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    „Ich habe das Leben eines großartigen Menschen ausgelöscht“

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    Am Montagmorgen hat der Prozess gegen einen 50-Jährigen begonnen, der im Dezember 2022 seine Frau zunächst getötet und dann im Garten des gemeinsamen Hauses in der Tannstraße in Rottweil verscharrt haben soll. Es zeichnete sich ein Bild eines jahrzehntelangen exzessiven Trinkers, eines obdachlosen Herumtreibers. Eines Mannes, der dank der Obdachlosenhilfe der Spittelmühle eigentlich in einem sicheren Job und einem Eheleben ankam – mit einer Frau mit gleicher Lebensgeschichte zur Miete in einem Einfamilienhaus in bevorzugter Wohnlage in Rottweil. Als dieses Eheleben auseinander zu brechen drohte, drehte er offenbar durch. Er gibt das zu, gesteht über seinen Anwalt. Und bedauert seine Tat.

    (Rottweil). Geschützt von einer Handakte, gefesselt an Händen und Füßen, begleitet von einem Justizbeamten, betritt der mutmaßliche Mörder den Gerichtssaal: blau-weißes Flanellhemd, offen über dem T-Shirt getragen, raspelkurze Haare, gerötete Haut, Brille mit größerer Sehstärke. Die Hände hat er im Schoß gefaltet, mit auch durch die Brille großen, erstaunten Augen blickt er ins Rund. Später, als er seine Angaben macht, spricht er langsam. In kurzen, sehr übersichtlichen Sätzen.

    Thomas B.*, rheinischer Dialekt. Ein Bauhelfer, angestellt bei einer Rottweiler Baufirma. Er erzählt: „Ich bin bei meiner Oma großgeworden“, als die gestorben sei, habe es ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Das war in den 80-er Jahren. Er kennt inzwischen Obdachlosigkeit, nachdem er keine Miete mehr bezahlt hat, ist alkoholabhängig – und lernte irgendwann seine Frau kennen. „Ein Leben in Kurzfassung“, wie der Vorsitzender Richter der Rottweiler Strafkammer das zusammenfasste. B.s Leben passte in vier, fünf Sätze.

    Also beginnt der Richter ein Interview. Geduldig, Schritt für Schritt. Frage um Frage, kurze Antworten. „Was war das Problem, dass Sie kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hatten?“ „Ich weiß es nicht, ich wollte lieber ins Heim.“ Später, als er doch wieder bei der Mutter lebte: „Wie viele Zimmer hatte die Wohnung?“ „Eins, zwei, drei Zimmer, Küche Bad.“ „Wie viel haben Sie während seiner Lehrzeit so getrunken?“ „Sechs, sieben Flaschen Bier.“ „Wie groß?“ „Null Fünf.“ „Pro Tag?“ „Pro Tag.“ Später beim Bund waren es dann schon zehn bis zwölf. Und in seiner Zeit einer Dachdeckerlehre fällt er nach einer Sauftour besoffen von einer Mauer. Und bricht die Ausbildung ab. Er trinkt, bezieht Arbeitslosengeld, landet auf der Straße. Mit nichts „als den Klamotten am Leib.“ Das war mit Anfang 20. „Beschreiben Sie mal Ihr Leben.“ “Im Sommer war es gar nicht mal so schlecht.“ Er landet bei „25 Dosen à 0,5 am Tag“. Später bei literweise Wein. „Die haben damals glaub eine Mark Neunundsiebzig gekostet, die waren billig. Pennerwein, hat man die genannt.“ Schließlich landet er bei „anderthalb Flaschen Doppelkorn.“

    Wie er aus all dem herauskam? Durch die intensive Unterstützung der Spittelmühle Rottweil und ihres damaligen Leiters Dietmar Greuter. Dieser brachte ihn, in aller Kürze ausgedrückt, wieder auf die Füße. Und seine neue Partnerin, seine spätere Frau gab ihm Halt. Bis er nicht zulassen wollte, dass sie ihn verlässt.

