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    1529: Rottweil am Rand des Bürgerkriegs

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    Seit dem Wochenende ist die große Ausstellung zum 1250-Jahr-Jubiläum der Erstnennung Rottweils im Dominikanermuseum zugänglich – unter den geltenden Corona-Vorgaben. Die NRWZ begleitet die höchst sehenswerte Schau mit einer Reihe. Im dritten Teil geht es um eines der traurigsten Kapitel der Stadtgeschichte.

    Es ist mit dem Jahr 1529 verbunden. Damals wurden die Mitbürger aus der Stadt hinausgejagt, die sich zum evangelischen Glauben bekannten. Auf 400 bis 500 Personen taxiert die Forschung die Gruppe derer, die von diesem Gewaltakt betroffen waren, der bis heute die Gemüter erregt.

    Er war der Schlusspunkt einer Entwicklung, die Reformatoren wie Martin Luther ab 1517 losgetreten hatten. Offenkundige Missstände in der Kirche wie der Ablasshandel vor Augen und entflammt von einem humanistischen Geist, wonach Glaubensaussagen nur dann anerkannt wurden, wenn sie sich aus der Bibel begründen ließen, erschütterten diese Theologen die althergebrachte religiöse und auch politische Ordnung.

    Ausgestrahlt hat die reformatorischen Lehre nach Rottweil, wie Winfried Hecht im vierten Band der Stadtgeschichte darlegt, wohl frühestens 1523. Erst als der im Folgejahr ausgebrochene Bauernkrieg entschieden war, kam – vergleichsweise spät – in der Glaubenssache auch in Rottweil Dynamik auf.

    Um den an Heilig Kreuz tätigen Pfarrer Konrad Stücklin, der der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli persönlich kannte, bildete sich eine evangelische Bewegung. Zeitweilig umfasste sie wohl sogar eine Mehrheit der Bürgerschaft.

    Letztlich setzten sich jedoch die altgläubigen Kräfte durch. Sie hatte die städtische Elite und den Rat hinter sich, der die evangelische Bewegung nach einigen Monaten der Unklarheit unterdrückte und kriminalisierte. Vorausgegangen war freilich eine Eskalation, bei der die Reformierten unter Waffen am 25. Juli 1529 die Hochbrücktor-Vorstadt und mehrere Stadttore unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Beide Seiten standen sich in einer bürgerkriegsartigen Situation mit kampfbereiten Geschützen gegenüber.

    Letztlich mussten die evangelischen Bürger bis Ende August die Stadt verlassen. Wohin sie verstreut wurden und welche teils schweren Schicksale auf sie warteten, hat jüngst Rudolf Strasser in einer Untersuchung lebensnah gezeigt.

    Die Vertreibung war bitter für die Betroffenen. Sie war für Rottweil jedoch auch ein großer Verlust. Und eine verpasste Chance. Andere Reichsstädte wie Ravensburg oder Biberach an der Riß zeigten, wie es anders ging. Dort gelang es, kein Entweder-Oder mit der Brechstande herbeizuführen, sondern ein Nebeneinander der christlichen Konfessionen zu bewerkstelligen.

    Allerdings sollte man es sich mit der Bewertung der Geschehnisse von 1529 in Rottweil nicht zu leicht machen. Denn es ging – fundamental genug – nicht nur um Glaubensüberzeugungen und das Miteinander in der Stadt. Vielfach wirkten auch Kräfte von außen. So hätte beim Verlassen des katholischen Lagers der Stadt der Verlust des Hofgerichts gedroht, das für Rottweil enorme Bedeutung hatte.

    Auch war der Übergang zum reformierten Glauben nicht überall von reinster Toleranz und Friedfertigkeit geprägt. Von den bilderstürmerischen Exzessen des Aufbruchs, dem bedeutende Kunstschätze zum Opfer fielen, ganz zu schweigen.

    Nicht zuletzt man die traurige Vertreibung von 1529 auch in einer weiter gefasste Perspektive sehen: Nach der Mediatisierung der Reichsstadt erhielt der evangelische Kultus ab 1806 Rottweil einen festen Platz. Anschließend waren es die Katholiken, die es in Württemberg und andernorts mit evangelisch geprägten Staaten im Kulturkampf schwer hatten.

    Erfreulicherweise gibt es schon seit geraumer Zeit ein gedeihliches Miteinander, das sich unter anderem in Kooperationen in der Kirchenmusik zeigt und durch die zeitweise Rückführung der Madonna von der Augenwende in die Predigerkirche ungeahnt fruchtbare Impulse erhielt. Mittlerweile ist der Dialog sogar ein interreligiöser, der die muslimische Gemeinde sowie die 2002 neu gegründete Israelitischen Kultusgemeinde einschließt.

    Info: Das Dominikanermuseum ist Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr geöffnet. Infos zu Führungen sowie die aktuellen Corona-Vorgaben sind zu finden unter: dominikanermuseum.de.

