschließen, und das auch schon während er Verlesung der Anklage. Es gebe „schutzwürdige Interessen des Angeklagten“. Das sieht die Kammer anders, nach den Worten des Vorsitzenden Richters verfolgt sie das Ziel, wenigstens die Taten, die dem Mann vorgeworfen werden, öffentlich zu machen. Es bestehe ein großes Interesse seitens der Öffentlichkeit. Wenigstens „die Stationen seines Lebens ohne die Sexualpräferenzen“ könne man auf diese Weise abarbeiten. Doch der Antrag der Anwälte ist gestellt, es muss entschieden werden. Mit der Beratung hinter den Kulissen lässt sich die Kammer viel Zeit. Da wurde keine schnelle Entscheidung gefasst. Im Saal ist es währenddessen ruhig. Die Verteidiger unterhalten sich in gedämpfter Lautstärke. Minütlich rückt der große Zeiger an der Wanduhr weiter. Mit einem vernehmbaren Klacken. Er ist etwa zwei Minuten hinter der Zeit. Einer der Verteidiger spielt ein wenig mit seinem iPhone. Der Angeklagte wirkt in sich versunken.

Dann springt die Tür zum Richterzimmer auf, die Kammer kommt zurück in den Saal und es wird verkündet: „Der Antrag der Verteidigung auf Ausschluss der Öffentlichkeit während der Verlesung der Anklage wird abgewiesen.“ Es überwiege das öffentliche Interesse. Außerdem agierte der Mann teils im öffentlichen Raum, im Toilettenbereich eines Nachhilfeinstituts und in einem Freibad. Und an dem Jungen habe er sich nicht innerhalb seiner Familie vergangen, sondern es handele sich um den Sohn einer Bekannten. Die Verteidigung nimmt diese Niederlage hin.

Die Fragen der Schuld- und Steuerungsfähigkeit, die Fragen nach einer möglichen seelischen Störung wie die der Pädophilie, sollen nicht-öffentlich erörtert werden. Ebenfalls hinter verschlossenen Türen werde man eine Vielzahl an kinderpornografischen Bildern sichten. Das ergebe für den Angeklagten die Möglichkeit, sich in einem geschützten Rahmen zu den Vorwürfen zu äußern.

Die Taten, allerdings, die sollen an die Öffentlichkeit gelangen. Diese erfährt: Das Opfer des Mannes ist ein im September 2014 geborener Bub. Heute also zehn Jahre alt, zu den Tatzeiten höchstens acht. Seine Mutter war seinerzeit alleinerziehend, eine Arbeitskollegin des Mannes. Er freundet sich 2021 mit ihr an und vor allem auch mit dem Jungen. Die Mutter vertraut dem Arbeitskollegen und Freund so sehr, dass sie es zulässt, dass er ihn ins Bett bringen darf, während sie nicht da ist. So vergeht er sich an dem Bub, kommt abends und nachts an sein Bett, streichelt seinen nackten Hintern, nimmt den kleinen Penis des Buben in den Mund – und filmt das alles. Es spitzt sich zu im Jahr 2023, die Übergriffe geschehen alle paar Tage, über Monate hinweg. So verliest es die Staatsanwältin. Der 43-Jährige nimmt die Anklage mit gesenktem Blick auf. Etwa, dass er selbst Oralverkehr mit dem Jungen gehabt habe. Egal, ob dieser schlief oder nicht. Alles ist auf Video, teils existieren auch Fotos. Und er hat eine Videokamera im Bad versteckt, die den Jungen heimlich beim Duschen filmen konnte. Und eine weitere, die den Jungen zeigte, wenn er im Stehen pinkelte. Genauer: die sein Genital aufnahm.

Der zweite Tatort: das Freibad „Susolei“ in Sulz. Dort soll Tom B. unbekleidete männliche Kinder in der Dusche gefilmt haben. Vor allem deren Intimbereich, nachmittags und abends. Meist zwei Aufnahmen am Tag im Sommer 2022. „Auch in der folgenden Freibadsaison im Jahr 2023 filmte der Angeklagte in der Herrendusche des Freibads Susolei in Sulz Kinder und Jugendliche im Genitalbereich“, heißt es weiter in der Anklage. Die Zahl der Taten nimmt demnach zu, allein elf Filme soll er an einem einzelnen Tag im Oktober 2023 von nackten Buben angefertigt haben.

Und schließlich filmte er auch noch in mehrfach in den Toilettenräumen der „Schülerhilfe“ in Oberndorf und Rottweil. Wie er das anstellte, bleibt unklar.

Die Filme speicherte der Mann auf einer externen Festplatte, auf einem Laptop und zwei PCs. Hunderte Dateien. Darunter gab es auch Videos, die drei- bis sechsjährige Jungen zeigen, die gegenseitig Oralverkehr vornehmen, beispielsweise. Und Analverkehr zwischen einem Bub und einem Erwachsenen ist zu sehen.

Das Ende dieses Treibens markiert eine polizeiliche Durchsuchung der Wohnung des Mannes. Dort werden die Filmchen entdeckt. Wie man dem Mann auf die Schliche kam, bleibt allerdings unklar. In den kommenden Tagen nun wird ihm der Prozess gemacht wegen der sexuellen Handlungen mit dem Jungen, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen und wegen des Besitzes und Herstellens kinder- und jugendpornografischer Inhalte. Und wegen der Verletzungen der höchstpersönlichen Lebensbereiche der jungen Menschen.

Das Urteil soll dann wieder öffentlich gesprochen werden.

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Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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