Es liege eine „Anzeige gegen den Rottweiler Narrensprung“ vor, meldete die Tageszeitung heute vormittag. Der Sprung sei zu politisch gewesen, heißt es. Moment mal – gegen wen liegt eine Anzeige vor? Und was ist wohl der wahre Grund? Darüber hinaus: Seit wann darf die Fasnet nicht politisch sein?
Donnerstag, 24. Februar. Nicht einfach nur ein Schmotziger Donnerstag – sondern auch der Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Fasnet und weltpolitisches Ereignis fallen zusammen. Und die Fasnet in Rottweil, die unter Corona-Auflagen stattfinden kann, wird von dem Kriegsereignis beeinflusst. Wenn auch so verhalten, dass die NRWZ zunächst zu dem Schluss kommt, der Krieg in der Ukraine habe die Narren zumindest nicht sichtbar beschäftigt. Dem widersprachen dann einige Leser, woraufhin wir erneut recherchierten und Ukraine-Zeichen bei der Fasnet ausmachen konnten.
Zusammengefasst: Das waren nach unserer Auffassung und Wahrnehmung – verkleinerte – Narrensprünge, die hier am Fasnetsmontag und -dienstag stattgefunden haben. Ganz sicher keine politischen Demonstrationen.
Zu einem anderen Schluss kommt aber ein namentlich bislang nicht genannter Bürger. Er hat Anzeige erstattet – „gegen den Narrensprung“, wie es nun heißt. Angesichts der politischen Zeichen sei der Narrensprung als eine politische Versammlung, als eine politische Demonstration, zu werten. Damit habe man, so der Vorwurf weiter, gegen das Versammlungsrecht verstoßen.
Woher der Wind weht, scheint Beobachtern bereits klar: Unter den Montagsdemonstranten, gegen die die Polizei zwischenzeitlich Kräfte des Polizeipräsidiums Einsatz auffuhr, hatte sich längst der Unmut breitgemacht über eine vermeintliche Ungleichbehandlung von Narren und „Spaziergängern“ etwa seitens Oberbürgermeister und Stadtverwaltung. Während die einen hätten fröhlich feiern dürfen und teils ohne Maske aber mit Sektglas gesehen wurden, habe man die anderen, die Demonstranten, mit Transparenten und Intoleranz gedemütigt.
Allerdings: Darauf nimmt der Anzeigeerstatter keinen Bezug, erfuhr die NRWZ.
Wir haben nachgefragt und von der Polizei erfahren: Der „Narrensprung“ – eine Sache – ist nicht angezeigt worden. Vielmehr zwei Institutionen und deren gesetzliche Vertreter. In der Anzeige heißt es wörtlich, sie richte sich „gegen die Stadt Rottweil sowie die Verantwortlichen des sogenannten Narrensprungs.“
Für die Narrenzunft nimmt deren Sprecher, Prof. Frank Huber, knapp Stellung: „Da es sich um einen Prüfvorgang handelt, der seitens der Polizeibehörde noch nicht abgeschlossen ist, können wir leider keine Auskünfte erteilen.“
Und für die Stadtverwaltung erklärt Sprecher Tobias Hermann: „Die Anzeige richtet sich auch gegen die Stadt Rottweil als Versammlungsbehörde. Deshalb werden und können wir zu Ihren Fragen derzeit leider nicht weiter äußern (wie üblich, laufendes Verfahren).“
„Entspricht nicht der Rechtslage“
Doch ergibt die Anzeige Sinn? „Um gegen das Versammlungsgesetz zu verstoßen, müsste schon von vornherein geplant gewesen sein, den Narrensprung zu einer Art politischer Demo zu machen. Und das hat die Narrenzunft natürlich nicht gemacht. Also wer sollte dann angezeigt und bestraft werden?“, fragt ein Jurist rhetorisch.
Darüber hinaus seien etwa auch nur die blau-gelben Farben so selten gezeigt worden, von echten politischen Stellungnahmen mal ganz abgesehen, „dass niemand, der seine Sinne beieinander hat, ernsthaft von einer Demonstration sprechen kann“, so der Jurist weiter.
Ein weiterer Jurist geht detailliert auf das Thema ein. „Die Meinung des Anzeigeerstatters entspricht nicht der Rechtslage“, sagt Mirko Metzler, Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei Hirt und Teufel in Rottweil.
Der Anwalt führt aus:
Würde eine öffentliche Versammlung ohne Anmeldung durchgeführt, könnte eine Straftat nach § 26 Nr. 2 VersammlG vorliegen. Sie wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (sog. enger Versammlungsbegriff).
Darin unterscheidet sich die Versammlung von der Ansammlung, bei der zwar ggf. auch alle Personen denselben Zweck verfolgen, aber nicht gemeinsam. Es genügt also nicht, dass die Teilnehmer durch irgendeinen Zweck miteinander verbunden sind. Der bei einer Versammlung die Teilnehmer verbindende Zweck muss die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung in einer Angelegenheit von allgemeinem Interesse sein.
