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    „Jetzt stirbst du“: Koch nach Angriff auf seinen Chef zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt

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    Weil er seinen Chef beinahe getötet haben soll, stand ein heute 49-Jähriger in Rottweil vor Gericht. Die Anklage wirft ihm versuchten Mord vor. Damals, im November 2023, war es zwischen ihm und dem Betreiber eines chinesischen Restaurants nach einem gemeinsamen Abendessen, bei dem viel Alkohol floss, zu einem Streit gekommen, der blutig endete. Sechs Termine sind zur Hauptverhandlung angesetzt, zwei Zeugen sind geladen. Ein Zeuge ist das Opfer, das seine Erlebnisse unter Tränen schilderte, dessen erfolgreiches Leben seither aus den Fugen ist. Er wurde nun wegen versuchten Mordes – Tatmerkmal: Heimtücke – zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt.

    Update: Am 5. November 2024 fällte die Erste Schwurgerichtskammer am Rottweiler Landgericht ihr Urteil. Wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung wurde der 49-Jährige ehemalige Koch zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem muss er seinem Opfer Schmerzensgeld in Höhe von 40. 000 Euro zahlen. Wovon, ist freilich unklar.

    Rottweil – Ein Montagmorgen im Schwurgerichtssaal. In Fußfesseln, frisch frisiert, gesenkten Blicks – so betritt der Angeklagte den Saal, begleitet von zwei Justizbeamten. Wir nennen ihn Herrn L. Er befindet sich in Haft, in der JVA Rottweil. Der heute 49-Jährige soll im November 2023 im Streit seinen Arbeitgeber fast getötet haben. Mit einer Bierflasche soll er zunächst auf ihn eingeschlagen, dann mit der abgebrochenen Flasche eine Vene durchtrennt haben. Das Opfer konnte entkommen, überlebte knapp. Der Mann schickte zum Prozess nun zunächst seinen Rechtsanwalt, erschien nur für seine Zeugenaussage, die er schnellstmöglich hinter sich bringen wollte.

    Der Prozess macht das Gefälle deutlich zwischen zwei Menschen gleichen Alters, mit vergleichbarem Hintergrund, der eine privat und als Gastronom erfolgreich, der andere aber in gleichem Maße nicht. Der Prozess zeigt auf, wie sich die beiden Leben verknüpfen. Wie aus Hilfsbedürftigkeit Abhängigkeit und Hass wird und wie Hilfsbereitschaft offenbar ausgenutzt wird bis zum blutigen Finale. Und wie das Opfer den Glauben an das Gute im Menschen verliert.

    Ein „Spezialitäten-Koch“ der viel herumkommt

    Beginnen wir mit Herrn. L. Deutsch ist nicht seine Muttersprache. Mit dem chinesischen Dolmetscher stimmt er auf Veranlassung seines Pflichtverteidigers vor Verhandlungsbeginn seinen Dialekt ab. Passt, beide verstehen sich. Der Übersetzer ist ein wenig nervös. Als der Vorsitzende Richter ihn bittet, seine Personalien anzugeben, kramt er nach seinem Personalausweis, um diesen abzugeben. Aber das legt sich. Glücklicherweise, denn er wird gebraucht: Der Angeklagte versteht anscheinend kein Wort Deutsch. „Spezialisten-Koch“, sei der Mann, übersetzt der Dolmetscher, ein Spezialitäten-Koch wird gemeint sein, falls es das gibt. Er sei ehemaliger Gastronom, ein ehemaliger Betreiber eigener China-Restaurants. Zuletzt auch in VS-Schwenningen.

    Im November 2023 war er, nach eigenen Angaben nach mehreren Engagements in anderen chinesischen Restaurants in halb Deutschland, als Koch in einem chinesischen Restaurant in Rottweils Innenstadt angestellt. Und er lebte frisch in einer Wohnung in der Innenstadt, die ihm der Chef des Restaurants zur Verfügung gestellt hat.