    So offen, wie B. das alles beantwortet, wird er es nicht fortsetzen. Nur zur Person will er Angaben machen. „Es wird eine Verlesung durch mich geben“, so sein Anwalt Benjamin Waldmüller vor Prozessbeginn im Gespräch mit der NRWZ. Der Mann befürchte, dass zu viel aus seinem Privatleben nach außen, an die Öffentlichkeit dringen könnte. Zu seinem Sexualleben, etwa. Er wolle daher beantragen, die Öffentlichkeit auszuschließen, so Waldmüller. Er ist Pflichtverteidiger von B. Aber auch Fachanwalt für Strafrecht, ein Profi.

    Im Zuschauerraum: einige Menschen älteren Semesters. Ein guter Teil Tannstraße, so scheint es, die Nachbarn. Die früheren Nachbarn, der Mann sitzt derzeit im Gefängnis, in Untersuchungshaft. Der Prozess findet ohne größere Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Kammer des Landgerichts erwartet keine Störungen.

    Es ist ein schöner Tag, um einen Mordprozess zu beginnen, die Sonne flutet in den großen Schwurgerichtssaal hinein, als habe auch sie ein Interesse daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt und der Täter überführt wird. Ein so großes Interesse, dass sie ausgesperrt wird. Rollos verdunkeln den Raum.

    Der Prozess kann dann nach einer kurzen Unterbrechung wirklich beginnen. Ein Zuschauer, ein älterer Mann, hat noch rasch ein Foto gemacht. Er muss sein Smartphone auf Befehl eines Justizbeamten abgeben, das Foto wird gelöscht. Besuchern ist das Fotografieren nicht gestattet.

    Der Fall: Thomas B.s Frau Sonja* hatte ein Verhältnis. Sie führte es spätestens seit November 2022 offen, war schon nächteweise außer Haus, nächtigte bei ihrem neuen Freund, der ganz in der Nähe wohnt, sozusagen nur ums Eck. Unter den Eheleuten B. war es mehrfach schon zum Streit gekommen. Als sie wieder einmal zu ihrem neuen Freund gehen wollte, griff er sie an. Sie war da gerade im Bad im ersten Stock, um sich zurechtzumachen. „Er legte ein Stromkabel um den Hals seiner Frau und zog zu“, so der Staatsanwalt. Später werden wir erfahren: Das Kabel war einige Tage zuvor bei einem Suizidversuch des Mannes gerissen. Dann habe der Mann die Frau für Tage im Bad liegen lassen. Und sich daraufhin entschieden, die Leiche zu beseitigen.

    Später wurde die Frau dann an ihrer Arbeitsstelle vermisst. Dass ein Verbrechen geschehen sein könnte, ahnt aber da noch niemand.

    B. besorgte Estrichbeton und Blumenerde bei zwei verschiedenen Baumärkten. Das Einfamilienhaus der B.s liegt an einem Erdwall zur Schramberger Straße, einer Ausfallstraße in Rottweil. In diesem Lärmschutzwall sollte die Leiche dauerhaft verschwinden. Dort hob B. eine Grube aus, dort vergrub er die Getötete, heißt es in der Anklageschrift. Erst rund drei Wochen später, kurz vor Weihnachten, fand die Polizei sie.

    „Vor der Tat hatte der Mann eine nicht bekannte Menge an Alkohol getrunken“, so der Staatsanwalt in seiner Anklage. Der Alkoholkonsum und eine Anpassungsstörung angesichts der bevorstehenden Trennung ließen für möglich erscheinen, dass der Mann nicht voll schuldfähig sein könnte. Dennoch wird ihm der Prozess wegen Mordes gemacht. Er wird die nächsten Jahre, bei einer Verurteilung, jedenfalls nicht in Freiheit verbringen. Entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie.

    B.s Anwalt spricht im Prozess für den Mann über die Tat. Und die Hintergründe. Zuvor hatte der Rechtsanwalt noch angekündigt, auf Bitten seines Mandanten während der Verlesung des Schriftsatzes die Öffentlichkeit auszuschließen zu wollen. Dazu kam es dann nach einer Besprechung zwischen Anwalt und Mandant dann doch nicht. Die Kammer hatte auch schon durchblicken lassen, dass die Öffentlichkeit ein großes Interesse daran habe, die Details zu erfahren. Also bekamen die Anwesenden etwa zu hören:

    „Meine Frau war der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich habe sie sehr geliebt. In der Nacht habe ich sie getötet. Bis heute kann ich nicht erklären, wie es dazu gekommen ist.“ Dieses Geständnis verlas Anwalt Waldmüller im Namen seines Mandanten.

