Insolvenz beantragt: Freundeskreis Asyl Rottweil ist am Ende

"Wir können die Gehälter, die Sozialbeiträge, die Lohnsteuer für unsere Mitarbeiter nicht mehr bezahlen" / Verein zieht die Reißleine

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Bis zu 30 Menschen täglich betreuen und beraten die Leute vom Freundeskreis Asyl in Rottweil. Damit ist Schluss. Denn der Verein, der mit viel ehrenamtlichem Engagement betrieben wird, das aber eben allein nicht ausreicht, steht vor dem Aus. Schon wieder, aber dieses Mal endgültig. Schuld sind offenbar die Rahmenbedingungen. Außerdem fehle es an Unterstützung.

(Rottweil). „Freundeskreis Asyl geht das Geld aus.“ Vor knapp einem Jahr war das die Hiobsbotschaft. Ein Verein, der staatlichen Institutionen viel Arbeit abnimmt, stand damals schon vor dem Aus. Es ging seinerzeit um erhoffte Fördergelder des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die lange auf sich warten ließen. Um ein Haar zu lange: Man hatte damals schon Insolvenz beantragt, diesen Antrag dann, nachdem doch noch Geld geflossen ist, zurückziehen können, sagt etwa Max Burger vom Freundeskreis Asyl auf Nachfrage der NRWZ.

„Unklare Haushaltslage“ bedeutet: Es fließt bis auf weiteres kein Geld

Nun steht der Verein vor derselben Situation, die laut Burger als äußerst nervenaufreibend und von einzelnen Mitstreitenden sogar als gesundheitsgefährdend wahrgenommen wird. Wieder fehlt es an Fördergeldern, während die laufenden Kosten das tun, was sie eben tun: weiter laufen. Damals wie heute ist die Situation im BAMF offenbar dieselbe. Die Zahlungen für die Integrations- und Migrationsberatungsprojekte blieben damals zunächst aus, weil das Antragsverfahren für Projektförderung „aufgrund einer zunächst unklaren Haushaltslage und damit einhergehenden parlamentarischen Abstimmungsbedarfen später startete als in den vorherigen Jahren“, so eine Sprecherin der Behörde auf Nachfrage der NRWZ.

Unklare Haushaltslage? Abstimmungsbedarf? Der ist in diesen Tagen größer denn je. Und genau deshalb ziehen die Leute vom Freundeskreis Asyl Rottweil jetzt die Reißleine. Sie wollen nicht noch einmal Woche um Woche, Monat um Monat warten müssen, bis das Geld kommt. Und zugleich den Gang zum Amtsgericht vorbereiten. 2023 dauerte es ein halbes Jahr länger als geplant, bis der BAMF-Zuschuss über den Paritätischen Wohlfahrtsverband floss. Kaum einer hält so lange durch, wenn zum Beispiel kein Lohn kommt, monatelang.

„Im Moment sind die Nerven blank“, sagt Jörg Gronmayer. Der Grafikdesigner, der zusammen mit Christoph Frank den Freundeskreis Asyl Rottweil ehrenamtlich führt, muss Tränen zurückhalten. Gerade hat er in einem Pressegespräch erzählt, dass die Geflüchteten, die Hilfesuchenden gestern erwogen hätten, zusammenzulegen, zusammenzuhelfen, um den Verein zu retten. Ob es nicht weitergehen könne, wenn jeder fünf Euro gebe? Wohlgemerkt: Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflüchtet sind.

Auch das private Umfeld der Vereinsvertreter leide unter der Situation, so Gronmayers Mitstreiter Frank. Es könne einen massiv herunterziehen, wenn die Situation so unsicher sei. Es sei ja auch so, dass man im Ehrenamt dann, wenn es „irgendwo eng wird, mit einem Bein im Knast, mit dem Hals in der Schlinge dastehe“, ergänzt Franks Co.

Die zentrale Frage des Vorsitzenden des Freundeskreises: „Wo sollen die Leute denn jetzt hin?“ Darauf habe niemand eine Antwort, nicht die Stadt, nicht der Landkreis, nicht der Bund. „Wir werden das nicht auffangen können.“ Er habe sich im Übrigen geschworen, nie mehr ein Ehrenamt zu übernehmen, sagt Gronmayer. Unterdessen kommen immer mehr Menschen, augenscheinlich Geflüchtete, aber auch Rottweiler Bürger mit ausländischen Wurzeln und Beratungsbedarf, in den „Hasen“ am Ende von Rottweils Innenstadt, den der Freundeskreis angemietet hat (und dessen Vermieter viel Geduld bei ausbleibenden Zahlungen zeige, wie es heißt).

