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    NRWZ.deRottweil„Ein Meer an Beleidigungen“, Bedrohungen, Brände, Nachbarschaftsterror: Mann aus Rottweil steht deshalb...

    „Ein Meer an Beleidigungen“, Bedrohungen, Brände, Nachbarschaftsterror: Mann aus Rottweil steht deshalb vor Gericht

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    „Wir haben alle so ein bisschen Respekt vor ihm.“ Das sagt eine 30-Jährige über einen ihrer Nachbarn in der Rottweiler Altstadt, in der Vogelsangstraße. Sie meint auch: Angst. Es geht um einen Mann, der im Mittelpunkt zahlreicher Strafanzeigen steht. Auch etwa im Zentrum von zig Polizei- und Feuerwehreinsätzen. Ihm wird jetzt über mehrere Verhandlungstage hinweg der Prozess vor dem Amtsgericht gemacht.


    Update, Mittwoch, 8. November, 7 Uhr: Es hat schon wieder gebrannt. Zwischen zweien der nach aktuellem Stand fünf Verhandlungstage vor dem Rottweiler Amtsgericht kam es in der Nacht auf Mittwoch erneut zu einem Feuerwehreinsatz in der Vogelsangstraße. Ein Karton neben der Garage des mutmaßlichen Unruhestifters hat gebrannt, erfuhr die NRWZ von der Feuerwehr. Keine große Sache, der Karton war rasch gelöscht. Einer dieser Einsätze. Auch die Polizei war wieder einmal vor Ort. Das Amtsgericht Rottweil wird seine Hauptverhandlung gegen den Mann am heutigen Mittwoch fortsetzen. Es geht um mehr als 40 Verfahren, die zu einem verbunden worden sind. Ein Urteil wird zum Monatsende erwartet. Ob es gestern erneut zu Auseinandersetzungen mit Einsatzkräften und zu Beleidigungen gekommen ist, ist nicht bekannt.


    Ein „armer, kranker Junge“?

    Nennen wir ihn Y. Er ist ein Mann, den die Leute aus der Altstadt meiden, vor dem hauptsächlich offenbar Kinder aus dem „Vogelviertel“ Angst haben. Einer, dessen Terror die Nachbarn fürchten. Einer, der die Geduld von Einsatzkräften von Polizei und Feuerwehr dem Vernehmen nach des Öfteren auf eine harte Probe stellt. Und einer, der sich selbst für unantastbar hält, primär juristisch. Dennoch sitzt er jetzt vor dem Rottweiler Amtsgericht. Allein am Montag stundenlang.

    Ist er „nur ein armer, kranker Junge“, wie ein Zeuge sagt? Im Sinne von schwer psychisch krank? Dieser Zeuge hatte ein gewisses Mitleid gegenüber Y. Allerdings hat auch er ihn angezeigt und so zu der Vielzahl an Verfahren beigetragen, die vor dem Amtsgericht nun in mehrere Verhandlungstage münden. Am Ende geht es übrigens, auch, wenn der Mann krank und vielleicht sogar eine Gefahr für sich selbst oder Dritte darstellen sollte, nicht etwa um eine Einweisung. Sondern um eine Bestrafung. Eine Geld-, oder, im Extremfall, eine Haftstrafe. Mehr ist auf dieser unteren Ebene der Judikative, dem Amtsgericht, nicht möglich.

    Keine Reue, keine Scham

    Er trägt eine schwarze Weste, vielleicht ein, zwei Nummern zu groß gewählt, aber er könnte selbst als Anwalt durchgehen. Strahlend weißes Hemd, gestreifte Krawatte, Anzughose, schick. Gekleidet wie für eine große Familienfeier. So erscheint Y. an diesem Montagmorgen kurz vor neun Uhr zu seiner Gerichtsverhandlung. Zu seinem Prozess. Er wirkt nüchtern, konzentriert, gefasst, mitunter auch angriffslustig. Er gibt sich geschäftig, zu den Vorwürfen aussagen will er indes nicht. Er schreibt mit. Und was immer man in seine Gestik und Mimik hineinlegen will: Reue und Scham sind nicht dabei. Demnach, was die Zeugen und was Beamte in diesem Prozess schildern, handelt es sich um einen notorischen Unruhestifter. Einen Nachbarschaftsterroristen. Einen, vor dem die Leute in der Altstadt Angst haben.

    Sein tatsächlicher Anwalt sieht vor Prozessbeginn alles andere als glücklich aus, wie er da so neben Y. sitzt. Verschränkte Arme, genervter Blick in die Ferne, seine Lippen verlässt ein Seufzen. Sein Mandant setzt ihn über dies und das noch in Kenntnis. Der Anwalt scheint es einfach zu ertragen. Er zeigt seinem Mandanten über lange Phasen im Prozess anschließend die (kalte) Schulter, wendet sich ab.

    Schon zwei Termine gab es in der Sache. Beziehungsweise in den Sachen: Rund 40 einzelne Verfahren gegen Y. hat das Amtsgericht zu einem verbunden. Heute „ein großes Zeugenprogramm“, so die Richterin am Montag. Fall um Fall soll aufgearbeitet werden. Nicht nur Beleidigungen, auch Sachbeschädigungen. Und Handgreiflichkeiten. Eine Pause bedeutet der Prozess für die Nachbarn von Y. derweil nicht. Tatsächlich scheinen sich die Abstände zwischen einzelnen Taten noch zu verkürzen. Und das sogar, während der mehrtägige Amtsgerichtsprozess läuft. Dieser sollte derweil ganz nach seinem Geschmack sein, denn es werden zig Zeuginnen und Zeugen aufgerufen, darunter eine fast zweistellige Zahl an Polizisten. Und er steht ganz im Mittelpunkt.

    „Es gab viele Anzeigen“

    Der erste Zeuge an diesem Montagmorgen ist ein Polizeibeamter. Er ist 31, ist mit dem Angeklagten „weder verwandt noch verschwägert“, würde dessen Wohnadresse aber mittlerweile im Schlaf, mit verbundenen Augen und volltrunken finden. Er war oft dort. „Es gab viele Anzeigen“, so der Beamte. Beispielsweise wegen Störung der Totenruhe auf dem nahen Altstadtfriedhof. Am 27. August 2021 war der Beamte wieder einmal mit einem Kollegen dort, auf dem Altstädter Friedhof. Während der Anzeigenaufnahme sei Y. zu ihnen gekommen. Das habe er häufig getan. „Dann kam es oft zu Beleidigungen“, erzählt der Beamte. An den Vorfall vom 27. August kann er sich nicht mehr detailliert erinnern. Es gab offenbar zu viele Einsätze, „es gab so viele Vorfälle“. Er berichtet ein wenig aus seinem Gedächtnis, merkt dann aber, „das war ein anderer Fall.“ Die Richterin löst das Dilemma, indem sie dem Beamten mit Stichworten auf die Sprünge hilft.

    So soll Y. vor rund eineinhalb Jahren vor seinem Haus zwei Kinder bedroht haben. Am Körper zitternd, ziemlich verängstigt und verstört haben sie die hinzugerufenen Streifenbeamten ihren Angaben nach in einer Pizzeria wartend angetroffen, die die Eltern eines der beiden betreiben und in die sie geflüchtet waren. „Ich schlag’ Dich tot“, habe er einen der beiden Jungs bedroht, sei beiden noch ein Stück weit hinterhergerannt, als sie „die Beine in die Hand nahmen“, so der Beamte, und flüchteten. Es folgt eine Gefährderansprache der Polizei. Er solle doch die Kinder in Ruhe lassen. Y. reagiert mit einer Gegenanzeige gegen die Kinder wegen Hausfriedensbruchs. Dennoch sei er damals „für seine Verhältnisse kooperativ gewesen“, berichtet der Beamte.

