Im Stich gelassen, nicht informiert. So fühlen sich Rottweiler Einzelhändler – und zwar von der Stadtverwaltung. Eine kleine Umfrage hat dieses Stimmungsbild ergeben. Manche sagen, dass sie den Wirtschaftsförderer der Stadt noch nie in ihrem Geschäft gesehen hätten. Eine wettert: „Wir wissen ja gar nicht, was der macht.“ Ein anderer Geschäftsmann macht derweil seinen Laden gerade dicht. Allen gemeinsam ist die Wahrnehmung: Die Kaufkraft in Rottweil geht zurück. Vielleicht fließt sie auch bloß ins Internet. Update: Bürgermeister Dr. Christian Ruf hat auf diesen Artikel reagiert.
Es ist der letzte Tag, an dem Simon Rau seinen Laden in der Hauptstraße öffnet. Am heutigen Mittwoch ist sein letzter Verkaufstag, hat er angekündigt, wegen Geschäftsaufgabe. So viele Kunden wie an diesem Vormittag hat er schon lange nicht mehr in seinem Geschäft gesehen.
Bei „Glückseligkeiten von Rau“, Hauptstraße
Rau (Bild) fühlt sich im Stich gelassen. In seinen „Glückseligkeiten“ an der Oberen Hauptstraße muss er sich von vielen betroffenen Kunden verabschieden, die das Ende des Ladens sehr bedauern. Er schließt nicht gerne, „so schlecht lief’s nicht“, sagt er. Aber der Aufwand – 70 bis 80 Stunden pro Woche – habe sich nicht mehr gelohnt im Vergleich zu dem, was dabei herausgekommen sei.
„Das hat sich schon in den letzten zwei Jahren abgezeichnet. Die Kaufkraft ist stark zurückgegangen.“ Er sei deswegen auch schon beim Oberbürgermeister gewesen, aber ohne Erfolg. Die Stadt kaufe ihr Büromaterial lieber in Hannover, sagt Rau nicht ohne Bitterkeit. „Ich habe gefragt, ob sie nicht wenigstens ihr Kopierpapier bei mir einkaufen wollen.“ Ohne Erfolg.
Einzig die neuen Bücher für die Stadtbücherei beziehe die Stadt bei den örtlichen Händlern, aber aufgeteilt auf alle drei. „Das waren dann nicht mal 100 Euro im Jahr. Sie sollten buy local ernster nehmen“, sagt Rau.
Das Stadtmarketing habe sein Thema verfehlt, findet er zudem. Allerdings sei die Stadt als Kunde nicht der Heilsbringer, viel schlimmer treffe ihn als Ladeninhaber der Online-Handel. Er selbst habe in seinem Paketshop täglich etwa 60 Pakete rausgegeben. Das muss man sich mal geben: Da krebst ein Einzelhändler vor sich hin, weil zu wenige Menschen bei ihm einkaufen – und diese lassen ihre Pakete mit ihren Online-Bestellungen zu ihm liefern, weil sein Laden ja so bequem erreichbar liegt. Nun, das ist jetzt vorbei.
Und die Turmtouristen? „Davon habe ich nichts gemerkt. Vielleicht mal ein paar Postkarten“, sagt Rau. Während des Gesprächs schüttelt er immer wieder bedauernden Kunden die Hand zum Abschied, schenkt Kleinigkeiten her und erzählt, dass er Glück gehabt habe, aus dem auf acht Jahre angelegten Mietvertrag vorzeitig aussteigen zu können.
Einen neuen Job hat Rau nach eigenen Angaben bereits, mit Aussicht auf Festanstellung. Er macht ihn jetzt schon nebenher.
Einen Nachmieter für den Laden nicht. Ein weiterer Leerstand.
In der „Bunte Truhe“, Hauptstraße
„Es ist eine Spirale“, sagt Bunte-Truhe-Inhaberin Bettina Baumann (im Bild links). Denn wenn immer weniger Leute in die Stadt kommen, um einzukaufen, machen immer mehr Läden zu – und es gibt noch weniger Anreize, in die Stadt zu gehen. Sie hofft auf die Hängebrücke und neue Parkplätze.