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    Seit dem Wochenende ist die große Ausstellung zum 1250-Jahr-Jubiläum der Erstnennung Rottweils im Dominikanermuseum zugänglich – unter den geltenden Corona-Vorgaben. Die NRWZ begleitet die höchst sehenswerte Schau mit einer Reihe. Im dritten Teil geht es um eines der traurigsten Kapitel der Stadtgeschichte.

    Es ist mit dem Jahr 1529 verbunden. Damals wurden die Mitbürger aus der Stadt hinausgejagt, die sich zum evangelischen Glauben bekannten. Auf 400 bis 500 Personen taxiert die Forschung die Gruppe derer, die von diesem Gewaltakt betroffen waren, der bis heute die Gemüter erregt.

    Er war der Schlusspunkt einer Entwicklung, die Reformatoren wie Martin Luther ab 1517 losgetreten hatten. Offenkundige Missstände in der Kirche wie der Ablasshandel vor Augen und entflammt von einem humanistischen Geist, wonach Glaubensaussagen nur dann anerkannt wurden, wenn sie sich aus der Bibel begründen ließen, erschütterten diese Theologen die althergebrachte religiöse und auch politische Ordnung.

    Ausgestrahlt hat die reformatorischen Lehre nach Rottweil, wie Winfried Hecht im vierten Band der Stadtgeschichte darlegt, wohl frühestens 1523. Erst als der im Folgejahr ausgebrochene Bauernkrieg entschieden war, kam – vergleichsweise spät – in der Glaubenssache auch in Rottweil Dynamik auf.

    Um den an Heilig Kreuz tätigen Pfarrer Konrad Stücklin, der der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli persönlich kannte, bildete sich eine evangelische Bewegung. Zeitweilig umfasste sie wohl sogar eine Mehrheit der Bürgerschaft.

    Letztlich setzten sich jedoch die altgläubigen Kräfte durch. Sie hatte die städtische Elite und den Rat hinter sich, der die evangelische Bewegung nach einigen Monaten der Unklarheit unterdrückte und kriminalisierte. Vorausgegangen war freilich eine Eskalation, bei der die Reformierten unter Waffen am 25. Juli 1529 die Hochbrücktor-Vorstadt und mehrere Stadttore unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Beide Seiten standen sich in einer bürgerkriegsartigen Situation mit kampfbereiten Geschützen gegenüber.

    Letztlich mussten die evangelischen Bürger bis Ende August die Stadt verlassen. Wohin sie verstreut wurden und welche teils schweren Schicksale auf sie warteten, hat jüngst Rudolf Strasser in einer Untersuchung lebensnah gezeigt.

    Die Vertreibung war bitter für die Betroffenen. Sie war für Rottweil jedoch auch ein großer Verlust. Und eine verpasste Chance. Andere Reichsstädte wie Ravensburg oder Biberach an der Riß zeigten, wie es anders ging. Dort gelang es, kein Entweder-Oder mit der Brechstande herbeizuführen, sondern ein Nebeneinander der christlichen Konfessionen zu bewerkstelligen.

    Allerdings sollte man es sich mit der Bewertung der Geschehnisse von 1529 in Rottweil nicht zu leicht machen. Denn es ging – fundamental genug – nicht nur um Glaubensüberzeugungen und das Miteinander in der Stadt. Vielfach wirkten auch Kräfte von außen. So hätte beim Verlassen des katholischen Lagers der Stadt der Verlust des Hofgerichts gedroht, das für Rottweil enorme Bedeutung hatte.

    Auch war der Übergang zum reformierten Glauben nicht überall von reinster Toleranz und Friedfertigkeit geprägt. Von den bilderstürmerischen Exzessen des Aufbruchs, dem bedeutende Kunstschätze zum Opfer fielen, ganz zu schweigen.

    Nicht zuletzt man die traurige Vertreibung von 1529 auch in einer weiter gefasste Perspektive sehen: Nach der Mediatisierung der Reichsstadt erhielt der evangelische Kultus ab 1806 Rottweil einen festen Platz. Anschließend waren es die Katholiken, die es in Württemberg und andernorts mit evangelisch geprägten Staaten im Kulturkampf schwer hatten.

    Erfreulicherweise gibt es schon seit geraumer Zeit ein gedeihliches Miteinander, das sich unter anderem in Kooperationen in der Kirchenmusik zeigt und durch die zeitweise Rückführung der Madonna von der Augenwende in die Predigerkirche ungeahnt fruchtbare Impulse erhielt. Mittlerweile ist der Dialog sogar ein interreligiöser, der die muslimische Gemeinde sowie die 2002 neu gegründete Israelitischen Kultusgemeinde einschließt.

    Info: Das Dominikanermuseum ist Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr geöffnet. Infos zu Führungen sowie die aktuellen Corona-Vorgaben sind zu finden unter: dominikanermuseum.de.

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