    Und weiter: Während seiner Kindheit sei er mehrfach sexuell missbraucht worden. Der Tod der Oma habe ihm die Füße unter dem Boden weggerissen. Seither hatte er keine Bezugsperson mehr. „Mir ist nicht bekannt, ob meine Mutter und meine Geschwister noch am Leben sind.“ In der Spittelmühle lernte er seine Frau kennen. Beide obdachlos, beide alkoholkrank. Mit ihr habe er Ende 20 seinen ersten Sexualkontakt gehabt. Sie habe sein Leben verändert. „Sie hat mir den Weg gezeigt, und ich bin marschiert.“ Ohne sie hätte er sich irgendwann tot gesoffen, „Man kann also sagen, dass meine Frau mir mein Leben gerettet hat.“ Heirat, Mietshaus, Auto, Hund, Urlaube auf Teneriffa und Madeira. „Darauf waren wir sehr stolz.“ Beide tranken täglich, aber erst nach Feierabend und deutlich weniger als früher. Also er noch eineinhalb Flaschen Wein. Meistens.

    In ihrer letzten gemeinsamen Zeit tranken beide seiner Aussage zufolge wieder mehr. Und entfernten sich voneinander. Sie pflegt soziale Kontakte, er bleibt zuhause. Sie sitzen getrennt vor dem Fernseher. Sie schlafen im selben Schlafzimmer, haben aber jahrelang keinen Sex mehr miteinander. „Trotzdem verlief das Zusammenleben mehr oder weniger harmonisch.“

    Thomas B. ist die Verlesung der Erklärung sichtlich peinlich.

    Ab etwa August 2022 war die Frau noch öfter weg und hing, wenn sie doch mal zuhause war, ständig am Handy. Und im September bestätigt sie: Sie hat jemanden kennengelernt. Die Ehe zerbricht. „Ich hatte panische Angst davor, dass mich meine Frau verlassen könnte und sich scheiden lassen will.“ Ein Leben ohne sie habe er sich nicht vorstellen könne. „Ich befürchtete, dass ich wieder alles verlieren, wieder abrutschen könnte.“ Zugleich sei er enttäuscht gewesen, habe es so empfunden, dass sie das gemeinsam Aufgebaute verrate.

    Und schließlich habe sie ihm einerseits Hoffnung gemacht, andererseits sei sie aber immer öfter und immer länger weggeblieben. Dann aber entscheidet sie sich. Und besorgt sich Anfang Dezember eine Anwältin.

    Am 4. Dezember, dem Tag der Tat, erhielt er einen Brief von der Scheidungsanwältin seiner Frau. Er begann zu trinken. Zu saufen. Kann sich nur noch vage an den Abend erinnern. Seine Frau habe ihm „in ihrer ihr eigenen resoluten Art“ mitgeteilt, dass sie die Scheidung wolle. Irgendwann sei sie nach oben ins Bad gegangen. Ihm sei klar gewesen, dass sie zu ihrem neuen Partner gehen wollte. Er erinnere sich dann noch, dass er in der offenen Badezimmertür gestanden – und seine Frau dann angegriffen habe. Er würgt sie, überwältigt sie, ringt sie zu Boden. Daran erinnert er sich laut seines Anwaltes. Auch, dass er wohl ein Kabel eingesetzt habe.

    Dieses Kabel, das war nach seinen Angaben und laut seines Anwaltes einige Tage zuvor bei einem Suizidversuch gerissen. Das Kabel stamme aus einem Ventilator, er habe sich daran erhängen wollen. Das missglückte. Er habe das Kabel im Bad liegen lassen. Und später seine Frau wohl damit erwürgt.

    „Völlig verzweifelt und hilflos“, so sei sein Gemütszustand nach der Tat gewesen. Er habe weiter getrunken. Am Morgen danach wacht er auf – und geht zur Arbeit. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, dass ich meine Frau getötet habe.“ Das will er erst zwei Tage später, am Abend bemerkt haben, als er im Badezimmer habe duschen wollen. „Ich war fassungslos und hatte schlimme Schuldgefühle.“ Er habe dann beschlossen, die Frau im Garten zu vergraben. Dadurch habe er sie noch in seiner Nähe, dachte er.

