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    Einfach ein Corona-Sonntag

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    (Meinung). In die Geschichte eingehen wird dieser Sonntag des Corona-Jahres 2021 vermutlich nicht. Keine verunfallte Prinzessin, keine Anschläge auf ein freies Land, kein querstehendes Schiff. Nur der ein wenig unangenehme Spätwinterregen, der Rückblick auf irritierende Demos, skurrile Regeln der Landesregierung, ein Dieter E. Albrecht auf verbotenem* Nachtspaziergang (bekleidet) durch Rottweil und eine ziemliche Verwirrung darüber, welche Schule im Landkreis morgen nun öffnet und welche nicht. Aber das halten wir auch noch aus. Und schauen Videotext, wie das Landratsamt.

    Rottweil. Schlag neun Uhr gestern Abend hätte es eigentlich still sein müssen in der Stadt. Ausgangssperre. Doch es wurde nur deutlich leiser als sonst, es waren weiterhin Menschen unterwegs. Es gibt sie also, die Leute, die besseres zu tun haben, als sich an die Verordnungen zu halten. Oder die, die eine gute Begründung haben für ihr Verhalten, denn die Polizei ist aktiv. So etwa schon am frühen Sonntagmorgen, auf Streifenfahrt auf den üblichen Spazierwegen. Es gelten Corona-Bestimmungen, deren Einhaltung kontrolliert wird.

    Verboten unterwegs, aber immerhin bekleidet

    Aktiv war vergangene Nacht auch ein stadtbekannter Rottweiler Bürger. Nachtaktiv, also. Er heißt Dieter E. Albrecht und er hatte es angekündigt:

    Im Falle einer Ausgangssperre werde ich an jedem Tag, solange diese besteht, nach 21 Uhr, an meinem Wohnort oder in meinen Einsatzgebieten am Ende einer Arbeit an den jeweiligen Orten, sofern dies im Zeitraum der Ausgangssperre liegt, aus für mich wichtigem Grund spazieren gehen.

    Quelle: Facebook

    Seit Samstag, 0 Uhr, gilt die Ausgangssperre, und gestern Abend war Albrecht unterwegs. Etwas kurzatmig durch die Nacht. Er filmte sich, denn er macht das nicht nur für sich selbst, das Video erschien live auf Facebook. Wer gebannt davor gesessen hat, wartete mutmaßlich auf die Verhaftung des unbeugsamen Unternehmers. Zu der kam es nicht. Albrecht wurde von einem Hund angekläfft, von einem zweiten gemieden, von anderen Passanten weitestgehend ignoriert. Er filmte einen leeren Zug. Und er blieb bekleidet, was er nicht immer bleibt.

    Wer sich das 50-Minuten-Filmchen anschauen möchte: bitteschön. Man erfährt immerhin ein paar Anekdoten aus der ältesten Stadt des Landes.

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    Mehr Informationen

    Im Widerstand oder ohne Handlungsspielraum

    Aktiv sind dem Vernehmen nach seit Freitag auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Schulleiterinnen und Schulleiter des Landkreises Rottweil. Und die Leute im Landratsamt. Aktiv zwar, aber jede(r) in eine andere Richtung, teils in entgegengesetzte Richtungen unterwegs. Doch was will man auch machen, wenn in diesen Tagen noch am Freitag ausgegebene Merkzettel und Mitteilungen schon 24 Stunden später keine Gültigkeit mehr haben? Ob sie sich über den schulinternen Messenger oder gleich per Presseerklärung melden – die Beteiligten haben ungewollt ein ziemlich heilloses Durcheinander angerichtet. Rottweils Schulen öffnen am Montag, oder eben doch nicht. Die vom Kreis getragenen Schulen werden nicht öffnen, die kommunalen in Dunningen und Villingendorf doch.

    Ein Schulleiter, der öffnet und der sich fühlt wie in einem gallischen Dorf. Als Widerspenstiger. Und eine Schulleiterin, die schließt, weil sie keine Handlungsspielräume sieht. Gibt es beides an diesem Sonntag.

    Schulnachricht im Corona-Jahr 2021. Quelle: Facebook Messenger

    Fun Fact am Rande: Im Landratsamt Rottweil schauen sie Videotext, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sie zitieren daraus in ihrer Mitteilung über den möglichen Verzicht auf Präsenzunterricht in den Kreisschulen. Dazu schreibt mir ein Kommunalpolitiker, der nicht genannt werden will: „Videotext-Tafel 115?!? Und wir wollen eine Pandemie besiegen?“ Ein bisschen Spaß muss sein.

