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    Gier und Vernichtungswahn

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    Rottweil/Schramberg – Unerbittlich haben Behörden ab 1933 die Entrechtung, Beraubung und letztlich Vernichtung der jüdischen Mitbürger vorangetrieben – und viele haben davon profitiert, auch in der Region. Eine hervorragende Ausstellung im Stadtmuseum Rottweil zeigt das präzise. Am Donnerstag wird sie eröffnet.

    Grundlage der Ausstellung ist eine 2019 erschiene Publikation. Mit ihr liegen die Fakten in geradezu erschlagender Dichte auf dem Tisch: 584 eng bedruckte Seiten umfasst das Buch, das die Ergebnisse intensiver Forschungen bündelt. Es zeigt akribisch und quellennah, wie die Umsetzung der nationalsozialistischen Ausplünderungs- und Vernichtungspolitik von 1933 bis 1945 in Württemberg und Hohenzollern vonstatten ging.

    Nicht alles an diesem Panorama von Gier und Niedertracht ist neu. Aber in dieser Dichte und mit messerscharfer wissenschaftlicher Beweisführung dargestellt zu bekommen, was damals nicht irgendwo weit weg, sondern vor der Haustür im schönen „Ländle“ vor sich ging, macht immer wieder sprachlos. Zu sehen, wie unbescholtene Mitmenschen erst dämonisiert und aus dem bürgerlichen Leben verdrängt wurden. Wie sie dann schamlos ausgeraubt und schließlich ins Exil getrieben oder umgebracht wurden.

    Zentrale, besonders sprechende Ergebnisse des vom Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e. V. initiierten Projekts bereitet nun die Ausstellung auf. Sie macht deutlich, dass es leider keine Übertreibung ist, zu bilanzieren, dass die Enteignung und Existenzvernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten als die wohl umfassendste Raubaktion an einer Bevölkerungsgruppe in der neueren Geschichte Europas gelten muss.  Und zugleich fester Bestandteil eines Auslöschungs-Prozesses war, dem schließlich rund sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen.

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    Gebäude der Verlagsdruckerei Rothschild in Rottweil. Foto: Ausstellung

    Die Ausstellung macht in transparenter Weise, teils sogar mit schematischen Schaubildern die Rahmenbedingungen deutlich. Besonders stark und überzeugend ist sie jedoch da, wo sie Einzelschicksale nahebringt. Von Händlern, Unternehmern, Freiberuflern und ganz allgemein von jüdischen Mitbürgern, denen gewaltiges Unrecht zugefügt wurde.

    Zum Beispiel Wilhelm und Ernst Rothschild, die in Rottweil die „Schwarzwälder-Bürger-Zeitung“ herausgaben – ein durch und durch seriöses, liberales Blatt, das sich an Patriotismus und Heimatliebe kaum übertreffen ließ. Dennoch wurde die Familie, wie Dr. Winfried Hecht in der Publikation darlegt, gezwungen, die 1851 vom 1813 in Rottweil geborenen Mediziner Maier Joseph Rothschild gegründet worden war, im Mai 1934 einzustellen.

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    Mit diesen Zeilen verabschiedeten sich die Brüder Rothschild 1934 von ihrer Leserschaft. Foto: Ausstellung

    Oder in Schramberg: Carsten Kohlmann zeigt, wie es zum Zwangsverkauf der immerhin 1948 restituierten Majolika-Porzellanfabrik kam. Und er veranschaulicht die Geschichte des 1928 durch die  Lichtspielbetriebs GmbH Laupheim des berühmten deutsch-jüdisch-amerikanischen Filmindustriellen Carl Laemmle (1867-1939) erbauten Kinos, dessen Gebäude noch heute von der Aufbruchsdynamik der Bauhaus-Ära kündet. Nach der Machtübernahme gelang es der NSDAP-Ortsgruppe, das Kino zusehends unter ihre Kontrolle zu bringen. Im September 1935 wurde der Betreiber zum Verkauf gezwungen.