Der Schuldenstand des Vereins aktuell: 23.000 Euro, so Kassierer Max Burger. Es sind keine Gelder in ausreichender Größenordnung in Sicht. Das BAMF habe erklärt, dass der Verein weiter arbeiten, weiter in der Migrationsberatung tätig sein dürfe. Eine verlässliche Finanzierungszusage aber liege nicht vor.

Und sparen geht offenbar nicht mehr. Das ausgeschenkte Mineralwasser ist schon „gut und günstig.“ Und das ist laut Burger privat angeschafft.

Inzwischen habe zudem ein Insolvenzverwalter von der in diesen Dingen erfahrenen Kanzlei Hirt+Teufel übernommen. Mit dem Verein sei es damit zu Ende. Die Kappe sei verschnitten, die Katze den Baum rauf, das Kind im Brunnen, bestätigen die Leute vom Freundeskreis. Schluss. Retten könne nur eine große Summe. Kleine würden ab sofort in die Insolvenzmasse fließen. Sie ergäben also keinen Sinn mehr.

Kein Verlass auf Bundes-Zuschüsse, niemand sieht, was der Verein leistet

„Auf die zugesagten Bundesmittel war und ist keinerlei Verlass“, notiert der Freundeskreis Asyl in einer Stellungnahme an seine Mitglieder. Schon im vergangenen Jahr seien die Fördermittel sechs Monate verspätet ausgezahlt worden. „2024 ist noch gar keine Zahlung in Sicht.“ Hilferufe und Bitten um Unterstützung in den zurückliegenden Monaten seien bei den zuständigen Stellen ungehört geblieben: „Der Landkreis hat uns eine klare Absage erteilt. Die Stadt wäre zwar bereit, uns weiterhin zu unterstützen, aber nur unter der Bedingung, dass wir unsere Mitarbeiter nicht länger beschäftigen“, teilt der Freundeskreis mit. Gronmayer ergänzt, dass im Rottweiler Rathaus nach seinem persönlichen Dafürhalten erwartet werde, dass der Verein für Folklore sorge, für exotische Speisen auf dem Weihnachtsmarkt. Niemand wisse, was der Freundeskreis tatsächlich weggearbeitet habe.

Landratsamt: Unterstützung wurde nicht beantragt / Stadt: Auf Voraussetzungen für eine Unterstützung nicht eingegangen

Das Landratsamt, als Behörde gescholten, die keinerlei Unterstützung biete, antwortet auf Nachfrage: „Unser Amt für Aufnahme und Integration ist in regelmäßigem, persönlichem Austausch mit dem FKAsyl. Eine finanzielle Unterstützung für den Verein wurde formell zu keinem Zeitpunkt bei uns beantragt.“

Auch die Stadtverwaltung Rottweil reagiert, von der NRWZ angefragt. Man schätze die Arbeit des Freundeskreises Asyl bei der Betreuung der Flüchtlinge in unserer Stadt sehr, heißt es. „Hier wird seit vielen Jahren und unter hohem persönlichen Einsatz ein wertvoller Beitrag zur Integration geleistet“, sagt ein Sprecher der Stadt. „Daher bedauern wir es umso mehr, dass der Verein nun zum wiederholten Mal aus finanziellen Gründen vor dem Aus steht.“ Um dies abzuwenden, sei die Stadt Rottweil bereits im vergangenen Jahr mehrfach im Kontakt mit Vertretern des Freundeskreises Asyl gewesen, um Möglichkeiten einer weitergehenden Unterstützung zu besprechen, weil die Gefahr einer Insolvenz konkret drohte. Hintergrund seien seinerzeit Schwierigkeiten gewesen, das Personal zu finanzieren, weil Fördergelder des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ausblieben.

Der Verein sei „aufgrund seiner Personalkosten“ nun leider erneut finanziell in erhebliche Schieflage geraten, so die Stadtverwaltung weiter. „Wir haben daher in Hintergrundgesprächen dazu geraten, sich künftig auf die ehrenamtliche Arbeit zu beschränken, da nach unserer Einschätzung eine Finanzierung von hauptamtlichen Kräften die Möglichkeiten des Vereins auf Dauer übersteigen würde“. Diese Einschätzung aus dem vergangenen Jahr habe sich nun wohl bestätigt, heißt es weiter. Die Stadt Rottweil selbst sei jedenfalls nicht in der Lage, die hauptamtlichen Kräfte des Vereins zu finanzieren. Vielmehr finanziert die Stadt bereits jetzt eigene hauptamtliche Kräfte in der Integrationsarbeit.