    Wie die Anklage den Fall sieht

    Dort passiert es, wie es die Anklage schildert: Sie geraten in dieser Wohnung bei einem gemeinsamen Abendessen, bei dem Alkohol fließt, in Streit. Der Chef hat keine Lust auf Streit, verlässt die Wohnung. Sein Angestellter folgt ihm hinaus auf die Straße, scheint, sich entschuldigen zu wollen, zieht dann überraschend eine Bierflasche und schlägt den Chef nieder. Die Flasche bricht, mit den Worten „Jetzt stirbst Du“ sticht der Angestellte mehrfach zu, durchtrennt eine Vene am Handgelenk seines Chefs. Dieser flüchtet blutend. In der ein paar hundert Meter entfernten Villa Duttenhofer findet er glücklicherweise rasche Hilfe, mit einem Druckverband rettet ihm der dortige Koch das Leben. Polizei und Rettungsdienst werden gerufen. Der lebensgefährlich verletzte Chef überlebt trotz hohen Blutverlusts.

    Wie erwähnt: So schildert es die Anklage, die auf versuchten Mord erkennt, wohl der unbändigen Wut wegen, mit der der Mann seinen Chef angegriffen haben soll, und das mit Heimtücke. Es steht zudem Habgier im Raum, weil am ersten Verhandlungstag der Verdacht aufkam, der Angeklagte könne versucht haben, das Rottweiler Restaurant mit Gewalt an sich zu reißen. Der 49-jährige Herr L. schweigt dazu. Immerhin zu seiner Person und zu seinem Lebenslauf macht er Angaben. Schleppend, über den Dolmetscher.

    Zweimal vorbestraft, wegen Gewaltdelikten

    Er ist vorbestraft, erfahren wir. Es habe mal eine Schlägerei „mit dem Freund meiner geschiedenen Frau“ gegeben, lässt er übersetzen. Allerdings wurde er dafür verurteilt, die Frau geschlagen und mit dem Tode bedroht zu haben, wie der Richter ihm vorhält. „Ich teile dich in fünf Stücke“, soll er sie angegangen haben. Unklar, wer recht hat, vermutlich der Richter. Auch habe es mal einen Familienstreit gegeben , bei dem er mit einem Staubsaugerrohr auf seine Partnerin einschlug. Der Mann erinnert sich daran nicht. Er wurde allerdings dafür verurteilt, steht deshalb unter Bewährung.

    Und dass der Mann gerne Alkohol trinkt, erfahren wir. Am liebsten Schnaps. „Es gibt bei uns mehrere berühmte Schnapssorten. Die trinke ich schon gerne.“ Hier lächelt der Dolmetscher entschuldigend. Und „in den letzten drei Jahren ist es schon etwas schiefgegangen“, er habe über all den Kummer wie Scheidung und Arbeitslosigkeit die Kontrolle über den Alkohol verloren. In Zahlen: ein bis zwei Flaschen Rotwein am Tag. Bis zu zwei Liter. Keinen chinesischen Schnaps, der sei in Deutschland schwer zu bekommen. Leichter kam er an eine neue Partnerin: seit 2019 seien sie zusammen, mit der Arbeitskollegin hat er einen gemeinsamen Sohn, der heute vier Jahre alt ist. Seinen Alkoholkonsum schränkt das nicht ein. „Wenn ich Feierabend habe, ist Mitternacht. Da kann ich nichts anderes unternehmen als zu trinken“, übersetzt der Dolmetscher. Offenbar redet der Angeklagte davon, dass er saufe. Das tue er, um müde zu werden, schlafen zu können. Ein Leiden sei das nicht.

    Seinen Lebenslauf bekommt Herr L. allerdings nicht überzeugend zusammen. Der Vorsitzende Richter gibt die Befragung zu den beruflichen Stationen des Mannes nach einigen Minuten etwas entnervt auf. Er holt eine Melderegisterauskunft ein.