„Überall wird man auf die Brücke angesprochen“, sagt ihre Mitarbeiterin Beate Fink. „Die Stadt hat viele gute Ideen. Aber nichts wird umgesetzt.“ Beide sind überzeugt, dass es mehr Parkplätze in der Stadt braucht, denn Parken am Turm und von dort über die Brücke in die Stadt, das werden die Leute nicht machen. „Sie müssen hier parken können, damit die Oma, die nicht über die Brücke will, hier bummeln und einen Kaffee trinken kann. Und dann sieht es vielleicht auch in Sachen Gastronomie wieder besser aus im Städtle.
Im „Casa Capelli“, Hochmaiengasse
Angelika Kaiser-Sbrzesny (Bild) hat einen speziellen Wunsch an die Stadt: Um den kleinen Baum neben ihrem Hutladen Casa Cappelli in der Hochmaiengasse sollte eine Rundbank kommen. „Das ist einer der wenigen Bäume in der Stadt“, und oft genug sieht sie Mamas mit Kindern an dem kleinen Platz. Da wäre es doch schön, eine Sitzgelegenheit zu haben.
Und natürlich: Hinweisschilder auf die Geschäfte in den Seitengassen, die unendliche Geschichte. „Ich hab da schon einige Vorschläge gemacht: Ein historischer Pylon oder Emaille-Schilder an einer Kette, die könnte sich dann kaufen, wer möchte. Hier hinten findet uns doch kein Tourist. Die wenigsten wissen zum Beispiel, dass es das Café Känzele gibt.“
Die Stadt sollte da aufwachen, findet Kaiser-Sbrzesny, auch bei anderen unverständlichen Vorschriften. Dass Wirt Yves Binet am Kapellenhof keine Sonnenschirme aufstellen darf, ärgert sie, „da ist es mittags viel zu heiß.“
Aber sie habe doch einen Ansprechpartner bei der Stadt. Wirtschaftsförderer André Lomsky. Dieser habe sich bislang nicht blicken lassen: „Bei mir im Laden war er nie.“
Ihre Kundin Ingrid Wilde hat auch einiges auf dem Herzen. Viel zu hohe Ladenmieten, eine engstirnige Stadtverwaltung, zugeparkte Gassen abends, so dass die Anwohner keine Parkplätze finden, das werde kaum kontrolliert. „Da kommt keine Feuerwehr und kein Krankenwagen durch.“
Beim „Leibkleid“, Hauptstraße
„Alle jammern über die vielen Leerstände. Dabei haben wir so viele schöne Geschäfte in Rottweil“, findet Ani Reisle (Bild) vom Wäschegeschäft Leibkleid beim Schwarzen Tor. Das Parkplatzproblem gebe es doch überall, findet sie, „und wir haben sogar die Brezeltaste.“
Die Stadt sollte mehr für sich werben, „Rottweil ist die älteste Stadt Baden-Württembergs. Das ist doch was.“ Auf die städtische Wirtschaftsförderung angesprochen, meint Ani Reisle lapidar: „Ich weiß nicht, ob sie was tun. Hier war Herr Lomsky jedenfalls noch nicht.“
Dafür mache die Stadt viel zu viele Vorschriften. Wenn man etwas Individuelles anbringen wolle, werde man ausgebremst. Die vielen Turm-Touristen nennt sie „Heuschreckenschwärme“, die im Schnelldurchlauf Rottweil anschauten. „Die haben höchstens Zeit für einen Kaffee oder ein Eis.“ Auch Reisle hofft auf die Hängebrücke, die mehr Individualtouristen anlockt. „Die haben dann auch Zeit zum Bummeln.“
Bei der „Raumausstattung Probst“, Blumengasse
Sigurd (im Bild rechts) und Jockel Probst sehen ebenfalls bisher keine Belebung ihres Geschäfts in der Blumengasse durch die Turm-Touristen. Und auch Aktionen wie der Weihnachtsmarkt helfen ihnen nicht weiter. „Da ist die Gasse dann von den Marktbeschickern zugeparkt.“
Auch sie hätten den städtischen Wirtschaftsförderer André Lomsky noch nie in ihrem Laden gesehen, erklären die beiden Inhaber des Polstergeschäfts.
