Am heutigen Freitagabend, 28. Februar, ist im Kapuziner-Refektorium in Rottweil ein Gast aus den USA zu hören. Prof. Dr. Franz Baumann referiert über „Erderhitzung und Demokratie – Ein globales (Politik-) Problem“. Der gebürtige Schramberger hat vorab Interview geführt. Die Fragen stellten Dr. Jutta Steffens und Raymund Holzer von der Lokalen Agenda 21 Rottweil. Wir bringen das Interview im Wortlaut.
Herr
Prof. Baumann, Sie sind Gastprofessor an der New York Universität und forschen
und lehren zur Erderhitzung. Davor waren Sie bei den Vereinten Nationen tätig,
zuletzt im Range eines Beigeordneten Generalsekretärs. Mit welchen Aktivitäten
haben Sie sich, im Rahmen Ihrer UN-Tätigkeit, für Klimaschutz eingesetzt?
Hauptamtlich erst in meiner letzten Aufgabe als Sonderberater für Umwelt und Friedenserhaltende Maßnahmen. Dabei ging es darum, die ökologische Belastung von Blauhelmeinsätzen zu verringern. Diese finden ja hauptsächlich in armen und fragilen Ländern statt, zum Beispiel in Haiti, Mali, Somalia, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. Den Wasser-, Diesel- und Kerosinverbrauch zu reduzieren ist nicht nur aus ökologischen Gründen sinnvoll.
Solarenergie wirkt hier Wunder, braucht keine Wartung oder Lieferketten, finanziert sich selber, hat eine ökonomische Lebenserwartung von dreißig Jahren und kann nach Abschluss des Einsatzes für Krankenhäuser oder Schulen im Land gelassen werden.
Warum
setzen Sie sich nach Ihrer langen UNO Karriere weiterhin vehement für die
Klima-Thematik ein?
Umweltschutz
– die Zerstörung der Lebensgrundlagen – interessiert mich seit der
Oberstufe. Als Schülersprecher des
Gymnasiums Schramberg organisierte ich schon 1971 den wohlbesuchten öffentlichen
Vortrag eines Biologen (und Verfassers des ersten deutschen Umweltschadenslexikons,
Peter Haak) der Universität Konstanz zu diesem Thema.
Die Erderhitzung ist eine Bedrohung von
unerhörter Tragweite. Sie ist ein
beispielloses, noch nie dagewesenes globales Politikproblem, welches, wenn
überhaupt, nur durch strategische und baldige Anstrengungen auf nationaler,
europäischer und globaler Ebene in den Griff zu bekommen ist. Als UNO Beamter habe ich 1988 die Schaffung
des Weltklimarats miterlebt, 1992 den Rio Umweltgipfel, 2015 das Pariser
Abkommen und die Agenda 2030, außerdem im Lauf der Jahre unzählige Diskussionen,
Fortschritte und Rückschläge. Diese
Erfahrung an einer der besten Universitäten der Welt einbringen zu können ist
ein Privileg.
Was
halten Sie den Skeptikern und Leugnern entgegen, die den menschengemachten
Klimawandel bestreiten?
Das ist eine Frage der Taktik, ähnlich dem Umgang mit Leuten, die behaupten, dass die Erde eine Scheibe ist, die Gaskammern in Auschwitz Duschen waren und Krebs durch Handauflegen geheilt werden kann. Gegen Vorurteile kann man nicht argumentieren, weshalb ich es für Zeitverschwendung halte, solchen Leuten zu antworten. Sie wissen ohnehin alles und sind immun für Fakten, Logik und Argumente.
Bemerkenswert ist, dass Klimaleugner vor allem männlich, wissenschaftsfeindlich und im extrem rechten, nationalen Lager verortet sind: ob Bolsonaro (Brasilien), bin Salman (Saudi Arabien), Duterte (Philippinen), Erdoğan (Türkei), Kaczyński (Polen), Morrison (Australien), Putin (Russland), Salvini (Italien), Trump (USA), oder auch die AfD.
Für diese rückwärtsgewandten Vereinfacher und ihre Nachläufer ist Komplexität ein Fremdwort. In ihren Augen sind vorausschauende Schadensbegrenzung, Kompromisse und internationale Zusammenarbeit Zeichen von Schwäche.
Da befasse ich mich lieber mit ernsthaften Fragen und berechtigten Zweifeln: Stimmen die Modelle der Klimawissenschaftler? Gibt es Unwägbarkeiten? Was sind mögliche Lösungen? Was kann oder soll ein einzelner Mensch tun? Es gibt ja nicht die richtige Antwort, sondern legitime konservative, liberale, grüne und linke Perspektiven: Sind ordnungsrechtliche Schritte – Verbote und Gebote – zielführender, oder Steuern, Subventionen oder staatliche Investitionen? Die respektvolle argumentative Auseinandersetzung mit diesen Lösungsansätzen scheint mir sinnvoller als auf ignorante, in ihrem hermetischen Fanatismus gefangene Besserwisser einzugehen.