    „Rottweiler Hickhack“

    „Wie siehst du denn eigentlich persönlich dieses Rottweiler Hickhack?“, fragt mich am Sonntagmorgen ein befreundeter Lehrer aus dem Landkreis per Mail. Hickhack im Sinne von Hü und Hott, von einerseits und andererseits, von Präsenzunterricht und Homeschooling, alles in einem Landkreis. Ich gebe mich nach kurzem Nachdenken ultracool (was ich nicht bin, denn eher ahnungslos und mittelschwer besorgt als überzeugt und zuversichtlich): „Das Hickhack ist großer Mist“, antworte ich ihm. „Aber wenn alle gemeinsam eine Linie fahren, dann wäre das auch wieder nicht recht und stark angreifbar. So geht Föderalismus. Ich finde, dass wir das aushalten müssen. Mag sein, dass manche Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern jetzt zwei unterschiedliche Entscheidungen sehen. Aber das ist doch auch alles. Oder?“, frage ich den Freund. Er pflichtet mir bei, erklärt, wir erlebten im Grunde ein Brennglas der übergeordneten Verhältnisse, heruntergebrochen aufs Lokale.

    Was er vermisst, wie er ergänzt: eine moderierte Kommunikation, etwa vom Schulamt. Und dass die Bürgermeisterrunde sich der Sache erst am Samstagabend hat annehmen müssen, finde er auch suboptimal. Hier pflichte ich wiederum ihm bei – aber Wochenende, das gibt es ganz offensichtlich nicht mehr. Nicht für Bürgermeister, nicht für Journalisten (schon lange nicht mehr), nicht für Schulleiter und Lehrer. Dass die Vorbereitungszeit in den Familien auf wenige Stunden schrumpft – nun, die wollen dann eben gut genutzt werden.

    Vielleicht scheint die Sonne, vielleicht wachen wir in einer Diktatur auf. Beides ist am Freitag möglich

    Der Lehrer schließt: „Na ja, wir werden es aushalten und irgendwann scheint auch wieder die Sonne.“ Damit hat er recht. Laut Wetterbericht spätestens kommenden Freitag.

    Aktiv sind, das zeigen Telegramgruppen, auch die Eltern. In den Chats geht es rund. Die Demokratie sei in Gefahr, die Grundrechte würden ausgehebelt, die Gesundheit der Kleinsten bedroht. Mir scheint hier viel Panikmache gepaart mit Halbwissen. Oder Fastgarkeinwissen. Aber vielleicht irre ich mich, laut einer Videokommentatorin wird Bundeskanzlerin Angela Merkel spätestens ab Freitag mit diktatorischer Macht über Deutschland herrschen. Das kann ich abwarten. Lasse mir einen Kaffee aus der Maschine.

    Eine Freundin schreibt per WhatsApp, dass Eltern aktuell massiv gegen die Testpflicht an den Schulen hetzen würden. Es sei gerade ganz furchtbar. Wir einigen uns darauf, dass wir den Kindern Vorbild sein müssten, zurzeit vor allem im Hinblick auf Besonnenheit und Ruhe. Das mag manchen schwerfallen, aus den unterschiedlichsten Gründen und verständlicherweise. Kinder aber aufzuhetzen und zu instrumentalisieren – nein. Damit muss Schluss sein.

    Der Pestdoktor geht um. Und Antifa. Zeiten sind das …

    Aktiv waren wieder die Demonstranten. Etwa mit einem Pestdoktor vorneweg und verkleidet mit Schutzanzügen in Schramberg. Es ist für mich, ich muss das sagen, so schwer erträglich wie die fröhlich strahlenden Demonstranten vom vergangenen Montag in Dunningen. Da leiden und sterben Menschen an Covid-19 – und diese Leute lächeln und labern das weg. Es will mir nicht in den Kopf. Wer es sehen möchte: hier. Dort zu sehen ist auch die Antifaschistische Aktion. Ja, in Schramberg, so richtig mit Logo.

    Nur noch ein Besucher. Ab Montag.

    Aktiv war am Wochenende auch die Landesregierung. „Vom kommenden Montag, 19. April, an“, also morgen bereits „wird Baden-Württemberg die angekündigte Notbremse der Bundesregierung umsetzen. Dazu hat die Landesregierung am Samstag eine Änderung der Corona-Verordnung des Landes beschlossen.“

    Hier ist die angepasste Verordnung in schönen Bildern:

    Quelle: Landesregierung

    Darin ist eine Regelung, die ich schon von früher kenne, die mal für zwei, drei Wochen gegolten hat und dann verbessert wurde. Die aber jetzt wieder da ist: dass die Kontaktbeschränkungen vorsehen, dass ein Haushalt nur eine weitere Person treffen darf. Dass bedeutet, dass die allein lebende Schwiegermutter etwa meine Partnerin und mich besuchen darf. Wir sie andersherum nicht. Eine Maßnahme der Inzidenz-über-100-Notbremse. Oder les‘ ich das falsch? Ehrlich gesagt, ich blicke es nicht mehr so genau.

    Jedenfalls will mir das ebenso wenig in den Schädel wie die Tatsache, dass hier die Gastronomie und der Einzelhandel geschlossen sind, die Leute aber auf Malle fliegen durften. Wenigstens hatten sie es dort nicht über Gebühr lustig.

    Aber wahrscheinlich ergibt alles einen Sinn. Einen übergeordneten. Der Pestdoktor, der Albrecht, die Pandemiemaßnahmen und der Videotext im Jahre 2021. Ich möchte noch mal den befreundeten Lehrer zitieren: „Na ja, wir werden es aushalten und irgendwann scheint auch wieder die Sonne.“

    Und jetzt gehe ich mit dem Hund raus.

    PS: Der Rottweiler FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karrais hat sich des Videotextthemas angenommen:

    PPS:

    *Dieter E. Albrecht legt Wert auf die Feststellung, dass es sich bei seinen Nachtspaziergängen um Tätigkeiten aus wichtigem Grund handele, welche die Verfügung erlaube.

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    Wolfgang Pfaff
    Wolfgang Pfaff
    3 Jahre her

    Super geschrieben.

    Michael Langguth
    Michael Langguth
    3 Jahre her

    Hey – mein Corona Sonntag ist gerettet!

    Mal ein Artikel, nicht Stil „Wie ich trotz oder gerade wegen Corona trotzdem allem irgenwdwie was supertoll Positives abgewinnen kann“. Ja, man kann, darf und soll sogar genervt sein ob all dem Mist, der gerade um uns herum passiert. Da muss ich doch mal wieder loswerden, was mich nervt:

    Ja, das Virus ist ein A…loch. Aber fragt mich nicht, was ich von all denen halte, die unter Anfangs unwissender (schon verziehen), dann nach und nach fahrlässiger (na ja…) und inzwischen m.E. mutwilliger Ignoranz (geht gar nicht) versuchen, dagegen mit größtenteils untauglichen Maßnahmen vorzugehen versuchen.

    Ja, es ist gefährlich. Aber sagt mir bitte, wo auf der „schlimm Skala“ von 0 (Zitat Mr. Spock: Friede und ein langes Leben) bis 10 (großer Meteorit trifft Erde) Corona einzusortieren ist. Und dann bitte, wo die aktuellen und geplanten Maßnahmen auf einer Skala von 0 (jeder nach seinem Gusto) und 10 (alle vorsorglich weggesperrt) einzusortieren sind. Kommt da die gleiche Zahl raus?

    Fakt ist, dass der derzeit verbreitete Paniklevel und die reale Bedrohung nicht zusammen passen. Und bitte! Steckt mich jetzt nicht in die Gut oder Böse Ecke. Denn die Welt ist nicht schwarz oder weiß. Er ist wirklich schwer festzustellen, auf welcher aller möglichen Graustufen man sich gerade befindet. Denn ich habe keine Lust, den Mist zu bekommen und schon gar nicht, dran zu sterben. Aber deswegen werde ich mich auch nicht einmauern. Also ist es essenziell wichtig, an ehrliche und realistische Informationen zu kommen. Genau das ist aber derzeit schwierig. Die Informationen in Form der rohen Zahlen sind in ordentlichem Umfang aus offiziellen Quellen wie dem RKI verfügbar. Allerdings muss man schon halbwegs fit in Statistik und/oder Excel sein, um sie sich zu erschließen.

