Manchmal ist der Beruf mehr als ein Job. Dann passt es einfach, dann ist der Beruf Berufung. Bei Lena Kunz hat man diesen Eindruck. Seit einem Jahr leitet die junge Historikerin das Rottweiler Stadtarchiv.
Wenn Lena Kunz von den Beständen spricht, für die sie seither verantwortlich ist – mehr als vier Kilometer Schriftgut – dann merkt man: Diese Frau ist in ihrem Element. Und hat Freude an den Objekten und Themen, mit denen sie beruflich befasst ist.
Zum Beispiel Urkunden, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Dem mit zahlreichen Siegeln behangenen Vertrag, der 1519 den „Ewigen Bund“ mit der Eidgenossenschaft fixierte. Oder den Ratsprotokollen, die sensationellerweise seit 1580 lückenlos überliefert sind. Das mache Rottweil mit seiner ohnehin reich überlieferten Geschichte in der historischen Forschung für viele auch übergreifende Fragestellungen relevant, unterstreicht Lena Kunz.
Bei der Begeisterung, die dabei zu spüren ist, kommt Verschiedenes zusammen: Ein Feuer für Geschichte an sich, das Kunz schon zu Schulzeiten von der Faszination fürs Alte Ägypten auf heimische Gefilde übertrug um gleich zu zentralen Fragen vorzustoßen: Wie haben die Menschen zu verschiedenen Zeiten gelebt? Und was macht die eigenen Wurzeln, das eigene Herkommen aus?
Befeuert wird der Elan fürs Stadtarchiv aber auch durch eine gewachsene Verbundenheit mit Rottweil. „Die schöne Innenstadt hat mich schon immer fasziniert“, berichtet die 1992 in Tuttlingen geborene Lena Kunz im Gespräch mit der NRWZ.
Auch wissenschaftlich knüpfte Lena Kunz schon früh an ihren jetzigen Arbeitsort an: Im Germanistik- und Geschichtsstudium an der Universität Tübingen nahm sie ein heikles Thema der Reichsstadtzeit unter die Lupe: die Hexenprozesse – ein Unrecht, dem zwischen 1561 und 1701 234 Frauen und 53 Männer ausgeliefert waren.
Eingebettet war diese Beschäftigung in ein Studienprofil: die Geschichte Südwest-Deutschlands – eine Ausrichtung, die sie nach dem Abschluss weiterführte, mit einem Volontariat im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck, verbunden mit dem Forschungsschwerpunkt „Südwestdeutsche Trachten“.
In Neuhausen war Kunz auch für Museumspädagogik, Marketing sowie Ausstellungsplanung und Veranstaltungsorganisation zuständig. Zudem betreute sie die Sammlung des Museums – gewann also umfassende, auch operative Kenntnisse für dieses Feld des Kultursektors.
Ende 2020 wandte sich Lena Kunz jedoch einem neuen Bereich zu und wechselte zum Kreisarchiv Tuttlingen. Als Sachgebietsleiterin war sie dort für klassische Archivaufgaben wie Sammlungserschließung, Bestandsauswertung, aber auch für Nutzerbetreuung oder digitale Archivierung zuständig – Erfahrungen, von denen nun auch das Stadtarchiv profitiert.
Zum Portfolio der in Immendingen lebenden Historikerin gehört ferner, dass sie nebenberuflich als Lektorin für den Stadler-Verlag tätig war und an der Deutschen Akademie für Management einen Diplomkurs „Kulturmanagement“ absolvierte.
Privat ist ihr das gemeinsame Musizieren eine Herzenssache, in der alten Heimat hat sie im Musikverein Waldhorn und Klarinette gespielt – eine Passion, die ihrem Naturell als Teammensch entspricht, aber derzeit mit den beruflichen Pflichten leider nicht auf einen Nenner passt.
In Rottweil standen zunächst einmal das Einarbeiten und mit einem kleinen, teils neuen Team, nach kurzen Amtszeiten zweier Vorgänger das Erledigen aufgelaufener Arbeiten oben auf der To-do-Liste. Zunehmend kann Lena Kunz aber auch ihre weiterführenden Ziele fürs Stadtarchiv in den Blick nehmen. Neben den Kernaufgaben wie Sammlungserschließung und Bestanderhaltung liegt ihr die Archivpädagogik am Herzen.
Partizipativer will sie das Stadtarchiv weiterentwickeln, offen nicht nur für Verwaltungs-Schriftgut, sondern „für die Geschichte der Rottweiler“, wie sie sagt. Wer auf Spuren der eigenen Familiengeschichte – Fotos oder anderes – stoße, der sei herzlich eingeladen, sich ans Stadtarchiv zu wenden, unterstreicht Lena Kunz.
Aber auch darüber hinaus will sie Interesse für die Geschichte vor Ort wecken, nicht zuletzt bei Schülerinnen und Schülern. Zum Beispiel indem man in den örtlichen Zeitungen recherchiert, was im eigenen Geburtsjahr so los war. Oder wie sich die eigene Straße entwickelt hat. „Wer das als Teil der eigenen Geschichte erfährt, ist oft begeistert“, berichtet Lena Kunz. Den Elan jedenfalls, das zu ermöglichen und für die Rottweiler Geschichte zu werben, hat die Stadtarchivarin zweifellos. Das ist eben der Unterschied zwischen Job und Berufung.