Howard Carpendale und der Rottweiler Ferienzauber sagen stilvoll: „Hello again“

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Das hatte Stil: Howard Carpendale, inzwischen 76 und vor wenigen Tagen erst von einer Coronainfektion genesen, interpretierte warm, von guten jungen Stimmen unterstützt und in feines Licht getaucht seine größten Hits. Es geschah am Freitagabend im Rahmen der „Show seines Lebens“. Das Ambiente gab der Rottweiler Ferienzauber mit seinem einzigartigen Kraftwerk. Laut Carpendale endlich mal eine Location, „die älter ist als ich“, wie der Entertainer bei der Ankunft gescherzt haben soll. Was als schlichte Schlagerparty begann, wurde zu einem großen Konzertabend.

Howard Carpendale ist ein Musikmagier der alten Schule. Er benötigt keinen raumgreifenden Auftritt. Er braucht nur einen Hocker, mitten auf der Bühne (zudem ihm angeblich sein Arzt empfohlen hat, sich nicht zu sehr anzustrengen und zu bewegen, wie der Sänger eingangs augenzwinkernd scherzt). Und er muss seine Hits einfach nur singen. Ihnen wohnt die Kraft inne, teils seit vielen Jahrzehnten. „Die Show meines Lebens“, will er bieten. Eigentlich ein Best-of, aber eben angeordnet zu einem gut 60-minütigen Konzertabend. Eine Auswahl seiner schönsten und eingängigsten Songs. Die erzählen nicht nur von Liebe, viel öfter von Trennung, von Einsamkeit. Es sind Lieder, die auch wegschicken („Geh‘ doch“), die eine Bandbreite aufweisen, wie sie der Schlager an sich nicht (mehr) kennt.

So sagt Carpendale an diesem späten Freitagabend im Rottweiler Kraftwerk zum Start des Ferienzaubers einfach „Hello again“, und ist da. Präsent, stark, aussagekräftig. Wie das Festival selbst, das 2020 pausierte und 2021 nicht im Kraftwerk stattfinden konnte. 2022 ist es nachdenklich zurück, und das passt gut: Die Zeit mit Howard Carpendale ist kein schlichter Gute-Laune-Abend. Die Menschen haben auch seine Botschaften zu Krieg und Frieden mitbekommen.

Bildergalerie, Fotos: Ralf Graner & gg

Howard Carpendale im Kraftwerk in Rottweil, Fotos: Peter Arnegger
Brachte eine Sänderin und drei Sänger mit, die ihn unterstützten: Howard Carpendale. Foto: Silas Stein

Zuvor: Party- und Schmuse-Schlagerhits. Ein junger Kerl namens Tim Peters singt „auf die nächsten 30 Jahre“. Peters sprang kurzfristig ein, weil Marie Reim abgesagt hat, krank ist. Reim wiederum hätte eigentlich für Eloy de Jong auftreten sollen, der aber lieber ins TV schlüpfte, den Abend mit Florian Silbereisen und wohl ein paar Millionen Menschen verbrachte, statt mit gut 1200 in Rottweil. Da muss es in Deutschland eine Fabrik geben, die Schlagerinterpreten herstellt. Da muss ein Bus herumfahren, vielleicht von Silbereisen-Reisen, der rasch eine Sängerin oder einen Sänger anliefert. De Jong ist gerade nicht verfügbar, aber wir hätten die junge Reim. Oh, sie ist leider unpässlich, dann nehmen wir doch den jungen Peters.

Tim Peters …
… und Julian David. Fotos: Peter Arnegger

Anschließend, wie angesagt, diesem Peters aber irgendwie zum Verwechseln ähnlich: Julian David. Noch mehr Partymucke. Bis dahin ist es der Abend der schlanken Strahlejungs (Männer wäre ein wenig zu dick aufgetragen) in Jeans Größe 28. Netter, unterhaltsamer Pop mit fetten Beats. Die Fans freut’s. Von David lernen wir: „Am Ende des Tages ist am Anfang der Nacht.“ Am Schluss singt er Sachen von Andrea Berg und Helene Fischer. Den Fans gefällt auch das. Sie machten ihn atemlos, sagt er. Den Titel singt er. Hui, was ein Wortwitz.

Dann endlich: Auftritt Archie Armleder, ein verlässlicher Fixpunkt in der Menge des eher Beliebigen. Er kündigt Carpendale an. Es folgt eine kurze Pause. Der Meister wird sehnsüchtig erwartet. Ladys mittleren Alters singen, nein rufen laut im Chor: „Ti amo“!

Und er: Sagt einfach nur, lächelnd, nicht strahlend: „Hello again“. Weiß, es ist bald „Samstagnacht und Du hast nur Deine Lieder“. So geht deutscher Schlager, so geht er seit Jahrzehnten, seit ungefähr so vielen, wie der Sänger selbst zählt. Seit 56 Jahren singe er, teilt er mit. Und zum ersten Mal in Rottweil. Es sei übrigens klasse, dass Rottweil eine Rugbymannschaft habe. Auch sonst sei das eine schöne Stadt. Typisch Carpendale: Er macht gerne Komplimente.

Publikum im Kraftwerk.
Die ersten Reihen, die teuersten Plätze. Fotos: Silas Stein

1250 Menschen sind im „Kolossaal“ des Rottweiler Kraftwerks. Es könnte noch etwas enger zugehen, es sind nicht ganz alle Tickets verkauft, aber fast alle. Etwa 50 bleiben übrig. Ihr Preis: stolz, rund 60 Euro.

Carpendale reiht Hit an Hit, schließlich sei es kalt im Saal, man müsse sich ein wenig bewegen, scherzt er (längst haben die vielen hundert Menschen die Mittagshitze reingetragen, wabert sie durch die alten Hallen, macht sie sie fast zu einer Sauna). Und zack, „Ti amo“. Da ist es. Schon der dritte Titel, viele singen, alle schunkeln. Er hat eine Sängerin und drei Sänger dabei, die zu seiner sonoren weitere Stimmen liefern, die ihn doppeln, auch gelegentlich stützen. So ganz trägt Carpendales Stimme allein nicht an diesem Abend. Er wirkt etwas atemlos. Aber dabei mit wesentlich mehr Stil als sein junger Vorgänger.

Carpendale liefert das zum Halbplayback, er und seine Sängerin und Sänger singen live, die Musik kommt vom Band. Mit echten Musikern ist immer schöner, aber es geht gut auch so.

Der Mann kann aus dem Vollen schöpfen. Mit einem uralten Song von 1970, enstanden also vor 52 Jahren. Er handelt vom „Schönen Mädchen auf Seite 1“. Das Lied ist modernisiert worden, kommt jetzt mit Rapeinlage von Carpendales jungem Background-Sänger. Und Beatboxing. Cool. Frisch, aber nicht anbiedernd. Das ist immer noch Carpendale. Der übrigens nicht „Howie“ genannt werden möchte.

Der Entertainer – Sneakers, schwarze, leger sitzende Jeans, Sakko, Schalhat sichtlichen Spaß. Ein Mann, den es auf die Bühne treibt. Ein Anekdotenerzähler, der aber auch sehr ernste Töne anschlägt. Es gehe natürlich darum, dass die Leute tanzen und lachen und einen schönen Abend haben, dafür trete er auf. Aber auch für eine friedliche Welt, für die trete er an. Mit dem alten Song vom „Astronaut“, dessen Abstand von der Erde, dessen Überblick er gerne hätte: „Wie verkehrt wir vieles machen – vielleicht würden wir versteh’n“, heißt es in dem Lied von 1996.

„Nachts, wenn alles schläft …“, folgt sehr zur Freude des Publikums. Carpendale hat 700 eigene Titel zur Verfügung, hier die richtige Auswahl zu treffen, ist die Herausforderung, die ihm allerdings gelungen ist. Man stellt ihn sich dabei an seinem Sekretär vor: einen Block guten Papiers vor sich, einen Montblanc-Füller in der Hand. Und ganz oben steht, entschieden und mit schwungvoller Geste geschrieben: „Hello again“.

Doch wir sind bereits bei den Zugaben. Es ist einer der Songs dran, die vielleicht am deutlichsten für Carpendales Schaffen stehen. Der Titel kommt nicht vom Band, Carpendale lässt sich von einer Akustikgitarre begleiten. „Dann geh‘ doch.“ Dieses nachdenkliche, traurig-entschlossene Ding im feinen Zweivierteltakt. Großer Jubel.

Ja, Schlager kann ernsthaft sein. Das beweist dieser Carpendale. O-Ton, an die Entscheider und Politiker dieser Welt gerichtet: „99,9 Prozent der Menschen auf dieser Erde haben keine Lust auf Eure beschissenen Kriege“. Kräftiger Applaus.

Dann: eigentlich Ende. Stehende Ovationen auch bei jenen, die besonders viel Geld bezahlt haben, um vorn sitzen zu dürfen. Und schließlich doch noch ein eingängiger Schlager. Ein versöhnlicher Abschied. Die Leute wollen noch mehr, Carpendale nicht mehr. Er weiß: Es war bereits ein runder, ein toller Abend. Der draußen, im „Garten Eden“, in die Verlängerung geht. Hier wieder in Partystimmung: „Über den Wolken …“

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.