    Genau das ist aber nicht jeder. Und da wird meiner Meinung nach seit einiger Zeit der Hebel angesetzt. Es soll ganz offenbar nicht leicht sein, an eine realistische Einschätzung zu kommen. Wer? Warum? Weiß ich nicht. Eine Verschwörung? Sicher nicht. Denn hinter einer Verschwörung müsste ja jemand stecken, der einen Plan hat. Aber genau das traue ich derzeit leider keinem zu… Zum Warum hätte ich eine Idee: M.E. haben sich die Regierenden verrannt. Bitte begeben Sie sich mal in eine gefühlte Flughöhe von 10.000m und schauen Sie runter. Ist es nicht komisch, dass eine Speisegaststätte in der sich Leute gemäß Hygienekonzept für 1-2 Stunden unter öffentlicher Kontrolle (jeder kann reinschauen) aufhalten würden und deren Wirt durch die Schließung in seiner Existenz bedroht wird (90% der Fixkosten und für seine Krankenversicherung darf er Hartz IV beantragen) geschlossen wird und Veranstaltungen von religiösen oder Weltanschauungsgemeinschaften, welche sich über viele Stunden ohne jegliche Kontrollmöglichkeit treffen und bei deren vorübergehender Schließung keiner in wirtschaftliche Nöte geraten würde offen sind? Gefühlte 1000 Beispiele könnten folgen. Freibad 2021? Ich wills gar nicht hören…

    Es war schon vor einem Jahr offensichtlich, und dazu genügt wirklich der leider inzwischen verpöhnte, gesunde Menschenverstand, dass das Risiko im Freien (Rumknutschen im inzwischen leider viel zu lichten Rottweiler Schulwäldle mal ausgenommen) gegen Null geht. Trotzdem hat unsere Landesregierung bereits Mitte Oktober die „höchste Pandemiestufe 3“ ausgerufen und beschossen, selbige mit einer Maskenpflicht auf Parkplätzen und an Bushaltestellen mit Entschlossenheit zu bekämpfen. Ganz ehrlich: Nach Monaten der Unsicherheit war das für mich endgültig der Tag, an dem sie mich verloren hatten. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Ich dachte ja eine Weile „Die sehen das realistisch, müssen aber den Überängstlichen zeigen, das was getan wird“. Aber nein, das war deren Ernst: Alles Mögliche verbieten, von dem das Wenigste was bringt und an anderer Stelle wegschauen.

    Und wenn ich dann die Begründung höre: „Man kann es nicht sicher ausschließen, dass sich nicht doch jemand anstecken könnte.“ Aufwachen! Raus aus der Vollkaskomentalität! Das Leben ist voller Risiken und die Kunst ist es, diese richtig einzuschätzen. Mir diese Einschätzung durch seriöse Information zu ermöglichen und mich bei der Bewältigung des verbleibenden Risikos bestmöglich zu unterstützen ist Aufgabe des Staates. Nicht, mich in Watte zu hüllen.

    Drin, bei privaten Kontakten, passiert das meiste. Ist doch klar, Innenraum, kein Hygienekonzept und keiner guckt zu. Lieber Staat: Willst Du Infektionen vermeiden? Dann setzt‘ genau da an. Das ist unbequem, unpopolär und macht Ärger. Aber: Wenn ich wirklich möglichst viele Leben retten will, muss ich das tun, was nötig ist. Dazu gehört andersrum aber auch, die Leute mitzunehmen. Und wenn jetzt, 12 Monate später auch die Aerosolforscher darauf hinweisen, dass der ganze Mist im Freien Grütze ist, dann muss man da halt auch dran und die unsinnigen Restriktionen im Freien aufheben. Die Leute werden es damit danken, dass sie eher bereit sind, den Rest einzuhalten.

