Brunnen waren während der jüngsten Hitzewoche Oasen der Erholung. Welche Rolle die Wasserspender früher in Rottweil spielten und wie kunstvoll sie gestaltet waren – das und mehr kann man in der Lorenzkapelle bestaunen. Die dortige Kunstsammlung, die zum Besten gehört, was Rottweil zu bieten hat, wurde in gelungener Weise umgestaltet. Dreimal ist sie dieses Jahr noch zu sehen – einschließlich einer Aktion mit Larven Willi Buchers.
Immer am ersten und dritten Sonntag im Monat öffnet die um 1580 als Friedhofskirche errichtete und seit 1851 als Ausstellungsort für Schwäbische Plastik und Malerei der Gotik genutzte Kapelle am Bockshof von 14 bis 16 Uhr ihre Pforten. Möglich ist dies nur dank ehrenamtlicher Helfer, die sich seit 2017 für diese Aufgabe Zeit nehmen. Nur so konnte die Kapelle aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden, in den man sie 2005 aus Spargründen versetzt hatte – eine Schließung, die viele als schmerzlich empfanden.
Seither wächst, sofern keine Pandemie dazwischenfunkt, das Interesse an der Kunstsammlung stetig – eine Entwicklung die Martina Meyr, die Leiterin der Städtischen Museen, sehr freut, wie sie im Gespräch mit der NRWZ unterstrich.
Meyr war es auch, die jüngst eine Neugestaltung der Präsentation organisierte. Behutsam, aber sehr zielführend wurden dabei Objekte neu gruppiert. Klarer, aufgeräumter wirkt die Aufstellung nun. Auch kommt der feine, spätgotische Raum. nun besser zur Geltung. So ragen etwa die zierlichen Figuren vom Marktbrunnen nicht mehr quer in die Kapelle herein. Nun schmiegen sie sich längs an die Wand – und verlieren dadurch keinesfalls.
Zudem gibt es überarbeitete, gut verständliche, Thementafeln – etwa zum Thema Brunnen. Dort erfährt man etwa, dass es im 16. Jahrhundert allein in der Kernstadt 26 Brunnen gab, denen das Wasser durch ausgehölte Baumstämme zufloss.
Besonders gelungen: Es wird gezeigt, wo sich die Steinbildwerke früher befanden und welche Funktion sie hatten. Selbst wenn man die Sammlung schon kennt, gewinnt man nun neue Eindrücke und kann Dinge erhellend verknüpfen.
Das macht einfach Freude, gibt es doch auch beim wiederholten Besuch immer wieder eine Menge zu entdecken: Ziselierte Brunnensäulen, Wasserspeier mit wilder Löwenmähne, Fragmente von Türstürzen und Konsolen etwa. Oder das viel zitierte „Weckenmännle“: Die aparte Plastik eines Steinträgers mit hagerem Gesicht, der in seinen Wams einen Wecken geklemmt hat und am Gürtel ein Hufeisen als Glücksbringer trägt.
Allesamt zeugen die Skulpturen und Spolien von einer wohlhabenden, stolzen und kunstinnigen Stadtgesellschaft. Ganz besonders gilt dies für die Figuren des Markbrunnens. In der Lorenzkapelle kann man im Original und ganz aus der Nähe in Augenschein nehmen, was in der Stadt nur mit Abstand zu sehen ist.
Wie genau die Figuren doch gearbeitet sind, mit der man um 1540 die Brunnenpyramide schmückte! Sie zeugen vom Umbruch zwischen Spätgotik und Renaissance, wo neben christliche Themen die mit Begeisterung wiederbelebten Anschauungen und Formen der griechisch-römischen Antike traten.
Der Marktbrunnen ist eine Verbindung von beidem: Die Hälfte der 16 Figuren stellen christliche Tugenden und Laster dar. Die andere Hälfte erzählt kraftvoll von der Rezeption des Renaissance-Humanismus: Der Idee folgend, dass es auf Individuen, auf Einzelpersönlichkeiten ankommt, werden Helden verherrlicht (Judith, David, Caesar). Zudem werden die nach antiker Lesart schicksalsbestimmenden Kräften der Gestirne dargestellt.
Noch einmal zwei Jahrhunderte älter sind die Skulpturen, die der Wehrgang neben der Lorenzkapelle beherbergt. In fast militärischer Strenge haben hier die Bildwerke des Kapellenturms, der bedeutendste Figurenzyklus des frühen 14. Jahrhunderts in Schwaben, Aufstellung genommen.
Sie wurden in zwischen 1891 und 1907 von ihrem ursprünglichen Standort abgenommen. Geschützt vor Wind und Wetter blicken in der Lorenzkapelle nun die von der Südseite stammenden Propheten recht grimmig drein. Den Zügen der Apostel von der Westseite hingegen meint man Erlösungshoffnung und hier und da sogar ein Lächeln ablesen zu können.
Jenseits der Mimik steht außer Frage, dass die Plastiken bedeutend sind, wenn auch nicht alle Kunst-Fachleute gleich von einer „Rottweiler Gotik“ sprechen wollen. Entscheidend ist, dass die entwickelte Gotik hier den Schritt vom Oberrhein in Richtung Osten machte. Rottweil war damals nicht nur fromm, sondern auch ehrgeizig, innovativ und herausragend – der Kapellenturm sozusagen der Furore machende Testturm des 14. Jahrhunderts.
All dem kann man in der Lorenzkapelle auf die Spur kommen – noch dazu bei himmlischer Ruhe, während draußen meist die Motoren dröhnen. Als Dreingabe kommen aktuell zwölf Masken von Willi Bucher hinzu – charakterstarke, geheimnisvolle Konterfeis, die der Fridinger Steinbildhauer als Apostel deutet und den Rottweiler Aposteln gegenübergestellt hat. Aktuell gibt es derer in der Lorenzkapelle folglich nicht nur ein, sondern sogar zwei Dutzend. Was reizvoll anzusehen ist, zumal sich die Apostel-Fraktionen augenscheinlich mit steinerner Gelassenheit gegenüberstehen. Vielleicht lernt man diese spezielle Tugend ja im Lauf der Jahrhunderte, die hier so reichhaltig präsent sind.
Info: Die Kunstsammlung Lorenzkapelle ist am 18. September sowie am 3. und 16. Oktober jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet.