ROTTWEIL. Kommenden Montag können die sogenannten „Spaziergänger“ die Rottweiler Obere Hauptstraße wieder für ihren Protest gegen die Coronamaßnahmen nutzen. Denn es wird keine Menschenkette, keine Mahnwache geben. Oder sie können eventuell auch auf diese Form des Protests verzichten und die ausgestreckte Hand der Menschenkette-Veranstalter annehmen. Deren Angebot zum Gespräch. Motto: „Miteinander reden.“
Wie angekündigt haben die Organisatoren der Menschenkette, die zuletzt die Obere Hauptstraße in Rottweil den Montags-Spaziergänger entzogen haben, geliefert. Elke Reichenbach und Peter Bruker hatten angekündigt, „einen neuen Weg beschreiten zu wollen, um eine Befriedung zu erzielen“. Seit Mittwoch ist klar, wie der aussieht. Im besten Fall soll er den wenigstens einmaligen beiderseitigen Verzicht auf eine Demonstration bringen. Und ein Gespräch, dessen Ergebnisse dann an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
Sänze meldet sich
Doch der Reihe nach. Zunächst meldet sich der AfD-Landtagsabgeordnete Emil Sänze, der sich nach eigenen Angaben als Privatmann am vergangenen Montag bei den „Spaziergängern“ gegen die Coronamaßnahmen eingereiht hat, zu Wort. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Ralf Broß verleiht er seiner Sorge Ausdruck, dass es eine zunehmende negative Stimmungslage in der Stadt“ gebe. Diese sei ausgelöst durch die Positionen des OBs sowie des Rottweiler Gemeinderats zu den montags stattfindenden Corona-Spaziergängen. Namentlich benennt Sänze Reichenbach und Bruker, bezeichnet sie fälschlicherweise beide als Gemeinderäte, nennt sie selbst ernannte Demokratieverteidiger und unterstellt ihnen politische Selbstdarstellung und Selbststilisierung.
Sänze fordert in seinem Brief OB Broß auf, die Veranstaltung der Menschenkette „so zu legen oder so zu genehmigen, dass die jeweils Andersdenkenden nicht in ihren Freiheiten eingeschränkt werden und unnötige Frustration vermieden wird.“ Also zu einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort als bisher. Der AfD-Politiker erklärt: „Wenn es den Veranstaltern der Menschenkette wirklich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt geht, dann werden diese von Dingen absehen wollen, die ich als unnötig provozierend bewerten muss. Es dürfte in Rottweil Platz für alle sein, wenn Sie wirklich deeskalieren wollen.
Menschenkette-Veranstalter melden sich
Und nun tritt genau das ein. Eine Viertelstunde, nachdem, Sänze seine Mail an Broß und die örtlichen Medien abgeschickt hat, treffen sich diese mit den Machern der Menschenkette. Mit Vertretern des Stadtjugendrings, der Kreis-SPD und eben mit Reichenbach und Bruker. Diese hatten zum Pressegespräch eingeladen, um, wie angekündigt, ihren neuen Weg aufzuzeigen, der zur Befriedung beitragen soll.
Zunächst zusammenfassend
In einer Presseerklärung werden die Menschenkette- und Mahnwache-Initiatoren zunächst grundsätzlich. Mit der Ausbreitung des Coronavirus vor rund zwei Jahren habe sich unser bis dahin geführtes Leben radikal geändert, sagen sie. „Das gesellschaftliche Miteinander wurde durch notwendige Coronaschutzmaßnahmen immens beeinträchtigt. Ein gemeinschaftliches Sporterlebnis wurde nahezu unmöglich gemacht. Sich mit Freunden in einem größeren Kreis zu treffen, war untersagt“, fassen sie weiter zusammen. Einzelhandel, Gastronomie, Fitnessstudios oder auch Friseure würden wie andere Branchen auch um ihre Existenz ringen. Das Vereinsleben liege brach, Schulen und Kindergärten waren geschlossen. „Ja, selbst Umarmungen zwischen Menschen, die sich zufällig auf der Straße begegneten, waren und sind immer noch schwierig“, so Reichenbach und Bruker. Und in vielen Bereichen herrscht immer noch Maskenpflicht. „Unser Leben ist ein anderes geworden.“
Viele Menschen würden sich nun nach wie vor schwertun, diese Maßnahmen mitzutragen. Auch damit, dies alles über einen derart langen Zeitraum zu ertragen. Dazu komme, „dass von politischer Seite in Bund und Land immer wieder schwer verständliche Signale im Kampf gegen die Coronapandemie ausgesandt wurden“, so Bruker und Reichenbach weiter. „In den Bundesländern galten und gelten unterschiedliche, teils widersprüchliche und häufig schlecht kommunizierte Regelungen. Die Glaubwürdigkeit politischer Mandatsträger leidet, viele Menschen wenden sich von der Politik ab. Theorien von Pseudowissenschaftlern, Verschwörungstheoretikern fallen auf fruchtbaren Boden. Demokratiefeindliche Gruppierungen nutzen diese Unsicherheit für ihre Zwecke, instrumentalisieren die Unzufriedenheit der Menschen für ihr Ziel und rütteln an den Grundfesten unserer Demokratie“, erklären sie.