    Die Ausgangssperre. Ja, ich verstehe, dass die Begrenzung der problematischen, privaten abendlichen Kontakte am einfachsten zu überwachen ist, in dem man schon die Fahrt von A nach B verbietet. Aber kann ich von einem Staat, der meinen Grundrechten (oooh – jetzt habe ich das Unwort des Jahres in den Mund genommen) verpflichtet ist, nicht erwarten, dass er sich dann halt etwas mehr Mühe gibt und hinterfragt, wo die Leute hinfahren? Ich bin mir sicher, dass Polizei und Presse da eine Art der Zusammenarbeit finden würden, in der ein paar „spektakulär“ überführte, illegale Besucher in einer Weise kommuniziert würden, dass es abschreckend wirkt. Bin ich zynisch? Nein, ich meine das wirklich so. Natürlich ist es nicht gut, wenn 10 Leute in einer 60qm Wohnung zusammen feiern. Aber warum um alles in der Welt soll ich, wenn es mir danach ist, nachts nicht eine Runde spazierengehen oder -fahren dürfen. Ich habe das schon ewig nicht mehr gemacht und es auch grad‘ nicht unbedingt vor. Führe derzeit ohnehin ein ziemliches Einsiedlerleben. Aber sollte ich es mir anders überlegen, will ich das tun dürfen. Das ist Freiheit. Und wer mir die verbieten will, den soll der sprichwörtliche Blitz beim Sch… treffen! Muss ich mir jetzt echt deswegen noch einen Hund zulegen?

    All das ist nach meinem Verständnis das, was ein großer Teil der Demonstranten derzeit zum Ausdruck bringen will. Nicht alle. Ein Teil sich sicher Leute, die die Demos für Ihre Zwecke gehijacked haben. Zugleich der Teil, auf den sich große Teile der Presse mit Begeisterung stürzen. Aber die überwiegende Mehrheit, die da auf die Straße geht, sind erschreckend normale Leute, die ungefähr das zum Ausdruck bringen wollen. Dummerweise wird diesen Roman in 10-Punkt Schrift auf einem Plakat herumgetragen keiner Lesen. Also müssen da halt eher einfach gestrickte Schlagworte wie „Freiheit!“ stehen. Aber deshalb die Demonstranten zu verurteilen, zu belächeln und als wasweißichwas beschimpfen? Nein, das kann es auch nicht sein. Nochmal: Jeder Tote ist einer zuviel. Menschenleben und Zahlenspiele passen nur schwer zusammen. Aber was ist die Konsequenz daraus? Und wie soll dann die Zukunft aussehen? Sagt es mir, denn ich weiß es nicht.

    Erst sollten wir die Kurve flach zu halten und die „Alten“ zu schützen. Hat so leidlich geklappt. Jetzt sind die Senioren weitgehend durchgeimpft und natürlich (!) steigt damit im Verhältnis der Anteil der jüngeren an den Neuinfektionen. Dieser „böse Fakt“ ist einfach zwangsläufig und sollte nicht zur Panikmache mißbraucht werden. Wir testen mittlerweile viel. Das ist gut und richtig so. Aber dann muss einfach auch klar sein, dass ein Teil der Inzidenz auf vor einem Jahr noch unerkannte und die 2%ige Quote falschpositiver Antigen-Tests(sage nicht ich, sondern das RKI für den Fall, dass überwiegend Gesunde getestet werden) zurück gehen. Das muss aus der Inzidenz im Vergleich zu vor einem Jahr, als die 50 aufgekommen sind herausgerechnet werden. Und auf einmal sind auch Kinder besonders stark betroffen. Natürlich ist daran die britische Mutation schuld und nicht die Tatsache, dass wir komischerweise kurz vor dieser Erkenntnis damit angefangen haben, die Schüler großflächig zu testen. Auch (k)ein Grund zur Panik.

    Apropos RKI: Am 26.3.2021 hat das RKI eine Inzidenz von 220 bis über 500, im Mittel 350 für Woche 15, also die zuende gegangene Woche vorhergesagt. Wir haben 162. Und zur Erinnerung: Die Verschärfung der Maßnahmen (Osterlockdown), die auf Basis dieser Zahlen hätte erzwungen werden sollen ging ja in die Hose. Das ist m.E. das Gute an der aktuellen Blockadesituation in der Politik: Man kann diesesmal nicht sagen „Nur, weil wir diese oder jede Verschärfung auf den Weg gebracht haben, kam es nicht so schlimm“. Es kam ganz von selber nicht so schlimm, weil zumindest dieses Mal die Prognose definitiv überzogen war.

    Meine Meinung: Die Maßnahmen für Innenräume, Stand Ostern 2020 wären völlig ausreichend. Konzentriert die Kräfte darauf, diese durchzusetzen und schürt nicht unnötige Panik, um die immer wieder verschärften Maßnahmen zu rechtfertigen.

