Kampf gegen Corona-„Spaziergänger“: Geht die Stadt Rottweil zu weit?

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ROTTWEIL. Banner an Gebäuden wie dem Alten Rathaus, eine digitale Unterschriftenaktion, Videos mit Bürgerinnen und Bürgern und nun auch ein Aufruf per E-Mail an Vereine: Das sind Maßnahmen der Stadt Rottweil im Rahmen einer Kampagne für Coronaimpfungen und gegen die sogenannten „Spaziergänge“. Geht sie damit zu weit?

Stadt will kreativ sein

Oberbürgermeister Ralf Broß hatte es angekündigt: „Wir wollen ganz kreativ sein“, sagte er Mitte Januar gegenüber der Presse. Kreativ im Umgang mit den als „Spaziergänge“ getarnten Corona-Demonstrationen. „Rottweil tritt ‚Spaziergängern‘ entgegen“, war damals eine Pressemitteilung der Stadtverwaltung betitelt. Angesichts der sich aufbauenden Omikron-Welle appellierte die Stadt an alle Bürgerinnen und Bürger, sich gegen eine Teilnahme an jenen „Spaziergängen“ und für Werte wie Solidarität, Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein zu entscheiden.

Bei dem Appell blieb es dann nicht. In Form von zwei großflächigen Bannern wirbt die Stadtverwaltung mit Sprüchen wie „Ein Spaziergang für Ihre Gesundheit – nichts wie hin zur nächsten Impfstation“ und „Corona ist kein Spaziergang“.

In den örtlichen Zeitungen werden Anzeigen geschaltet. Diese führen zu einer Unterschriftenaktion, bei der mittlerweile mehr als 3000 Unterstützer unterzeichnet haben. Dies unter dem Motto: „Unser Rottweil: solidarisch – friedlich – vernünftig!“ Eine klare Stellungnahme für Solidarität, Zusammenhalt und Gemeinsinn in Zeiten der Pandemie. Aber auch gegen die Corona-Kritiker, die sich montags zu vermeintlich spontanen „Spaziergängen“ versammeln. So heißt es in der Erklärung zur Unterschriftenliste: „Mit Sorge blicken wir … auf die wiederholten ‚Spaziergänge‘ von Kritikern der Schutzmaßnahmen und der Impfungen durch unsere Innenstadt.“ Gefolgt von dem Appell: „Nehmen Sie nicht an den ‚Spaziergängen‘ teil.“

Verantwortlich für diesen Aufruf: laut Impressum die Stadtverwaltung Rottweil mit Oberbürgermeister Ralf Broß als ihrem Vertreter.

Parallelen

Dieses Vorgehen zeigt, wie die NRWZ bereits berichtete, Parallelen zu einem Fall in Düsseldorf 2017. Unter dem Motto „Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ war damals eine Versammlung angemeldet worden. Die Stadt, namentlich mit ihrem Oberbürgermeister, stellte sich dem entgegen. „Anlässlich der für Montagabend … angemeldeten Demonstration der ‚Dügida‘-Bewegung ruft Oberbürgermeister Thomas Geisel alle Düsseldorferinnen und Düsseldorfer, örtliche Unternehmen und Geschäftsleute dazu auf, ‚Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus‘ zu setzen und die Beleuchtung ihrer Gebäude … am Montagabend … auszuschalten“, hieß es damals in einer Erklärung der Stadtverwaltung.

Das Bundesverwaltungsgericht erklärte dieses Vorgehen für rechtswidrig. Für jedes staatliche Handeln gelte das Sachlichkeitsgebot, so die Richter. Dieses verlange, „dass sich die amtlichen Äußerungen am Gebot eines rationalen und sachlichen Diskurses ausrichten und auf eine lenkende Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung verzichten.“ Mit seinem Aufruf habe der Düsseldorfer OB das Ziel verfolgt, die Dügida-Versammlung in ihrer Wirkung zu schwächen und die Gegendemonstration zu stärken. Er habe damit unzulässig in den Wettstreit der politischen Meinungen eingegriffen und lenkenden Einfluss auf die Grundrechtsausübung der Bürger genommen. „Der Wettbewerb zwischen gegenläufigen friedlichen Versammlungen ist jedoch im Rahmen staatsfreier Meinungsbildung der Bevölkerung auszutragen und darf nicht staatlich beeinflusst werden.“

Und: Die mit den städtischen Maßnahmen verbundene „negative Symbolik des öffentlichen Lichtlöschens bringt in drastischer Weise die Missbilligung der mit der Versammlung der Klägerin verfolgten politischen Ziele zum Ausdruck“, so die Bundesrichter. Die Ebene eines rationalen und sachlichen Diskurses sei verlassen worden, „ohne für eine weitere diskursive Auseinandersetzung mit den politischen Zielen der von der Klägerin angemeldeten Versammlung offen zu sein.“ Und außerdem: „Mit seiner Autorität als Oberhaupt der Stadt habe er (der Oberbürgermeister) der Gegendemonstration einen Ansehensvorsprung verschafft und zugleich das Ansinnen ihrer Demonstration (jene der Dügida) diskriminiert.“

Allerdings: In Düsseldorf gab es eine Veranstalterin des Protests, die die Versammlung ordnungsgemäß angemeldet hatte. Es gab anschließend eine Klägerin gegen die Aktion von Stadtverwaltung und Oberbürgermeister. Die Corona-„Spaziergänge“ dagegen sind auch in Rottweil vorgeblich spontan und unorganisiert. Einen Veranstalter gibt es nicht. Wessen Rechte verletzt OB Broß also, falls er Rechte verletzt?

Werbung bei Vereinen – für Unterschriften, nicht für Mahnwache

Der Rottweiler Gemeinderat steht hinter der Unterschriftenaktion der Stadtverwaltung. Fast alle Stadträtinnen und Stadträte haben sich ihr angeschlossen. Freilich: Einen formellen Beschluss des Gemeinderats, der der Stadtverwaltung auferlegt, eine Unterschriftenaktion zu starten, gibt es nicht. Aber die Teilnahme daran kann gegebenenfalls als Auftrag gewertet werden. Ein Sprecher der Stadtverwaltung: „Mit dem OB unterstützt ein großer Teil des Gemeinderats die Aktion als Erstunterzeichner, daher ist die Unterschriftenaktion natürlich auch als eine gemeinsame Aktion gedacht – mit den weiteren Erstunterzeichnern und letztlich allen, die sich angeschlossen haben.“

Folgerichtig wirbt die Stadtverwaltung für ihre Unterschriftenaktion und für ihre Position gegen die sogenannten Spaziergänge. Das ist den Demonstranten aufgefallen. Die Stadt Rottweil habe „sämtliche Vereine angeschrieben“, wollen sie erfahren haben. Die Stadt habe in dem Schreiben darum gebeten, am Montag bei der Menschenkette mitzumachen.

Das ist nicht richtig. Die NRWZ hat unter Vorstandsmitgliedern von Vereinen rasch herumgefragt, keiner hat eine Aufforderung zur Teilnahme an der Menschenkette erhalten.

Zum Hintergrund: Die Menschenkette zum Gedenken an die Corona-Verstorbenen ist von zwei Privatleuten organisiert worden. Oberbürgermeister Ralf Broß hat sich nach Informationen der NRWZ persönlich am vergangenen Montag in die Menschenkette eingereiht. „Ich habe das so wahrgenommen, dass er damit der Coronatoten gedenken wollte“, so Mit-Veranstalter Peter Bruker auf Nachfrage der NRWZ. „Das wird er ja wohl noch dürfen.“ Im Übrigen erhielten die Organisatoren der Menschenkette keine finanzielle Unterstützung der Stadt, merkt Bruker an. Zwar würden natürlich die Absperrgitter für die angemeldete Demonstration in der Oberen Hauptstraße gestellt, aber etwa ein Kabelkanal, mit dem Lautsprecherverbindungen abgesichert werden sollen und der vom Bauhof komme, werde ihnen in Rechnung gestellt.

Dennoch: „Es gab aber eine Mail an Vereine, in der über Unterstützungsmöglichkeiten, wie die Unterschriftenliste, informiert wurde“, bestätigt ein Vereinsvertreter auf Nachfrage. Diese Mail liegt der NRWZ vor. Sie stammt aus der Stadtverwaltung, aus der Abteilung Wirtschaftsförderung, Tourismus, Stadtmarketing und ist am 24. Januar verschickt worden. Im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Corona-Pandemie stellt unsere Gesellschaft vor eine enorme Herausforderung. Die Maßnahmen belasten viele von uns und die Frustration und Ängste steigen.

Wir als Stadtverwaltung sind dankbar, dass sich der große Teil der Bevölkerung dennoch an die Schutzmaßnahmen und Vorschriften hält. Wir können verstehen, dass die Umsetzung mancher Maßnahmen nicht für jeden immer in gleichem Maße nachvollziehbar sind und es unterschiedliche Meinungen hierzu gibt. Mit Sorge blicken wir dagegen auf die wiederholten „Spaziergänge“ von Kritikern der Schutzmaßnahmen. Mit unserer Aktion „Corona ist kein Spaziergang“ wollen wir an die Bürger appellieren, dass es zwar wichtig ist seine Meinung zu äußern, sich aber nicht an den Spaziergängen zu beteiligen. Denn die Hygienevorschriften, die zum Schutz aller dienen, müssen eingehalten werden. (www.coronaistkeinspaziergang.de)

Unsere Aktion erfreut sich aktuell zahlreicher Unterstützer, über 2000 Personen haben sich bereits an unserer Unterschriftenaktion beteiligt. https://www.unserrottweil.de/ciks-unterschriftenliste/

Mittlerweile wurden verschiedene Anfragen an uns herangetragen, in welcher Form man uns noch unterstützen kann. Darunter auch Anfragen von Vereinen, die beispielsweise einen Banner aufhängen möchten.

Dieser Anfrage möchten wir sehr gerne nachkommen und bestellen Ende dieser Woche die gewünschten Banner.

Möchte auch Ihr Verein uns hierbei sichtbar unterstützen? Dann geben Sie uns im Laufe der Woche Bescheid welche Werbemittel (Flyer, Plakate, Banner) Sie benötigen.

Mit dieser Aktion und helfen Sie uns deutlich zu machen, wie wichtig es ist hierbei Solidarität zu zeigen. Nur gemeinsam werden wir es schaffen, die Pandemie zu überwinden.

Wir freuen uns auf zahlreiche Beiträge und Ihre Unterstützung. Bei Fragen bin ich gerne für Sie da.

Bleiben Sie gesund.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Rathaus

Den Versand dieser E-Mail bestätigt ein Sprecher der Stadtverwaltung am Samstag. Er schreibt: „Die Menschenkette wurde nicht von der Stadt Rottweil initiiert und die Stadtverwaltung hat die Vereine auch nicht dazu aufgerufen, sich an der Menschenkette zu beteiligen. Wenn gewünscht, können die Vereine aber Banner unserer Aktion ‚Corona ist kein Spaziergang‘ beziehen, darauf haben wir in einer E-Mail an die Vereine hingewiesen.“

Einschätzungen

Bleibt die Frage: Geht die Stadtverwaltung damit zu weit? Wir haben zwei Juristen befragt. Beide können nur eine rasche, oberflächliche Einschätzung liefern. Einer erklärt: „Ja,  da geht die Verwaltung zu weit. So eine Aktion darf jeder Privatmensch machen, auch der Ralf Broß und die Mitarbeiterin in der Abteilung Stadtmarketing. Aber die Verwaltung als solche sollte neutral bleiben. Auch, wenn es schwerfällt.“

Und ein Anwalt: „Grundsätzlich müssen Äußerungen von Amtsträgern sich in ihrem Aufgabenbereich bewegen, Tatsachen richtig wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Dann müssen die Äußerungen noch verhältnismäßig sein.“ Um das nun in diesem Einzelfall zu beurteilen, „muss schon einiges abgewogen werden, da müsste ich einiges an Urteilen wälzen“, antwortet der Jurist.

Klar sei: „Das Neutralitätsgebot verbietet es, die kraft Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten in einer Weise zu nutzen, die mit den der Allgemeinheit verpflichteten Aufgaben der Behörde unvereinbar wären.“ Da seien aber „viele Wertungsmöglichkeiten gegeben, die eine umfangreiche Abwägung der Argumente nötig macht. Und am Ende wissen wir es in einem konkreten Fall erst sicher, wenn ein Richter es entscheidet.“

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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