Allerdings habe die Stadtverwaltung im vergangenen Jahr in Aussicht gestellt, dem Verein bei der Finanzierung der Mietkosten für die Vereinsräumlichkeiten auch künftig helfen zu können, „sogar noch über die derzeitige Fördersumme hinaus“. Diese beträgt nach Informationen der NRWZ 200 von derzeit 625 Euro Miete. Der jährliche Finanzbedarf des Vereins: 140.000 Euro.

„Wir haben aber auch erklärt, dass wir eine Konsolidierung der Vereinsfinanzen für erforderlich halten und dies zur Bedingung für eine weitergehende Förderung gemacht“, stellt der Sprecher der Stadt weiter klar. „Dies gebietet die Sorgfaltspflicht beim Umgang mit öffentlichen Geldern und deckt sich auch mit einem Beschluss des Rottweiler Gemeinderats, den wir über die Problematik nichtöffentlich informiert haben.“

„Katastrophe ist eingetreten.“

Nun also die geregelte, die geordnete Insolvenz, die sehenden Auges und in Erwartung des Schlimmsten ins Verderben geht. Der Verein macht dies selbst publik: „Die Katastrophe … ist eingetreten: Wir sind am Ende“, lässt der Freundeskreis verlauten. „Wir können die Gehälter, die Sozialbeiträge, die Lohnsteuer für unsere Mitarbeiter nicht mehr bezahlen“, heißt es weiter. Es sei nur eine Möglichkeit geblieben, nämlich „uns nur, die Reißleine zu ziehen, Insolvenz zu beantragen und unseren Mitarbeitern zu kündigen“. Jetzt habe das Amtsgericht das Sagen. Am Ende stehe die Vereinsauflösung.

Rein ehrenamtlich geht das nicht

In einem Gespräch mit der Presse erläutern Vertreter des Freundeskreises Asyl die Hintergründe. Schon zuvor formulierte der Freundeskreis: „Wenn wir Menschen in Not effektiv und nachhaltig helfen wollen, braucht es Verlässlichkeit, Struktur und vor allem profundes Fachwissen. Dies ist nur mit gut ausgebildeten Fachkräften zu leisten. Rein ehrenamtlich ist das schlicht nicht möglich.“ Man blicke auf schwierige und belastende Zeiten zurück. „Corona, immer mehr Hilfesuchende, ständig die drohende Zahlungsunfähigkeit im Nacken.“ Ein wenig Geld kam auch aus privaten Spenden, die allerdings seit Corona ebenfalls rückläufig seien.

Die Insolvenz sei am heutigen Mittwochmorgen um 10 Uhr beantragt worden, so Vereinsvorsitzender Gronmayer. Es gehe auch darum, eine drohende persönliche Haftung zu vermeiden. „Wir werden hängen gelassen“, sagt er. Am schlimmsten von der Bundesregierung. Vergangenes Jahr habe man noch einen Kreissparkassen-Kredit aufnehmen können, zur Überbrückung. Das ginge dieses Jahr nicht mehr, auch deshalb, weil keinerlei Perspektive da sei. Da sperre sich auch das Kreditinstitut. Man könne das nicht mehr darstellen, habe es geheißen.

Die konkreten Folgen: Von ehemals vier Migrationsberatern im Landkreis bliebe nun noch ein halber bei der Caritas. Zwei Vollzeitstellen fallen zum Monatsende weg, wenn der Freundeskreis seine Arbeit einstellt. Was übersehen werde, formulieren dessen Vorstände: Zusammen mit einem Rechtsanwalt, der dem Verein auch nicht gleich jede Tätigkeit in Rechnung gestellt habe, habe man Geflüchteten umfangreich helfen können. Umfangreicher als staatliche Stellen.