    Jetzt der Bogen zurück. Das hat man nicht getan. Man müsste jetzt ehrlich sein und zurückrudern. Also einen Fehler zugeben. Ich wäre der allerletzte, der damit ein Problem hätte. Denn das zu tun wäre wahre Größe. Zumal wir in einer Situation sind, in der keiner alles auf Anhieb richtig machen kann. Daher ist ein gewisser Zick-Zackkurs unvermeidlich. Die Anlaufprobleme bei der Impfung? Geschenkt! Jetzt kommts ans Laufen. Auch die LKW Maut hat eine Weile gebraucht und funktioniert jetzt.

    Was ich aber nicht verzeihe ist, dass nach meiner Wahrnehmung mittlerweile die Situation bewusst schlechter dargestellt wird, als sie ist. Nur weil man nicht bereit ist, zuzugeben, dass man sich, zweifellos in der Absicht, das Richtige zu tun, verrannt hat. Stop – bevor mich jetzt einer einen Unmenschen nennt – sie ist nicht gut. Aber denkt an die 0-10 Skala.

    Es gab mal ein Deutschland, das in dem ich aufgewachsen bin, in dem die Regierung den Bürgern die Fakten aufbereitet und erklärt hätte. Der Staat informiert euch. Er sagt euch, wie ihr euch schützen könnt. Er sagt aber auch, dass es Lebensrisiken gibt, welche man unter Abwägung aller Interessen leider nicht zu 100% ausschalten kann. Den 5-10%, die sich nicht selbst schützen können, wäre er zur Seite gestanden. Aber nicht 30-40% und schon gar nicht allen, die nicht rechtzeitig auf den Bäumen sind. Er hätte sicher trotzdem Clubs schließen, Großveranstaltungen in Innenräumen begrenzen müssen und weiteres. Vor allem aber hätte er dafür nicht alle anderen eingesperrt und nicht denen, die zuvor seine Hygienevorschriften umgesetzt haben über ein halbes Jahr lang geschlossen. Und ganz sicher hätte er nicht die „Leute, die dieses Land aufgebaut haben“ in ihren Heimen eingesperrt und dort nach zweimaliger Impfung mutterseelenalleine verrecken oder auch nur wertvolle Tage ihrer verbliebenen Lebenszeit so zubringen lassen.

    Irgendwann in den letzten 10-20 Jahren ist mir dieses Deutschland leider verloren gegangen. Vielleicht hatte ich ja auch nur davon geträumt…

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    (Meinung). In die Geschichte eingehen wird dieser Sonntag des Corona-Jahres 2021 vermutlich nicht. Keine verunfallte Prinzessin, keine Anschläge auf ein freies Land, kein querstehendes Schiff. Nur der ein wenig unangenehme Spätwinterregen, der Rückblick auf irritierende Demos, skurrile Regeln der Landesregierung, ein Dieter E. Albrecht auf verbotenem* Nachtspaziergang (bekleidet) durch Rottweil und eine ziemliche Verwirrung darüber, welche Schule im Landkreis morgen nun öffnet und welche nicht. Aber das halten wir auch noch aus. Und schauen Videotext, wie das Landratsamt.

    Rottweil. Schlag neun Uhr gestern Abend hätte es eigentlich still sein müssen in der Stadt. Ausgangssperre. Doch es wurde nur deutlich leiser als sonst, es waren weiterhin Menschen unterwegs. Es gibt sie also, die Leute, die besseres zu tun haben, als sich an die Verordnungen zu halten. Oder die, die eine gute Begründung haben für ihr Verhalten, denn die Polizei ist aktiv. So etwa schon am frühen Sonntagmorgen, auf Streifenfahrt auf den üblichen Spazierwegen. Es gelten Corona-Bestimmungen, deren Einhaltung kontrolliert wird.

    Verboten unterwegs, aber immerhin bekleidet

    Aktiv war vergangene Nacht auch ein stadtbekannter Rottweiler Bürger. Nachtaktiv, also. Er heißt Dieter E. Albrecht und er hatte es angekündigt:

    Im Falle einer Ausgangssperre werde ich an jedem Tag, solange diese besteht, nach 21 Uhr, an meinem Wohnort oder in meinen Einsatzgebieten am Ende einer Arbeit an den jeweiligen Orten, sofern dies im Zeitraum der Ausgangssperre liegt, aus für mich wichtigem Grund spazieren gehen.