    Vom Freund zum Feind in wenigen Tagen

    Schnitt. Vom mutmaßlichen Täter zum Opfer. Im weißen Hemd sitzt der Rottweiler China-Restaurant-Betreiber auf dem Zeugenstuhl, neben ihm sein Rechtsanwalt, er ist Nebenkläger im Verfahren. Der 48-Jährige spricht perfekt Deutsch. Der Prozess kommt in Schwung. Er erzählt, dass er L. als Gast in dessen damaligem Restaurant in VS-Schwenningen kennengelernt hat. Er hat mehrmals mit seiner Familie dort gegessen, „wir haben ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt“. In Schwenningen sei. L. dann in existenzielle private und finanzielle Schwierigkeiten geraten und wandte sich an ihn, bat ihn, ihm zu helfen. „Und das habe ich getan.“ Denn eigentlich sei das Restaurant in Schwenningen immer ein gut laufender Betrieb gewesen, L. hatte es offenbar heruntergewirtschaftet. „Mit unserer Kompetenz können wir das wieder auf die Beine stellen“, dachte sich der Gastronom. Also übernimmt er das Restaurant, die Schulden des vermeintlichen Freundes, leiht ihm Geld, besorgt ihm eine Wohnung in Rottweil. Er habe die Kaution und die erste Miete bezahlt. Und er holt Herrn L. zu sich in sein Rottweiler Restaurant, als Koch.

    Keine 14 Tage später begannen die Probleme. Die Küche hatte eine Lieferung nicht komplett herausgegeben, es kommt zum wüsten Streit zwischen Herrn L. und dem Lieferfahrer, von dem dann auch der Chef erfährt. Herr L. verhalte sich auf der Arbeit arrogant, rechthaberisch, bestimmend, unkollegial, hört er, als er nachforscht. Der Chef versucht, das in einer innerbetrieblichen Chatgruppe zu regeln – und wird von L. dort schriftlich angepampt: Jeder sei ersetzbar, auch der Chef. „Inakzeptabel“ sei das gewesen, „da hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt“, urteilt der Restaurantbetreiber. Doch er lässt das zunächst so stehen, kümmert sich um die Arbeit, um die Gäste.

    Später an dem Abend sei er von Herrn L. dann zum Essen eingeladen worden, in die neue Wohnung. Eigentlich habe er etwas Zeit verstreichen lassen wollen, um ihn mit den Problemen zu konfrontieren. Dann habe er sich gesagt: „Wenn wir in einer lockeren Runde mit etwas Wein und etwas Schnaps zusammen sitzen“, könnten sie die Sache vielleicht in einer gemütlichen Runde besprechen. „Wir haben reichlich getrunken, haben eine Flasche Schnaps gekippt.“ Und irgendwann kamen sie auf den Kommentar in der Chatgruppe zu sprechen. „Wir sind wie Brüder, haben ein gutes Verhältnis, aber Geschäft ist Geschäft, wenn wir Probleme haben, können wir darüber sprechen, aber nicht vor der versammelten Mannschaft“, habe er zu seinem Koch, L., gesagt. „Das hat er nicht einsehen wollen.“ Es kommt zum Streit. L. wirft seinem neuen Chef, Freund und Unterstützer vor, daran Schuld zu sein, sein Schwenninger Restaurant verloren zu haben (tatsächlich war es vor Ort in die Schlagzeilen geraten, weil eine Lebensmittelkontrolle ekliges zutage gebracht hatte; L. behauptet, sein Unterstützer habe ihn angeschwärzt; der hält das für unerheblich, weil das Veterinäramt jederzeit in ein Restaurant kommen könne, wenn es gut geführt werde). Es kommt zu einem „albernen Ringen“ unter betrunkenen Männern, wie das der Restaurantbetreiber bezeichnet. Das ist noch in der Wohnung.

    Als er gemerkt habe, dass aus dem Kräftemessen, aus dem Ringen unter Männern, tödlicher Ernst werden könnte, als der andere die Kampfregeln nicht mehr eingehalten habe, habe er die Wohnung damals verlassen, erzählt der Gastronom weiter. Sein Gegner habe drinnen bereits nach einer Flasche gegriffen, um nach ihm zu schlagen.

    Das Opfer kann sich zu einem Kollegen retten

    Draußen, in der Gasse sei ihm L. dann gefolgt, steht vor ihm, als er sich umwendet. „Mit leeren Händen. Ich dachte, er wolle sich entschuldigen. Ich habe ihn mit offenen Armen empfangen.“ Ein beinahe tödlicher Irrtum: L. habe plötzlich eine Bierflasche aus der Jackentasche gezogen, ihm mit dieser ins Gesicht geschlagen. Er stürzt, kämpft um sein Leben, wird schwer an der linken Hand verletzt, weil sein Gegenüber immer wieder zusticht. Er tritt nach seinem Gegner, kann sich hochrappeln und flüchten, nicht in sein Restaurant, um seine Kollegen und seine Frau dort nicht zu gefährden, wie er sagt, sondern „dorthin, wo um diese Zeit viele Leute sind. In die Villa.“ Er blutet schwer.