    Y. ist sehr aktiv

    Es soll auch viele Anrufe von Y. bei der Polizei gegeben haben. Anlass etwa: ein in der Römerstraße auf einem Gehweg parkendes Fahrzeug. Damals sei keine Streife frei gewesen, hätten andere, dringendere Einsätze vorgelegen. Y. wird offenbar am Telefon wütend, nennt den Polizisten ein „Ar…loch“. Später kümmert sich Y. wohl in Selbstjustiz um den Falschparker. Es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Autofahrer, der (unerlaubt) vor seinem Haus parkt. Der Polizeibeamte ist dann vor Ort, um Y. dazu zu bringen, die Nachbarn einfach in Ruhe zu lassen. Die Folge nach Darstellung des Beamten: ein mit dem Mittelfinger gezeigter Vogel. Er erstattet Anzeige wegen Beleidigung.

    Beleidigungen immerzu

    Ein weiterer Fall: 14 Anrufe in 13 Minuten auf dem Polizeirevier Rottweil. Sie kommen alle von Y. Wegen eines Parkverstoßes. „Wir hatten damals die Montagsdemo, wir hatten eine Streitigkeit und eine Gefährdung des Straßenverkehrs, wir hatten keine Beamte frei“, berichtet er Polizeibeamte. Y. soll ihn am Telefon daraufhin beleidigt haben, unter anderem so: „A…loch“, „Drecksack“, „Verfluchter Wi…“, „Du bekommst doch den Finger nicht aus dem Ar…“. Eine Entschuldigung habe es dafür bei den vielen Zusammentreffen und Gesprächen später nie gegeben. Y. habe gute und schlechte Tage, schätzt der Beamte ihn ein. Er könne Gespräche höflich beginnen. Er könne aber auch direkt loslegen mit seinen Beleidigungen. Es sei jedoch grundsätzlich so: Wenn er anrufe, wenn er ein Anliegen vorbringe, dann werde er rasch ungehalten, wenn man dann nicht sofort seinen Wünschen nachkomme.

    Vor ziemlich genau einem Jahr hatte es (wieder einmal) auf einem Nachbargrundstück von Y.s Haus gebrannt. Feuerwehr und Polizei rücken an. „Er ist die Einsatzkräfte verbal angegangen, hat die Feuerwehrleute beleidigt.“ Und er fotografiert den Einsatz, habe sich aggressiv und aufbrausend gegeben. Habe herausgebrüllt, habe den Mittelfinger gezeigt, berichtet der Beamte. Anwohner, Nachbarn, Schaulustige kommen hinzu. Es fallen wieder Beleidigungen, an die Adresse des Beamten, weil der sich zwischen den Aggressor und die Einsatzkräfte gestellt hat. Lautstark, „vor den ganzen Leuten“, was den Beamten dazu bewogen habe, Strafantrag zu stellen. Er sei inzwischen bereits von einem Dritten auf diese Beleidigungen angesprochen worden. „Sie sind doch der Polizist, den Y. schon als ‚Wi…‘ bezeichnet hat?“ Y. habe auch schon versucht, den Beamten anzuspucken. Erst am vergangenen Freitag.

    Stress für Polizisten

    Die Polizisten bekommen seiner Darstellung zufolge auch Stress, wenn sie etwa wegen eines Brandes auf einem Nachbargrundstück das von Y. betreten.

    Eine 47-jährige Beamtin, Polizistin A., bestätigt den Stress. Erklärt der Amtsrichterin, dass es schwer sei, sich die einzelnen Vorfälle ins Gedächtnis zu rufen, „weil es viele Vorfälle gab.“ Aber sie erinnere sich an ein Telefonat mit Y., den sie in dessen Verlauf gebeten habe, die Leitung für wichtigere Anrufe freizumachen, woraufhin er gesagt habe: „Du mich auch, Du blöde Sau.“ In manchen seiner Anrufe bei der Polizei sei Y. auch gleich durchgestartet: „Frau A., ich kenne Deine Autonummer, ich weiß, wo Du wohnst“, ihr werde etwas passieren. Die Beamtin A. fühlt sich seither nach ihren Angaben unwohl, bedroht, verunsichert. Sie hat ebenfalls Strafantrag gestellt.

    Als Anzeigeerstatter scheint auch Y. nicht untätig zu sein. So liegt gegen die Polizistin A. offenbar eine Online-Anzeige wegen angeblicher sexueller Belästigung vor. Um einzelne Fälle wie diesen hervorzukramen, muss sich die Richterin durch drei jeweils knapp 20 Zentimeter hohe Hügel von Handakten arbeiten.

    Verängstigte Buben

    Auch die Buben, die Y. bedroht haben soll, werden verhört. Einer ist gerade 13, seine Eltern begleiten ihn in den Gerichtssaal. Er berichtet über den Fall: Als sie auf dem Heimweg vom TGA-Sportplatz an Y.s Grundstück hätten vorbeifahren wollen, habe er sie angehalten, an den Schultern gepackt, auf sein Grundstück gezerrt, habe die Polizei rufen wollen, habe ihnen auch damit gedroht, sie in den Keller zu sperren. „Wie ging’s Dir da?“, fragt die Richterin. „Schlecht“, so der Junge. Sein Kumpel habe zu weinen begonnen. Da sei eine Frau hinzugekommen, die mitbekommen hat, dass etwas nicht stimmt. Sie mischt sich ein. Und bekommt, so die Darstellung des Jungen, Ärger mit Y., der sie „stark geschubst“ haben soll. Sie bestätigt das später im Rahmen ihrer Aussage. Dann kam die Polizei.

    Bis heute, mehr als ein Jahr später, meidet der Bub das Grundstück des Mannes. Warum das passiert ist, weiß der Junge nach seinen Worten bis heute nicht. Sie hätten zuvor nie Kontakt mit Y. gehabt, das sei aus heiterem Himmel gekommen. Sie hätten ihn nicht provoziert, nichts. Wobei da wohl einmal ein Klingelstreich war, den er den Buben krumm nahm.

    Daher hatten die Kids die elterliche Anweisung, nicht direkt am Grundstück von Y. vorbei zu laufen. „Leute in der Altstadt laufen schon nicht mehr auf dem Gehweg an seinem Grundstück entlang, weil sie nicht beleidigt werden wollen“, so die Mutter eines der Buben, die Y. sich mutmaßlich geschnappt hat. „Er greift sich auch Leute, die an der gegenüberliegenden Seite zu seinem Grundstück entlang laufen.“ Wer Stress vermeiden will, meidet offenbar die Ecke. Wobei dort einiges geboten zu sein scheint: der überlaute Narrenmarsch Samstagmittags, beispielsweise. Und laut einer Zeugin auch ein splitterfasernackter Y. am Fenster.