Seine beiden Migrationsberater hat der Freundeskreis nun außerordentlich gekündigt. Es sind dies Benedikt Sczuka, der mit einem Neuankömmling im „Hasen“ fließend Französisch spricht, und Mathis Heidger, der aktuell seinen Urlaub aus dem vergangenen Jahr abfeiert. Zudem arbeitet im Freundeskreis Asyl derzeit noch Angelina Morina mit, Duale Studentin der Sozialen Arbeit. Sie macht ihren Bachelor.

Ab Montag werde die Tür des „Hasen“ geschlossen sein. Es gebe nur noch Termine für die offenen Fälle. „Wir haben gestern beschlossen, dass wir die Geschäftstätigkeit zum 31. Januar beenden“, so Gronmayer. Ab Montag werde es keine neuen Beratungen mehr geben. Die Caritas werde das nicht auffangen, sie könne auch keine Beratung in Rechtsfragen leisten, so Kassier Burger. „Diese Leute werden durchs Raster fallen“, ergänzt Gronmayer. Auf den Ämtern seien die entsprechenden Kompetenzen nicht vorhanden – etwa, wenn Menschen auf der Suche nach Hilfe drohen, die Nerven zu verlieren, wenn es gelte, deeskalierend zu wirken. Und die nächsten Freundeskreise lägen in Hechingen, Tübingen, Karlsruhe.

Vereinsarbeit: „eine wertvolle Ergänzung“

Im Landratsamt sieht man das so: „Asyl- und Schutzsuchende sowie Geflüchtete werden durch die Sozialbetreuung unseres Amtes für Aufnahme und Intergration betreut, sofern diese durch den Landkreis vorläufig untergebracht sind“, heißt es auf Nachfrage der Behörde. In der regelmäßig darauffolgenden Anschlussunterbringung der Städte und Gemeinden könnten sich die Menschen an das Integrationsmanagement wenden, das einige Kommunen in Eigenverantwortung betreiben. Für die übrigen Kommunen übernehme dies der Landkreis. „Die Aufgaben, welche der FKAsyl bislang wahrnimmt, stellen eine wertvolle Ergänzung zu den Betreuungsangeboten von Kreis und Kommunen dar.“

Der Freundeskreis Asyl habe in der Regel als weiterer Ansprechpartner für die Asyl- und Schutzsuchenden beziehungsweise Geflüchteten agiert, wenn sie beispielsweise erfahren wollten, ob Entscheidungen seitens der Behörden gerechtfertigt waren. Damit hat der Verein dem Landratsamt natürlich auch Arbeit gemacht. Auch die fällt nun weg.

Damit steht der Verein 13 Jahre nach seiner Wiederbelebung durch Christoph Frank vor dem definitiven Ende. Oder, um es in den Worten der Vereinsvertreter zu erklären:

Wir konnten den Menschen mit Zuwendung und Wertschätzung begegnen und haben diese Zuwendung unendlich viel zurückerhalten. Wir konnten sehr vielen Menschen helfen, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Wir haben beim Weg in Wohnung, Ausbildung und Arbeit begleitet und Perspektiven eröffnet. Familien, die durch Krieg und Flucht getrennt wurden, konnten mit unserer Hilfe wieder zusammen finden.

Wir haben einen guten Job gemacht. Darauf sind wir stolz. Die Mühe hat sich rückblickend gelohnt. Dass das alles nun vorbei ist, ist traurig und tut weh.

Allen, die uns über die Jahre unterstützt haben, ein herzlicher Dank!
Euer Zuspruch und die oft aufmunternden Worte haben gutgetan.

Freundeskreis Asyl Rottweil

Keine neuen Geflüchteten aus der Ukraine mehr

Übrigens: Geflüchtete aus der Ukraine nimmt der Landkreis nicht mehr auf. Den Hintergrund erklärt eine Sprecherin der Behörde auf Nachfrage: Mit Schreiben vom 23.11.2023 habe das Ministerium für Justiz und Migration mitgeteilt, dass das Land Baden-Württemberg im Verhältnis zu den anderen Bundesländern einen Überhang bei der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter aufweist. In einer ersten Pilotphase seien fünf Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg ausgewählt worden, denen die Möglichkeit eingeräumt wurde, ukrainische Geflüchtete an andere Bundesländer weiterzuleiten. Darunter der Landkreis Rottweil, der nach dem Stadtkreis Baden-Baden landesweit den höchsten Aufnahmeüberhang bei ukrainischen Geflüchteten habe. „Die Weiterleitung wird im Landkreis daher seit Dezember 2023 praktiziert“, so die Landratsamtssprecherin abschließend.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.

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