Hauser-Preis: Kritischer Blick auf Blicke

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Blicke sind Macht. So spitzt es die diesjährige Trägerin des Erich-Hauser-Werkstattpreises Zuzanna Czebatul zu – und fragt mit skulpturalen Arbeiten nach Phänomenen von Anschauung, von Sehen und Gesehen-Werden. Ab Samstag ist ihr kurz und griffig mit „Der Blick“ betiteltes Kunst-Projekt auf der in Rottweil Saline zu entdecken.

In Alltag und Sprache sind sie allgegenwärtig: Man oder frau ist Blicken ausgesetzt, nimmt einen Blickwinkel ein, bekommt einen Einblick – die Reihe ließe sich fortsetzen. Keine Frage: Blicke formen unsere Sicht der Welt. Und unsere Beziehung zu ihr.

Für diese Grundeinsicht schärft die Bildhauerin Zuzanna Czebatul mit ihrem neuesten Projekt – ja, man muss es so sagen: den Blick. Sie geht jedoch noch weiter. Denn Czebatul, 1986 in Polen geboren, thematisiert in vielen ihrer Arbeiten nicht nur Sehgewohnheiten, sondern auch Rollenmuster und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Hinterfragt Rollenmuster: Hauser-Werkstattpreisträgering Zuzanna Czebatul. Foto: Stini Röhrs

Sie zielt damit auf Strukturen in Gesellschaften, die kritisch als Herrschaftssysteme angesprochen werden können. Den Werkstatt-Preis hat sie genutzt, um nach Machtverhältnissen im Blick von Männern auf Frauen und umgekehrt zu fragen. „In der Kunst schauen meist Männer auf Frauen“, erklärt sie in im Gespräch mit der NRWZ. Meist geht es dabei um Körperlichkeit, im Extremfall um Nacktheit, für deren Darstellung Künstler sogar biblische Themen nutzten.

Diese Ungleichheit stellt Zuzanna Czebatul in ihrem Projekt auf den Kopf: Acht Skulpturen aus Plexiglas zeigen männliche Körper in Lebensgröße. „Null-acht-fünfzehn-Männer aller Altersgruppen“, erläutert die Bildhauerin. Hinzu kommt freilich: Czetabul hat die Männer von hinten dargestellt, während diese auf etwas oder jemand anderes blicken. „Den männlichen Blick von hinten“ hat die Bildhauerin thematisiert. Und damit die häufig an das Geschlecht gebundene Rollenverteilung von Akteur und Gegenstand, von Betrachter und Betrachtetem, umgekehrt.

„Mir geht es besonders um das Ausgesetzt-Sein und das Machtgefüge in Blicken“, unterstreicht Zuzanna Czebatul. Indem sie Männer zu Objekten macht, hebelt sie die gängige Blickarchitektur aus. Und öffnet mit dem Überraschungseffekt auch ein Blickfeld für Machtfragen, die sich hinter dem rein Visuellen auftun. Als „feministisch“ will die Künstlerin diesen Impuls nicht bezeichnen. „Gesellsellschaftskritisch“ scheint ihr der bessere Begriff.

Blick ins Werkzeug-Arsenal, das auf der Hauser-Saline zum Einsatz kam. Foto: privat

Zuzanna Czebatul will sensibilisieren für Fragen von Macht und Ohnmacht, will die Wahrnehmung schärfen für patriarchale und koloniale Strukturen, will Diskurse verflechten und in Dialog setzen. Dabei hat sie durchaus eine Vision: „Warum können nicht alle gleichermaßen betrachten und betrachtet werden?“, fragt die Bildhauerin – mit Blick auf ihr Saline-Projekt und weit darüber hinaus.

Erich Hauser war beim aktuellen Arbeitsprozess übrigens eine zwiespältige Bezugsgröße. Wie er sich auf der Saline Lebensträume verwirklichte, das findet Zuzanna Czebatul durchaus eindrucksvoll. „Aber die Skulpturen wirkten auf mich anfangs brutal und aggressiv“, erzählt sie. Hauser ist für sie ein Künstler aus einer Generation, die abgelöst ist. „Heute könnte man nicht mehr so agieren“, sagt die Bildhauerin.

Die Sockel für die Plexiglas-Skulpturen während dem Arbeitsprozess. Foto: privat

Erst allmählich hat sie auch in Skulpturen Erich Hausers eine Nahbarkeit entdeckt, die ihr in eigenen Arbeiten so wichtig ist. Als kleine Reminiszenz an Hauser hat die Czebatul immerhin ihre Skulpturen auf Edelstahl-Podeste gestellt – unterstützt von Gerhard Link, dem ehemaligen Werkstattleiter Hausers. Die blitzenden Boxen bilden einen adretten Kontrast zu den alltäglich wirkenden Mannsbildern, die Zuzanna Czebatul ins Blickfeld rückt. Die glänzenden Sockel machen die Figuren noch mehr zum exponierten Objekt. Sie verleihen ihnen, was Erich Hauser wohl gefiele, allerdings auch etwas mehr Würde. Und mildern damit das harte Machtgefälle in den Blicken ein wenig ab.

Info: Die Ausstellung in der Werkstatthalle der Kunststiftung Erich Hauser auf der Saline wird am 22. Oktober um 16 Uhr eröffnet und ist bis 20. November zu sehen. Der Eintritt ist kostenfrei. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags und mittwochs von 16 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter info@erichhauser.de oder Tel. 0741-28001830. 

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Für diese Grundeinsicht schärft die Bildhauerin Zuzanna Czebatul mit ihrem neuesten Projekt – ja, man muss es so sagen: den Blick. Sie geht jedoch noch weiter. Denn Czebatul, 1986 in Polen geboren, thematisiert in vielen ihrer Arbeiten nicht nur Sehgewohnheiten, sondern auch Rollenmuster und Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Hinterfragt Rollenmuster: Hauser-Werkstattpreisträgering Zuzanna Czebatul. Foto: Stini Röhrs

Sie zielt damit auf Strukturen in Gesellschaften, die kritisch als Herrschaftssysteme angesprochen werden können. Den Werkstatt-Preis hat sie genutzt, um nach Machtverhältnissen im Blick von Männern auf Frauen und umgekehrt zu fragen. „In der Kunst schauen meist Männer auf Frauen“, erklärt sie in im Gespräch mit der NRWZ. Meist geht es dabei um Körperlichkeit, im Extremfall um Nacktheit, für deren Darstellung Künstler sogar biblische Themen nutzten.

Diese Ungleichheit stellt Zuzanna Czebatul in ihrem Projekt auf den Kopf: Acht Skulpturen aus Plexiglas zeigen männliche Körper in Lebensgröße. „Null-acht-fünfzehn-Männer aller Altersgruppen“, erläutert die Bildhauerin. Hinzu kommt freilich: Czetabul hat die Männer von hinten dargestellt, während diese auf etwas oder jemand anderes blicken. „Den männlichen Blick von hinten“ hat die Bildhauerin thematisiert. Und damit die häufig an das Geschlecht gebundene Rollenverteilung von Akteur und Gegenstand, von Betrachter und Betrachtetem, umgekehrt.

„Mir geht es besonders um das Ausgesetzt-Sein und das Machtgefüge in Blicken“, unterstreicht Zuzanna Czebatul. Indem sie Männer zu Objekten macht, hebelt sie die gängige Blickarchitektur aus. Und öffnet mit dem Überraschungseffekt auch ein Blickfeld für Machtfragen, die sich hinter dem rein Visuellen auftun. Als „feministisch“ will die Künstlerin diesen Impuls nicht bezeichnen. „Gesellsellschaftskritisch“ scheint ihr der bessere Begriff.

Blick ins Werkzeug-Arsenal, das auf der Hauser-Saline zum Einsatz kam. Foto: privat

Zuzanna Czebatul will sensibilisieren für Fragen von Macht und Ohnmacht, will die Wahrnehmung schärfen für patriarchale und koloniale Strukturen, will Diskurse verflechten und in Dialog setzen. Dabei hat sie durchaus eine Vision: „Warum können nicht alle gleichermaßen betrachten und betrachtet werden?“, fragt die Bildhauerin – mit Blick auf ihr Saline-Projekt und weit darüber hinaus.

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Die Sockel für die Plexiglas-Skulpturen während dem Arbeitsprozess. Foto: privat

Erst allmählich hat sie auch in Skulpturen Erich Hausers eine Nahbarkeit entdeckt, die ihr in eigenen Arbeiten so wichtig ist. Als kleine Reminiszenz an Hauser hat die Czebatul immerhin ihre Skulpturen auf Edelstahl-Podeste gestellt – unterstützt von Gerhard Link, dem ehemaligen Werkstattleiter Hausers. Die blitzenden Boxen bilden einen adretten Kontrast zu den alltäglich wirkenden Mannsbildern, die Zuzanna Czebatul ins Blickfeld rückt. Die glänzenden Sockel machen die Figuren noch mehr zum exponierten Objekt. Sie verleihen ihnen, was Erich Hauser wohl gefiele, allerdings auch etwas mehr Würde. Und mildern damit das harte Machtgefälle in den Blicken ein wenig ab.

Info: Die Ausstellung in der Werkstatthalle der Kunststiftung Erich Hauser auf der Saline wird am 22. Oktober um 16 Uhr eröffnet und ist bis 20. November zu sehen. Der Eintritt ist kostenfrei. Geöffnet ist die Ausstellung dienstags und mittwochs von 16 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter info@erichhauser.de oder Tel. 0741-28001830. 

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