    Der Restaurantbetreiber schildert diesen Angriff unter Tränen, mit stockender Stimme. Und wie ihm die Ärztin im Krankenhaus erklärt habe, dass ihn zwei Schutzengel gerettet hätten: der Koch der „Villa“ und die schnelle Hilfe. Nur ein paar weitere Minuten ohne Hilfe hätte er die Nacht nicht überlebt.

    Seine Zusammenfassung des Geschehens: „Als er mich um Hilfe bat, habe ich das getan. Und ich weiß bis zum heutigen Tag nicht, womit ich das verdient habe. Ich habe das nicht verstanden. Er wollte mich umbringen. Glauben Sie mir, ich war am Boden zerstört. Nicht nur wegen meiner Schmerzen, ich habe den Glauben verloren.“ Seine Hand kann er heute nur noch eingeschränkt nutzen. „Ich bin seitdem krankgeschrieben, ich kann nicht mehr arbeiten, kann nicht mehr bedienen, kann nichts mehr halten, kann nicht mehr kochen“, weil die verletzte Hand auch Hitze am Herd nicht spüre. Salat putzen, das könne er vielleicht. Er beziehe Krankengeld, stehe vor einer Umschulung, „vielleicht als Dolmetscher. Ich kann simultan übersetzen.“ Bis heute leide er unter Ängsten, habe Phantomschmerzen, „die ich mit Schmerzmitteln nicht wegkriege“. Und er befindet sich auch in ambulanter psychologischer Betreuung.

    Wo liegt das Motiv?

    Das Motiv des Herrn L. – pure Wut? Ein Angriff im Alkoholrausch? Oder steckt mehr dahinter? Dass er auf diese Weise, indem er den aktuellen Besitzer massiv einschüchtert, das China-Restaurant in Rottweil an sich reißen wollte, ist ein Verdacht, den das Opfer äußert. Beweise dafür habe er nicht.

    Am 18. Oktober wird der Prozess fortgesetzt. Das Urteil soll am 5. November gesprochen werden.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Weil er seinen Chef beinahe getötet haben soll, stand ein heute 49-Jähriger in Rottweil vor Gericht. Die Anklage wirft ihm versuchten Mord vor. Damals, im November 2023, war es zwischen ihm und dem Betreiber eines chinesischen Restaurants nach einem gemeinsamen Abendessen, bei dem viel Alkohol floss, zu einem Streit gekommen, der blutig endete. Sechs Termine sind zur Hauptverhandlung angesetzt, zwei Zeugen sind geladen. Ein Zeuge ist das Opfer, das seine Erlebnisse unter Tränen schilderte, dessen erfolgreiches Leben seither aus den Fugen ist. Er wurde nun wegen versuchten Mordes – Tatmerkmal: Heimtücke – zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt.

    Update: Am 5. November 2024 fällte die Erste Schwurgerichtskammer am Rottweiler Landgericht ihr Urteil. Wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung wurde der 49-Jährige ehemalige Koch zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem muss er seinem Opfer Schmerzensgeld in Höhe von 40. 000 Euro zahlen. Wovon, ist freilich unklar.

    Rottweil – Ein Montagmorgen im Schwurgerichtssaal. In Fußfesseln, frisch frisiert, gesenkten Blicks – so betritt der Angeklagte den Saal, begleitet von zwei Justizbeamten. Wir nennen ihn Herrn L. Er befindet sich in Haft, in der JVA Rottweil. Der heute 49-Jährige soll im November 2023 im Streit seinen Arbeitgeber fast getötet haben. Mit einer Bierflasche soll er zunächst auf ihn eingeschlagen, dann mit der abgebrochenen Flasche eine Vene durchtrennt haben. Das Opfer konnte entkommen, überlebte knapp. Der Mann schickte zum Prozess nun zunächst seinen Rechtsanwalt, erschien nur für seine Zeugenaussage, die er schnellstmöglich hinter sich bringen wollte.