    Zigfach Feuerwehreinsätze

    Die Zahl der Einsätze rund um Y.s Wohnadresse in der Rottweiler Altstadt ist groß. Sie dürfte in diesem Jahr zwischen 50 und 60 betragen haben. Allein für die örtliche Feuerwehr. Fast immer Klein- und Kleinstbrände. Mal auf einem Nachbargrundstück von Y., mal auf dem Friedhof. Mal brennt Papier, mal Biomüll, mitunter steht aber auch der Grüngutcontainer auf dem Friedhof in Flammen. Im Vollbrand. Einsatzkräfte der Feuerwehr leiden unter dem Vernehmen nach unter der Vielzahl der Einsätze, zumal Y. sie des öfteren angehen, beleidigen soll. Sie arbeiten die Kleinbrände aber stoisch ab. Im Durchschnitt ein bis zwei die Woche, manchmal auch zwei an einem Tag.

    Unterdessen als „Ar…loch“ und „Wi…“ bezeichnet zu werden, geht den teils altgedienten und vieles gewohnten Feuerwehrleuten zu weit. Auch aus ihren Reihen liegen Strafanzeigen vor. Darüber, dass während ihrer Löscharbeiten mal lautstark der Narrenmarsch aus Y.s Haus dringt, darüber können sie lächeln. Mitleidig lächeln. Und genervt.

    Zeugen und Aufnahmen

    Für eine mutmaßliche Brandstiftung gibt es einen Zeugen. Im Oktober vergangenen Jahres will der 40-Jährige im Vorbeifahren Y. dabei beobachtet haben, wie er am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, eine an der Straße abgestellte Papiermülltonne angezündet hat. Eine Seltenheit – dass es wohl einen Zeugen gibt. Denn obwohl die Nachbarschaft das Grundstück von Y. beobachtet, obwohl es am Nachbarhaus Kameras gibt, konnte Y. bislang keine Brandstiftung nachgewiesen werden. Der Mann hatte Dritten gegenüber immer entrüstet jede Schuld geleugnet. Er sei es, dem geschadet werden solle, er dagegen wünsche niemandem etwas böses. In Sachen dieser mutmaßlicher Brandstiftung liegt eine Anzeige des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft vor. Ein Versuch, wie es scheint, dem Mann juristisch beizukommen.

    In einem zweiten Fall von mutmaßlicher Brandstiftung gibt es ebenfalls eine Zeugin. „Ich war gerade auf dem Balkon eine rauchen“, erinnert sich die 41-Jährige. Sie will beobachtet haben, wie Y. im Mai den Inhalt einer Papiertonne angezündet hat. Ohnehin habe sie automatisch immer zu dessen Haus hinübergeblickt, „weil dort eh immer was los war.“ Später kam die Feuerwehr. Die Papiertonne habe diesmal nahe einer Hauswand gestanden. Eine Nachbar habe sie weggezogen. Daran erinnere sie sich gut. Aber sie würde nicht über alle Fälle Buch führen. „Es ist ja inzwischen Wahnsinn.“ Beinahe täglich müsse die Feuerwehr anrücken. Die 41-Jährige „war eine Zeitlang oft auf Beobachtung“, das aber mittlerweile aufgegeben. „Ich habe auch noch ein Leben.“ Sie habe Angst, dass es mal zu einem größeren Brand kommt. Und sie habe Angst, dass bei ihr mal was passieren könnte. Sie meide Y.

    Die Nachbarin hatte die angezündete Mülltonne damals im Mai gefilmt, mit ihrem Handy, vom Balkon aus. Das Video wollte die Richterin im Prozess vorführen. Das klappte zunächst nicht – was Y. dazu veranlasste, so ein wenig gehässig zu lachen. „Ich weiß nicht, ob Sie noch lachen, wenn wir das Video zum Laufen bekommen haben“, stellte ihn die Richterin daraufhin in den Senkel. Auch sie arbeitet ganz offenbar aktiv daran, dem Mann juristisch beizukommen. Und brachte das Video zum Laufen. Zwar nur klein auf ihrem Laptop und nicht auf dem großen Bildschirm des Sitzungssaals 36 im Amtsgericht Rottweil, aber immerhin.

    Ein weiterer Nachbar hat vom Keller, von seinem Kellerbarraum aus gesehen, wie Y. an seinem Auto entlanggegangen sei, sagt er vor Gericht aus. Er habe ein Zischen gehört, sei dann raus. Einer der Reifen an seinem Wagen sei dann platt gewesen. Daraufhin habe er die Polizei gerufen. Einer von vielen Vorfällen. Auch das Haus bewerfe Y. immer wieder etwa mit den Gläsern heruntergebrannter Grablichter, die er vor seinem Haus stehen habe.

    Anlasslose Angriffe – und Terror

    Für ihn, den Nachbarn von Y., der jetzt erst rund ein Jahr neben ihm wohnt (und unter ihm leidet) habe es nie einen Anlass gegeben. Y. sei ihm nie gegenübergetreten und habe etwa dies oder jenes zu ändern oder zu unterlassen gefordert. Das alles passiere seiner Auffassung nach anlasslos. Er könne es sich nicht erklären, berichtet er vor Gericht. Aber der Mann verteile seine Aggressionen ja großzügig: „Halt’s Maul, Du Fo…“, habe er eine Polizistin beleidigt, berichtet der Nachbar als Zeuge. Und auch mit Worten wie „Ar…loch“, „Drecksack“ und „Wi…“ geizt er seinen Worten zufolge nicht. Oder mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Der Nachbar hat inzwischen einen Zaun zum Nachbarhaus installiert. Und Kameras.

    „Im Januar hat der Terror angefangen“, bestätigt eine 24-jährige Nachbarin von Y., die erst seit vergangenem Herbst dort wohnt. Abgestochene Reifen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Polizei- und Feuerwehreinsätze – „im Januar und Februar war es wirklich extrem schlimm.“ Sie ist eine junge Frau, die die unter Juristen geläufige Redewendung „Belege zur Akte nehmen“ kennt. Mutmaßlich infolge der Auseinandersetzungen mit ihrem Nachbarn. Sie kennt auch eine mögliche Motivation seitens Y., sie zu quälen: „Er hat uns den Krieg erklärt, hat uns gesagt, dass er uns vertreiben wir, genauso wie die Vorbesitzer.“ Natürlich gibt es auch Grenz- und Gartenstreitigkeiten. Einen Anlass aber will auch sie nicht geboten haben. Es eskalierte offenbar auch rasch: Nur wenige Monate nach ihrem Einzug in Y.s Nachbarschaft sahen sich die 24-Jährige und ihr Partner genötigt, Y. ein Betretungsverbot für ihr Grundstück auszusprechen. Eines, das dieser bislang aber ignoriert haben soll.

    Die junge Nachbarin schildert Y. als einen sehr von der Richtigkeit – und vor allem der Folgenlosigkeit – seines Handelns überzeugten Mann. Juristisch könne man ihm nichts, er habe Staranwälte und habe Freunde bei der Polizei, habe er wiederholt erklärt. Und er wisse, wie er sich vor Gericht zu geben habe, um straffrei davonzukommen.

    Auf den Psychiater wird es ankommen

    An der Verhandlung vor dem Amtsgericht nimmt auch ein Psychiater teil, der Y. begutachten soll. Er stellt viele Fragen, will sich auch mithilfe der Aussagen von Zeuginnen und Zeugen ein Bild des Mannes machen. Es fällt ihm sichtlich nicht ganz leicht, weil die Motivation für Y.s Handeln im Dunkeln liegt. So wie er seine Taten dem Anschein nach ebenfalls gerne im Dunkeln begeht.

