Der erste Reichsstetthexa-Nachtumzug: recht kurz, saukalt, fast ohne Kapellen, aber von vielen besucht

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(Meinung!) Viele hundert Menschen haben am Samstagabend den ersten Nachtumzug der Rottweiler Reichsstetthexa besucht. Darunter auch vereinzelt Original Rottweiler Narren, teils aus Interesse, teils, weil sie der Feuerwehr, dem DRK oder der Polizei angehören und eben Dienst hatten. Zusammenfassend kann man sagen: der Umzug war recht kurz, saukalt, fast ohne Kapellen. Und überraschend spaßfrei. Außer vielleicht für Kinder und deren Eltern. Und für Fotografen.

Im zehnten Jahr ihres Bestehens: die Rottweiler Reichsstetthexa.
Fasnet ist Bengalo. Sagt die Hex‘. Und türmt sich mit ihresgleichen zur Pyramide. Foto: Ralf Graner

Stinkendes Bengalo-Feuerwerk, LED-Lichter in Augenhöhlen und an Schuhen, die unvermeidliche Menschen-Pyramide: Damit hat sich’s bei einigen Hexenvereinen offenbar. So sieht Brauchtum anno 2019 aus. Ach ja: Manche trugen Nasenringe aus Plastik. 

Kapellen? Mit Narrenmärschen? Fehlanzeige. Die erste Musik, die eine der Gruppen mitführte, kam aus der Konserve und aus München: „Skandal im Sperrbezirk.“ Aha.

Die Guggenmusik aus Deißlingen. Danke für den Sound. Fotos: Ralf Graner

Gottseidank gibt es da die Deißlinger „Näcker-Gamper“, eine Guggenmusik, scheußlich-schön anzuschauen, die zwar auch keinen Narrenmarsch intoniert, aber dafür immerhin einen schmissigen Song. Unterhaltung für eine halbe Minute, dann war auch diese Gruppe durch. In einer guten halben Stunde zogen so 34 vorbei.

31 waren angekündigt, eine fehlte (die „Gießbachhexen“ aus Zepfenhan, wegen eines Trauerfalls), vier kamen offenbar noch dazu. Wenn der NRWZ-Mann richtig gezählt hat. Vielleicht bildeten die letzte Gruppe auch schon die Zuschauer.

Schaurig, aber zahm: Hexen und Teufel. Was die Region so hergibt. Fotos: Ralf Graner

Kindern aber machte das Spektakel durchaus Laune. Die absolut zahmen Hexen – angeführt von den Gastgebern aus Rottweil, von denen nur derjenige 50 zählte, der schon doppelt sah, die übrigen Rottweiler Hexen werden anderswo eingespannt gewesen sein – aus Herrenberg und Singen, Emmendingen und auch der näheren Umgebung trieben es nicht sehr wild. Bei minus acht Grad vielleicht auch nicht so angesagt. Und sie zeigten sich freigiebig: Der NRWZ-Nachwuchs erhaschte mehr Gutsle als bei den vergangenen drei Rottweiler Fastnachten zusammen.

Damit machte das Spektakel auch Familien Freude. Die Kinder waren schließlich einen weiteren Samstagabend unterhalten worden. Und hatten Gutsle abgestaubt. Und die fürchterlichsten Hexen und Teufel und Fleckle-Häs-Träger überstanden. Lebend. Sie haben damit was zu erzählen.

Aber das alles, ein ganzer Umzug, fast ohne Kapellen. Mit der Spider Murphy Gang und irgendeinem Discostampf als Ersatz. Hmm.  

Doch auch Fotografen machte das Ganze sichtlich Freude. Da entstanden Bilder, die es so in Rottweil noch nie gegeben hat.

Man soll als Schreiberling vielleicht nicht so von oben herab urteilen über dieses nette nächtliche Spektakel – aber wie auch nicht? Da hatte ein Logistiker eigens einen Truck gestellt, von dem aus die Rottweiler Oberhexen das Publikum animieren konnten – samt Lautsprecheranlage darin, nämlich -, und dann kommt von diesen eine halbe Stunde lang: nichts. Nein, auch keine Unterhaltungsmusik. Und so steht man eben an der Heerstraße, nachts, im Winter, als wäre das in irgendeiner Weise in Ordnung.

Und dann, halten Sie sich fest, berappelt sich die eine Hexe und ruft:

Ihr seid ein bockstarkes Publikum, vielen Dank!

Doch das so gelobte Publikum konnte gar nicht wissen, wie es das verdient hatte. Denn die Leute hatten einfach nur herum gestanden, sich unterhalten und versucht, möglichst wenig zu frieren. Nur Minuten später begann der Umzug – und die Leute versuchten einfach weiter, möglichst wenig zu frieren. Pflichtschuldigst machte man noch die Narrenrufe mit – „Frosch-Schenkel“, „Hau Hu“, „Hexen-Juhuiii“ und dergleichen -, die die Oberhexen vorgaben. Und freute sich schon auf die warme Stadt- oder Stallhalle, wo jetzt gesoffen wird, als gäb’s kein Morgen mehr, wie anzunehmen ist. 

Alles in Allem ein, wie gesagt, nettes Spektakel im Halbdunkel am Stadtrand, vor dem das Original der Rottweiler Fasnet (mit all seiner Pracht, Geschichte, Verwurzelung, Ausstrahlung und Tradition) sich nicht zu fürchten braucht. Und das sie auch nicht abzulehnen braucht. 

Man kann das machen: Reichsstetthexamitglied sein, Nachtumzug organisieren und so weiter. Man kann es, After an After, bei der „After-Party“ in Stadt- und Stallhalle, mit den „Schwarzwald Buam“ und DJ Mike krachen lassen. Man kann das eine also tun, um das andere mit einem Rahmen zu umgeben. Man kann das gut finden.

Man kann sich andererseits auch fragen, was die immergleichen Hexen in den an sich unterschiedlichen Dörfern eigentlich sollen. Was Hexen überhaupt in der Schwäbisch-Alemannischen Fastnacht zu suchen haben und ob sie nicht nur besonders billige Ausgaben eines ebenfalls vergleichsweise günstigen Rottweiler Federahannes sind.

Kann man machen. Muss man nicht, kann man aber machen.

 

PS: „Was für ein schlechter Bericht.“ Erste Reaktionen auf Facebook.

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PPS: In einer früheren Version haben wir erklärt, die Schanzel-Zunft aus Villingen sei mit von der Partie gewesen. Dies ist falsch. Offenbar liegt hier eine Verwechslung vor.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.