    Quelle: Facebook

    Seit Samstag, 0 Uhr, gilt die Ausgangssperre, und gestern Abend war Albrecht unterwegs. Etwas kurzatmig durch die Nacht. Er filmte sich, denn er macht das nicht nur für sich selbst, das Video erschien live auf Facebook. Wer gebannt davor gesessen hat, wartete mutmaßlich auf die Verhaftung des unbeugsamen Unternehmers. Zu der kam es nicht. Albrecht wurde von einem Hund angekläfft, von einem zweiten gemieden, von anderen Passanten weitestgehend ignoriert. Er filmte einen leeren Zug. Und er blieb bekleidet, was er nicht immer bleibt.

    Wer sich das 50-Minuten-Filmchen anschauen möchte: bitteschön. Man erfährt immerhin ein paar Anekdoten aus der ältesten Stadt des Landes.

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    Im Widerstand oder ohne Handlungsspielraum

    Aktiv sind dem Vernehmen nach seit Freitag auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die Schulleiterinnen und Schulleiter des Landkreises Rottweil. Und die Leute im Landratsamt. Aktiv zwar, aber jede(r) in eine andere Richtung, teils in entgegengesetzte Richtungen unterwegs. Doch was will man auch machen, wenn in diesen Tagen noch am Freitag ausgegebene Merkzettel und Mitteilungen schon 24 Stunden später keine Gültigkeit mehr haben? Ob sie sich über den schulinternen Messenger oder gleich per Presseerklärung melden – die Beteiligten haben ungewollt ein ziemlich heilloses Durcheinander angerichtet. Rottweils Schulen öffnen am Montag, oder eben doch nicht. Die vom Kreis getragenen Schulen werden nicht öffnen, die kommunalen in Dunningen und Villingendorf doch.

    Ein Schulleiter, der öffnet und der sich fühlt wie in einem gallischen Dorf. Als Widerspenstiger. Und eine Schulleiterin, die schließt, weil sie keine Handlungsspielräume sieht. Gibt es beides an diesem Sonntag.

    Schulnachricht im Corona-Jahr 2021. Quelle: Facebook Messenger

    Fun Fact am Rande: Im Landratsamt Rottweil schauen sie Videotext, um auf dem Laufenden zu bleiben. Sie zitieren daraus in ihrer Mitteilung über den möglichen Verzicht auf Präsenzunterricht in den Kreisschulen. Dazu schreibt mir ein Kommunalpolitiker, der nicht genannt werden will: „Videotext-Tafel 115?!? Und wir wollen eine Pandemie besiegen?“ Ein bisschen Spaß muss sein.

    „Rottweiler Hickhack“

    „Wie siehst du denn eigentlich persönlich dieses Rottweiler Hickhack?“, fragt mich am Sonntagmorgen ein befreundeter Lehrer aus dem Landkreis per Mail. Hickhack im Sinne von Hü und Hott, von einerseits und andererseits, von Präsenzunterricht und Homeschooling, alles in einem Landkreis. Ich gebe mich nach kurzem Nachdenken ultracool (was ich nicht bin, denn eher ahnungslos und mittelschwer besorgt als überzeugt und zuversichtlich): „Das Hickhack ist großer Mist“, antworte ich ihm. „Aber wenn alle gemeinsam eine Linie fahren, dann wäre das auch wieder nicht recht und stark angreifbar. So geht Föderalismus. Ich finde, dass wir das aushalten müssen. Mag sein, dass manche Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern jetzt zwei unterschiedliche Entscheidungen sehen. Aber das ist doch auch alles. Oder?“, frage ich den Freund. Er pflichtet mir bei, erklärt, wir erlebten im Grunde ein Brennglas der übergeordneten Verhältnisse, heruntergebrochen aufs Lokale.

    Was er vermisst, wie er ergänzt: eine moderierte Kommunikation, etwa vom Schulamt. Und dass die Bürgermeisterrunde sich der Sache erst am Samstagabend hat annehmen müssen, finde er auch suboptimal. Hier pflichte ich wiederum ihm bei – aber Wochenende, das gibt es ganz offensichtlich nicht mehr. Nicht für Bürgermeister, nicht für Journalisten (schon lange nicht mehr), nicht für Schulleiter und Lehrer. Dass die Vorbereitungszeit in den Familien auf wenige Stunden schrumpft – nun, die wollen dann eben gut genutzt werden.