    Die Akten seien voll von Beleidigungen, hat der Psychiater beobachtet, „ein Meer von Beleidigung“ sei darin zu finden. Er verstehe es, dass die Beamten sich nicht an jeden einzelnen Vorfall erinnern könnten. Was der Sachverständige schon während der Zeugenvernehmungen herausarbeitet: Y. scheint es zu genießen, mit Polizisten, Feuerwehrleuten zu tun zu haben, im Mittelpunkt zu stehen. Gerne streitet er sich auch mit Pressevertretern.

    Der Psychiater jedenfalls wird urteilen müssen, inwieweit Y. aufgrund einer Erkrankung die Straftaten begehe. Und insofern eventuell nichts Falsches, nichts Verwerfliches an seinem Handeln erkennen könne. Darauf weist möglicherweise hin, dass sich Y. offenbar niemandem gegenüber für eine seiner mutmaßlichen Entgleisungen entschuldigt hat. Daran kann sich jedenfalls keiner der geladenen Zeugen erinnern.

    Kontrolle über sich scheint Y. allerdings zu haben. Während der stundenlangen Verhandlung am Montag bleibt er völlig ruhig. Er spricht nur wenig, lässt keine einzige Beleidigung vom Stapel. Eine Sitzungspause verbringt er allein, auch ohne seinen Anwalt. Den Prozess beobachten seine Nachbarn.

    Was der Psychiater auch herausarbeitet: Y. muss sich gelegentlich schon als der große Boss fühlen. Die Polizei könne ihm nichts, diese sei ihm nicht gewachsen, sagt der Mann im Gespräch mit der Wache offenbar gerne, wie der Psychiater einem Beamten entlockt. Und dass sich die Polizisten grundsätzlich nicht nur von ihm und seinem Grundstück fernzuhalten, sondern auch die Straßen um sein Haus nicht zu nutzen hätten. Also die öffentlichen Straßen.

    Oder/und: Handelt Y. wahnhaft? Empfindet er sich als Opfer in einer Konstellation alle gegen Einen? Reagiert er deswegen über, wenn er nicht gehört, wenn nicht nach seinen Wünschen gehandelt wird?

    Ein 41-jähriger leitender Beamter, der häufiger mit Y. zu tun gehabt hat, schildert ihn als jemanden, der „die ganze Bandbreite“ an Verhaltensweisen an den Tag legen könne. Er habe ihn schon direkt aggressiv und beleidigend erlebt, ein anderes Mal ausgesucht höflich, und er habe ihn auch schon weinend erleben können. Allerdings kann auch dieser Beamte die ganze Bandbreite an Schimpfworten rezitieren, die Y. anlässlich des einen oder anderen Einsatzes oder Anrufes geäußert hat.

    Unmittelbarer Zwang

    Wegen des Verdachts einer Grabschändung hat ein 31-Jähriger mit einem Kollegen zu Coronazeiten im August 2021 bereits ermittelt, auf dem Altstadtfriedhof, wie er vor dem Amtsgericht, es ist schon später Nachmittag, erzählt. Y. habe sich bei den Ermittlungen vor Ort eingeschaltet. „Er hat uns so lange genervt, dass wir ihm mehrfach gesagt haben, dass er unsere Ermittlungen nicht stören soll“, so der Beamte. Er sei ausfällig geworden, sie hätten ihm mehrfach angedroht, ihn in Gewahrsam zu nehmen. „Er kam uns zu nahe, hat gestänkert, hat sich über uns lustig gemacht.“ Y. sei schließlich den Beamten zum Streifenwagen gefolgt. Am Polizeiauto habe er dann begonnen, sich abzureagieren, habe aufs Heck des Streifenwagens geschlagen, woraufhin sich ihn die Beamten, die eigentlich wegfahren wollten, vornahmen. Sie brachten ihn zu Boden, wandten den sogenannten „unmittelbaren Zwang“ an, schlossen seine Hände am Rücken mit Handschließen, erinnerte sich der Beamte vor Gericht. Obszöne Bemerkungen und Beleidigungen hätten die Auseinandersetzung begleitet. Y. war damals übrigens Verdächtiger in Bezug auf die Grabschändung. Er wollte offenbar früher vernommen werden, als es der Plan der Polizisten vorsah. Stattdessen verbrachte er die Nacht im Polizeigewahrsam. Rund ein Promille Alkohol soll er intus gehabt haben.

    Die nächste größere Auseinandersetzung zwischen diesem Polizeibeamten und Y. folgte ein Jahr später, im Sommer 2022. „Da hat es mal wieder auf dem Friedhof gebrannt“, so der Polizist. Die Feuerwehr war im Einsatz, „wir haben eine normale Nachbarschaftsbefragung, eine Zeugenbefragung gestartet“, und eben Y. befragt, der im Garten stand und seine Blumen gegossen hat. Der habe ungehalten reagiert, sei gleich ausfällig geworden. Es folgte die Beleidigung als „Spinner“, es folgten obszöne Gesten, so der Beamte vor Gericht. Und später eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Längst versucht der Beamte nach eigenen Angaben, ein Aufeinandertreffen mit Y. zu vermeiden.

    Alles die Darstellung der Beleidigten, Bedrohten. Y. selbst schweigt zu den Vorwürfen. Insofern gibt es die Gegenargumente in diesem Verfahren nicht. Insofern verzichtet Y. damit auch darauf, sich als Opfer darzustellen, was er etwa gegenüber der NRWZ schon getan hat.

    Einerseits Anzeigeerstatter, andererseits Zeuge mit einem gewissen Verständnis

    Ein in der Altstadt wohnender Stadtrat, 58, wird ebenfalls vor dem Amtsgericht gehört. „Er terrorisiert in der Altstadt viele“, sagt er über Y. Eine direkte Nachbarin, eine ältere Frau, quäle er besonders, die direkten Nachbarn seien besonders leidgeplagt. Nach einem der häufigen Feuerchen sei er selbst vor Ort gewesen, so der Stadtrat. „So, Bürschle, jetzt bisch fällig“, habe er dem Unruhestifter bei einem Aufeinandertreffen gedroht, nachdem dieser seine Frau als „Fo…“ bezeichnet hatte. Und eine Strafanzeige gemeint, diese auch erstattet. Sie ist eine der gut 40 Anzeigen und Strafanträge, die in diesen Tagen verhandelt werden. Ob alle in eine Strafe münden? Völlig unklar. Vieles lässt sich nicht mehr hieb- und stichfest beweisen.

    Auffallend sei der Mann schon lange, so der Stadtrat über Y. Er habe einen Drang, sich mitzuteilen. Und seit dem Tod seiner Mutter, „um die er sich gekümmert, die er gepflegt hat“, sei es mit den juristisch relevanten Taten richtig losgegangen. Man kenne sich schon lange, so der Stadtrat. Y. scheint es unterdessen wichtig, einen gewissen Freundschaftsgrad herauszuarbeiten. Dennoch urteilt der 58-Jährige, Y. sei „ein armer, kranker Junge.“ Allerdings in Form einer psychischen Erkrankung. Eine, die zudem dazu führen könne, „dass er eines Tages erschlagen auf dem Friedhof liegt“. Wenn er die Menschen in seinem Umfeld zu sehr und zu lange reize, könne es zum Äußersten kommen, so die Befürchtung.

