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Die Fakten der Deutschen Bahn haben einem erneuten Faktencheck nicht standgehalten. Im Nachgang zum Bahn-„Gäubahn-Faktencheck“ vom vergangenen Jahr, welcher der Frage nachging, wie die Anbindung der Gäubahn an den Stuttgarter Hauptbahnhof nach 2025 erfolgen kann, sind die dort getroffenen Aussagen nun nochmals durch unabhängige externe Gutachter auf ihre Plausibilität hin geprüft worden. Ergebnis: Rottweil könnte ans S-Bahn-Netz angeschlossen werden. Jedenfalls während der Phase zwischen der Eröffnung des Tiefbahnhofs und der Fertigstellung des neu zu planenden Pfaffensteigtunnels zum Stuttgarter Flughafen.

(Region Rottweil). Der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn setzt sich nach eigenen Angaben seit vielen Jahren für die Weiterentwicklung des Verkehrsangebots auf der grenzüberschreitenden ICE-Strecke Stuttgart-Zürich („Gäubahn“) ein. Dabei ist der zweigleisige Ausbau der Strecke das vorrangige Ziel des Interessenverbandes. Wegen Reparationsleistungen nach dem Zweiten Weltkrieg ist der rund 80 Kilometer lange Streckenabschnitt zwischen Horb und Tuttlingen nur noch eingleisig trassiert. „Damit wird die Gäubahn ihrer Funktion als wichtige Nord-Süd-Verbindung nicht mehr gerecht“, erklärt der Verband.

Wobei: Ein Gleis zum Hauptbahnhof Stuttgart ist besser als kein Gleis. Denn es sollte für die Gäubahn noch dicker kommen. 2025 wird die Direktverbindung von Singen nach Stuttgart gekappt. Reisende aus Richtung Singen sollen dann auf dem erweiterten Regionalbahnhof in Stuttgart-Vaihingen umsteigen. Denn nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 soll die Strecke zwischen Stuttgart und Singen beziehungsweise Zürich für mindestens sieben Jahre vom Hauptbahnhof Stuttgart ganz abgehängt werden. Zum Hauptbahnhof würden Reisende sowie Pendlerinnen und Pendler dann nur noch mittels Umstieg in die Stadt- oder S-Bahn kommen. Dagegen will etwa die Deutsche Umwelthilfe (DUH) rechtlich vorgehen.

Zu den Planungen für einen Überbrückungszeitraum von ungefähr sieben Jahren bis zur Fertigstellung der Gäubahnführung über den Flughafen hatten die Bahn und die Stadt Stuttgart den Faktencheck vorgelegt. Nach Abschluss dieser Bauarbeiten wird die Gäubahn über den Flughafen in die Landeshauptstadt Stuttgart fahren. Um die Verbindungen der Gäubahn weiter aufrechtzuerhalten, will die Deutsche Bahn den dafür ausgebauten Bahnhof Stuttgart‐Vaihingen nutzen. Dort sollen die Gäubahnzüge dann enden. Die Fahrgäste gelangen von dort mit der S‐Bahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Die langfristig geplante Führung der Gäubahnzüge über den Pfaffensteigtunnel und den Flughafen‐Stuttgart soll voraussichtlich 2032 in Betrieb gehen. Die DB‐Netz AG untersuchte sechs Möglichkeiten auf ihre Leistungsfähigkeit und Auswirkungen auf den sonstigen Zugverkehr. Vereinfacht gesagt geht es darum, mit welcher Lösung die Fahrgäste effizient ins Stuttgarter Zentrum und zum Hauptbahnhof gelangen, ohne andere Verbindungen zu schwächen.