Allerdings geht die Gefahr nicht in erster Linie von Klimaskeptikern oder –leugnern aus, sondern von „so tun als ob“ Leuten, also jenen in Politik, Wirtschaft und Medien, welche die Ernsthaftigkeit der Lage zwar eingestehen, die aber auf Zeit spielen und deren Lösungsansätze – sowohl zur Ursachenbekämpfung als auch zur Eindämmung von Folgeschäden – hinten und vorne nicht ausreichen. Insolvenzverschleppung ist in Deutschland Straftatbestand, betrifft aber nur Unternehmen, nicht die Zerstörung von Lebensgrundlagen.
Klimawandel-Kritiker
behaupten auch immer wieder, dass Deutschland ja nur einen kleinen Anteil am
weltweiten CO2-Ausstoß
habe und Reduktionsanstrengungen hierzulande unserer Wirtschaft nur schaden und
global nichts bringen würden. Stimmt das?
Die Industrialisierung, auf die sich unser Wohlstand gründet, war äußerst energieintensiv. Das dabei entstandene Kohlendioxid wird noch Jahrhunderte in der Atmosphäre sein und zur Erderhitzung beitragen. Mit 83 Millionen Menschen sind die Deutschen ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung, emittieren aber zwei Prozent der CO2-Emissionen. Das heißt, dass wir über unsere Verhältnisse leben, und zwar seit dem 19. Jahrhundert. Mit welcher Berechtigung? Zum moralischen Argument kommt aber noch ein pragmatisches: Das fossile Zeitalter ist am Ende. So zu tun, als sei dies nicht der Fall, löst gar nichts, sondern verschiebt nur die unvermeidlichen Anpassungskosten in die Zukunft. Das ist unsolide. Viel Zeit ist vertan worden, aber ein treffliches afrikanisches Sprichwort besagt: „Der beste Zeitpunkt einen Baum zu pflanzen war vor Jahrzehnten; der zweitbeste ist heute.“
Wichtig ist jetzt, solange es der Wirtschaft und den Menschen gut geht, den Spielraum zu nutzen und die notwendigen Anpassungen strategisch einzuleiten, anstatt in ein paar Jahren unter Krisendruck handeln zu müssen. Ich bin Schramberger und erinnere mich an die Junghans Krise der frühen siebziger Jahre, als Quartzwerke aus Japan mechanische Uhren grandios aus dem Rennen warfen, weil sie billiger und zuverlässiger waren.
Anstatt an veralteter Technologie zu kleben, gelang der Sprung in die neue Zeit. Die Umstellung war schmerzhaft, aber klappte. Die deutsche Industrie war immer flexibel und zukunftsorientiert. Am Verbrennungsmotor festzuhalten, an der Braunkohle, am steuerbefreiten Flugbenzin, an der Massentierhaltung oder an der Subvention fossiler Brennstoffe, bedeutet langfristigen Schaden für kurzfristige Bequemlichkeit in Kauf zu nehmen. Es ist wichtig, die Zeichen der Zeit zu sehen, und sie als Chance zu begreifen.
Den Klimawandel halten Umfragen gemäß die meisten Deutschen für ein großes Problem. Bei konkreten Maßnahmen zum Klimaschutz wie zum Beispiel CO2-Bepreisung von fossilen Brennstoffen, der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen, sowie der Verteuerung von Fleisch und Flugtickets sinkt die Zustimmung stark bzw. regt sich massiver Widerstand. Was soll die Politik daraus ableiten?
Idealerweise sollte die Bundesregierung führen anstatt folgen, vor allem eine große Koalition, die seit elf der letzten fünfzehn Jahren im Amt ist. Dabei verkenne ich die Schwierigkeiten nicht, denn Politik hat in Demokratien nur einen kurzen Zeithorizont, begünstigt graduelle Anpassungen sowie schmerzlose Scheinlösungen und braucht Wirtschaftswachstum, um gut zu funktionieren. Zukünftige Generationen, Menschen im globalen Süden und die Flora sowie Fauna – die alle nichts zur Erderhitzung beigetragen haben, aber mit den Folgen werden leben müssen – haben keine Stimme.
Im Wahlkampf ist lächelnder Optimismus förderlich. Kein Erfolgsrezept hingegen ist es zu sagen, dass wir uns in einer Notstandssituation befinden und teure, unbequeme, komplizierte und nicht einmal garantiert erfolgreiche Umstrukturierungsmaßnahmen unerlässlich sind. Weil Politik eher auf Druck als auf Einsicht reagiert, finde ich es ermutigend, dass das Thema Erderhitzung zunehmend ins Zentrum politischer Auseinandersetzung rückt, sich viele Jugendliche engagieren, und in der Wirtschaft ein Umdenken begonnen hat. Allerdings und nachdem das Thema jahrzehntelang verdrängt wurde, stehen wir erst am Anfang des Ringens, welches die nächsten Jahre bestimmen wird. Ausgang offen.
Welche Gefahren die Erderhitzung für die Demokratie birgt und welche Politik-Instrumente zum Einsatz kommen sollten, darauf wird Prof. Dr. Baumann im Vortrag in Rottweil näher eingehen. Der Vortrag findet statt im Refektorium des Kapuziners Rottweil, er beginnt um 19.30 Uhr. Veranstalter: Lokale Agenda 21 Rottweil in Kooperation mit VHS, keb, EvEB, BI atomare Bedrohung, MGH