    Auch als Stadtrat – im Gemeinderat seien die vielen Vorkommnisse nichtöffentlich Thema gewesen – habe man wenig Handhabe gegen Y. Er wünsche sich einfach, dass die vielen Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Brände aufhörten, sagte der 58-Jährige. Dass Ruhe einkehrte. Das werden auch die Beamtinnen und Beamten im Lagezentrum der Polizei in Konstanz hoffen. Sie mussten bereits eine Streife bei Y. vorbeischicken, die ihn dazu bringen sollte, die Notrufleitung nicht mit ständigen Anrufen zu blockieren. Immer wieder soll der Mann zigfach den Notruf gewählt haben. Teilweise, um einfach „Kuckuck“ zu sagen.

    Das Verfahren wird fortgesetzt. Am Mittwoch sollen weitere Zeugen gehört werden, in einem noch zu bestimmenden Termin soll der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten abgeben, dann könnte noch im November das Urteil folgen. An einem insgesamt fünften Verhandlungstag.

    PS: Y. konnte sich zwar den kompletten Verhandlungstag zurückhalten, verlor dann aber, ganz zum Schluss doch noch die Fassung. So geriet er mit dem Staatsanwalt in Streit, weil dieser ihm nicht zubilligen wollte, an der gemeinsamen Terminfindung für den letzten Verhandlungstag teilzunehmen. Das stehe einem Angeklagten nicht zu. Was diesen natürlich ordentlich in Wallung brachte. Allerdings wartete Y. mit seiner Beleidigung („Ar…loch“), bis er auf dem Gang war und der Adressat das nicht mehr hören konnte.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Ist er „nur ein armer, kranker Junge“, wie ein Zeuge sagt? Im Sinne von schwer psychisch krank? Dieser Zeuge hatte ein gewisses Mitleid gegenüber Y. Allerdings hat auch er ihn angezeigt und so zu der Vielzahl an Verfahren beigetragen, die vor dem Amtsgericht nun in mehrere Verhandlungstage münden. Am Ende geht es übrigens, auch, wenn der Mann krank und vielleicht sogar eine Gefahr für sich selbst oder Dritte darstellen sollte, nicht etwa um eine Einweisung. Sondern um eine Bestrafung. Eine Geld-, oder, im Extremfall, eine Haftstrafe. Mehr ist auf dieser unteren Ebene der Judikative, dem Amtsgericht, nicht möglich.

    Keine Reue, keine Scham

    Er trägt eine schwarze Weste, vielleicht ein, zwei Nummern zu groß gewählt, aber er könnte selbst als Anwalt durchgehen. Strahlend weißes Hemd, gestreifte Krawatte, Anzughose, schick. Gekleidet wie für eine große Familienfeier. So erscheint Y. an diesem Montagmorgen kurz vor neun Uhr zu seiner Gerichtsverhandlung. Zu seinem Prozess. Er wirkt nüchtern, konzentriert, gefasst, mitunter auch angriffslustig. Er gibt sich geschäftig, zu den Vorwürfen aussagen will er indes nicht. Er schreibt mit. Und was immer man in seine Gestik und Mimik hineinlegen will: Reue und Scham sind nicht dabei. Demnach, was die Zeugen und was Beamte in diesem Prozess schildern, handelt es sich um einen notorischen Unruhestifter. Einen Nachbarschaftsterroristen. Einen, vor dem die Leute in der Altstadt Angst haben.

    Sein tatsächlicher Anwalt sieht vor Prozessbeginn alles andere als glücklich aus, wie er da so neben Y. sitzt. Verschränkte Arme, genervter Blick in die Ferne, seine Lippen verlässt ein Seufzen. Sein Mandant setzt ihn über dies und das noch in Kenntnis. Der Anwalt scheint es einfach zu ertragen. Er zeigt seinem Mandanten über lange Phasen im Prozess anschließend die (kalte) Schulter, wendet sich ab.

    Schon zwei Termine gab es in der Sache. Beziehungsweise in den Sachen: Rund 40 einzelne Verfahren gegen Y. hat das Amtsgericht zu einem verbunden. Heute „ein großes Zeugenprogramm“, so die Richterin am Montag. Fall um Fall soll aufgearbeitet werden. Nicht nur Beleidigungen, auch Sachbeschädigungen. Und Handgreiflichkeiten. Eine Pause bedeutet der Prozess für die Nachbarn von Y. derweil nicht. Tatsächlich scheinen sich die Abstände zwischen einzelnen Taten noch zu verkürzen. Und das sogar, während der mehrtägige Amtsgerichtsprozess läuft. Dieser sollte derweil ganz nach seinem Geschmack sein, denn es werden zig Zeuginnen und Zeugen aufgerufen, darunter eine fast zweistellige Zahl an Polizisten. Und er steht ganz im Mittelpunkt.

    „Es gab viele Anzeigen“

    Der erste Zeuge an diesem Montagmorgen ist ein Polizeibeamter. Er ist 31, ist mit dem Angeklagten „weder verwandt noch verschwägert“, würde dessen Wohnadresse aber mittlerweile im Schlaf, mit verbundenen Augen und volltrunken finden. Er war oft dort. „Es gab viele Anzeigen“, so der Beamte. Beispielsweise wegen Störung der Totenruhe auf dem nahen Altstadtfriedhof. Am 27. August 2021 war der Beamte wieder einmal mit einem Kollegen dort, auf dem Altstädter Friedhof. Während der Anzeigenaufnahme sei Y. zu ihnen gekommen. Das habe er häufig getan. „Dann kam es oft zu Beleidigungen“, erzählt der Beamte. An den Vorfall vom 27. August kann er sich nicht mehr detailliert erinnern. Es gab offenbar zu viele Einsätze, „es gab so viele Vorfälle“. Er berichtet ein wenig aus seinem Gedächtnis, merkt dann aber, „das war ein anderer Fall.“ Die Richterin löst das Dilemma, indem sie dem Beamten mit Stichworten auf die Sprünge hilft.

    So soll Y. vor rund eineinhalb Jahren vor seinem Haus zwei Kinder bedroht haben. Am Körper zitternd, ziemlich verängstigt und verstört haben sie die hinzugerufenen Streifenbeamten ihren Angaben nach in einer Pizzeria wartend angetroffen, die die Eltern eines der beiden betreiben und in die sie geflüchtet waren. „Ich schlag’ Dich tot“, habe er einen der beiden Jungs bedroht, sei beiden noch ein Stück weit hinterhergerannt, als sie „die Beine in die Hand nahmen“, so der Beamte, und flüchteten. Es folgt eine Gefährderansprache der Polizei. Er solle doch die Kinder in Ruhe lassen. Y. reagiert mit einer Gegenanzeige gegen die Kinder wegen Hausfriedensbruchs. Dennoch sei er damals „für seine Verhältnisse kooperativ gewesen“, berichtet der Beamte.

    Y. ist sehr aktiv

    Es soll auch viele Anrufe von Y. bei der Polizei gegeben haben. Anlass etwa: ein in der Römerstraße auf einem Gehweg parkendes Fahrzeug. Damals sei keine Streife frei gewesen, hätten andere, dringendere Einsätze vorgelegen. Y. wird offenbar am Telefon wütend, nennt den Polizisten ein „Ar…loch“. Später kümmert sich Y. wohl in Selbstjustiz um den Falschparker. Es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Autofahrer, der (unerlaubt) vor seinem Haus parkt. Der Polizeibeamte ist dann vor Ort, um Y. dazu zu bringen, die Nachbarn einfach in Ruhe zu lassen. Die Folge nach Darstellung des Beamten: ein mit dem Mittelfinger gezeigter Vogel. Er erstattet Anzeige wegen Beleidigung.

