Geldentwertung, Not, Extremismus: 1923 unterzogen mehrere Krisen die Weimarer Republik einem Stresstest. Die NRWZ geht in einer Serie der Frage nach, wie sich die Geschehnisse vor hundert Jahren in Rottweil auswirkten und wie sie wahrgenommen wurden. Lesen Sie hier den dritten Teil zum Separatismus.
Es kam immer dicker: Nicht nur wurde im Januar das Ruhrgebiet von französischen und belgischen Truppen besetzt und die Deutsche Mark verlor gegenüber dem Dollar rasant an Wert. Im Herbst 1923 war auch noch der Zusammenhalt des krisengeschüttelten Deutschen Reichs gefährdet.
Durch die Ruhrbesetzung erhielt – gefördert auch von der französischen Besatzungsmacht – der rheinische Separatismus Auftrieb, der schon während der Revolution von 1918/19 einen Anlauf zur Errichtung einer eigenständigen Republik unternommen hatte. „Los-von-Berlin“ lautete die Parole der Bewegung. Unter diesem Kampfruf sollte die auf dem Wiener Kongress 1815 erzwungenen Eingliederung des katholischen Rheinlands in den preußischen Staat rückgängig gemacht werden.
Verstärkt wurde der Wunsch nach Unabhängigkeit durch die wirtschaftliche und soziale Not infolge der galoppierenden Inflation. Auch von diesem Übel hofften sich die Separatisten durch eine Loslösung vom preußisch dominierten Deutschen Reich befreien zu können. Militante Aktivisten riefen daher am 21. Oktober 1923 in Aachen die unabhängige „Rheinische Republik“ aus.
In Rottweil nahm man diese Vorgänge gespannt zur Kenntnis. Der zentrumsnahe „Schwarzwälder Volksfreund“ trug bereits am 22. Oktober 1923 betont sachlich alles zusammen, was aus Kölner, Brüsseler und Pariser Quellen an belastbaren Informationen aus Aachen verfügbar war. Besonders wichtig war der „Volksfreund“-Redaktion, das Ausmaß der separatistischen Bestrebungen und die Rolle der belgischen Besatzungsmacht einzuordnen.
Bei der „Schwarzwälder Bürger-Zeitung“, dem von der Familie Rotschild herausgegebenen, in liberaler Richtung geführten Bezirksamtsblatt, war der Tonfall von Beginn an zwar ebenfalls sachlich, aber distanzierter. Auch die Nachrichten der folgenden Tage, als die Separatisten in Koblenz, Bonn, Wiesbaden und Mainz öffentliche Gebäude besetzten, wurden dort sogleich als zersetzend für den Gesamtstaat eingeordnet.
Der „Volksfreund“ blieb zunächst abwägender. Das Zentrumsblatt titelte am 24. Oktober zwar „Der rheinische Putsch“, versuchte aber einzuschätzen, wie die Bevölkerung vor Ort zu den Vorgängen stehe. Dass die Menschen die separatistischen Maßnahmen hinnähmen, wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass die Bewegung „nicht abgeschottet“ sei. Man stehe daher, schlussfolgerte der „Volksfreund“ im Rheinland „vor einer ganz neuen Situation, bei der die rheinische Bevölkerung selber ihr Schicksal entscheiden“ müsse.
Ins Sichtfeld drängten derweil wieder ganz andere Probleme. Am 26. Oktober 1923 berichtete der „Volksfreund“ auf der Titelseite, dass der Dollar auf astronomische 100 Milliarden Mark gestiegen war. Das Land befinde sich „in höchster Not“, „eine ungeheure soziale Gärung“ sei im Gange. „Wir tanzen tatsächlich auf einem Vulkan“, lasen die Rottweiler da. Und weiter: „Niemand weiß, ob nicht in der nächsten Stunde schon der Ausbruch erfolgt. Alles, was in dieser Stunde geschaffen ist, ist in der nächsten Stunde schon in Trümmer zerschlagen.“
Dass diese Zerbrechlichkeit die staatlichen Strukturen selbst außerhalb des Rheinlands betraf, konnten die Rottweiler in derselben Ausgabe lesen: Auch in der Pfalz zeigten sich Abspaltungskräfte. Hier ging es jedoch nicht um eine Trennung vom Reich, sondern lediglich von Bayern, zu dem die Pfalz ebenfalls seit dem Wiener Kongress gehörte.
Nachdem Konflikte Bayerns mit dem Reich nicht bereinigt werden konnten, betrieb ein Teil der pfälzischen Sozialdemokraten die Gründung einer autonomen „Pfälzischen Republik“. Der „Schwarzwälder Volksfreund“ berichtete darüber zunächst ohne negativen Unterton: Eine solche Trennung von Bayern sei ein Anliegen der „reichstreuen, republikanischen Bevölkerung der Pfalz“, hieß es zunächst.
Dann allerdings justierte das Zentrumsblatt seinen Kurs deutlich nach. In einem langen Leitartikel auf der Titelseite erfolgte am 31. Oktober unter der Überschrift „Was geht vor?“ eine doppelte Abgrenzung: Einerseits gegen den bayrischen Kurs: Gewisse Rechtspolitiker fänden „alles wundervoll in Ordnung“, wenn „gegen links stramm vorgegangen wird, die Rechtsradikalen aber tun und lassen können, was sie wollen“, hieß es da.
Soweit sei es in Württemberg zum Glück noch nicht und solle es auch nie kommen, positionierte sich der „Volksfreund“ „Unsere württembergische Regierung hatte es nicht notwendig, aus Angst vor einem Links- oder Rechtsputsch den Bock zum Gärtner“ zu machen, lasen die Rottweiler in der umfassenden Analyse. „Anders dagegen Bayern!“ Dort habe sich die Regierung einseitig in die Hände rechter Kräfte begeben, befand der „Volksfreund“.
Die zweite Abgrenzung erfolgte gegenüber den Separatisten. Über diese wurden nun klar ablehnend geschrieben. Den Rheinländern warf der „Volksfreund“ „Sonderbund-Terror“ vor – ihr Abspaltungsversuch endete am 16. November 1923. Und die Pfälzer, die sich bis Februar 1924 halten konnten, firmierten fortan, wie zuvor schon in der sehr genau berichtenden „Schwarzwälder Bürgerzeitung“, als „Verräter“.
Info: Thema des vierten Teils der NRWZ-Serie über das Krisenjahr 1923 sind die Reaktionen in Rottweil auf den Putschversuch der NSDAP unter Adolf Hitler und Erich Ludendorff am 9. November 1923.