Diesen von der Bahn vorgelegten Faktencheck bezeichnet der Rottweiler FDP-Landtagsabgeordene Daniel Karrais nach einer aktuellen Prüfung als eine „eingefärbte Darstellung“. Am heutigen Dienstag hat in Horb ein sogenannter Gäubahngipfel stattgefunden, auf dem Gutachten als Gegengutachten gegen die Darstellungen der Deutschen Bahn vorgelegt worden sind. Die Aussagen der Bahn sind nochmals ergänzend durch unabhängige externe Gutachter auf ihre Plausibilität hin geprüft worden. Dies im Auftragdes Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn. Ohne eine solche externe Bewertung hätten die Ergebnisse des ursprünglichen „Gäubahn-Faktenchecks“ keine Akzeptanz gefunden, hieß es seitens des Verbands im Vorfeld.

Zum einen geht es bei den externen Gutachten um die städtebaulichen Planungen der Landeshauptstadt Stuttgart, deren Argumentation auf ihre Konsistenz und Plausibilität hin geprüft werden sollten. Dieser Auftrag wurde an das Institut für Stadt- und Regionalentwicklung mit Sitz in Nürtingen unter der Leitung von Prof. Dr. Alfred Ruther-Mehlis vergeben. Im Rahmen eines zweiten Gutachtens, für das das Büro Ramboll mit Sitz in Karlsruhe beauftragt wurde, werden insbesondere die technische Schlüssigkeit der getroffenen Aussagen der Deutschen Bahn AG, dass ein Weiterbetrieb der bisherigen Bahnanlagen nicht in Betracht komme, vor dem Hintergrund der aktuellen gesetzlichen und regelwerkstechnischen Grundlagen bewertet. Weiter werden die Aussagen in den Kontext von allgemeinen eisenbahnbetriebswissenschaftlichen Erkenntnissen und dem Stand der Technik gesetzt. Darüber hinaus sollen im Rahmen eines dritten Gutachtens nicht zuletzt die verschiedenen beim Faktencheck vorgestellten Varianten für eine Übergangslösung auf der Gäubahn fahrplantechnisch geprüft werden.

Ergebnis des Checks des Faktenchecks: Während so die Varianten einer Führung über Renningen oder über Tübingen sowie die Führung über die S-Bahn-Stammstrecke bis Stuttgart Hauptbahnhof jeweils keinen erfolgsversprechenden Lösungsansatz ergäben, sei allerdings eine Verlängerung von S-Bahnen über Herrenberg hinaus nach Süden bis Horb und Rottweil möglich. Insbesondere in Kombination mit einem Enden der Gäubahn- Züge in Stuttgart-Vaihingen ergäben sich zudem weitere Lösungen, die eine Optimierung des verkehrlichen Angebots ermöglichen würden. Dies gab der Interessenverband bekannt.

Zu den am Dienstag nun vorgestellten Gutachten liegen bereits Stellungnahmen vor. „Die Ergebnisse der Gutachten von SMA und Ramboll zeigen, dass eine neuerliche Überprüfung zwingend erforderlich war“, lässt etwa Rottweils Oberbürgermeister Dr. Christian Ruf wissen. Der sogenannte Faktencheck der Bahn sei in der Alternativenprüfung „weder erschöpfend noch ausreichend“ gewesen, wenngleich der neutral daherkommende Begriff „Faktencheck“ dies habe suggerieren sollen.

Auch für den CDU-Landtagsabgeordneten Stefan Teufel bringen die Gutachten im Auftrag des Interessenverbandes Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn zur weiteren Anbindung der Gäubahn an den Stuttgarter Hauptbahnhof mit Inbetriebnahme von Stuttgart 21 neue Erkenntnisse hervor. Ein wesentlicher Aspekt sei: „Die Fortführung der Gäubahn bis zum Hauptbahnhof Stuttgart funktioniert, wenn die Beteiligten wollen.“

Die sich nun herauskristallisierende Variante „S-Bahn“ als umsteigefreie Verbindung von Rottweil bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof stelle zwar nicht die beste Lösung dar, müsse aber ernsthaft und mit einem gewissen Zeitdruck weiterverfolgt werden, so Teufel.