    Beleidigungen immerzu

    Ein weiterer Fall: 14 Anrufe in 13 Minuten auf dem Polizeirevier Rottweil. Sie kommen alle von Y. Wegen eines Parkverstoßes. „Wir hatten damals die Montagsdemo, wir hatten eine Streitigkeit und eine Gefährdung des Straßenverkehrs, wir hatten keine Beamte frei“, berichtet er Polizeibeamte. Y. soll ihn am Telefon daraufhin beleidigt haben, unter anderem so: „A…loch“, „Drecksack“, „Verfluchter Wi…“, „Du bekommst doch den Finger nicht aus dem Ar…“. Eine Entschuldigung habe es dafür bei den vielen Zusammentreffen und Gesprächen später nie gegeben. Y. habe gute und schlechte Tage, schätzt der Beamte ihn ein. Er könne Gespräche höflich beginnen. Er könne aber auch direkt loslegen mit seinen Beleidigungen. Es sei jedoch grundsätzlich so: Wenn er anrufe, wenn er ein Anliegen vorbringe, dann werde er rasch ungehalten, wenn man dann nicht sofort seinen Wünschen nachkomme.

    Vor ziemlich genau einem Jahr hatte es (wieder einmal) auf einem Nachbargrundstück von Y.s Haus gebrannt. Feuerwehr und Polizei rücken an. „Er ist die Einsatzkräfte verbal angegangen, hat die Feuerwehrleute beleidigt.“ Und er fotografiert den Einsatz, habe sich aggressiv und aufbrausend gegeben. Habe herausgebrüllt, habe den Mittelfinger gezeigt, berichtet der Beamte. Anwohner, Nachbarn, Schaulustige kommen hinzu. Es fallen wieder Beleidigungen, an die Adresse des Beamten, weil der sich zwischen den Aggressor und die Einsatzkräfte gestellt hat. Lautstark, „vor den ganzen Leuten“, was den Beamten dazu bewogen habe, Strafantrag zu stellen. Er sei inzwischen bereits von einem Dritten auf diese Beleidigungen angesprochen worden. „Sie sind doch der Polizist, den Y. schon als ‚Wi…‘ bezeichnet hat?“ Y. habe auch schon versucht, den Beamten anzuspucken. Erst am vergangenen Freitag.

    Stress für Polizisten

    Die Polizisten bekommen seiner Darstellung zufolge auch Stress, wenn sie etwa wegen eines Brandes auf einem Nachbargrundstück das von Y. betreten.

    Eine 47-jährige Beamtin, Polizistin A., bestätigt den Stress. Erklärt der Amtsrichterin, dass es schwer sei, sich die einzelnen Vorfälle ins Gedächtnis zu rufen, „weil es viele Vorfälle gab.“ Aber sie erinnere sich an ein Telefonat mit Y., den sie in dessen Verlauf gebeten habe, die Leitung für wichtigere Anrufe freizumachen, woraufhin er gesagt habe: „Du mich auch, Du blöde Sau.“ In manchen seiner Anrufe bei der Polizei sei Y. auch gleich durchgestartet: „Frau A., ich kenne Deine Autonummer, ich weiß, wo Du wohnst“, ihr werde etwas passieren. Die Beamtin A. fühlt sich seither nach ihren Angaben unwohl, bedroht, verunsichert. Sie hat ebenfalls Strafantrag gestellt.

    Als Anzeigeerstatter scheint auch Y. nicht untätig zu sein. So liegt gegen die Polizistin A. offenbar eine Online-Anzeige wegen angeblicher sexueller Belästigung vor. Um einzelne Fälle wie diesen hervorzukramen, muss sich die Richterin durch drei jeweils knapp 20 Zentimeter hohe Hügel von Handakten arbeiten.

    Verängstigte Buben

    Auch die Buben, die Y. bedroht haben soll, werden verhört. Einer ist gerade 13, seine Eltern begleiten ihn in den Gerichtssaal. Er berichtet über den Fall: Als sie auf dem Heimweg vom TGA-Sportplatz an Y.s Grundstück hätten vorbeifahren wollen, habe er sie angehalten, an den Schultern gepackt, auf sein Grundstück gezerrt, habe die Polizei rufen wollen, habe ihnen auch damit gedroht, sie in den Keller zu sperren. „Wie ging’s Dir da?“, fragt die Richterin. „Schlecht“, so der Junge. Sein Kumpel habe zu weinen begonnen. Da sei eine Frau hinzugekommen, die mitbekommen hat, dass etwas nicht stimmt. Sie mischt sich ein. Und bekommt, so die Darstellung des Jungen, Ärger mit Y., der sie „stark geschubst“ haben soll. Sie bestätigt das später im Rahmen ihrer Aussage. Dann kam die Polizei.

    Bis heute, mehr als ein Jahr später, meidet der Bub das Grundstück des Mannes. Warum das passiert ist, weiß der Junge nach seinen Worten bis heute nicht. Sie hätten zuvor nie Kontakt mit Y. gehabt, das sei aus heiterem Himmel gekommen. Sie hätten ihn nicht provoziert, nichts. Wobei da wohl einmal ein Klingelstreich war, den er den Buben krumm nahm.

    Daher hatten die Kids die elterliche Anweisung, nicht direkt am Grundstück von Y. vorbei zu laufen. „Leute in der Altstadt laufen schon nicht mehr auf dem Gehweg an seinem Grundstück entlang, weil sie nicht beleidigt werden wollen“, so die Mutter eines der Buben, die Y. sich mutmaßlich geschnappt hat. „Er greift sich auch Leute, die an der gegenüberliegenden Seite zu seinem Grundstück entlang laufen.“ Wer Stress vermeiden will, meidet offenbar die Ecke. Wobei dort einiges geboten zu sein scheint: der überlaute Narrenmarsch Samstagmittags, beispielsweise. Und laut einer Zeugin auch ein splitterfasernackter Y. am Fenster.

    Zigfach Feuerwehreinsätze

    Die Zahl der Einsätze rund um Y.s Wohnadresse in der Rottweiler Altstadt ist groß. Sie dürfte in diesem Jahr zwischen 50 und 60 betragen haben. Allein für die örtliche Feuerwehr. Fast immer Klein- und Kleinstbrände. Mal auf einem Nachbargrundstück von Y., mal auf dem Friedhof. Mal brennt Papier, mal Biomüll, mitunter steht aber auch der Grüngutcontainer auf dem Friedhof in Flammen. Im Vollbrand. Einsatzkräfte der Feuerwehr leiden unter dem Vernehmen nach unter der Vielzahl der Einsätze, zumal Y. sie des öfteren angehen, beleidigen soll. Sie arbeiten die Kleinbrände aber stoisch ab. Im Durchschnitt ein bis zwei die Woche, manchmal auch zwei an einem Tag.

    Unterdessen als „Ar…loch“ und „Wi…“ bezeichnet zu werden, geht den teils altgedienten und vieles gewohnten Feuerwehrleuten zu weit. Auch aus ihren Reihen liegen Strafanzeigen vor. Darüber, dass während ihrer Löscharbeiten mal lautstark der Narrenmarsch aus Y.s Haus dringt, darüber können sie lächeln. Mitleidig lächeln. Und genervt.