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    Kundgebung der Schramberger NSDAP am 1. Mai 1933 beim Kino. Foto: Ausstellung

    Die Liste ließe sich noch lange fortführen. In der Gesamtschau macht die Ausstellung – und mehr noch das wesentlich umfänglichere Buch, das beispielsweise auch einen lesenswerten Beitrag von Gisela Roming zur jüdischen Gemeinde in Rottweil beinhaltet – deutlich, wie viele Leben, wie viele Existenzen und auch wie viel Gründergeist, Einfallsreichtum und Tatkraft mit dem Fanatismus der Hitler-Ideologie vernichtet wurde. Neben der Trauer über so viel Leid muss man sich immer wieder auch fragen: Wie gedeihlich hätte sich vieles entwickeln können, hätte man sich damals nicht in diese Gier und diesen zerstörerischen Wahn verrannt?

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    Info: Veranstaltet wird die Ausstellung im Stadtmuseum Rottweil (Hauptstraße 20) vom Verein Ehemalige Synagoge Rottweil e. V. in Kooperation mit den Städtische Museen Rottweil. Weitere Partner sind der Geschichts- und Altertumsverein Rottweil, die Initiative Gedenkstätte Eckerwald, die Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/Villingen-Schwenningen sowie die Volkshochschule Rottweil.

    Eröffnet wird die Ausstellung am 22. Juni um 18 Uhr mit Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf. Bis 10. September 2023 ist sie währen der regulären Öffnungszeiten des Stadtmuseums dienstags bis sonntags, 14 bis 16 Uhr, zugänglich.

    Am 20. Juli wird Dr. Martin Ulmer, einer der Kuratoren, ab 18 Uhr durch die Ausstellung führen. Der Eintritt zur Ausstellung und zur Führung ist frei.

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    Titelbild: Feindbild jüdischer Viehhändler: Männer wie Max Pressburger, Inhaber einer Viehhandlung in Rexingen (auf einer Aufnahme aus den 1920er Jahren), gerieten in ganz Württemberg und Hohenzollern früh ins Visier antisemitischer NS-Kampagnen. Foto: Ausstellung

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    Grundlage der Ausstellung ist eine 2019 erschiene Publikation. Mit ihr liegen die Fakten in geradezu erschlagender Dichte auf dem Tisch: 584 eng bedruckte Seiten umfasst das Buch, das die Ergebnisse intensiver Forschungen bündelt. Es zeigt akribisch und quellennah, wie die Umsetzung der nationalsozialistischen Ausplünderungs- und Vernichtungspolitik von 1933 bis 1945 in Württemberg und Hohenzollern vonstatten ging.

    Nicht alles an diesem Panorama von Gier und Niedertracht ist neu. Aber in dieser Dichte und mit messerscharfer wissenschaftlicher Beweisführung dargestellt zu bekommen, was damals nicht irgendwo weit weg, sondern vor der Haustür im schönen „Ländle“ vor sich ging, macht immer wieder sprachlos. Zu sehen, wie unbescholtene Mitmenschen erst dämonisiert und aus dem bürgerlichen Leben verdrängt wurden. Wie sie dann schamlos ausgeraubt und schließlich ins Exil getrieben oder umgebracht wurden.

    Zentrale, besonders sprechende Ergebnisse des vom Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e. V. initiierten Projekts bereitet nun die Ausstellung auf. Sie macht deutlich, dass es leider keine Übertreibung ist, zu bilanzieren, dass die Enteignung und Existenzvernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten als die wohl umfassendste Raubaktion an einer Bevölkerungsgruppe in der neueren Geschichte Europas gelten muss.  Und zugleich fester Bestandteil eines Auslöschungs-Prozesses war, dem schließlich rund sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen.