„Es ist gut, dass die Gäubahnanrainer die Bahngutachten unabhängig überprüfen ließen. Die Deutsche Bahn und die Stadt Stuttgart haben eine eingefärbte Darstellung vorgelegt, die nun realistisch bewertet wurde. Die Gutachten bestätigen, dass die S-Bahnvariante mit einer Verlängerung bis Rottweil eine geeignete Lösung ist“, so der FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karrais. Die Direktanbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof werde für die Region damit möglich und das bei einer ähnlichen Fahrzeit, wie mit den bisherigen Regionalzügen. „Darum ist für mich klar, dass die S-Bahn nach Rottweil kommen muss. Ich erwarte vom Landesverkehrsministerium Unterstützung für und Einwirken auf die Träger der S-Bahn, damit das möglich wird. Das Land darf nicht tatenlos zusehen, wie unsere wirtschaftsstarke Region auf das Abstellgleis kommt“, so Karrais.

„Vollumfängliche Transparenz zu schaffen, wäre bereits letztes Jahr angezeigt gewesen“, mahnt Rottweils OB Ruf. Die Bahn spiele mit dem Vertrauen der Menschen, indem sie Raum für Zweifel gelassen habe, die sich jetzt auch noch bestätigt hätten. „Die Stadt Rottweil hat sich deshalb gerne daran beteiligt, zu helfen, diese Zweifel auszuräumen. Mein Dank geht daher auch an die weiteren Oberbürgermeisterkollegen, die sich mit ihren Städten ebenfalls finanziell an der Erstellung der Gutachten beteiligt haben. Es zeigt die Einigkeit im Bestreben, eine Kappung der Zugverbindung nach Stuttgart mit allen Mitteln zu vermeiden“, erklärt Ruf.

Es sei nunmehr müßig zu lamentieren, dass bereits mit Planung von S21 eine vernünftige Anbindung der Gäubahn nicht von Anfang an mitgedacht worden sei, erklärt der Rottweiler OB weiter. Nicht minder mühsam sei es nun, „den Waggon aus dem Dreck zu ziehen“. Der Stadt Stuttgart wirft er mangelnde Beweglichkeit“ vor, die deutlich zeige, „dass man die Wichtigkeit der Menschen, die jeden Tag aus dem Süden in Richtung Stuttgart reisen, augenscheinlich geringschätzt, mindestens aber unterschätzt“. Eine sogenannte Metropolregion hab ihren Namen nur verdient, wenn sie auch über die Stadtgrenzen der Metropole hinaus ihre Verantwortung wahrnimmt.

Jetzt gelte es aber, den Blick nach vorn zu richtigen und das Beste aus der Situation zu machen: „Die neuen Gutachten zeigen, dass eine S-Bahn-Anbindung weiter Teile des südlichen Bereiches bis Rottweil möglich ist. Bahn und Verkehrsministerium müssen nun dafür sorgen, dass diese Option eine echte Chance bekommt! Eine ernst gemeinte Verkehrswende erfordert mehr als nur Lippenbekenntnisse. Auch im ländlichen Raum sind viele Menschen auf die Bahn angewiesen. Nach dem heutigen Treffen bin ich wieder etwas zuversichtlicher, dass für sie eine ernsthaft konstruktive Lösung erreicht werden kann“, beendet Ruf seine Stellungnahme.