    Zeugen und Aufnahmen

    Für eine mutmaßliche Brandstiftung gibt es einen Zeugen. Im Oktober vergangenen Jahres will der 40-Jährige im Vorbeifahren Y. dabei beobachtet haben, wie er am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, eine an der Straße abgestellte Papiermülltonne angezündet hat. Eine Seltenheit – dass es wohl einen Zeugen gibt. Denn obwohl die Nachbarschaft das Grundstück von Y. beobachtet, obwohl es am Nachbarhaus Kameras gibt, konnte Y. bislang keine Brandstiftung nachgewiesen werden. Der Mann hatte Dritten gegenüber immer entrüstet jede Schuld geleugnet. Er sei es, dem geschadet werden solle, er dagegen wünsche niemandem etwas böses. In Sachen dieser mutmaßlicher Brandstiftung liegt eine Anzeige des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft vor. Ein Versuch, wie es scheint, dem Mann juristisch beizukommen.

    In einem zweiten Fall von mutmaßlicher Brandstiftung gibt es ebenfalls eine Zeugin. „Ich war gerade auf dem Balkon eine rauchen“, erinnert sich die 41-Jährige. Sie will beobachtet haben, wie Y. im Mai den Inhalt einer Papiertonne angezündet hat. Ohnehin habe sie automatisch immer zu dessen Haus hinübergeblickt, „weil dort eh immer was los war.“ Später kam die Feuerwehr. Die Papiertonne habe diesmal nahe einer Hauswand gestanden. Eine Nachbar habe sie weggezogen. Daran erinnere sie sich gut. Aber sie würde nicht über alle Fälle Buch führen. „Es ist ja inzwischen Wahnsinn.“ Beinahe täglich müsse die Feuerwehr anrücken. Die 41-Jährige „war eine Zeitlang oft auf Beobachtung“, das aber mittlerweile aufgegeben. „Ich habe auch noch ein Leben.“ Sie habe Angst, dass es mal zu einem größeren Brand kommt. Und sie habe Angst, dass bei ihr mal was passieren könnte. Sie meide Y.

    Die Nachbarin hatte die angezündete Mülltonne damals im Mai gefilmt, mit ihrem Handy, vom Balkon aus. Das Video wollte die Richterin im Prozess vorführen. Das klappte zunächst nicht – was Y. dazu veranlasste, so ein wenig gehässig zu lachen. „Ich weiß nicht, ob Sie noch lachen, wenn wir das Video zum Laufen bekommen haben“, stellte ihn die Richterin daraufhin in den Senkel. Auch sie arbeitet ganz offenbar aktiv daran, dem Mann juristisch beizukommen. Und brachte das Video zum Laufen. Zwar nur klein auf ihrem Laptop und nicht auf dem großen Bildschirm des Sitzungssaals 36 im Amtsgericht Rottweil, aber immerhin.

    Ein weiterer Nachbar hat vom Keller, von seinem Kellerbarraum aus gesehen, wie Y. an seinem Auto entlanggegangen sei, sagt er vor Gericht aus. Er habe ein Zischen gehört, sei dann raus. Einer der Reifen an seinem Wagen sei dann platt gewesen. Daraufhin habe er die Polizei gerufen. Einer von vielen Vorfällen. Auch das Haus bewerfe Y. immer wieder etwa mit den Gläsern heruntergebrannter Grablichter, die er vor seinem Haus stehen habe.

    Anlasslose Angriffe – und Terror

    Für ihn, den Nachbarn von Y., der jetzt erst rund ein Jahr neben ihm wohnt (und unter ihm leidet) habe es nie einen Anlass gegeben. Y. sei ihm nie gegenübergetreten und habe etwa dies oder jenes zu ändern oder zu unterlassen gefordert. Das alles passiere seiner Auffassung nach anlasslos. Er könne es sich nicht erklären, berichtet er vor Gericht. Aber der Mann verteile seine Aggressionen ja großzügig: „Halt’s Maul, Du Fo…“, habe er eine Polizistin beleidigt, berichtet der Nachbar als Zeuge. Und auch mit Worten wie „Ar…loch“, „Drecksack“ und „Wi…“ geizt er seinen Worten zufolge nicht. Oder mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Der Nachbar hat inzwischen einen Zaun zum Nachbarhaus installiert. Und Kameras.

    „Im Januar hat der Terror angefangen“, bestätigt eine 24-jährige Nachbarin von Y., die erst seit vergangenem Herbst dort wohnt. Abgestochene Reifen, Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Polizei- und Feuerwehreinsätze – „im Januar und Februar war es wirklich extrem schlimm.“ Sie ist eine junge Frau, die die unter Juristen geläufige Redewendung „Belege zur Akte nehmen“ kennt. Mutmaßlich infolge der Auseinandersetzungen mit ihrem Nachbarn. Sie kennt auch eine mögliche Motivation seitens Y., sie zu quälen: „Er hat uns den Krieg erklärt, hat uns gesagt, dass er uns vertreiben wir, genauso wie die Vorbesitzer.“ Natürlich gibt es auch Grenz- und Gartenstreitigkeiten. Einen Anlass aber will auch sie nicht geboten haben. Es eskalierte offenbar auch rasch: Nur wenige Monate nach ihrem Einzug in Y.s Nachbarschaft sahen sich die 24-Jährige und ihr Partner genötigt, Y. ein Betretungsverbot für ihr Grundstück auszusprechen. Eines, das dieser bislang aber ignoriert haben soll.

    Die junge Nachbarin schildert Y. als einen sehr von der Richtigkeit – und vor allem der Folgenlosigkeit – seines Handelns überzeugten Mann. Juristisch könne man ihm nichts, er habe Staranwälte und habe Freunde bei der Polizei, habe er wiederholt erklärt. Und er wisse, wie er sich vor Gericht zu geben habe, um straffrei davonzukommen.

    Auf den Psychiater wird es ankommen

    An der Verhandlung vor dem Amtsgericht nimmt auch ein Psychiater teil, der Y. begutachten soll. Er stellt viele Fragen, will sich auch mithilfe der Aussagen von Zeuginnen und Zeugen ein Bild des Mannes machen. Es fällt ihm sichtlich nicht ganz leicht, weil die Motivation für Y.s Handeln im Dunkeln liegt. So wie er seine Taten dem Anschein nach ebenfalls gerne im Dunkeln begeht.

    Die Akten seien voll von Beleidigungen, hat der Psychiater beobachtet, „ein Meer von Beleidigung“ sei darin zu finden. Er verstehe es, dass die Beamten sich nicht an jeden einzelnen Vorfall erinnern könnten. Was der Sachverständige schon während der Zeugenvernehmungen herausarbeitet: Y. scheint es zu genießen, mit Polizisten, Feuerwehrleuten zu tun zu haben, im Mittelpunkt zu stehen. Gerne streitet er sich auch mit Pressevertretern.

    Der Psychiater jedenfalls wird urteilen müssen, inwieweit Y. aufgrund einer Erkrankung die Straftaten begehe. Und insofern eventuell nichts Falsches, nichts Verwerfliches an seinem Handeln erkennen könne. Darauf weist möglicherweise hin, dass sich Y. offenbar niemandem gegenüber für eine seiner mutmaßlichen Entgleisungen entschuldigt hat. Daran kann sich jedenfalls keiner der geladenen Zeugen erinnern.

    Kontrolle über sich scheint Y. allerdings zu haben. Während der stundenlangen Verhandlung am Montag bleibt er völlig ruhig. Er spricht nur wenig, lässt keine einzige Beleidigung vom Stapel. Eine Sitzungspause verbringt er allein, auch ohne seinen Anwalt. Den Prozess beobachten seine Nachbarn.

