Als Affe im Adamskostüm, der die Besucher einer Vernissage damit konfrontierte, dass sie selber als Menschen eng mit Affen verwandt sind, hat er 2018 Furore gemacht: Der Stuttgarter Bildhauer und Performance-Künstler Thomas Putze. Nun bestreitet er die erste Ausstellung des Jahres 2023 im Forum Kunst. Ob die ebenfalls die Gemüter hochkochen lässt wie sein erster Auftritt, das verrät er im Gespräch mit der NRWZ.
NRWZ: Thomas Putze, 2018 hatten Sie eine spektakuläre Premiere in Rottweil – erinnern Sie sich noch?
Thomas Putze: Ja, natürlich – der hat sogar Eingang in meinen Katalog gefunden. Die Affen-Performance…
NRWZ: Das war also auch für Sie keine ganz durchschnittliche Sache?
Thomas Putze: Das war eine der krassesten Performances, die ich gemacht hatte. Das würde und könnte ich so auch nicht wiederholen. Das war schon heftig…
NRWZ: Passiert es öfter, dass bei Ihren Auftritten die Wellen so hochgehen?
Thomas Putze: Es geht schon zur Sache, aber meist nicht so laut. In Rottweil habe ich das Publikum ja regelrecht angeschrien. Bei einer sehr intensiven Performance in Schorndorf stand ich nur mit Sand eingeschmiert in einer Kirchenfassade herum, als Heiliger in einer Nische.
Das war so gesehen ein leiser Auftritt, aber von der Wirkung sehr stark, wenn die Leute sehen: Ups, da ist ja ein Mensch! Diese Performance ging für mich wie die in Rottweil sehr an die Grenzen. Aber sie brachte keine große Action oder Lautstärke, sondern war durch die Positionierung spektakulär.
NRWZ: Um was geht es Ihnen bei Ihren Performances?
Thomas Putze: Ich habe keine politischen oder sonstigen Messages für die Menschheit, sondern nur ein Grundgefühl, das sich weder mit Sprache noch mit anderen Mitteln ausdrücken lässt. Daher mache ich eine Zeichnung oder eine Performance. Das heißt, ich versuche in der Aktion zu klären, um was es geht. Das kann man nicht verschriftlichen. Auch in der Musik kann man das, worum es geht, nicht schriftlich festhalten – sonst bräuchte man keine Musik mehr zu machen.
Es geht um eine Grenzerfahrung und um eine neue Erfahrung. Bei der Affenperformance in Rottweil ging es um das Erlebnis: Wie ist es, wenn man als Mensch zum Affen wird?
Das tut man ja als Künstler im übertragenen Sinne irgendwie auch – und nicht wenige Menschen tun es im Berufsleben: Man macht sich zum Affen. Und dabei ist man hin und her gerissen: Zum einen will man eine Show machen, will gesehen werden. Zum andern ist es unangenehm – man weiß, dass man sich zum Affen macht und dass es eigentlich lächerlich ist. Zugleich ist jedoch das Gefühl da: Es gibt kein Entrinnen, man muss das machen.
NRWZ: Jetzt kommen Sie mit etwas wesentlich Ruhigerem nach Rottweil – was haben Sie denn vor?
Thomas Putze: Ich bin seit voriger Woche dabei, den Bürgersaal komplett mit einer Installation auszufüllen: Immer mehr Linien aus Ästen und Rohren werden ineinander gesteckt. Das startet an der Wand, geht über die Decke, zur Empore, mäandert durch den ganzen Raum.
NRWZ: Vorab hieß es, Ihre Installation habe den Titel „Alle Welt“ und sei wie eine Arche, in der einer Vielzahl von Tierskulpturen ein Zuhause finden.
Thomas Putze: So könnte man es ganz grob metaphorisch sehen. Es ist vielleicht eher ein Urwald oder Dschungel. Ursprünglich war auch gedacht, da Tierskulpturen, Affen, einzubauen. Aber es hat sich gezeigt, dass die Installation das gar nicht braucht, sondern für sich allein schon stark genug ist – mal sehen, vielleicht fallen die Tiere weg.
