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    Im Beziehungs-Porzellan-Laden

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    Die große Befreiung in Frauen- und Familiendingen war ein riesen Schritt aus Abhängigkeit und Verkrustung heraus. Sie hat jedoch auch Probleme geschaffen – wie das Zimmertheater in seiner neuesten Produktion, einer Uraufführung, spielerisch, aber auch schonungslos verdeutlicht. Am Freitag war Premiere.

    Der Obertitel des Stücks „Die bessere Hälfte… der Familie“ klingt noch nach Idylle der Fünfzigerjahre. Nach einer Geschlechterordnung, in der klare Rollen festgelegt waren – und angeblich glücklich gelebt wurden.

    Bevor sich jedoch nostalgische Bräsigkeit einstellt, folgt faustdick der Kontrapunkt: „Die Unmöglichkeit eine (moderne) Frau zu sein“ wird im Untertitel ergänzt – und damit die ganze Spannung zwischen Sollen, Wollen und Können aufgespreizt, die viele im Alltag schier zerreißt.

    Denn dem Abriss von Verbindlichkeiten im Zuge der Modernisierung der Familienverhältnisse ist nicht selten die Stabilität von Beziehungen zum Opfer gefallen. Wer fühlt sich wem noch verbunden? Und wer steht füreinander ein, wenn es drauf ankommt?

    Diesen drängenden Fragen fühlt das neue Stück auf den Zahn. Entwickelt hat es Peter Staatsmann – gemeinsam mit dem Ensemble. Es ist nach „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts“ (2018) und „Raub der Europa“ (2019) der dritte Teil der „Deutschland-Triologie“ des Zimmertheaters, in der zentrale Themen der Gegenwart diskutiert werden. Daher sind die Figuren auch nicht frei erfunden. Sie greifen reale Lebenslagen auf – wodurch die Inszenierung zu einer Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Realitäten wird.

    Im Mittelpunkt steht die Patriarchin Marie, über 60. Im Spektrum der Frauenrollen ist sie die Heldin: Entschlossen hat sie die Emanzipation gegen alle Widrigkeiten durchgefochten. Nun jedoch driftet die Vorkämpfern in die Schattenzone einer Demenz.

    Das setzt ihre Töchter unter Druck, von denen die eine als kritischer Geist eigene Wege sucht und die andere sich im Hamsterrad zum erhofften Erfolg abhetzt. Beide leben hunderte Kilometer entfernt, stecken im modernen Überlebenskampf. Sie können – und wollen – der Mutter zuhause nicht beistehen. Da springt die Nachbarin Uta ein, die beginnt, sich um die Mutter zu kümmern. Ebenso die junge Kosovarin Violsa, die von der Putzfrau zur Pflegekraft mutiert.

    In einer dichten Kammerspiel-Konstellation leuchtet Peter Staatsmann die Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen dieser fünf Frauen aus. Männer hat er diesmal von der Bühne verbannt – ein kluger Schachzug, denn sie könnten zum präzisen Blick auf die Lage der Frauen, die dieser Abend bietet, nichts beitragen.

    So erlebt man denn mit, wie diese Frauen, getrieben von äußeren und inneren Nöten und Erwartungen, um Perspektiven ringen, sich aufreiben oder arrangieren. Und verzweifeln. Marie etwa, die einstige Jeanne d’Arc, wünscht sich nichts sehnlicher als die Nähe ihrer Kinder – eine Nähe, die sie ihnen früher freilich auch nicht schenkte. Petra Weimer lässt diese Sehnsucht sensibel spürbar werden. Sie verleiht der launischen Patriarchin mit zerbröselndem Geist bewegende Präsenz.

    Britta Werksnis zeichnet die karrierefixierte Tochter als kühle Performerin. Nora Kühnlein verleiht der idealistischen Schwester eine herrlich verspielte Leichtigkeit, die viel zur Dynamik des Abends beiträgt. Dass beide ihre Mutter per Livestream begleiten wollen, ist ein schöner, entlarvender Seitenhieb auf die Ignoranz einer Generation gläubiger Technikjüngern. Nein, nicht alles lässt sich per App regeln. Das Fern-Coaching der dementen Mutter geht furios in die Hose.

    Ein interessantes Rollenmodell stellt die Nachbarin Uta dar. Maika Troscheit illustriert feinsinnig, dass sie ihre Einsamkeit mit wachsender Fürsorge für Marie kompensiert – und dabei aufblüht. Mit die interessantesten Regungen erlebt man mit der Pflegerin Violsa. Valentina Sadiku stellt sie als empfindsame und zugleich kraftvolle Figur dar – bodenständig, zupackend, lebensklug.

    Sie leistet eine Erdung für die postfeministischen Diskurse, bringt mit ihrem Balkan-Horizont einen starken Vergleichspunkt ein. Denn gegen die archaischen Zwänge, Söhne zu gebären um durch sie Macht ausüben und sklavenartiger Ausbeutung entfliehen zu können, wirkt manche mitteleuropäische Debatte reichlich luxuriös.

    Zum Gelingen des Abends trägt erneut maßgeblich Dorin Grama bei, der sich mit seinem Akkordeon als subtiler Kommentator einflicht. Melodie-Bruchstücke etwa weisen auf den brüchigen Geist Maries hin. Und die trotzige Partisanen-Hymne „Bella Ciao“ lässt Widerstand gegen neoliberale Verwertungszwänge als befreiende Option aufglänzen.

    Reiche Assoziationen eröffnet zudem die Ausstattung, für die als Dramaturgin Bettina Schültke verantwortlich zeichnet: Die Wände sind mit einem Erinnerungs-Patchwork gespickt, als ob man sich im Innern von Maries Kopf befände. Ein Blickfang ist zudem der ganz von wei0ßem Geschirr übersäte Boden – halb bürgerlicher Porzellan-Schatz, halb zugemüllte Rumpelkammer. Und ein wunderbar poetisches Bild dafür, wie wir uns unser Leben zurechtlegen und was im Beziehungs-Porzellan-Laden, den jede Existenz letztlich darstellt, so alles zu Bruch gehen kann.

    Auf die Frage, wie fürsorgliche Familien und lebbare Modelle nun aussehen können, gibt der Abend keine schnellen Antworten. Resolut weist er jedoch auf blinde Flecken im linksliberalen Befreiungs-Narrativ hin. Wobei auch verschmockte konservative Retro-Visionen nicht als taugliche Modelle erscheinen. Von den Heilsversprechen „germanisch“-geordneter Geschlechter-Hierarchien ganz zu schwiegen.

    So ist die Inszenierung vor allem eine genaue, aber auch mitfühlende Analyse. Und eine facettenreiche Anregung nachzudenken und sich bewusst zu werden, wie zerbrechlich unser Miteinander letztlich ist.

    Info: Weitere Aufführungen am 13., 14., 20., 21., 27. und 28. März, am 3., 24. und 25. April sowie am 8., 15. und 16. Mai, jeweils 20 Uhr. Reservierung unter Tel. 0741-8990.

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