    Was der Psychiater auch herausarbeitet: Y. muss sich gelegentlich schon als der große Boss fühlen. Die Polizei könne ihm nichts, diese sei ihm nicht gewachsen, sagt der Mann im Gespräch mit der Wache offenbar gerne, wie der Psychiater einem Beamten entlockt. Und dass sich die Polizisten grundsätzlich nicht nur von ihm und seinem Grundstück fernzuhalten, sondern auch die Straßen um sein Haus nicht zu nutzen hätten. Also die öffentlichen Straßen.

    Oder/und: Handelt Y. wahnhaft? Empfindet er sich als Opfer in einer Konstellation alle gegen Einen? Reagiert er deswegen über, wenn er nicht gehört, wenn nicht nach seinen Wünschen gehandelt wird?

    Ein 41-jähriger leitender Beamter, der häufiger mit Y. zu tun gehabt hat, schildert ihn als jemanden, der „die ganze Bandbreite“ an Verhaltensweisen an den Tag legen könne. Er habe ihn schon direkt aggressiv und beleidigend erlebt, ein anderes Mal ausgesucht höflich, und er habe ihn auch schon weinend erleben können. Allerdings kann auch dieser Beamte die ganze Bandbreite an Schimpfworten rezitieren, die Y. anlässlich des einen oder anderen Einsatzes oder Anrufes geäußert hat.

    Unmittelbarer Zwang

    Wegen des Verdachts einer Grabschändung hat ein 31-Jähriger mit einem Kollegen zu Coronazeiten im August 2021 bereits ermittelt, auf dem Altstadtfriedhof, wie er vor dem Amtsgericht, es ist schon später Nachmittag, erzählt. Y. habe sich bei den Ermittlungen vor Ort eingeschaltet. „Er hat uns so lange genervt, dass wir ihm mehrfach gesagt haben, dass er unsere Ermittlungen nicht stören soll“, so der Beamte. Er sei ausfällig geworden, sie hätten ihm mehrfach angedroht, ihn in Gewahrsam zu nehmen. „Er kam uns zu nahe, hat gestänkert, hat sich über uns lustig gemacht.“ Y. sei schließlich den Beamten zum Streifenwagen gefolgt. Am Polizeiauto habe er dann begonnen, sich abzureagieren, habe aufs Heck des Streifenwagens geschlagen, woraufhin sich ihn die Beamten, die eigentlich wegfahren wollten, vornahmen. Sie brachten ihn zu Boden, wandten den sogenannten „unmittelbaren Zwang“ an, schlossen seine Hände am Rücken mit Handschließen, erinnerte sich der Beamte vor Gericht. Obszöne Bemerkungen und Beleidigungen hätten die Auseinandersetzung begleitet. Y. war damals übrigens Verdächtiger in Bezug auf die Grabschändung. Er wollte offenbar früher vernommen werden, als es der Plan der Polizisten vorsah. Stattdessen verbrachte er die Nacht im Polizeigewahrsam. Rund ein Promille Alkohol soll er intus gehabt haben.

    Die nächste größere Auseinandersetzung zwischen diesem Polizeibeamten und Y. folgte ein Jahr später, im Sommer 2022. „Da hat es mal wieder auf dem Friedhof gebrannt“, so der Polizist. Die Feuerwehr war im Einsatz, „wir haben eine normale Nachbarschaftsbefragung, eine Zeugenbefragung gestartet“, und eben Y. befragt, der im Garten stand und seine Blumen gegossen hat. Der habe ungehalten reagiert, sei gleich ausfällig geworden. Es folgte die Beleidigung als „Spinner“, es folgten obszöne Gesten, so der Beamte vor Gericht. Und später eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Längst versucht der Beamte nach eigenen Angaben, ein Aufeinandertreffen mit Y. zu vermeiden.

    Alles die Darstellung der Beleidigten, Bedrohten. Y. selbst schweigt zu den Vorwürfen. Insofern gibt es die Gegenargumente in diesem Verfahren nicht. Insofern verzichtet Y. damit auch darauf, sich als Opfer darzustellen, was er etwa gegenüber der NRWZ schon getan hat.

    Einerseits Anzeigeerstatter, andererseits Zeuge mit einem gewissen Verständnis

    Ein in der Altstadt wohnender Stadtrat, 58, wird ebenfalls vor dem Amtsgericht gehört. „Er terrorisiert in der Altstadt viele“, sagt er über Y. Eine direkte Nachbarin, eine ältere Frau, quäle er besonders, die direkten Nachbarn seien besonders leidgeplagt. Nach einem der häufigen Feuerchen sei er selbst vor Ort gewesen, so der Stadtrat. „So, Bürschle, jetzt bisch fällig“, habe er dem Unruhestifter bei einem Aufeinandertreffen gedroht, nachdem dieser seine Frau als „Fo…“ bezeichnet hatte. Und eine Strafanzeige gemeint, diese auch erstattet. Sie ist eine der gut 40 Anzeigen und Strafanträge, die in diesen Tagen verhandelt werden. Ob alle in eine Strafe münden? Völlig unklar. Vieles lässt sich nicht mehr hieb- und stichfest beweisen.

    Auffallend sei der Mann schon lange, so der Stadtrat über Y. Er habe einen Drang, sich mitzuteilen. Und seit dem Tod seiner Mutter, „um die er sich gekümmert, die er gepflegt hat“, sei es mit den juristisch relevanten Taten richtig losgegangen. Man kenne sich schon lange, so der Stadtrat. Y. scheint es unterdessen wichtig, einen gewissen Freundschaftsgrad herauszuarbeiten. Dennoch urteilt der 58-Jährige, Y. sei „ein armer, kranker Junge.“ Allerdings in Form einer psychischen Erkrankung. Eine, die zudem dazu führen könne, „dass er eines Tages erschlagen auf dem Friedhof liegt“. Wenn er die Menschen in seinem Umfeld zu sehr und zu lange reize, könne es zum Äußersten kommen, so die Befürchtung.

    Auch als Stadtrat – im Gemeinderat seien die vielen Vorkommnisse nichtöffentlich Thema gewesen – habe man wenig Handhabe gegen Y. Er wünsche sich einfach, dass die vielen Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Brände aufhörten, sagte der 58-Jährige. Dass Ruhe einkehrte. Das werden auch die Beamtinnen und Beamten im Lagezentrum der Polizei in Konstanz hoffen. Sie mussten bereits eine Streife bei Y. vorbeischicken, die ihn dazu bringen sollte, die Notrufleitung nicht mit ständigen Anrufen zu blockieren. Immer wieder soll der Mann zigfach den Notruf gewählt haben. Teilweise, um einfach „Kuckuck“ zu sagen.

    Das Verfahren wird fortgesetzt. Am Mittwoch sollen weitere Zeugen gehört werden, in einem noch zu bestimmenden Termin soll der psychiatrische Sachverständige sein Gutachten abgeben, dann könnte noch im November das Urteil folgen. An einem insgesamt fünften Verhandlungstag.

    PS: Y. konnte sich zwar den kompletten Verhandlungstag zurückhalten, verlor dann aber, ganz zum Schluss doch noch die Fassung. So geriet er mit dem Staatsanwalt in Streit, weil dieser ihm nicht zubilligen wollte, an der gemeinsamen Terminfindung für den letzten Verhandlungstag teilzunehmen. Das stehe einem Angeklagten nicht zu. Was diesen natürlich ordentlich in Wallung brachte. Allerdings wartete Y. mit seiner Beleidigung („Ar…loch“), bis er auf dem Gang war und der Adressat das nicht mehr hören konnte.

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