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    Feuerteufel und Madonnen-Wangen

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    Der Turm „ein sich in den Himmel drehender gigantischer Spiralbohrer“, das „Backfisch-Rouge“ der Augenwende-Madonna und klackernde Würfel auf dem Marktplatz von Arae Flaviae: Beim Finale des Deutsch-Schweizer Autorentreffens kredenzten die Literaten wieder Rottweil-Assoziationen – fein beobachtet, charmant schmunzelnd, teils auch leicht spöttisch.

    Es ist eine schöne Tradition, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Rottweiler Begegnungen“ abschließend in einer Sonntagsmatinee kurze Texte präsentieren, die während des Treffens entstanden sind und vielleicht sogar in Rottweil gewonnene Eindrücke aufgreifen.

    Auch bei der 37. Auflage des Autorentreffens hielt man sich an diese Gepflogenheit, obwohl sie die Schreibenden auch ein wenig trietzt, trotz des dreitägigen Programms noch etwas Text zurechtzuzimmern. Und ein weiteres Mal zeigte sich, dass die freundliche kleine Nötigung durchaus Sinn macht und einen dichten Schluss- und Höhepunkt ermöglicht. Nicht mal ganz eine Stunde brauchten die Literaten fürs finale Schaulaufen – die aber hatte es in sich.

    Simone Lappert beschränkte sich eingangs auf eine wenige Zeilen umfassende „akustische Postkarte“ aus Rottweil, in dem sie den Testturm „intergalaktisch“ nannte und immerhin das schöne Bild zeichnete, die Nacht schlendere durchs Schwarze Tor. Jan Wagner nahm die Aufgabe deutlich ernster. Mit einem Gedicht über die „Augenwende“-Madonna im Münster zeigte sich der Büchner-Preisträger als zugewandter Beobachter und routinierter Lyriker. Wagner eröffnete neue Blicke auf die oft gesehene Lindenholz-Gestalt, indem er ihr „Backfisch-Rouge“ auf den Wangen attestierte und befand, der Strahlenkranz sei „zum Pfauenrad aufgeblüht“. Mit Holzwurmlöchern in der Brust konterkarierte er freilich einen allzu ehrfürchtigen Tonfall.

    Nora Gomringer, die nebenher das Publikum für ihre Social Media-Auftritte knipste, gab nach Wagners feinen Beobachtungen wieder kräftig Gas. Sie klopfte mit hackenschlagender Erkundungslust in „Rottweil“ anklingende Wortfelder ab. Von Farbspielen kam sie munter bis zu einer „raubenden Rotte“ und nahm auch den Turm sowie die zeitgleich laufende Wahl noch mit.

    Michael Hugentobler entwarf augenzwinkernd eine historische Szene im römischen Rottweil am 26. September 221, also auf den Tag genau vor 1800 Jahren. Ein eigentlich unscheinbarer Fremder mit einem Raben auf der Schulter provozierte nach Hugentobler einen verhängnisvollen Fluch, der das Ende der Römerzeit am Oberen Neckar und in Alemannien einläutete.

    Daniel Mezger gab sich ganz heutig und listete ein streng systematisiertes Glossar von „Fakten über Rottweil“ auf. Er griff ironisch die Jubelhymnen des Stadtmarketings auf, das Groß-Sein-Wollen, das stete Verweisen aufs Pittoreske. Und eine von Metzger offenbar vermisste Geschlechtergerechtigkeit, indem er beharrlich binäre Bezeichnungen mied und von „Rottweilenden“ sprach – wobei nicht ganz klar war, ob nun mit ironischem Unterton oder ganz bierernst ohne.

    Erfrischend vital agierte wieder einmal Heinrich Steinfest, der sich mit Schwung und Fabulierfreude vor allem auf das Thema Testturm stürzte. Dem Rottweiler Vorzeige-Exemplar schrieb er „zwirbelnde Glätte“ zu und eine „von Feuerteufeln punktierte Glasfaserhülle“. Er erkannte in dem Koloss einen „gigantischen Spiralbohrer, der sich in den Himmel hineindreht“, um schließlich zum Vergnügen der Zuhörer vollends einen humoristischen Purzelbaum zu schlagen und im Turm bei der Suche nach immer exaltierteren Attributen etwas „Herbertartiges“ zu erspüren.

    Den Text von Iris Wolf, die zur selben Stunde in Wangen i. A. den Eichendorff-Literaturpreis entgegennahm, las Jane Frank. Die Autorin griff bereits bei der Lesung am Samstag angeschlagenen Themen wieder auf, etwa, dass Ankommen immer auch mit Loslassen zu tun habe, und man dann zuhause sei, wenn es eine „Übereinstimmung zwischen Ort und Ich“ gebe.

    Silvia Tschui schließlich zündete mit gehörig Schalk im Nacken ein wahres, freilich auch nicht nur auf Gefälligkeit zielendes Feuerwerk. Sie kam mühelos vom Spaghettieis zur Augenwende, aus der sie eine Kulturtechnik des „Augen-Abwendens“, also des Verdrängens unliebsamer Wahrheiten heraushörte – mit konkreten Beispiele vom Ausblenden des Profits am Duttenhoferschen Schießpulver bis zum Klimawandel, den sie an toten Fichten, die sie mit „toten Zähnen in Kindergesichtern“ verglich, in der Region Rottweil schon angekommen sah. Und in wilden Volten kam sie abschließend wieder zum Spaghettieis zurück.

    Die verschiedenen Perspektiven, Temperamente und Tonlagen machten die Matinee wieder einmal enorm spannend und zu einem bereichernden Abschluss dieser teils sehr hochkarätig besetzten Autorentage, die beim Publikum starken Anklang fanden.