Corona habe dazu geführt, dass Freundschaften in die Brüche gegangen sind, Zwist und Streit in Familien Einzug hielten, ein friedlicher Austausch unterschiedlicher Meinungen zu diesen Fragen oft scheitere. Corona fordere nicht nur Menschenleben und mache viele dauerhaft krank. Es habe auch unsichtbare Mauern in unseren Köpfen geschaffen, die uns trennen. „Die Langzeitfolgen im menschlichen Miteinander sind noch nicht absehbar.“
Nun aber sei es „an der Zeit, dass wir damit beginnen, die Mauern in unseren Köpfen wieder einzureißen“, heißt es in der Erklärung weiter. „Denn es wird ja mal wieder ein Stadtfest kommen, eine Fasnet. Eine Zeit nach Corona“, ergänzen Reichenbach und Bruker und mit ihnen etwa auch Benjamin Albrecht vom Stadtjugendring Rottweil. Es sei an der Zeit, „dass wir damit beginnen, die zum Teil tiefen Gräben, die entstanden sind, wieder zuzuschütten, anstatt sie noch weiter zu vertiefen.“ Wir sollten aufeinander zugehen und einander vorbehaltlos zuhören.
Denn es sei auch klar: „Die Menschen in Rottweil haben es satt, jeden Montag Demonstrationen mit großem Polizeiaufgebot in ihrer Stadt ertragen zu müssen. Ein Austausch von Argumenten zwischen den beiden Gruppen findet nur sehr marginal statt.“
Reichenbach vom Forum für Rottweil, Bruker von den Kreis-Grünen und mit ihnen die Kreis-SPD und der Stadtjugendring wollen nun den ersten Schritt tun und versuchen, aufeinander zuzugehen und miteinander ins Gespräch zu kommen.
Gespräch und Diskussion statt Menschenkette und Demo
Und zwar auf die folgende Weise: Am Montag, 14. Februar, werden sie keine Menschenkette organisieren. Gleichzeitig bitten sie die „Spaziergänger“, ebenfalls am Montag, 14. Februar, auf ihren Protest zu verzichten. Sollten sich die Spaziergänger dazu entschließen können, könnten diesem ersten Schritt weitere folgen.
Um miteinander ins Gespräch zu kommen, und den ersten Schritt gemeinsam zu gehen, bieten sie für Montag, 14. Februar, ab 17.45 Uhr eine Onlineplattform an, die von einem neutralen Moderator geleitet wird. Dort sollen Argumente ausgetauscht werden, um so die jeweils andere Seite etwas besser zu verstehen. „Von unserer Seite ergeht dazu eine herzliche Einladung zur Teilnahme an die Spaziergänger. Also: Lasst uns miteinander reden“, erklären Reichenbach und Bruker.
Der Moderator: Christoph Plum. Er ist Moderator und Sprecher mit fast 20 Jahren Erfahrung auf der Bühne. „Seine außergewöhnlich intensive Vorbereitung ermöglicht es ihm, inhaltliche Akzente auf Fachkonferenzen und Großveranstaltungen mit bis zu 20.000 Gästen zu setzen“, heißt es in der Selbstdarstellung. Und als charmanter Gastgeber leite er auch durch große Gala-Veranstaltungen. Hauptberuflich ist er als Anwalt tätig.