    Der Prozess macht das Gefälle deutlich zwischen zwei Menschen gleichen Alters, mit vergleichbarem Hintergrund, der eine privat und als Gastronom erfolgreich, der andere aber in gleichem Maße nicht. Der Prozess zeigt auf, wie sich die beiden Leben verknüpfen. Wie aus Hilfsbedürftigkeit Abhängigkeit und Hass wird und wie Hilfsbereitschaft offenbar ausgenutzt wird bis zum blutigen Finale. Und wie das Opfer den Glauben an das Gute im Menschen verliert.

    Ein „Spezialitäten-Koch“ der viel herumkommt

    Beginnen wir mit Herrn. L. Deutsch ist nicht seine Muttersprache. Mit dem chinesischen Dolmetscher stimmt er auf Veranlassung seines Pflichtverteidigers vor Verhandlungsbeginn seinen Dialekt ab. Passt, beide verstehen sich. Der Übersetzer ist ein wenig nervös. Als der Vorsitzende Richter ihn bittet, seine Personalien anzugeben, kramt er nach seinem Personalausweis, um diesen abzugeben. Aber das legt sich. Glücklicherweise, denn er wird gebraucht: Der Angeklagte versteht anscheinend kein Wort Deutsch. „Spezialisten-Koch“, sei der Mann, übersetzt der Dolmetscher, ein Spezialitäten-Koch wird gemeint sein, falls es das gibt. Er sei ehemaliger Gastronom, ein ehemaliger Betreiber eigener China-Restaurants. Zuletzt auch in VS-Schwenningen.

    Im November 2023 war er, nach eigenen Angaben nach mehreren Engagements in anderen chinesischen Restaurants in halb Deutschland, als Koch in einem chinesischen Restaurant in Rottweils Innenstadt angestellt. Und er lebte frisch in einer Wohnung in der Innenstadt, die ihm der Chef des Restaurants zur Verfügung gestellt hat.

    Wie die Anklage den Fall sieht

    Dort passiert es, wie es die Anklage schildert: Sie geraten in dieser Wohnung bei einem gemeinsamen Abendessen, bei dem Alkohol fließt, in Streit. Der Chef hat keine Lust auf Streit, verlässt die Wohnung. Sein Angestellter folgt ihm hinaus auf die Straße, scheint, sich entschuldigen zu wollen, zieht dann überraschend eine Bierflasche und schlägt den Chef nieder. Die Flasche bricht, mit den Worten „Jetzt stirbst Du“ sticht der Angestellte mehrfach zu, durchtrennt eine Vene am Handgelenk seines Chefs. Dieser flüchtet blutend. In der ein paar hundert Meter entfernten Villa Duttenhofer findet er glücklicherweise rasche Hilfe, mit einem Druckverband rettet ihm der dortige Koch das Leben. Polizei und Rettungsdienst werden gerufen. Der lebensgefährlich verletzte Chef überlebt trotz hohen Blutverlusts.

    Wie erwähnt: So schildert es die Anklage, die auf versuchten Mord erkennt, wohl der unbändigen Wut wegen, mit der der Mann seinen Chef angegriffen haben soll, und das mit Heimtücke. Es steht zudem Habgier im Raum, weil am ersten Verhandlungstag der Verdacht aufkam, der Angeklagte könne versucht haben, das Rottweiler Restaurant mit Gewalt an sich zu reißen. Der 49-jährige Herr L. schweigt dazu. Immerhin zu seiner Person und zu seinem Lebenslauf macht er Angaben. Schleppend, über den Dolmetscher.

    Zweimal vorbestraft, wegen Gewaltdelikten

    Er ist vorbestraft, erfahren wir. Es habe mal eine Schlägerei „mit dem Freund meiner geschiedenen Frau“ gegeben, lässt er übersetzen. Allerdings wurde er dafür verurteilt, die Frau geschlagen und mit dem Tode bedroht zu haben, wie der Richter ihm vorhält. „Ich teile dich in fünf Stücke“, soll er sie angegangen haben. Unklar, wer recht hat, vermutlich der Richter. Auch habe es mal einen Familienstreit gegeben , bei dem er mit einem Staubsaugerrohr auf seine Partnerin einschlug. Der Mann erinnert sich daran nicht. Er wurde allerdings dafür verurteilt, steht deshalb unter Bewährung.

