Um 12.30 Uhr am ersten Verhandlungstag geschah es: Der Angeklagte im Prozess um den Messerangriff auf eine Jobcenter-Mitarbeiterin in Rottweil im Januar sagte aus. Legte ein umfassendes Geständnis ab. Überraschenderweise – denn er hatte angekündigt, zu schweigen. Außerdem erfuhren die Anwesenden, wen sie hier vor sich sitzen haben, bleich und in Fußfesseln: die rechte Hand Gottes. Diese ist des versuchten Mordes angeklagt. Und seit heute ist klar: der dazu nötige Vorsatz, der war gegeben.
Zunächst erschütternde Bilder. In einer Rekonstruktion mit der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und den ermittelnden Kriminalbeamten musste das Opfer nach dem Messerangriff schildern, was passiert ist an jenem 16. Januar. Am Tatort, auf dessen Boden noch ein Blutfleck war. Ihr Blut.
Kripobeamte hatten die Tatrekonstruktion auf Video aufgenommen. Darin bitten sie Daniela E.*, die Jobcenter-Mitarbeiterin, auf die ein Kunde dreimal eingestochen hatte, genau zu erzählen, wie alles war. Wie die Möbel gestanden haben, wie der Schreibtisch ausgesehen hat („die Rettungskräfte werden einiges verändert haben“, so ein Polizist). Auf diese Weise schilderte E. am Donnerstag dem Gericht noch mal, was sie erlebt hat. Einmal in Natura am Morgen während ihrer Zeugenaussage, einmal per Video, ausgestrahlt im Verhandlungsraum. Sie schildert den Angriff, die Stiche, wie Hilfe kam, wie der Täter von ihr abließ. Alles nahezu identisch zur Aussage am Morgen. Wiederholt mehrfach, dass sie geglaubt habe: „Der sticht mich jetzt ab!“
Den mutmaßlichen Täter, Uwe B., den hat das herausgefordert. Im Stile eines, Pardon, Korinthenkackers nahm er sich einzelne Passagen der Zeugenaussage vor. So könne es doch gar nicht sein, dass die von ihm schwer verletzte Frau noch nach ihrem Schreibtischstuhl gegriffen und diesen hochgewuchtet habe, um ihren Angreifer abzuwehren. Ganz klar: Die Frau lüge. Habe sich einen Teil der Verletzungen selbst zugefügt, um die Tat zu dramatisieren. Er sei auch niemals zu spät gekommen zu dem Gesprächstermin, sie habe ihn vielmehr warten lassen, habe zunächst noch einen Kaffee getrunken. Außerdem: Sein Opfer habe doch überlebt „und es geht ihr doch offensichtlich gut“, so B. Dass Daniela B. immer noch an den Folgen der Tat leidet, das blendete er offenbar völlig aus.
Als in der Ehre verletzt. So muss man den Angeklagten beschreiben. Er, der nur getan habe, was andere, weichere Naturen, nicht geschafft hätten. Das, wozu er aufgefordert worden sei, etwa von Regierungsmächten auf Twitter. Das, wozu er getrieben worden sei, als von der Behörde bis auf ein absolutes Minimum herunter gewirtschaftetes Opfer. Demnach das, was er aus schierer Notwehr getan habe. Aber überlegt und mit langem Vorsatz. Aber er habe sie nur verletzen wollen, nicht töten. Weshalb er „nicht mit aller Wucht, sondern nur kurz zugestochen“ habe.
Das war ein Geständnis. Freiwillig abgegeben, der Angeklagte, Uwe B., hatte gar nicht das Wort. Aber angebliche Lügengeschichten gegen ihn in die Welt setzen – unerträglich. Unvorstellbar.
Er, der Abgesandte, der Ausführende des Allmächtigen: „Gott regelt alles, aber er braucht jemanden. Und das bin ich.“ Der Richter dagegen – ohne Legitimation durch Gott, „das hätte ich sonst wahrgenommen“. Unrechtmäßig hier, nur Handlanger eines totalitären Regimes.
Für die Zuhörer im Gerichtssaal schwere Kost. Ungläubige Blicke über Mund-Nasen-Schutzmasken hinweg. Aber zugleich war es mucksmäuschenstill. Sosehr man mit dem Opfer leidet und es bedauert, so sehr möchte man auch wissen, was den Täter zu seiner Tat angetrieben hat.
Dass er es war, hat Uwe B. zugegeben. Er ist also rein rechtlich nur noch ein Urteil entfernt von der Titulierung „Täter“. „Ich habe ihr zweimal in die Seite gestochen“, erklärte er. Dann ein drittes Mal zugestochen. Danach kein weiteres Mal. Warum, wie der Richter wissen wollte? „Das hat zu tun mit dem Zusammensturz (sic!) des Tempels. Wie bei Samson. Da waren es drei Säulen. Eigentlich vier, aber eine blieb stehen.“ Ratlose Gesichter im Rund.
Und, noch so ein Satz, man mag ihn anmaßend nennen: „Ich hätte nicht mehr in den Spiegel schauen können, wenn ich nichts getan hätte.“
„Ein Messer, womit man Äpfel schneidet. Oder schält.“ Das will er benutzt haben. Gekauft bei Edeka ein paar Wochen vor der Tat, hat die Kriminalpolizei herausgefunden. Für eine mögliche Tat gekauft, gab B. am Donnerstag vor Gericht zu. Also mit Vorsatz. Und zum Jobcenter-Termin mitgebracht.
Aber warum? Die Mitarbeiter des Jobcenters würden die Menschen regelrecht in die Knie zwingen, schilderte B. seine Motivation. Gesetzlich stünden allen 1200 bis 1400 Euro Hartz IV zu. Davon aber würden die Leute vom Jobcenter von vorneherein 700 Euro abziehen, mit fadenscheinigen Begründungen. Leistungskürzungen, werden das die Jobcenter-Mitarbeiter nennen, und Gründe haben sie dafür. B. aber will keinen Anlass gegeben haben, nicht den geringsten.
B. wiederholte, was er am Morgen schon angerissen aber dann nicht vertieft hatte: Er sei das Opfer. „Jemanden in den Tod zu bringen, das geht auch mit Papier“, sagte er. Er meinte Akten und amtliche Schreiben. „Diese Leute haben eine Reihe von Toten im Schlepptau“, sagte er weiter.
In seinem konkreten Fall sei es um ein neuerliches Gutachten gegangen, das die Jobcenter-Mitarbeiterin zur Klärung seiner Leistungsfähigkeit eingefordert hatte. Dass er bereits ein Gutachten über sich habe ergehen und dazu Original-Unterlagen eingereicht habe, die dann nicht mehr auffindbar gewesen seien, das habe ihn verärgert, so B. Es wechselten ohnehin ständig die Ansprechpartner beim Amt. „Die tauschen die Zimmer.“ Und sie drohten dauernd mit Leistungskürzungen, wenn man nicht mitmache.
Neues Gutachten, fehlende Unterlagen, drohende Ebbe im Geldbeutel – so geht man mit Gottes Stellvertreter offenbar nicht um.
Der Prozess wird fortgesetzt.
*Name geändert