Damit scheiden alle Ansammlungen aus, die einen anderen Hauptzweck haben, in deren Rahmen es aber vereinzelt oder sogar überwiegend zur Kundgabe der eigenen politischen Meinung kommt. Dies gilt namentlich für einen Fasnetsumzug, so auch für den Rottweiler Narrensprung.
Ganz im Gegenteil, die humoristische Befassung mit aktuellen politischen Themen ist gerade bei Fasnets- und Karnevalsumzügen üblich, fällt allerdings nicht unter das Versammlungsrecht, weil die öffentliche Meinungsbildung dabei nicht der Hauptzweck der Umzüge ist. Eine Ausnahme hiervon war der diesjährige Rosenmontagsumzug in Köln, der als Hauptzweck eine Friedensdemonstration verfolgte und nur deswegen als Versammlung genehmigt werden musste.“
Die Polizei geht dem dennoch nach, ihr bleibt keine Wahl. „Es handelt sich eigentlich um einen alltäglich vorkommenden polizeilichen Prüffall, allerdings mit einem nicht alltäglichen Hintergrund“, sagt Uwe Vincon, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz, auf Nachfrage der NRWZ. Aus Sicht der Polizei „ist es nicht nachvollziehbar, wie man auf einen solchen Gedanken kommen kann“, ergänzt er. „Allerdings ist es unsere Pflicht, Hinweisen nachzugehen. Die Staatsanwaltschaft und die Stadt Rottweil wurden über den Eingang des Hinweises informiert.“
Mezger: „Völliger Schwachsinn“
Fasnachts-Experte Professor Werner Mezger hält, wie er auf Anfrage der NRWZ erklärt, das Anliegen der Anzeige, politische Inhalte aus der Fasnet herauszuhalten, für „völligen Schwachsinn“. „Dann müsste jeder Karnevalsumzug zum Beispiel in Düsseldorf als politische Demonstration behandelt werden, weil dort traditionell Politik immer Thema ist“, sagte Mezger. Er hält die schon die Grundidee, Fasnet und Politik strikt trennen zu wollen für „absurd“: „Das würde ja Fasnet und Karneval jeder Möglichkeit der Sozialkritik berauben“, erklärte er der NRWZ.
Am Rande bemerkt: Politik und Fasnet – das geht natürlich zusammen. Die Bach-Na-Fahrt in Schramberg, beispielsweise, hat immer politische Themen. Beispiel Global warming und Trump 2020, siehe oben. Auch Umzüge im Umland zeigen (kommunal-)politische Botschaften.
Was die Narren in Rottweil gezeigt haben
Zu den Narrensprüngen 2022 haben die NRWZ Hinweise erreicht, wonach es Foulards und Bajass-Anstecker in den Ukraine-Farben sowie mit dem „Peace“-Symbol als Appell für Frieden gegeben hat. Hierzu sandten Leser Fotos an die Redaktion. Ein weiterer Hinweis betraf Narrenbücher: In einzelnen sei das Thema Ukraine kurzfristig noch eingebaut worden. Auch hierzu kam ein Foto. Es zeigt den russischen Präsidenten Putin, dem offenbar der Gedanke kommt, der Angriff auf die Ukraine sei eine schlechte Idee gewesen – stattdessen denkt er, laut diesem Narrenbuch: „I hett doch liabr noch Rottweil uff’d Fasnet ganga solla…“.
Zudem hat ein Leser ein Foto mit einem Federahannes-Stecken geschickt, der oben gut sichtbar die ukrainischen Nationalfarben Azurblau und Gelb zeigt.
Na also, so ist doch alles wieder gut. Der Dr. Rechtsanwalt Bürgermeister hat alles justitiabel sauber ausgearbeitet, der Dr. Verwaltungswissenschaftler Landrat hat das Konzept gelobt und den Inzidenzschub hernach dezent auf uns Allen natürlich völlig unbekannte „Feiernde“ verklappt und der Prof. Dr. Fasnetswissenschaftler hat posthum noch alle zu Widerstandskämpfern gesegnet. Da kann der getroffene Hund ja wieder aufhören zu bellen.
Niemand wollte und will die Fasnet absagen, oder gar verbieten, aber wenn man zwei Wochen davor noch auf die Straße ging, um Demokratie und Angedenken der Corona Opfer zu verteidigen, dann rieb man sich schon verwundert die Augen, dass aus 2G+ in Gaststätten und FFP2 im Freien ohne Abstand zzgl. Polizeibegleitung, plötzlich 3G und Fasnetslarve=FFP2, geworden sind. Wie soll man sich da noch ernsthaft argumentativ gegen die Querdenker Spazierenden erwehren, wenn halt doch alles geht, wenn man die Richtigen Leute kennt.