    „Mit der Tat habe ich nicht nur das Leben eines großartigen Menschen ausgelöscht, sondern auch das Leben des einzigen Menschen, der mir etwas bedeutet hat.“ Es tue ihm sehr leid, lässt B. verlauten.

    Am 18. Dezember meldete eine Arbeitskollegin aus einem Pflegeheim die Frau bei der Polizei als vermisst. Sonja B. arbeitete dort tageweise auf geringfügiger Basis. Und sie erschien überraschenderweise nicht zum Dienst am 17. Dezember. Die Ermittlungen beginnen, Streifenbeamte fahren das Haus mehrfach an, klingeln, lassen den Fall nicht ruhen. Sie ermitteln im Umfeld. Stellen fest, dass das Auto der Vermissten noch in der Garage steht und es am 4. Dezember den letzten Kontakt mit dem neuen Partner gegeben habe, dessen Existenz sie auch ermitteln konnten.

    Vor allem der mit dem Fall betraute Streifenpolizist wittert ein Verbrechen. Er bleibt dran, gibt die Akte dann weiter an die Kripo. Diese ermittelt ab dem 20., zieht die Schlinge immer enger. Am 23. Dezember finden Kriminaltechniker schließlich die vergrabene Leiche im Garten.

    Wie der ermittelnde Kripo-Beamte erzählt, sei B. während der laufenden Ermittlungen völlig ruhig geblieben, für alles eine Erklärung gehabt, keine Gefühlsregungen gezeigt. Nicht einmal, als sie sich im Garten umsehen, am Grab der Frau, sogar. Da soll der Mann rauchend auf dem Balkon gestanden und einfach zugesehen haben. Aufgeräumt, muss er gewirkt haben. Nicht wie einer, mit dem etwas nicht stimmt, wie es der Kripo-Beamte formuliert. Und nicht wie einer, der seine Frau umgebracht und vergraben hat.

    Der Prozess wird in den nächsten Tagen fortgesetzt, ein Urteil ist für diese Woche zu erwarten.

    *Name geändert

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Am Montagmorgen hat der Prozess gegen einen 50-Jährigen begonnen, der im Dezember 2022 seine Frau zunächst getötet und dann im Garten des gemeinsamen Hauses in der Tannstraße in Rottweil verscharrt haben soll. Es zeichnete sich ein Bild eines jahrzehntelangen exzessiven Trinkers, eines obdachlosen Herumtreibers. Eines Mannes, der dank der Obdachlosenhilfe der Spittelmühle eigentlich in einem sicheren Job und einem Eheleben ankam – mit einer Frau mit gleicher Lebensgeschichte zur Miete in einem Einfamilienhaus in bevorzugter Wohnlage in Rottweil. Als dieses Eheleben auseinander zu brechen drohte, drehte er offenbar durch. Er gibt das zu, gesteht über seinen Anwalt. Und bedauert seine Tat.

    (Rottweil). Geschützt von einer Handakte, gefesselt an Händen und Füßen, begleitet von einem Justizbeamten, betritt der mutmaßliche Mörder den Gerichtssaal: blau-weißes Flanellhemd, offen über dem T-Shirt getragen, raspelkurze Haare, gerötete Haut, Brille mit größerer Sehstärke. Die Hände hat er im Schoß gefaltet, mit auch durch die Brille großen, erstaunten Augen blickt er ins Rund. Später, als er seine Angaben macht, spricht er langsam. In kurzen, sehr übersichtlichen Sätzen.

    Thomas B.*, rheinischer Dialekt. Ein Bauhelfer, angestellt bei einer Rottweiler Baufirma. Er erzählt: „Ich bin bei meiner Oma großgeworden“, als die gestorben sei, habe es ihm den Boden unter den Füßen weggerissen. Das war in den 80-er Jahren. Er kennt inzwischen Obdachlosigkeit, nachdem er keine Miete mehr bezahlt hat, ist alkoholabhängig – und lernte irgendwann seine Frau kennen. „Ein Leben in Kurzfassung“, wie der Vorsitzender Richter der Rottweiler Strafkammer das zusammenfasste. B.s Leben passte in vier, fünf Sätze.