Als „hoffnungsvoll“ bezeichnet der Rottweiler Wahlkreis- und CDU-Landtagsabgeordnete Stefan Teufel die Ergebnisse der Überprüfung der im November des vergangenen Jahres vorgestellten Positionen von Deutscher Bahn und Stadt Stuttgart. „Die gutachterliche Überprüfung liegt jetzt endlich vor. Das Gebot der Stunde heißt jetzt, dass sich die Beteiligten zusammenraufen und im Sinne der betroffenen Regionen endlich zu einer nachhaltigen Lösung kommen“, so Teufel. „Ohne Umstieg muss die Fahrt für Bahnreisende aus dem Süden des Landes in die Landeshauptstadt Stuttgart bis zur Fertigstellung des sogenannten Pfaffensteigtunnels möglich sein“, sagt Teufel. Wenn dies mithilfe eines Einsatzes eines sogenannten „langsamen IC“ durch S-Bahnen möglich sei, müsse dies unter den Aspekten von Kosten und Nutzen zeitnah abgewogen werden. Für denkbar hält der Landtagsabgeordnete auch den Vorschlag der SMA-Gutachter, eine Verlängerung der S4 durch eine zweistündliche Direktverbindung einzurichten. Gleichwohl sieht der Abgeordnete den Handlungsdruck und erklärt: „Je nach Ausgestaltung des Fahrplans ist eine solche Lösung denkbar, wenn sichergestellt ist, dass Anschlusszüge am Stuttgarter Hauptbahnhof erreicht werden.“

Der Stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht: „Das Bundesverkehrsministerium betont bei jeder Gelegenheit die Notwendigkeit des Ausbaus unserer Schieneninfrastruktur. Jetzt kann das Ministerium ernst machen und die Handlungsempfehlungen der Beschleunigungskommission Schiene beim Bau des Pfaffensteigtunnels anwenden, um das Infrastrukturvorhaben möglichst schnell, im besten Fall deutlich unter sieben Jahren, fertigstellen zu können.“ Die diskutierten Alternativen, etwa über die Ammertalbahn oder Renningen, lehnt Stefan Teufel hingegen ab: „Entscheidend für die Bahn ist auch der Faktor Zeit. Von nahezu unzumutbaren Wegstrecken haben die Pendler nichts.“

Zu der Realisierung des Pfaffensteigtunnels, der die Durchbindung an S21 schlussendlich möglich mache, sagt der Abgeordnete Daniel Karrais wiederum: „Es ist ein starkes Signal, dass dieser entscheidende Tunnel für die Anbindung an S21 als Modellprojekt für das beschleunigte Bauen des Bundes aufgenommen ist. Man merkt, dass die Bundesregierung ihren Worten in Sachen Planungsbeschleunigung auch Taten folgen lässt.“

Der Forderung nach dem Erhalt des Kopfbahnhofs für die Gäubahn erteilt Karrais eine klare Absage: „Es scheint technisch zwar nun doch möglich zu sein, dass der Kopfbahnhof für die Gäubahn nutzbar bleibt. Dem steht aber die Stadt Stuttgart gegenüber, die sich immer noch vehement weigert, die Schienen zu erhalten. Da die Stadt das Rückbaurecht bereits hat, muss man mit diesem egoistischen Verhalten Stuttgarts leben. Es bringt nichts dieses tote Pferd weiter zu reiten. Das ist nur eine Scheinlösung, die vor allem den ‚Oben-Bleiben-Nostalgikern‘ gefällt. Tragisch ist, dass S21 nur wegen der Zustimmung der Gäubahnanrainer beim Volksbegehren möglich wurde. Der Dank der Stadt Stuttgart beschränkt sich auf Ignoranz.“

Zu den Einlassungen des Interessenverbands Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn und zum neuen Faktencheck äußert sich Verkehrsminister Winfried Hermann wie folgt: „Der neue Faktencheck durch unabhängige Gutachter hat sich aus Sicht des Landes gelohnt und wichtige neue Erkenntnisse gebracht. Damit haben wir nun eine gute Grundlage, um Lösungen für die Zeit der Gäubahn-Kappung zu finden. Das Land und auch ich persönlich stehen bereit, um im Dialog aller Beteiligten ein Maßnahmenbündel zu entwickeln, das die Gäubahn-Anrainer möglichst gut anbindet und breite Akzeptanz findet.“

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