    Vielleicht scheint die Sonne, vielleicht wachen wir in einer Diktatur auf. Beides ist am Freitag möglich

    Der Lehrer schließt: „Na ja, wir werden es aushalten und irgendwann scheint auch wieder die Sonne.“ Damit hat er recht. Laut Wetterbericht spätestens kommenden Freitag.

    Aktiv sind, das zeigen Telegramgruppen, auch die Eltern. In den Chats geht es rund. Die Demokratie sei in Gefahr, die Grundrechte würden ausgehebelt, die Gesundheit der Kleinsten bedroht. Mir scheint hier viel Panikmache gepaart mit Halbwissen. Oder Fastgarkeinwissen. Aber vielleicht irre ich mich, laut einer Videokommentatorin wird Bundeskanzlerin Angela Merkel spätestens ab Freitag mit diktatorischer Macht über Deutschland herrschen. Das kann ich abwarten. Lasse mir einen Kaffee aus der Maschine.

    Eine Freundin schreibt per WhatsApp, dass Eltern aktuell massiv gegen die Testpflicht an den Schulen hetzen würden. Es sei gerade ganz furchtbar. Wir einigen uns darauf, dass wir den Kindern Vorbild sein müssten, zurzeit vor allem im Hinblick auf Besonnenheit und Ruhe. Das mag manchen schwerfallen, aus den unterschiedlichsten Gründen und verständlicherweise. Kinder aber aufzuhetzen und zu instrumentalisieren – nein. Damit muss Schluss sein.

    Der Pestdoktor geht um. Und Antifa. Zeiten sind das …

    Aktiv waren wieder die Demonstranten. Etwa mit einem Pestdoktor vorneweg und verkleidet mit Schutzanzügen in Schramberg. Es ist für mich, ich muss das sagen, so schwer erträglich wie die fröhlich strahlenden Demonstranten vom vergangenen Montag in Dunningen. Da leiden und sterben Menschen an Covid-19 – und diese Leute lächeln und labern das weg. Es will mir nicht in den Kopf. Wer es sehen möchte: hier. Dort zu sehen ist auch die Antifaschistische Aktion. Ja, in Schramberg, so richtig mit Logo.

    Nur noch ein Besucher. Ab Montag.

    Aktiv war am Wochenende auch die Landesregierung. „Vom kommenden Montag, 19. April, an“, also morgen bereits „wird Baden-Württemberg die angekündigte Notbremse der Bundesregierung umsetzen. Dazu hat die Landesregierung am Samstag eine Änderung der Corona-Verordnung des Landes beschlossen.“

    Hier ist die angepasste Verordnung in schönen Bildern:

    Quelle: Landesregierung

    Darin ist eine Regelung, die ich schon von früher kenne, die mal für zwei, drei Wochen gegolten hat und dann verbessert wurde. Die aber jetzt wieder da ist: dass die Kontaktbeschränkungen vorsehen, dass ein Haushalt nur eine weitere Person treffen darf. Dass bedeutet, dass die allein lebende Schwiegermutter etwa meine Partnerin und mich besuchen darf. Wir sie andersherum nicht. Eine Maßnahme der Inzidenz-über-100-Notbremse. Oder les‘ ich das falsch? Ehrlich gesagt, ich blicke es nicht mehr so genau.

    Jedenfalls will mir das ebenso wenig in den Schädel wie die Tatsache, dass hier die Gastronomie und der Einzelhandel geschlossen sind, die Leute aber auf Malle fliegen durften. Wenigstens hatten sie es dort nicht über Gebühr lustig.

    Aber wahrscheinlich ergibt alles einen Sinn. Einen übergeordneten. Der Pestdoktor, der Albrecht, die Pandemiemaßnahmen und der Videotext im Jahre 2021. Ich möchte noch mal den befreundeten Lehrer zitieren: „Na ja, wir werden es aushalten und irgendwann scheint auch wieder die Sonne.“

    Und jetzt gehe ich mit dem Hund raus.

    PS: Der Rottweiler FDP-Landtagsabgeordnete Daniel Karrais hat sich des Videotextthemas angenommen:

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    *Dieter E. Albrecht legt Wert auf die Feststellung, dass es sich bei seinen Nachtspaziergängen um Tätigkeiten aus wichtigem Grund handele, welche die Verfügung erlaube.

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