„Jetzt hier reingehen und mit ’ner Uzi draufhalten.“ Diesen Satz konnte ein damals 21-jähriger Waffennarr nur noch stammeln, so blau war er. Gemeint war an jenem Mittag im Mai 2018 das Rottweiler Berufsschulzentrum, das der junge Mann damals besuchte. Man informierte die Polizei, die zu einer Wohnungsdurchsuchung anrückte. Die Beamten fanden den jungen Mann betrunken in seinem Bett vor und Waffen, Waffenteile und Munition, lauter verbotene Sachen. Jetzt stand der junge Mann deshalb vor dem Rottweiler Amtsgericht. Seine Strafe fiel niedrig aus – einerseits deshalb, weil er sein Leben komplett geändert hat und sich geständig und kooperativ zeigte. Aber auch, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren offenbar ordentlich verbockt hat.
Lange Liste der Waffen- und Munitionsfunde
Dienstagmittag in einem gut angewärmten Sitzungssaal des Rottweiler Amtsgerichts. Die Fenster sind geöffnet, die Luft steht dennoch. Und die Verlesung der Anklage zieht sich hin. Mehr als 100 Positionen arbeitet der Staatsanwalt ab. Bei Punkt 40 schüttelt er heftig den Kopf, wie um sich besser konzentrieren zu können. Mehr als doppelt so viele Punkte folgen noch, allein, was die Liste der Munitionsfunde angeht. 15 Minuten lang geht das so.
Denn die Polizei fand am 3. Mai 2018 bei dem jungen Mann zuhause Schusswaffen, teils vollautomatische, verbotene Munition, scharfe Übungshandgranaten, Schwarz- und Treibladungspulver. Fand eine vollautomatische Maschinenpistole, aber natürlich keine Erlaubnis dafür. Ein Sturmgewehr, britische und italienische Revolver, eine zur scharfen Waffe umgebaute Schreckschusspistole. Und Schusswaffenteile, die etwa zu einem Sturmgewehr gehören. Läufe, Laufrohlinge, Griffstücke, eine Revolvertrommel. Teile teils von Heckler & Koch, teils aus Italien oder aus Tschechien. Zudem eine Präzisionsschleuder und ein Messer. Und kiloweise Munition. MG-, Remington-, Gewehr-, Büchsen-, Pistolen-, Platz- und Magnum-Patronen, Kleinkaliber- und Jagdmunition, Rundkugeln. Hunderte. Darunter verbotene Vollmantelgeschoss- und Bleimantel-Patronen.
Für Juristen sind das Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz und gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die ausgelobte Strafe dafür: ein Jahr Haft aufwärts. Für den Vorsitzenden Richter am Rottweiler Amtsgericht waren das „ein ganzer Wust an Waffen und verbotenen Gegenständen.“ Aber ein minderschwerer Fall, wie sich noch herausstellen sollte.
Die halbe Familie im Schützenverein
Graues Hemd, hagere Gestalt, Bart. Knallrote Backen, eine Röte, die auch nach der begonnenen Verhandlung nicht weichen wollte. So saß der junge Mann auf der Anklagebank. Er bezeichnete sich als jemand „mit großem historischem Interesse“. Der Opa Jäger, die Eltern in Schützenvereinen, er selbst zeitweise in zweien. Etwa als Sportpistolenschütze. „In Waffen bin ich gut“, sagt er, ohne jedes Lächeln. Beinahe entschuldigend, schamhaft. 2018 hatte er gerade die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen. Bei einem Waffenhändler. Vonseiten der Familie begleitet ihn an diesem Nachmittag ins Amtsgericht niemand. Der junge Mann muss das allein durchstehen.
Pizza oder Knarre? Gab’s beides ab fünf Euro
„Kaufe ich mir ’ne Pizza oder ’ne Knarre“, so beschrieb der heute 26-Jährige seine Gedanken damals, in der Zeit bis 2018. Die Dinger waren billig, er bekam sie teils schon ab fünf Euro. Dennoch: Die gelistete Sammlung soll laut ihm einen Kaufpreis zwischen 5000 und 10.000 Euro besessen haben. Woher die Sachen stammen, will er nicht sagen. Auch auf Nachfrage des Richters nicht. Es ist sein gutes Recht.
An die Durchsuchung durch Kriminalbeamte erinnert er sich nur schwammig. Er habe in Unterhosen im Bett gelegen, „und plötzlich steht die Polizei vor mir.“ Er muss pusten, sie messen mehr als zwei Promille. „An dem Tag habe ich es völlig übertrieben.“ Doch er hatte die Jahre davor schon getrunken, „in der Mittagspause einen Jägermeister. Auf Rausch.“ Und aus Liebeskummer, wie er erzählt.
An jenem Mittag hatte er es zuvor schon gut angetrunken vor dem Berufsschulzentrum übertrieben. „Jetzt hier reingehen und mit ner Uzi draufhalten.“ Diesen Satz habe er mehr gestammelt als gesagt. Eine Uzi ist eine Maschinenpistole. Der Satz also kein Spaß. Die Polizei wurde gerufen, man sah aber keine akute Bedrohungslage. Den jungen Mann fuhr, betrunken, wie er war, sein Lehrer heim.