    Also beginnt der Richter ein Interview. Geduldig, Schritt für Schritt. Frage um Frage, kurze Antworten. „Was war das Problem, dass Sie kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hatten?“ „Ich weiß es nicht, ich wollte lieber ins Heim.“ Später, als er doch wieder bei der Mutter lebte: „Wie viele Zimmer hatte die Wohnung?“ „Eins, zwei, drei Zimmer, Küche Bad.“ „Wie viel haben Sie während seiner Lehrzeit so getrunken?“ „Sechs, sieben Flaschen Bier.“ „Wie groß?“ „Null Fünf.“ „Pro Tag?“ „Pro Tag.“ Später beim Bund waren es dann schon zehn bis zwölf. Und in seiner Zeit einer Dachdeckerlehre fällt er nach einer Sauftour besoffen von einer Mauer. Und bricht die Ausbildung ab. Er trinkt, bezieht Arbeitslosengeld, landet auf der Straße. Mit nichts „als den Klamotten am Leib.“ Das war mit Anfang 20. „Beschreiben Sie mal Ihr Leben.“ “Im Sommer war es gar nicht mal so schlecht.“ Er landet bei „25 Dosen à 0,5 am Tag“. Später bei literweise Wein. „Die haben damals glaub eine Mark Neunundsiebzig gekostet, die waren billig. Pennerwein, hat man die genannt.“ Schließlich landet er bei „anderthalb Flaschen Doppelkorn.“

    Wie er aus all dem herauskam? Durch die intensive Unterstützung der Spittelmühle Rottweil und ihres damaligen Leiters Dietmar Greuter. Dieser brachte ihn, in aller Kürze ausgedrückt, wieder auf die Füße. Und seine neue Partnerin, seine spätere Frau gab ihm Halt. Bis er nicht zulassen wollte, dass sie ihn verlässt.

    So offen, wie B. das alles beantwortet, wird er es nicht fortsetzen. Nur zur Person will er Angaben machen. „Es wird eine Verlesung durch mich geben“, so sein Anwalt Benjamin Waldmüller vor Prozessbeginn im Gespräch mit der NRWZ. Der Mann befürchte, dass zu viel aus seinem Privatleben nach außen, an die Öffentlichkeit dringen könnte. Zu seinem Sexualleben, etwa. Er wolle daher beantragen, die Öffentlichkeit auszuschließen, so Waldmüller. Er ist Pflichtverteidiger von B. Aber auch Fachanwalt für Strafrecht, ein Profi.

    Im Zuschauerraum: einige Menschen älteren Semesters. Ein guter Teil Tannstraße, so scheint es, die Nachbarn. Die früheren Nachbarn, der Mann sitzt derzeit im Gefängnis, in Untersuchungshaft. Der Prozess findet ohne größere Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Kammer des Landgerichts erwartet keine Störungen.

    Es ist ein schöner Tag, um einen Mordprozess zu beginnen, die Sonne flutet in den großen Schwurgerichtssaal hinein, als habe auch sie ein Interesse daran, dass die Wahrheit ans Licht kommt und der Täter überführt wird. Ein so großes Interesse, dass sie ausgesperrt wird. Rollos verdunkeln den Raum.

    Der Prozess kann dann nach einer kurzen Unterbrechung wirklich beginnen. Ein Zuschauer, ein älterer Mann, hat noch rasch ein Foto gemacht. Er muss sein Smartphone auf Befehl eines Justizbeamten abgeben, das Foto wird gelöscht. Besuchern ist das Fotografieren nicht gestattet.

    Der Fall: Thomas B.s Frau Sonja* hatte ein Verhältnis. Sie führte es spätestens seit November 2022 offen, war schon nächteweise außer Haus, nächtigte bei ihrem neuen Freund, der ganz in der Nähe wohnt, sozusagen nur ums Eck. Unter den Eheleuten B. war es mehrfach schon zum Streit gekommen. Als sie wieder einmal zu ihrem neuen Freund gehen wollte, griff er sie an. Sie war da gerade im Bad im ersten Stock, um sich zurechtzumachen. „Er legte ein Stromkabel um den Hals seiner Frau und zog zu“, so der Staatsanwalt. Später werden wir erfahren: Das Kabel war einige Tage zuvor bei einem Suizidversuch des Mannes gerissen. Dann habe der Mann die Frau für Tage im Bad liegen lassen. Und sich daraufhin entschieden, die Leiche zu beseitigen.