    Und dass der Mann gerne Alkohol trinkt, erfahren wir. Am liebsten Schnaps. „Es gibt bei uns mehrere berühmte Schnapssorten. Die trinke ich schon gerne.“ Hier lächelt der Dolmetscher entschuldigend. Und „in den letzten drei Jahren ist es schon etwas schiefgegangen“, er habe über all den Kummer wie Scheidung und Arbeitslosigkeit die Kontrolle über den Alkohol verloren. In Zahlen: ein bis zwei Flaschen Rotwein am Tag. Bis zu zwei Liter. Keinen chinesischen Schnaps, der sei in Deutschland schwer zu bekommen. Leichter kam er an eine neue Partnerin: seit 2019 seien sie zusammen, mit der Arbeitskollegin hat er einen gemeinsamen Sohn, der heute vier Jahre alt ist. Seinen Alkoholkonsum schränkt das nicht ein. „Wenn ich Feierabend habe, ist Mitternacht. Da kann ich nichts anderes unternehmen als zu trinken“, übersetzt der Dolmetscher. Offenbar redet der Angeklagte davon, dass er saufe. Das tue er, um müde zu werden, schlafen zu können. Ein Leiden sei das nicht.

    Seinen Lebenslauf bekommt Herr L. allerdings nicht überzeugend zusammen. Der Vorsitzende Richter gibt die Befragung zu den beruflichen Stationen des Mannes nach einigen Minuten etwas entnervt auf. Er holt eine Melderegisterauskunft ein.

    Vom Freund zum Feind in wenigen Tagen

    Schnitt. Vom mutmaßlichen Täter zum Opfer. Im weißen Hemd sitzt der Rottweiler China-Restaurant-Betreiber auf dem Zeugenstuhl, neben ihm sein Rechtsanwalt, er ist Nebenkläger im Verfahren. Der 48-Jährige spricht perfekt Deutsch. Der Prozess kommt in Schwung. Er erzählt, dass er L. als Gast in dessen damaligem Restaurant in VS-Schwenningen kennengelernt hat. Er hat mehrmals mit seiner Familie dort gegessen, „wir haben ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt“. In Schwenningen sei. L. dann in existenzielle private und finanzielle Schwierigkeiten geraten und wandte sich an ihn, bat ihn, ihm zu helfen. „Und das habe ich getan.“ Denn eigentlich sei das Restaurant in Schwenningen immer ein gut laufender Betrieb gewesen, L. hatte es offenbar heruntergewirtschaftet. „Mit unserer Kompetenz können wir das wieder auf die Beine stellen“, dachte sich der Gastronom. Also übernimmt er das Restaurant, die Schulden des vermeintlichen Freundes, leiht ihm Geld, besorgt ihm eine Wohnung in Rottweil. Er habe die Kaution und die erste Miete bezahlt. Und er holt Herrn L. zu sich in sein Rottweiler Restaurant, als Koch.

    Keine 14 Tage später begannen die Probleme. Die Küche hatte eine Lieferung nicht komplett herausgegeben, es kommt zum wüsten Streit zwischen Herrn L. und dem Lieferfahrer, von dem dann auch der Chef erfährt. Herr L. verhalte sich auf der Arbeit arrogant, rechthaberisch, bestimmend, unkollegial, hört er, als er nachforscht. Der Chef versucht, das in einer innerbetrieblichen Chatgruppe zu regeln – und wird von L. dort schriftlich angepampt: Jeder sei ersetzbar, auch der Chef. „Inakzeptabel“ sei das gewesen, „da hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt“, urteilt der Restaurantbetreiber. Doch er lässt das zunächst so stehen, kümmert sich um die Arbeit, um die Gäste.

