Die gerade verlängerte Ausstellung zum Werk von Siegfried Haas in der Lorenzkapelle sollte man sich keinesfalls entgehen lassen. Sie ermöglicht die intensive Begegnung mit dem Schaffen eines bedeutenden Künstlers. Und zeigt, wie viel Haas von Rottweil erspürt hat. Tief bewegend, großartig – ein Glücksfall.
David, immer wieder David. Die alttestamentarische Gestalt hatte es dem vor 100 Jahren geborene und 2011 verstorbene Siegfried Haas offenbar angetan: Erst der zarte Jüngling, der es dem scheinbar überlegenen Kraftpaket Goliat zeigt. Dann der Psalmensänger auf dem Thorn – ebenso menschenfreundlich wie gottesfürchtig. Ein großer König – weise, inspirierend, wegweisend. Mehrfach hat Haas, wie man nun auch in der Lorenzkapelle sehen kann, David-Köpfe geschaffen und diese Facetten ausgeleuchtet: Hier ein junges Konterfei voller Vitalität, dort der mild bejahrte Herrscher.
Man sieht und spürt es: Siegfried Haas konnte Personen, Erfahrungen und Haltungen Präsenz verleihen – materiell und ideell. Sein Schaffen war von einem existenziellen Ernst getragen. Was ihn vielleicht auch davon abhielt, sich den Moden der Moderne entsprechend ganz vom Figürlichen zu lösen. Eine Gradlinigkeit, die den Preis hatte, nicht so recht marktkonform zu sein.
Aber ein Glück für die künstlerische Eigenwilligkeit, die Haas pflegte, und der man in der Lorenzkapelle nun begegnet. Eine Eigenständigkeit, die das Handwerkliche nicht verleugnete und zu der ganz wesentlich die tiefe Spiritualität und Verwurzelung im christlichen Glauben gehörte. Sie sei sein „ganzer Reichtum“, bekannte Haas 2010 in einem Gespräch mit der NRWZ. „Was ich durfte und konnte, habe ich mir nicht selber verdient“, sagte er damals. „Es ist ein göttliches Geschenk.“
Auch dieses unbeirrbare Festhalten am Heiligen, an einem Ausgestrecktsein auf eine Transzendenz, ließ ihn, der in Jugendjahren Verbindungen zum Kreis der „Weißen Rose“ hatte, zunehmend „unzeitgemäß“ erscheinen. Die spirituelle Sinntiefe trägt heute jedoch zu einer erstaunliche Frische dieses Schaffens bei, zu einem inneren Leuchten nicht nur in der Werkgruppe religiös bezogener Objekte – einem Adler etwa, der das Johannes-Evangelium emblematisch umfängt, oder einer Madonnen-Gruppe, die auf die von Haas gestaltete Auferstehung-Christi-Kirche verweist.
Die mystische Beseeltheit, der sich Haas verbunden sah, schwingt vielmehr auch in vielen anderen Werken mit. Gerade den geschundenen, geketteten Körpern und Torsi, die etwa im vormaligen KZ Eckerwald an die Opfer der Tyrannei erinnern, hat Haas diese Ebene eingeschrieben – und verleiht so den Geknechtete eine Würde, die ihnen kein Peiniger nehmen kann. Diese Empathie ist ein Grundzug bei Haas, der enorm beeindruckt und berührt.
Die hiervon ausgehende Aura kann sich in der Lorenzkapelle wunderbar entfalten. Hier sind die Werke am richtigen Ort. Zwischen den von Bernhard Rüth mit großer Umsicht aus dem reichen Schaffen ausgewählten Objekten und den in der Kapelle beheimateten Zeugnissen der Rottweiler Steinbildhauerkunst öffnen sich reiche Blick- und Wechselbeziehungen, es entsteht ein harmonischer Gleichklang. Das Ganze ist hier wirklich mehr als die Summe seiner Teile – und man fragt sich: Könnten die Haas-Werke nicht einfach dauerhaft hier verbleiben?
Eine besonders schöne Passung ist Bernhard Rüth in der Galerie gelungen, in der die originalen Propheten und Apostel vom Kapellenturm heiter auf bald acht Jahrhunderte seit ihrer Entstehung zurückblicken. Auf der Gegenwand finden sich nun Zeichnungen von Siegfried Haas mit Impressionen vom Kapellenturm: Mit kühn-musikalischem Strich zu Papier gebrachte Aperçus, die so viel einfangen vom schweifenden Schwung, der Eleganz und der geistigen Mitte der „Rottweiler Gotik“. Auch dieses Motiv hat der lebensfreudige Mystiker Haas, der humorvoll ebenso das Sinnenfrohe feiern konnte, in einer besonderen Tiefe erspürt – und damit den geistig-kulturellen Pulsschlag des alten Rottweil erfahrbar gemacht.
Info: Die Ausstellung wurde gerade verlängert und ist nun bis einschließlich 1. August zu sehen. Die Kunstsammlung Lorenzkapelle ist während der Dauer der Ausstellung donnerstags und freitags von 14 bis 17 Uhr und an den Wochenenden von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Die Bestimmungen zum Infektionsschutz sind zu beachten. Die jeweils gültigen Regelungen sind auf der Website des Dominikanermuseums Rottweil (www.dominikanermuseum.de) einzusehen.