Rottweil – Vom weiten Blick auf „Alle Welt“ bis zur manischen Nabelschau des „Ich, ich, ich“: Das Forum Kunst hat sich für 2023 ein spannendes und stark in den Fragen der Gegenwart verankertes Programm vorgenommen.
Diese Aktualität zeichnet bereits die seit November laufende Ausstellung aus. Noch bis 15. Januar ist am Friedrichsplatz die pfiffig mit „Holzgeister“ überschriebene Präsentation von Arbeiten der Bildhauer Karl Manfred Rennertz und Martin Pöll zu sehen: Teils große, wuchtige Objekte, die mit einem Kran in den Bürgersaal gehievt werden mussten. Und den Blick schärfen für den ja jüngst immens gestiegenen Wert – und die Schönheit – des Werkstoffs Holz.
An diese Sensibilisierung für die Natur knüpft das erste Projekt des Ausstellungsjahrs 2023 dann fast fugenlos an: Der Stuttgarter Bildhauer und Performance-Künstler Thomas Putze, der 2018 in Rottweil mit einer Performance im Adamskostüm Furore machte, kreiert für den Bürgersaal eine raumgreifende Installation. Sie trägt den Titel „Alle Welt“ und bietet, ähnlich wie eine Arche, einer Vielzahl von Tierskulpturen ein Zuhause.
Putze hat zu diesem Themenfeld, das brandaktuelle Fragen nach Biodiversität und drohendem Massenaussterben ins Sichtfeld rückt, mehrere Zugänge: So absolvierte er, ehe er Kunst studierte, eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner und war in der Entwicklungshilfe tätig. Zudem schafft er seit Jahren Tierskulpturen aus Holz – vor allem unter Einsatz der Motorsäge.
Einen kühlen Kontrapunkt zum archaisch-naturnahen Projekt Thomas Putzes verspricht die Ausstellung von Günter Wagner, die am 25. März eröffnet wird. Die Arbeiten des 1955 in Karlsruhe geborenen Künstlers bestechen mit formaler Klarheit. Ihre ästhetische Anziehungskraft beziehen sie stark aus dem Gegensatz der Materialien Eisen und Glas: Das eine ist schwer und lastend, das andere wirkt gewichtslos, ist transparent. Wagner bringt auch darüber hinaus immer wieder Gegensätze zur Geltung: Rohe Natur gegen technische Perfektion, unklare Umrisse gegen präzise Geometrie. Für Rottweil plant er eine eigens auf den Forumssaal zugeschnittene Installation.
Im Mai folgt dann eine Tandem-Ausstellung: Sophie von Hellermann, Jahrgang 1975, und Tatjana Doll, Jahrgang 1970, zeitgenössische zeigen Malerei. Beide waren Meisterschülerinnen von Dieter Krieg an der Kunstakademie Düsseldorf und sind heute selbst Professorinnen an der Staatlichen Hochschule der Künste in Karlsruhe. Rottweil ist für beide kein unbekanntes Pflaster: 1998 wirkten sie zusammen mit drei weiteren Krieg-Studenten an der Gruppenausstellung „hobbypop“ im Forum Kunst mit.
Sophie von Hellermanns Arbeiten verbinden ihr Interesse an Geschichte, Mythologie, Literatur und Film. Aus unterschiedlichen Bereichen wählt sie Themen aus, „verwebt“ sie miteinander und setzt sie in ihrem spontanen Malstil ohne Skizzen oder Vorzeichnungen um.
Tatjana Doll experimentiert in ihren meist großformatigen Gemälden mit Symbolen und Ikonen sowie Motiven aus der Realität, die sie in satten Farbaufträgen auf den Malgrund bringt. Dabei irritieren die Oberflächen durch Übertretung von Regeln, zum Beispiel wenn die Farbe herausplatzt oder herunterrinnt.
Ab 15. Juli wird der Bürgersaal dann erneut plastisch bespielt: Zu Gast ist dann mit einer monografischen Schau Jörg Obergfell, geboren 1975 in St. Georgen und mittlerweile Professor für Bildende Kunst an der Hochschule Trier. Obergfell arbeitet häufig zu den Themen urbaner Raum und Ökologie – weswegen er für seine oft fein gegliederten, an Miniaturwelten erinnernden Skulpturen nicht selten den Werkstoff Holz nutzt.
Am 9. September wird dann eine Ausstellung eröffnet, die eines der bestimmenden Phänomene der aktuellen westlichen Kultur in den Blick nimmt: Unter dem Titel „Ich, ich, ich – Selbstdarstellung heute“ wird unter anderem die Verbindung von Individualismus und den Dynamiken sozialer Medien beleuchtet – ein Projekt, das der gesellschaftlichen Gegenwart den Puls fühlt.
Abgeschlossen wird das Jahr dann ab 25. November ganz klassisch mit der monografischen Präsentation eines Künstlers, in diesem Fall Werner Knaupp, Jahrgang 1936. Knaupp war Teilnehmer der documenta 6 1977 und von 1986 bis 2001 Professor für Malerei in Nürnberg. Er zeigt unter dem Titel „Dem Tod in den Krater blicken“ Malereien.
Vulkane, Vulkankrater und Vulkaninseln beschäftigen Knaupp schon lange. Er schaut allerdings weniger auf die neuschaffende Dynamik vulkanischer Energie als auf ihre Zerstörungskraft und das anschließende Erkalten. In seinen Vulkan-Malereien materialisiert sich letztlich der Tod. Knaupp zeigt ohne Schonung und Beschönigung eine menschenleer, eine zeitlos und ahistorisch gewordene Zeit – ein passend nachdenklicher Schlusspunkt des Ausstellungsjahres.
Info: Die aktuelle Ausstellung „Holzgeister“ ist bis 15. Januar 2023 zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch und Freitag 14 bis 17 Uhr, Donnerstag 17 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 13 und 14 bis 17 Uhr.