    Später an dem Abend sei er von Herrn L. dann zum Essen eingeladen worden, in die neue Wohnung. Eigentlich habe er etwas Zeit verstreichen lassen wollen, um ihn mit den Problemen zu konfrontieren. Dann habe er sich gesagt: „Wenn wir in einer lockeren Runde mit etwas Wein und etwas Schnaps zusammen sitzen“, könnten sie die Sache vielleicht in einer gemütlichen Runde besprechen. „Wir haben reichlich getrunken, haben eine Flasche Schnaps gekippt.“ Und irgendwann kamen sie auf den Kommentar in der Chatgruppe zu sprechen. „Wir sind wie Brüder, haben ein gutes Verhältnis, aber Geschäft ist Geschäft, wenn wir Probleme haben, können wir darüber sprechen, aber nicht vor der versammelten Mannschaft“, habe er zu seinem Koch, L., gesagt. „Das hat er nicht einsehen wollen.“ Es kommt zum Streit. L. wirft seinem neuen Chef, Freund und Unterstützer vor, daran Schuld zu sein, sein Schwenninger Restaurant verloren zu haben (tatsächlich war es vor Ort in die Schlagzeilen geraten, weil eine Lebensmittelkontrolle ekliges zutage gebracht hatte; L. behauptet, sein Unterstützer habe ihn angeschwärzt; der hält das für unerheblich, weil das Veterinäramt jederzeit in ein Restaurant kommen könne, wenn es gut geführt werde). Es kommt zu einem „albernen Ringen“ unter betrunkenen Männern, wie das der Restaurantbetreiber bezeichnet. Das ist noch in der Wohnung.

    Als er gemerkt habe, dass aus dem Kräftemessen, aus dem Ringen unter Männern, tödlicher Ernst werden könnte, als der andere die Kampfregeln nicht mehr eingehalten habe, habe er die Wohnung damals verlassen, erzählt der Gastronom weiter. Sein Gegner habe drinnen bereits nach einer Flasche gegriffen, um nach ihm zu schlagen.

    Das Opfer kann sich zu einem Kollegen retten

    Draußen, in der Gasse sei ihm L. dann gefolgt, steht vor ihm, als er sich umwendet. „Mit leeren Händen. Ich dachte, er wolle sich entschuldigen. Ich habe ihn mit offenen Armen empfangen.“ Ein beinahe tödlicher Irrtum: L. habe plötzlich eine Bierflasche aus der Jackentasche gezogen, ihm mit dieser ins Gesicht geschlagen. Er stürzt, kämpft um sein Leben, wird schwer an der linken Hand verletzt, weil sein Gegenüber immer wieder zusticht. Er tritt nach seinem Gegner, kann sich hochrappeln und flüchten, nicht in sein Restaurant, um seine Kollegen und seine Frau dort nicht zu gefährden, wie er sagt, sondern „dorthin, wo um diese Zeit viele Leute sind. In die Villa.“ Er blutet schwer.

    Der Restaurantbetreiber schildert diesen Angriff unter Tränen, mit stockender Stimme. Und wie ihm die Ärztin im Krankenhaus erklärt habe, dass ihn zwei Schutzengel gerettet hätten: der Koch der „Villa“ und die schnelle Hilfe. Nur ein paar weitere Minuten ohne Hilfe hätte er die Nacht nicht überlebt.

    Seine Zusammenfassung des Geschehens: „Als er mich um Hilfe bat, habe ich das getan. Und ich weiß bis zum heutigen Tag nicht, womit ich das verdient habe. Ich habe das nicht verstanden. Er wollte mich umbringen. Glauben Sie mir, ich war am Boden zerstört. Nicht nur wegen meiner Schmerzen, ich habe den Glauben verloren.“ Seine Hand kann er heute nur noch eingeschränkt nutzen. „Ich bin seitdem krankgeschrieben, ich kann nicht mehr arbeiten, kann nicht mehr bedienen, kann nichts mehr halten, kann nicht mehr kochen“, weil die verletzte Hand auch Hitze am Herd nicht spüre. Salat putzen, das könne er vielleicht. Er beziehe Krankengeld, stehe vor einer Umschulung, „vielleicht als Dolmetscher. Ich kann simultan übersetzen.“ Bis heute leide er unter Ängsten, habe Phantomschmerzen, „die ich mit Schmerzmitteln nicht wegkriege“. Und er befindet sich auch in ambulanter psychologischer Betreuung.

    Wo liegt das Motiv?

    Das Motiv des Herrn L. – pure Wut? Ein Angriff im Alkoholrausch? Oder steckt mehr dahinter? Dass er auf diese Weise, indem er den aktuellen Besitzer massiv einschüchtert, das China-Restaurant in Rottweil an sich reißen wollte, ist ein Verdacht, den das Opfer äußert. Beweise dafür habe er nicht.

    Am 18. Oktober wird der Prozess fortgesetzt. Das Urteil soll am 5. November gesprochen werden.

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