NRWZ: Was ist Ihr Anliegen bei diesem Projekt?
Thomas Putze: Bei „Alle Welt“ geht es um mich als Bildhauer, der seine ganze Welt ausbreitet, alle Dimensionen seiner – also meiner – Welt ausbreitet. Das wird sicher eine meiner umfangreichsten und wichtigsten Ausstellungen, weil der Raum unglaublich toll ist und man selten Gelegenheit hat, so einen großen Saal zu bespielen.
Mir geht es nicht zuletzt darum, diesmal das richtige Maß zu finden. Ich tendiere bei Ausstellungen dazu, zu viel reinzupacken. Diesmal will ich es so machen, dass der Raum nicht überfrachtet ist, sondern noch zur Sprache kommt: Wie ein Instrument, das die Töne beherbergt…
NRWZ: … und Sie haben die Saiten, die die Grundschwingung erzeugt?
Thomas Putze: Ja! Das ist ein sehr schönes Bild. In dem Fall ist es sogar doppelt treffend, weil es Linien sind, die sich durch den Raum ziehen. Es kommen auch große Tuschezeichnungen zum Einsatz, auf denen Affen und Krähen mit einem Cello hantieren. In mehrerer Hinsicht geht es um dieses Saitenschwingen, um den Raum als Instrument, als Resonanzraum.
NRWZ: Seit Ihrem letzten Auftritt in Rottweil hat es durch die Pandemie einen tiefen Einschnitt gegeben. Was hat sich aus Ihrer Sicht in der Welt der Kunst dadurch verändert? Hat sich die Bedeutung von Präsenz gewandelt?
Thomas Putze: Ich beobachte eine neue Lust an der Präsenz. Ansonsten war es vor allem eine Pause, eine Lücke, die man versucht hat mit Livestreaming zu überbrücken. Und ich kenne niemand, der sagt: Das war super. Alle, mit denen ich gesprochen habe, auch Leute, die das mit Fernsehmoderatoren und irrsinnigem Aufwand gemacht haben, sagen: Das war völliger Bullshit, das bringt Null.
Du kannst keine Liveevents per Livestreaming transportieren. Auch Kunstausstellungen im Netz finde ich eigentlich schlimmer als nichts zu machen. Wenn nichts ist, dann ersehene ich es wenigstens und freu‘ mich drauf. Wenn ich dann so ein Ersatzding bekomme, ist das wesentlich trauriger als der Ausfall.
NRWZ: Das Publikum ist also nicht entwöhnt, sondern hat nochmal mehr gemerkt: Am konkreten Erlebnis führt kein Weg vorbei?
Thomas Putze: Das sagen auch alle Musiker: Kein Konzert ohne Publikum. Die leben auch von den Resonanzen, die nur mit Publikum rüberkommen.
NRWZ: Aber in vielen Bereichen gibt es ja eine starke Drift ins Digitale. Wo liegt da der Wert des Konkreten, Sinnlichen – der Kunst?
Thomas Putze: Es ist ein Unterschied, ob ich darüber informiert werde, dass da jemand Farbe auf die Leinwand geschmiert hat und etwas auf einer Bildschirmoberfläche sehe – oder ob ich es real sehe. Mir fehlt die Haptik, der Geruch, das Raumerlebnis, das soziale Erlebnis. Als Performer und Bildhauer sage ich: Meine Kunst gibt’s nur real! Es ist ein Trugschluss zu glauben, man könnte das in irgendeiner Weise rüberbringen. Das einzige ist, zu informieren, das ist es dann aber auch. Das Konkrete ist nicht zu ersetzen!
Die Fragen stellte NRWZ-Redakteur Andreas Linsenmann.
Info: Die Ausstellung im Forum Kunst Rottweil wird am 28. Januar um 19 Uhr eröffnet und ist bis 12 März zu sehen: Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch und Freitag 14 bis 17 Uhr, Donnerstag 17 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr.