Der Weinhändler und studierte Oenologe Michael Grimm ist bekannt auch dafür, dass er sich um die Entwicklung Rottweils sorgt. Für großes Aufsehen hat zuletzt sein Vorschlag gesorgt, die geplante Fußgänger-Hängebrücke nicht am Bockshof anzudocken, sondern zum Kriegsdamm und durch diesen hindurch zu leiten. Die NRWZ hatte damals exklusiv berichtet. Nun hat sich Grimm erneut zu Wort gemeldet – mit einem ausführlich formulierten Angriff auf Thyssenkrupp als Betreiber des Rottweiler Testturms für Hochgeschwindigkeitsaufzüge. Darin droht er dem Konzern. Aber lesen Sie selbst.
Ohne Umschweife: Die NRWZ bringt Grimms Schreiben vollständig und im Wortlaut.
In einer Welt der Türme …
… sollten die Großen die Übersicht haben. Aber nicht auf die Kleinen herabblicken!
Die Zukunft gehört den Türmen. Es wird eine Welt der Türme sein. Nach oben statt in die Fläche.
Sehr geehrte Thyssen-Elevators,
ich war von Beginn an glühender Befürworter des Thyssen-Testturms, bin es noch und werde es weiterhin sein. Diesbezüglich hatte ich schon im August 2014 einen Leserbrief geschrieben (siehe ganz unten). Und nun steht der Turm. Nicht nur der, sondern unser Turm
Allerdings laufen aus meiner Sicht einige Dinge nicht so, wie es unter Partnern sein sollte. Alles ist eine Frage der Balance. Der Turm fällt nicht, weil er vertikal im Lot steht. Und der MULTI flitzt nur durch die Schächte, wenn die Kräfte des Magnetfeldes in Balance sind.
Wir Rottweiler haben dem Turm ein Zuhause gegeben, nach welchem Thyssen längere Zeit auf der Suche war. Mit überwiegender Begeisterung haben wir einen weiteren Turm bejaht und sind der Errichtung mit Spannung und Blicken gefolgt. Meter um Meter. Nun steht er. Beeindruckend in Höhe und Architektur.
Aber nun begegnen wir uns nicht mehr auf Augenhöhe. Die Balance stimmt nicht. Unser Kapellenturm misst gerade mal 70 Meter und Ihr Turm 246. Aber ist es nur Ihr Turm? Für uns Rottweiler ist es UNSER Turm. Einer von mehreren Türmen. Aber nun mal ein ganz besonderer. Sie kamen auf eigenen Wunsch in unsere Stadt. Und wir haben uns gefreut. Freuen uns immer noch. Wir Rottweiler stehen zu Thyssen-Elevators und Ihren Visionen vom Multi. Stehen zu unserem Turm. Und eigentlich sollten wir Freunde sein. Partner. Ein Geben und Nehmen. Ein Miteinander. Und eigentlich funktioniert es auch zwischen uns. Aber es sind oft die kleinen Dinge, die in einer Beziehung stören.
Thyssen hat einen für sich idealen Standort gefunden und testet mit dem MULTI die nächste Generation der Aufzugstechnik. Die Zukunft testet in Rottweil. Schon heute macht die Thyssen AG ca. 43 Milliarden EUR Umsatz (GJ 2016/2017. Quelle Website Thyssen) und allein Thyssen-Elevators realisiert einen Gewinn von knapp einer Milliarde EUR (Quelle NRWZ 5.12.2017). Sie kennen die Menge an Nullen. Neun!
1.000.000.000 EUR Gewinn.
Ihr Turm war teuer. Die Architektur ist großartig und ohne Beispiel. Und wer immer sich oder einen Handelsartikel damit schmückt, muss zahlen. Das Recht ist auf Ihrer Seite. Keine Frage. Aber was glauben Sie wohl, um wie viel 0,000… Promille Sie Umsatz/Gewinn steigern können, in dem Sie einem Rottweiler Bäcker, Konditor, Drechsler, Maler, Händler,… 10% seines Turm-Artikels als Lizenzgebühr abverlangen? Der Thyssenturm ist per se kein Markenartikel. Die Vielfalt der Ideen, mit denen sich Kreative in Rottweil mit Ihrer Silhouette identifizieren, muss Sie doch begeistern. Das ist ein sympathisches Wir-Gefühl. Wir gehören jetzt zusammen. Für Sie bedeutet die Beschaffung dieser Lizenzgebühren viel Aufwand. Zwar ein paar EUR Einnahmen aber jede Menge Ausgaben, um die Gebühren einzutreiben und zu verwalten. Im schlimmsten Fall noch zu streiten. Aber Sie machen es trotzdem. Einfach, weil Sie es dürfen und können.
Besucher, die den Aufzug nach dem Besuch der Aussichtsplattform verlassen, nehmen ein Stück Erinnerung mit nach Hause. Ein positives Stück Thyssen für das Wohnzimmer. Das stärkt Ihre Marke. Sie sollten den Rottweiler Geschäften dafür eigentlich dankbar sein.
Natürlich müssen Sie Ihre „Marke“ schützen. Völlig korrekt und legitim. Es könnte ja auch mal H&M, Kick oder BOSS auf die Idee kommen, ein T-Shirt, einen Anzug oder eine ganze Serie an Konfektion mit Ihrem „Logo“ auf den Markt zu bringen. Oder Villeroy&Boch bringt eine Service-Serie heraus. Oder VW einen Thyssen-Turm-Golf. Dann geht es um richtig viel Geld. Aber ein kleiner Rottweiler Händler?
Wir lieben unseren Turm und identifizieren uns mit ihm und Ihnen. Warum nicht einen Freibetrag in Höhe X EUR festsetzen, unter welchem Sie auf eine Gebühr verzichten. Sie reduzieren Ihren Aufwand und lassen den paar Rottweiler Händlern, Handwerkern und Künstlern ihre paar EURO, die diese dank dem Turm vielleicht mehr machen. Hat Sie unsere Verwaltung nicht darum gebeten? Schade.
Nun zu uns, der Bacchus-Vinothek, und unserem bilateralen Thema. Meine Familie erzeugt und vertreibt in Rottweil seit mehr als drei Generationen Holzfässer, Wein und Sekt. Bei der Wahl unserer Produkte zählt die Qualität. Ein Etikett beschreibt den Inhalt und ist für uns höchstens dekorativ. Schon mein Vater führte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Sekt mit Rottweiler Motiv. Die Stadt hatte wohl versäumt, dafür Lizenz zu erheben. Nun ist es verjährt. Sorry.
Eine Stadt, der Mensch und auch ein Label muss mit der Zeit gehen. Rottweil – Stadt der Türme. Turmstadt. Rottweil hatte mit dem Kapellenturm schon im 13/14. Jahrhundert einen der schönsten Türme zwischen Paris und Prag (Zit. Sonja Lucas) und somit schon ca. 500 Jahre, bevor Nikolaus Thyssen im 18. Jahrhundert in Aachen seine Bäckerei gründete und den Grundstein zu einer einmaligen deutschen Erfolgsgeschichte legte.
Wir haben uns für das aktuelle Motiv die Rottweiler Türme stilisiert in einer Gruppe zusammengestellt. Ob Sie es wollen oder nicht. Wir sind eine Stadt der Türme. KEINE Thyssenturmstadt. Das Etikett – ein Gruppenbild mit Thyssen. Nun wollen Sie auch dafür Lizenzgebühr. Thyssen-Turm, einer von für mich gleichberechtigten Türmen. Wir haben ausreichend Türme in Rottweil für unser Etikett. Die nächste Auflage wird eben ohne den Thyssen-Testturm sein (Siehe Abbildung). Wir machen nur bei der Qualität des Inhalts keine Kompromisse.
Aber vielleicht überlegen Sie im Rahmen unseres Miteinanders nochmals, ob Sie wirklich von all den anderen Geschäften, die sich Gedanken um einen Turm-Objekt gemacht haben, die 10% benötigen. In meinem Leserbrief 2014 hatte ich die Gegner des Turms mit dem Schlusssatz um kleines Opfer der Toleranz gebeten:
Ich schrieb: „..Ein kleines Opfer. Für Rottweil, die Zukunft und die Demokratie.’
Nun bitte ich Sie um eine gewisse Großzügigkeit, damit wir nicht so nach oben schauen müssen.
Ein kleines Opfer. Für Rottweil, die Zukunft und ein noch besseres Miteinander.
Ihr
Michael Grimm