Nachdenklich, aber auch humorvoll und verspielt: Das Zimmertheater fühlt in der Produktion „Barbie or not to be“ Fragen der Zeit auf den Zahn.
Es geht um viel in dieser Stückentwicklung, also einem selbst konzipierten Bühnenabend, mit dem das Zimmertheater erneut Fördermittel einwerben konnte, ohne die ein Spielbetrieb kaum möglich wäre: Zentral ist der verschärfte Abrieb, den die Corona-Phase der Gesellschaft verpasst hat – und die sich etwa daran zeigt, dass Verbindendes und Verständnis schwinden, während Fliehkräfte und Gereiztheit zunehmen.
Aber Regisseur Peter Staatsmann schiebt nicht alles auf die Rüttelstrecke der Pandemie. Er zeigt vielmehr, dass die auch ohnehin wirksame Tendenzen nur aufgezeigt und verstärkt hat – etwa das Abbröckeln einer gemeinsamen Werte- und Symbolbasis oder die Anfälligkeit für Extreme.
Zum Glück wird diese Großanalyse, bei der gefühlt fast die gesamte Gegenwart auf der Therapeuten-Couch liegt, mit viel spielerischem Schwung und jeder Menge Inszenierungs-Ideen in Theater transformiert. Zwei Ebenen stehen nebeneinander: Einerseits wird für eine Theater-Adaption des Kino-Krachers „Barbie“ gecastet – und dabei mit verhandelt, wie gefällig Theater sein soll und wie gerade Frauen in Rollen und Erwartungen verstrickt sind. Andererseits taucht man ein in Shakespeares „Hamlet“. Diese Ebenen stehen nebeneinander, werden aber auch verschränkt.
Verbindend ist ein Gefühl von Gefahr und Herausforderung: Denn dass Hamlet nach dem Mord an seinem Vater eine aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringen soll, findet auch in den Barbie-Teilen Resonanz: Bei allem konsumistischem Zuckerguss erscheint die Gegenwart mindestens widersprüchlich, wenn nicht gar morsch wie Hamlets Dänenreich. Und hinter allem steckt an diesem Abend auch die Frage, was Theater heute noch kann und soll.
In Szene gesetzt wird das bei allem Ernst mit viel Witz und Spielfreude: Auf einem plüschig-pinken Catwalk lässt Peter Staatsmann das Ensemble Posen und Leitideen der Gegenwart ausstellen. Und drumherum wird eine breite darstellerische Klaviatur zum Klingen gebracht – mit Gruppendynamik, quirliger Interaktion, Tanz und Musik ebenso, wie mit Video-Einspielungen oder konzentriert- ruhigen Szenen, in denen Akteure ganz bei sich und enorm präsent sind.
Da wird auch wieder spürbar, was Theater aus- und unersetztlich macht: die ganz eigene Dimension und Kraft, die in der Kopräsenz von Menschen mit Menschen frei wird. Die existenziell berührt. Und die keine noch so tolle Digital-Illusion toppen kann.
Es ist ein starkes Quartett, dass die vielen Themen und Thesen in Mehrfach-Rollen mit Leben erfüllt: Martin Olbertz repräsentiert als Jetzt-Schauspieler und vor allem als Geist von Hamlets gemordetem Vater eine erfahrene, sehr kultivierte Theater-Tradition, die jedes Wort samt Sinn genau nimmt, dabei aber zerbrechlich scheint.
Lukas Kientzler verkörpert als Barbie-Regisseur und Hamlet einen jungen Gegenpart, mutig und glühend für die Bühnenkunst, jedoch auch sehr zergrübelt. Mailin Klinger bringt als Barbie-Aspirantin Tina sowie als eine von zwei Ophelias jede Menge Präsenz und Power ins Setting, gepaart mit erfrischender Selbstironie.
Mit besonderer Vielschichtigkeit beeindruckt Valentina Sadiku. Die Ton- und Gefühlslagen, die sie als Gegenwarts-Gina sowie als andere Ophelia einbringt, gehören zum Berührendsten dieser Inszenierung. Der Dorin Grama wieder einmal mit Livemusik viel Atmosphäre verleiht.
Am Ende dieses dichten Theaterabends, der mit Barbie Banalitäten der Gegenwart mit dem ungeschminkten Ernst eines Hamlets in Zwiesprache bringt, denkt man: Wow, jetzt sollte man sich das Ganze einfach nochmal ansehen. Das Schöne: Gelegenheit dazu bietet sich bis Silvester mehrmals.
Info: Karten gibt es unter info@zimmertheater-rottweil.de oder 0741-8990 sowie den bekannten bei den Vorverkaufsstellen für 16 bzw. 8 Euro. Weitere Spieltermine: sind am 24. November, sowie am 8., 29., 30. und 31. Dezember, Beginn immer um 20 Uhr.