    Später wurde die Frau dann an ihrer Arbeitsstelle vermisst. Dass ein Verbrechen geschehen sein könnte, ahnt aber da noch niemand.

    B. besorgte Estrichbeton und Blumenerde bei zwei verschiedenen Baumärkten. Das Einfamilienhaus der B.s liegt an einem Erdwall zur Schramberger Straße, einer Ausfallstraße in Rottweil. In diesem Lärmschutzwall sollte die Leiche dauerhaft verschwinden. Dort hob B. eine Grube aus, dort vergrub er die Getötete, heißt es in der Anklageschrift. Erst rund drei Wochen später, kurz vor Weihnachten, fand die Polizei sie.

    „Vor der Tat hatte der Mann eine nicht bekannte Menge an Alkohol getrunken“, so der Staatsanwalt in seiner Anklage. Der Alkoholkonsum und eine Anpassungsstörung angesichts der bevorstehenden Trennung ließen für möglich erscheinen, dass der Mann nicht voll schuldfähig sein könnte. Dennoch wird ihm der Prozess wegen Mordes gemacht. Er wird die nächsten Jahre, bei einer Verurteilung, jedenfalls nicht in Freiheit verbringen. Entweder im Gefängnis oder in der Psychiatrie.

    B.s Anwalt spricht im Prozess für den Mann über die Tat. Und die Hintergründe. Zuvor hatte der Rechtsanwalt noch angekündigt, auf Bitten seines Mandanten während der Verlesung des Schriftsatzes die Öffentlichkeit auszuschließen zu wollen. Dazu kam es dann nach einer Besprechung zwischen Anwalt und Mandant dann doch nicht. Die Kammer hatte auch schon durchblicken lassen, dass die Öffentlichkeit ein großes Interesse daran habe, die Details zu erfahren. Also bekamen die Anwesenden etwa zu hören:

    „Meine Frau war der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich habe sie sehr geliebt. In der Nacht habe ich sie getötet. Bis heute kann ich nicht erklären, wie es dazu gekommen ist.“ Dieses Geständnis verlas Anwalt Waldmüller im Namen seines Mandanten.

    Und weiter: Während seiner Kindheit sei er mehrfach sexuell missbraucht worden. Der Tod der Oma habe ihm die Füße unter dem Boden weggerissen. Seither hatte er keine Bezugsperson mehr. „Mir ist nicht bekannt, ob meine Mutter und meine Geschwister noch am Leben sind.“ In der Spittelmühle lernte er seine Frau kennen. Beide obdachlos, beide alkoholkrank. Mit ihr habe er Ende 20 seinen ersten Sexualkontakt gehabt. Sie habe sein Leben verändert. „Sie hat mir den Weg gezeigt, und ich bin marschiert.“ Ohne sie hätte er sich irgendwann tot gesoffen, „Man kann also sagen, dass meine Frau mir mein Leben gerettet hat.“ Heirat, Mietshaus, Auto, Hund, Urlaube auf Teneriffa und Madeira. „Darauf waren wir sehr stolz.“ Beide tranken täglich, aber erst nach Feierabend und deutlich weniger als früher. Also er noch eineinhalb Flaschen Wein. Meistens.

    In ihrer letzten gemeinsamen Zeit tranken beide seiner Aussage zufolge wieder mehr. Und entfernten sich voneinander. Sie pflegt soziale Kontakte, er bleibt zuhause. Sie sitzen getrennt vor dem Fernseher. Sie schlafen im selben Schlafzimmer, haben aber jahrelang keinen Sex mehr miteinander. „Trotzdem verlief das Zusammenleben mehr oder weniger harmonisch.“

    Thomas B. ist die Verlesung der Erklärung sichtlich peinlich.

    Ab etwa August 2022 war die Frau noch öfter weg und hing, wenn sie doch mal zuhause war, ständig am Handy. Und im September bestätigt sie: Sie hat jemanden kennengelernt. Die Ehe zerbricht. „Ich hatte panische Angst davor, dass mich meine Frau verlassen könnte und sich scheiden lassen will.“ Ein Leben ohne sie habe er sich nicht vorstellen könne. „Ich befürchtete, dass ich wieder alles verlieren, wieder abrutschen könnte.“ Zugleich sei er enttäuscht gewesen, habe es so empfunden, dass sie das gemeinsam Aufgebaute verrate.