Sie könnten sich mehr Kunstaktionen in der Innenstadt vorstellen, so wie die Rottweiler Plastikhunde von Ottmar Hörl vor 15 Jahren. Das würde, finden die beiden Brüder, mehr bringen als die angejahrten Kunstwerke entlang der Königstraße. Dazu Bäume, Blumen, Sonnenschirme und weniger Ecken, die von Mülltonnen geprägt sind, „da müsste man sich was einfallen lassen.“
Bei Stauss Uhren und Schmuck“ in der Hochbrücktorstraße
Richtig sauer auf die Wirtschaftsförderung ist Ulrike Stauss (im Bild rechts). „Wenn man sich Wirtschaftsförderer nennt, muss man sich aktiv um die Leerstände kümmern“, sagt die Inhaberin des Juweliergeschäfts an der Hochbrücktorstraße. Aber da werde nichts getan. Ihr Beispiel: Als nebenan das ehemalige Modegeschäft Wenzler leer stand, „hätte man ja mal bei uns Nachbarn fragen können, ob wir Interesse haben.“ Da sei aber überhaupt nichts passiert.
Die Stadt wälze ihre Aufgaben auf den Gewerbe- und Handelsverein (GHV) ab, aber dort arbeite man ehrenamtlich. „Man kann doch nicht erwarten, dass Ehrenamtliche das nebenher machen, was ein städtischer Mitarbeiter machen sollte, der das studiert hat“, so Stauss.
Die Geschäftsfrau fordert, dass die Kosten für einen Citymanager von der Stadt getragen werden. „Das muss ganz klar über den Haushalt abgedeckt werden. Wir zahlen dafür ja Gewerbesteuer.“
Sie fühle sich von der Stadt völlig alleine gelassen, so die Einzelhändlerin. „Wir bekommen keine Unterstützung, keine Infos. Es fehlt etwa schon ein E-Mail-Verteiler für alle Händler, über den wir einmal die Woche darüber informiert werden, was gerade gemacht wird.“ Ein Wirtschaftsförderer sei auch den Händlern gegenüber verpflichtet. „Wir wissen ja gar nicht, was der macht.“
Bei „Gent. anziehend männlich“ in der Hochbrücktorstraße
Die Hängebrücke würde es bringen, das findet auch Roswitha Rützel vom Männerausstatter Gent in der Hochbrücktorstraße. „Da muss die Stadt aktiv werden.“ Sorgen macht ihr der Umzug vom Drogeriemarkt Müller, „am Friedrichsplatz sieht es dann echt übel aus.“ Aber auch die Überlegungen, das Stadtmuseum in anderen Räumen unterzubringen: Für sie gehört es an den jetzigen Standort, zusammen mit dem Nachbarhaus. „Der Charme dieser Häuser passt zum Museum.“
Sie wünscht sich einen Citymanager, der sich konkret um leerstehende Geschäfte kümmert. „In Oberndorf hab‘ ich mal gehört: Leerstand ist Potential. Das hat mir gut gefallen.“
Die kleinen Läden, die Rottweil ausmachten, hätten ein großes Problem mit der Barrierefreiheit. Hier sollte man, findet Rützel, in Sachen Denkmalschutz ein Auge zudrücken.
Info: Die Stadtverwaltung Rottweil haben wir bereits ausführlich zum Thema zu Wort kommen lassen. Der Leerstand liege unter dem Landesschnitt, heißt es aus dem Rathaus:
Die Hoffnung auf Turm und Hängebrücke zu setzen geht fehl. Der Turm ist nur am Wochenende für die Öffentlichkeit geöffnet. Und sonntags werden die Wenigsten viel verkaufen.
Hat irgendjemand der zum Shopping in Stuttgart/München/London oder NewYork war jemals über Parkplätze gesprochen?
Es heißt Einzelhandel gegen Online-Handel.
Da heißt es Leben in die Innenstadt zu bringen. Weihnachtsmarkt, verkaufsoffener Sonntag… sind ein Anfang. Aber nur ein Anfang. Die geplanten Bänke ein keiner Schritt in die richtige Richtung.
In Oberndorf sieht es in der Stadt nicht gut aus ….. soviel zu Potential