Zoom-Konferenz zwischen Menschenketten-Organisatoren und „Spaziergängern“
Plum will am kommenden Montag ab 17.45 Uhr also zu einer großen Zoom-Konferenz bereitstehen, die bis zu 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufnehmen kann. Über den folgenden Link können Interessierte beitreten: https://t1p.de/miteinanderreden
Gleichzeitig erklären Reichenbach, Bruker & Co. aber auch, dass sie für Montag, 21. Februar, wieder eine Menschenkette in der Oberen Hauptstraße initiieren wollen, falls die „Spaziergänger“ am Montag, 14. Februar, wie bisher ihren Protest auf die Straße tragen, und dieses Gesprächsangebot damit ausschlagen. „Damit allerdings hätte niemand etwas gewonnen, und die Menschen in Rottweil müssten Spaziergänger und Menschenkette weiter ertragen. Und die Spaziergänger müssten sich wohl auch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie an einem Meinungsaustausch und Gespräch nicht wirklich interessiert sind“, erklären sie.
Wobei die Gesprächsanbieter im Vorfeld keinen Maßstab nennen für Erfolg oder Misserfolg ihrer Zoom-Aktion. Diese wollten sie nach dem Stattfinden bewerten. Wollten danach entscheiden, wie sie reagieren.
Anonymität soll gewahrt werden – und Konferenz soll Ergebnisse bringen
Die Anonymität jedenfalls, ergab eine Nachfrage der NRWZ, könne im Rahmen der Zoom-Konferenz gewahrt werden. So könnten Teilnehmer nur per Audio, nur per Ton beitreten, könnten sich auch Fantasienamen geben. Eine Präsenz-Veranstaltung etwa in der Stadthalle hätte diese Möglichkeit nicht geboten, heißt es.
Die Zoom-Konferenz soll zudem zu Ergebnissen führen – etwa zu Anregungen und Forderungen an die Politik in Bund und Land, an die Stadtverwaltung oder weitere Institutionen. Die Macher möchten die Ergebnisse weitertragen an die Adressaten. Damit tatsächlich etwas erreicht werde mit den Demonstrationen. Dass nicht nur im Dunkeln marschiert werde. Soll heißen: „Der Protest der Spaziergänger war lautstark und er wurde vernommen. Doch über die Schutzmaßnahmen und Einschränkungen, welche das Coronavirus erforderlich machen, wird nicht in Rottweil entschieden“, so Reichenbach und Bruker. Gerade deshalb sei es auch sinnvoll, den Protest aus der Hauptstraße Rottweil heraus zu verlagern.
Idealistischer Versuch – es drohen aber auch Konsequenzen
Reichenbach und Bruker geben es selbst zu: Ihr Versuch ist idealistisch. Es sei aber einer, „ohne den man nicht weiterkommt“, so Reichenbach. Benjamin Albrecht ergänzt für den Stadtjugendring, er sei nun gespannt, zu sehen, „wie viele Rottweiler ihr Gesicht jetzt digital zeigen und sich damit für einen demokratischen Austausch einsetzen.“ Wie zuvor erwähnt: Man müsse sich ja irgendwann wieder in die Augen sehen können.
Derweil sei das Gesprächsangebot keine Reaktion auf die über die Wochen nachlassende Zahl der Teilnehmer an der Menschenkette. Und auch keine auf die drohende Eskalation am Montag. Die Idee habe schon vorher bestanden. Und auch klar sei: Komme das Gespräch nicht zustande, kommt es stattdessen wieder zu einer großen Demonstration der „Spaziergänger“ – dann gehe es diesen nicht um Lösungen, sondern nur um den Protest. Als Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Rottweil richtet Mirko Witkowski daher einen Appell an diese: „Es bringt nichts, wenn man weiter Gräben schaufelt.“
Position anderer Beteiligter: noch unklar
Wie die Klepfer mit ihren Peitschen, die außerdem einen guten Teil der Oberen Hauptstraße Montagabends zuletzt für sich reklamiert hatten, sich zu dem Gesprächsangebot stellen, ist noch unklar. Auch, ob sich die Stadtverwaltung der Aktion anschließt oder ob sie sich enthält. Das werden die nächsten Tage zeigen.