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    Gebäude der Verlagsdruckerei Rothschild in Rottweil. Foto: Ausstellung

    Die Ausstellung macht in transparenter Weise, teils sogar mit schematischen Schaubildern die Rahmenbedingungen deutlich. Besonders stark und überzeugend ist sie jedoch da, wo sie Einzelschicksale nahebringt. Von Händlern, Unternehmern, Freiberuflern und ganz allgemein von jüdischen Mitbürgern, denen gewaltiges Unrecht zugefügt wurde.

    Zum Beispiel Wilhelm und Ernst Rothschild, die in Rottweil die „Schwarzwälder-Bürger-Zeitung“ herausgaben – ein durch und durch seriöses, liberales Blatt, das sich an Patriotismus und Heimatliebe kaum übertreffen ließ. Dennoch wurde die Familie, wie Dr. Winfried Hecht in der Publikation darlegt, gezwungen, die 1851 vom 1813 in Rottweil geborenen Mediziner Maier Joseph Rothschild gegründet worden war, im Mai 1934 einzustellen.

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    Mit diesen Zeilen verabschiedeten sich die Brüder Rothschild 1934 von ihrer Leserschaft. Foto: Ausstellung

    Oder in Schramberg: Carsten Kohlmann zeigt, wie es zum Zwangsverkauf der immerhin 1948 restituierten Majolika-Porzellanfabrik kam. Und er veranschaulicht die Geschichte des 1928 durch die  Lichtspielbetriebs GmbH Laupheim des berühmten deutsch-jüdisch-amerikanischen Filmindustriellen Carl Laemmle (1867-1939) erbauten Kinos, dessen Gebäude noch heute von der Aufbruchsdynamik der Bauhaus-Ära kündet. Nach der Machtübernahme gelang es der NSDAP-Ortsgruppe, das Kino zusehends unter ihre Kontrolle zu bringen. Im September 1935 wurde der Betreiber zum Verkauf gezwungen.

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    Kundgebung der Schramberger NSDAP am 1. Mai 1933 beim Kino. Foto: Ausstellung

    Die Liste ließe sich noch lange fortführen. In der Gesamtschau macht die Ausstellung – und mehr noch das wesentlich umfänglichere Buch, das beispielsweise auch einen lesenswerten Beitrag von Gisela Roming zur jüdischen Gemeinde in Rottweil beinhaltet – deutlich, wie viele Leben, wie viele Existenzen und auch wie viel Gründergeist, Einfallsreichtum und Tatkraft mit dem Fanatismus der Hitler-Ideologie vernichtet wurde. Neben der Trauer über so viel Leid muss man sich immer wieder auch fragen: Wie gedeihlich hätte sich vieles entwickeln können, hätte man sich damals nicht in diese Gier und diesen zerstörerischen Wahn verrannt?

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    Info: Veranstaltet wird die Ausstellung im Stadtmuseum Rottweil (Hauptstraße 20) vom Verein Ehemalige Synagoge Rottweil e. V. in Kooperation mit den Städtische Museen Rottweil. Weitere Partner sind der Geschichts- und Altertumsverein Rottweil, die Initiative Gedenkstätte Eckerwald, die Israelitische Kultusgemeinde Rottweil/Villingen-Schwenningen sowie die Volkshochschule Rottweil.

    Eröffnet wird die Ausstellung am 22. Juni um 18 Uhr mit Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf. Bis 10. September 2023 ist sie währen der regulären Öffnungszeiten des Stadtmuseums dienstags bis sonntags, 14 bis 16 Uhr, zugänglich.

    Am 20. Juli wird Dr. Martin Ulmer, einer der Kuratoren, ab 18 Uhr durch die Ausstellung führen. Der Eintritt zur Ausstellung und zur Führung ist frei.

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    Titelbild: Feindbild jüdischer Viehhändler: Männer wie Max Pressburger, Inhaber einer Viehhandlung in Rexingen (auf einer Aufnahme aus den 1920er Jahren), gerieten in ganz Württemberg und Hohenzollern früh ins Visier antisemitischer NS-Kampagnen. Foto: Ausstellung

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