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    Das interessiert diese Woche

    Der Turm „ein sich in den Himmel drehender gigantischer Spiralbohrer“, das „Backfisch-Rouge“ der Augenwende-Madonna und klackernde Würfel auf dem Marktplatz von Arae Flaviae: Beim Finale des Deutsch-Schweizer Autorentreffens kredenzten die Literaten wieder Rottweil-Assoziationen – fein beobachtet, charmant schmunzelnd, teils auch leicht spöttisch.

    Es ist eine schöne Tradition, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Rottweiler Begegnungen“ abschließend in einer Sonntagsmatinee kurze Texte präsentieren, die während des Treffens entstanden sind und vielleicht sogar in Rottweil gewonnene Eindrücke aufgreifen.

    Auch bei der 37. Auflage des Autorentreffens hielt man sich an diese Gepflogenheit, obwohl sie die Schreibenden auch ein wenig trietzt, trotz des dreitägigen Programms noch etwas Text zurechtzuzimmern. Und ein weiteres Mal zeigte sich, dass die freundliche kleine Nötigung durchaus Sinn macht und einen dichten Schluss- und Höhepunkt ermöglicht. Nicht mal ganz eine Stunde brauchten die Literaten fürs finale Schaulaufen – die aber hatte es in sich.

    Simone Lappert beschränkte sich eingangs auf eine wenige Zeilen umfassende „akustische Postkarte“ aus Rottweil, in dem sie den Testturm „intergalaktisch“ nannte und immerhin das schöne Bild zeichnete, die Nacht schlendere durchs Schwarze Tor. Jan Wagner nahm die Aufgabe deutlich ernster. Mit einem Gedicht über die „Augenwende“-Madonna im Münster zeigte sich der Büchner-Preisträger als zugewandter Beobachter und routinierter Lyriker. Wagner eröffnete neue Blicke auf die oft gesehene Lindenholz-Gestalt, indem er ihr „Backfisch-Rouge“ auf den Wangen attestierte und befand, der Strahlenkranz sei „zum Pfauenrad aufgeblüht“. Mit Holzwurmlöchern in der Brust konterkarierte er freilich einen allzu ehrfürchtigen Tonfall.

    Nora Gomringer, die nebenher das Publikum für ihre Social Media-Auftritte knipste, gab nach Wagners feinen Beobachtungen wieder kräftig Gas. Sie klopfte mit hackenschlagender Erkundungslust in „Rottweil“ anklingende Wortfelder ab. Von Farbspielen kam sie munter bis zu einer „raubenden Rotte“ und nahm auch den Turm sowie die zeitgleich laufende Wahl noch mit.

    Michael Hugentobler entwarf augenzwinkernd eine historische Szene im römischen Rottweil am 26. September 221, also auf den Tag genau vor 1800 Jahren. Ein eigentlich unscheinbarer Fremder mit einem Raben auf der Schulter provozierte nach Hugentobler einen verhängnisvollen Fluch, der das Ende der Römerzeit am Oberen Neckar und in Alemannien einläutete.

    Daniel Mezger gab sich ganz heutig und listete ein streng systematisiertes Glossar von „Fakten über Rottweil“ auf. Er griff ironisch die Jubelhymnen des Stadtmarketings auf, das Groß-Sein-Wollen, das stete Verweisen aufs Pittoreske. Und eine von Metzger offenbar vermisste Geschlechtergerechtigkeit, indem er beharrlich binäre Bezeichnungen mied und von „Rottweilenden“ sprach – wobei nicht ganz klar war, ob nun mit ironischem Unterton oder ganz bierernst ohne.

    Erfrischend vital agierte wieder einmal Heinrich Steinfest, der sich mit Schwung und Fabulierfreude vor allem auf das Thema Testturm stürzte. Dem Rottweiler Vorzeige-Exemplar schrieb er „zwirbelnde Glätte“ zu und eine „von Feuerteufeln punktierte Glasfaserhülle“. Er erkannte in dem Koloss einen „gigantischen Spiralbohrer, der sich in den Himmel hineindreht“, um schließlich zum Vergnügen der Zuhörer vollends einen humoristischen Purzelbaum zu schlagen und im Turm bei der Suche nach immer exaltierteren Attributen etwas „Herbertartiges“ zu erspüren.

    Den Text von Iris Wolf, die zur selben Stunde in Wangen i. A. den Eichendorff-Literaturpreis entgegennahm, las Jane Frank. Die Autorin griff bereits bei der Lesung am Samstag angeschlagenen Themen wieder auf, etwa, dass Ankommen immer auch mit Loslassen zu tun habe, und man dann zuhause sei, wenn es eine „Übereinstimmung zwischen Ort und Ich“ gebe.

    Silvia Tschui schließlich zündete mit gehörig Schalk im Nacken ein wahres, freilich auch nicht nur auf Gefälligkeit zielendes Feuerwerk. Sie kam mühelos vom Spaghettieis zur Augenwende, aus der sie eine Kulturtechnik des „Augen-Abwendens“, also des Verdrängens unliebsamer Wahrheiten heraushörte – mit konkreten Beispiele vom Ausblenden des Profits am Duttenhoferschen Schießpulver bis zum Klimawandel, den sie an toten Fichten, die sie mit „toten Zähnen in Kindergesichtern“ verglich, in der Region Rottweil schon angekommen sah. Und in wilden Volten kam sie abschließend wieder zum Spaghettieis zurück.

    Die verschiedenen Perspektiven, Temperamente und Tonlagen machten die Matinee wieder einmal enorm spannend und zu einem bereichernden Abschluss dieser teils sehr hochkarätig besetzten Autorentage, die beim Publikum starken Anklang fanden.

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    Das interessiert diese Woche

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