Veränderter Mensch, geändertes Leben
Heute, gut vier Jahre später, ist er ein anderer. Da sitzt ein nachdenklicher, intelligenter junger Mann auf der Aklagebank. Einer, der kuruz vor seiner Bachelorarbeit steht. Er verdient sich sein sparsames Leben in einer Studentenstadt mit einem kleinen Nebenjob, für den man Köpfchen braucht, dazu mit Umzugshilfen und Blutspenden. Dem Richter antwortet er klar, überlegt, höflich. Und reumütig. Auf die Rückgabe der sichergestellten Waffen und der Munition samt den Handgranaten verzichtet er.
Sein Leben hat er seinerzeit drastisch geändert. Während die Polizei die Ermittlungen gegen ihn aufnahm, hat er eine einmonatige, stationäre Alkoholtherapie gemacht. Bezeichnet sich inzwischen als trocken. Und will seither keine Waffe mehr angefasst haben.
Doch muss er sich am Dienstag zurückerinnern, denn es wird seine Tat aufgearbeitet. „Was hat Sie geritten?“, will der Amtsrichter wissen. „Die einfache Begründung ist eine komplett und restlos aus dem Ruder gelaufene Sammelleidenschaft und -wut“, sagt der heute 26-Jährige. Es kommt nur nach einem kurzen Zögern. Völlig offen, vollkommen ehrlich. Er sei an Waffen interessiert gewesen, habe ein großes Fachwissen darüber. Er habe gewusst, dass es illegal ist, sie sich zu beschaffen, deshalb habe er „nur noch mehr gehamstert.“
Der junge Mann nennt die Zeit „einen komischen Abschnitt“ in seinem Leben. Er habe damals in einem Waffenladen gearbeitet, wollte selbst eine Handelslizenz erwerben, einen Laden aufmachen, als Waffenhersteller auftreten. Auf diese Weise wollte er „die Waffen legalisieren“, damit Jäger und Sportschützen sie kaufen und nutzen können.
Aus alldem wurde nichts. Stattdessen kam die Polizei, nahm die Waffen und die Munition mit.
Die juristischen Folgen der Sammelwut – und der Untätigkeit der Staatsanwaltschaft
Weil der junge Mann geständig war, benötigte das Gericht keine Zeugen. Das hatte zuvor schon festgestanden, es war niemand geladen worden. So ist die eigentliche Hauptverhandlung auch nach knapp einer Stunde vorbei. Der Staatsanwalt und der Verteidiger haben das Wort. Sie plädieren auf eine milde, zur Bewährung ausgesetzte Strafe. Der Staatsanwalt fordert neun Monate Freiheitsstrafe – und hält dem jungen Mann seine „absolute Offenheit“ zugute -, der Verteidiger, man muss sich ja abheben, acht Monate.
Das Urteil fällt dann auch schon nach nur gut einer Stunde Verhandlungsdauer. Immerhin hatte der Waffennarr, als welcher ihn etwa sein Anwalt bezeichnete, vier Jahre darauf warten müssen. „Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung“, nennt das der Jurist, was sich positiv auf die Strafzumessung auswirkt. Die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren lange liegen lassen. Und zwar von Mitte Januar 2020, nachdem die Polizei die Akte übergeben hatte, bis zum Mai 2022 „ist bei der Staatsanwaltschaft aus mir unbekannten Gründen nichts passiert“, so der Richter.
Es sei denoch ein Fall, „bei dem mir ein bisschen die Worte fehlen“, erklärte der Richter weiter, die Waffensammlung sei „vom Umfang her schwer zu fassen“. Da sei „eine Sammelwut völlig aus dem Ruder gelaufen.“
„Ich möchte mich entschuldigen bei allem und für alles“, sagte wiederum der junge Mann. „Bei der Schule und meiner Klasse, für den Aufruhr, für den ich gesorgt habe. Ich bin mir bewusst, was das alles für ein Wahnsinn war.“
Minderschwerer Fall
Fazit: Der Mann war geständig, sei Ersttäter mit einem eintragsfreien Führungszeugnis, er werde wohl kaum künftig Probleme machen, er trug zudem zur Aufklärung bei und das Verfahren wurde weit über Gebühr verschleppt – das sei im Ergebnis ein minderschwerer Fall, so das Schöffengericht in seinem Urteil. Dieses lautete daher auf neun Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Und eine Geldauflage, die müsse einfach sein, so der Richter, von 500 Euro. Einen Monatslohn des Studenten. Er darf sie in Summen von 25 Euro monatlich abstottern.
Die Geldauflage soll an „Ärzte ohne Grenzen“ gehen, eine Organisation, so der Richter, deren Mitglieder „zu den Konfliktgebieten dieser Welt eine Verbindung haben.“ Die also wissen, was Waffen anrichten.
Das Urteil ist rechtskräftig.