    Und schließlich habe sie ihm einerseits Hoffnung gemacht, andererseits sei sie aber immer öfter und immer länger weggeblieben. Dann aber entscheidet sie sich. Und besorgt sich Anfang Dezember eine Anwältin.

    Am 4. Dezember, dem Tag der Tat, erhielt er einen Brief von der Scheidungsanwältin seiner Frau. Er begann zu trinken. Zu saufen. Kann sich nur noch vage an den Abend erinnern. Seine Frau habe ihm „in ihrer ihr eigenen resoluten Art“ mitgeteilt, dass sie die Scheidung wolle. Irgendwann sei sie nach oben ins Bad gegangen. Ihm sei klar gewesen, dass sie zu ihrem neuen Partner gehen wollte. Er erinnere sich dann noch, dass er in der offenen Badezimmertür gestanden – und seine Frau dann angegriffen habe. Er würgt sie, überwältigt sie, ringt sie zu Boden. Daran erinnert er sich laut seines Anwaltes. Auch, dass er wohl ein Kabel eingesetzt habe.

    Dieses Kabel, das war nach seinen Angaben und laut seines Anwaltes einige Tage zuvor bei einem Suizidversuch gerissen. Das Kabel stamme aus einem Ventilator, er habe sich daran erhängen wollen. Das missglückte. Er habe das Kabel im Bad liegen lassen. Und später seine Frau wohl damit erwürgt.

    „Völlig verzweifelt und hilflos“, so sei sein Gemütszustand nach der Tat gewesen. Er habe weiter getrunken. Am Morgen danach wacht er auf – und geht zur Arbeit. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, dass ich meine Frau getötet habe.“ Das will er erst zwei Tage später, am Abend bemerkt haben, als er im Badezimmer habe duschen wollen. „Ich war fassungslos und hatte schlimme Schuldgefühle.“ Er habe dann beschlossen, die Frau im Garten zu vergraben. Dadurch habe er sie noch in seiner Nähe, dachte er.

    „Mit der Tat habe ich nicht nur das Leben eines großartigen Menschen ausgelöscht, sondern auch das Leben des einzigen Menschen, der mir etwas bedeutet hat.“ Es tue ihm sehr leid, lässt B. verlauten.

    Am 18. Dezember meldete eine Arbeitskollegin aus einem Pflegeheim die Frau bei der Polizei als vermisst. Sonja B. arbeitete dort tageweise auf geringfügiger Basis. Und sie erschien überraschenderweise nicht zum Dienst am 17. Dezember. Die Ermittlungen beginnen, Streifenbeamte fahren das Haus mehrfach an, klingeln, lassen den Fall nicht ruhen. Sie ermitteln im Umfeld. Stellen fest, dass das Auto der Vermissten noch in der Garage steht und es am 4. Dezember den letzten Kontakt mit dem neuen Partner gegeben habe, dessen Existenz sie auch ermitteln konnten.

    Vor allem der mit dem Fall betraute Streifenpolizist wittert ein Verbrechen. Er bleibt dran, gibt die Akte dann weiter an die Kripo. Diese ermittelt ab dem 20., zieht die Schlinge immer enger. Am 23. Dezember finden Kriminaltechniker schließlich die vergrabene Leiche im Garten.

    Wie der ermittelnde Kripo-Beamte erzählt, sei B. während der laufenden Ermittlungen völlig ruhig geblieben, für alles eine Erklärung gehabt, keine Gefühlsregungen gezeigt. Nicht einmal, als sie sich im Garten umsehen, am Grab der Frau, sogar. Da soll der Mann rauchend auf dem Balkon gestanden und einfach zugesehen haben. Aufgeräumt, muss er gewirkt haben. Nicht wie einer, mit dem etwas nicht stimmt, wie es der Kripo-Beamte formuliert. Und nicht wie einer, der seine Frau umgebracht und vergraben hat.

    Der Prozess wird in den nächsten Tagen fortgesetzt, ein Urteil ist für diese Woche zu erwarten.

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