Zu Weihnachten fehlen sie in kaum einer Krippe: Ochs und Esel. Die beiden Vierbeiner illustrieren, dass da ein Kind nicht in Reichtum geboren wurde. Und rühren ans Herz, schenken sie dem Kleinen doch Wärme und eine wundersame Zärtlichkeit. Auch im Rottweiler Dominikaner-Museum kann man die Geburtsgäste bestaunen – von denen die Bibel gar nichts weiß.
Denn der Evangelist Lukas, aus dessen Feder der ausführlichste Bericht zur Geburt Jesu stammt, vermerkt dabei keinerlei Getier. Auch keinen Stall. Erst als von den Hirten die Rede ist, liest man knapp von den „Herden“, die sie des nachts hüteten – ehe jubilierende Engel sie aus der Ruhe rissen.
Auch der Evangelist Matthäus erwähnt in seinen dürren Worten über Jesu Geburt keine Vierbeiner. Ebenso Markus, bei dem die Geschichte des Jesus aus Nazareth erst mit dessen Taufe im Jordan beginnt. Und schon gar nicht bei Johannes, der sich, anders als seine Evangelisten-Kollegen, auch nicht mit Stammbäumen abmüht, die das Christkind in die irdische Geschichte einfädeln. Bei ihm geht es ratzfatz gleich ums Ganze, um Gottes Ewigkeit.
Schafe haben also einen zumindest halbwegs begründeten Platz an der Krippe. Denn wen die Hirten da bewachten, verschweigt die Schrift. Immerhin nennt sich Jesus später selbst einen „guten Hirten“. Schafe tauchen auch in seinen Gleichnissen auf. Aber benannt werden sie als Weihnachts-Teilnehmer nicht. Ebenso Reittiere, mit denen die Magier, oder, wie es später hieß, Könige aus dem Morgenland, zum Christkind gereist sein könnten.
Wer Ochs und Esel finden will, der muss ältere Stellen der Bibel aufblättern. Schon 700 Jahre vor der Geburt Jesu kündigte der Prophet Jesaja dem Volk Israel einen Herrscher an, der Frieden bringen sollte. Dazu muss man wissen, dass in der Zeit dieses Sehers Unruhen herrschten. Die Menschen konnten sich nicht auf die politische Ordnung verlassen – ein Friedensbringer stellte da eine himmlische Hoffnungs-Perspektive dar.
Das Besondere: Jesaja verkündete einen König, der nicht mit militärischer Macht, sondern mit Weisheit und geistlicher Stärke Frieden bringen sollte. Auch Ochs und Esel spielten bei dieser Weissagung eine Rolle: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn,“ heißt es bei Jesaja. Genau mit der Geburt verbindet dieser Seher seine Prophezeiung nicht. Aber folgt man Jesaja, sind Ochs und Esel Erkennungsmerkmale des verheißenen Messias.
Auch der Weissager Sacharja prophezeite etwa 500 Jahre vor Christi Geburt einen neuen König. Auch bei ihm spielt der Esel eine Rolle. Denn die Menschen werden, so Sacharja, diesen König erkennen, wenn er auf einem Esel in Jerusalem einreitet – eine Vision, die der biblischen Überlieferung nach am Palmsonntag, kurz vor Christi Tod, wahr werden sollte. Für frühe Christen schien angesichts der Verknüpfung dieser Propheten-Worte naheliegend: Wenn der Esel am Ende eine wichtige Rolle spielte, dann wohl auch schon zu Beginn, bei der Geburt.
Andere Texte griffen diese Lesart auf und stützten sie. So entstanden im zweiten und dritten Jahrhundert Schriften, die die Rede von Ochs und Esel aus den Prophezeihungen aufnahmen und auf die Geburt Jesu bezogen. Im Ergebnis setzte sich das heute bekannte Bild der beiden Vierbeiner an der Krippe bereits in frühchristlicher Zeit durch. Davon zeugt etwa ein Sarkophag aus dem Jahre 385. Dort sind Ochs und Esel knieend neben dem Kind in der Krippe dargestellt.
Auch wenn man die meist spätmittelalterlichen Kunstwerken der Sammlung Dursch im Dominikanermuseum mit Darstellungen des Weihnachtsgeschehens betrachtet, wird man diese und andere tierische Stallgenossen zuverlässig finden. Allerdings nicht in unveränderlicher Form wurden an den Gemälden und Schnitzwerken Akzente immer wieder anders gesetzt.
Den Aspekt der Nähe etwa betont eine Darstellung der Geburt Christi aus Seeschwaben, entstanden wohl in den 1480er Jahren. Zwischen die beiden und das Jesuskind passt dort nicht mehr viel. Knabbert der Esel vielleicht sogar am Windeltuch? Jedenfalls meint man fast spüren zu können, wie der Atem der Vierbeiner das nackte Neugeborene wohlig wärmt. Oder beschnuppern sie es eher?
Die Nähe wird freilich nicht nur räumlich mitgeteilt. Ochs und Esel sind dem Kind voll und ganz zugewandt. Schaut man sich ihre wachen Blicke an, das kecke Abwinkeln eines Ohrs des etwas zu groß geratenen Esels, kommt einem das schöne Wörtchen „wunderfitzig“ in den Sinn: Die beiden sind offenkundig fasziniert von dem putzigen Neuankömmling.
Dass das Tier-Doppel dem Bildschnitzer wichtig war, lässt sich auch am Aufwand ablesen, mit dem er die Haarpracht der beiden gestaltete. Jede Strähne ist da so adrett frisiert, also ginge es zu einem Foto-Shooting. Halbe Sachen sind bei der Ankunft des Heilands erkennbar keine Option.
Anders bei zwei Darstellungen von Geburt und Anbetung aus Wangen im Allgäu: Ochs und Esel finden sich da im Wortsinn am Rande. Sie markieren eine klobig dargestellte Baracke als Stall. Und stehen insgesamt in Kontrast zur Maria in ihrem wallenden goldenen Gewand. Die Tiere werden dunkel und verkleinert dargestellt. Hier zielt die Blickregie an den Vierbeinern vorbei, wobei sie bei der Anbetungsszene noch weiter in die Peripherie rücken. Freilich: Weglassen wollte der Künstler sie auch nicht. Ihr Fehlen wäre wohl ein Fehler gewesen.
Vollends als Randelemente werden Ochs und Esel in einer Anbetung der Könige aus Randegg dargestellt. Dort lugen nur noch die Spitzen der Schnauzen hinter einem Mauervorsprung hervor. Fast könnte man im Maul des Ochsen einen missmutigen Smiley lesen. Dass einer der drei Könige nun dem Kind nahe ist und nicht mehr die Vierbeiner, scheint ihm nicht zu behagen.
Weit wichtiger nahm der Künstler die Stallgenossen, der Ende des 15. Jahrhunderts das Gemälde schuf, mit dem das Dominikanermuseum den Motivbogen zu Weihnachten eröffnet: Ochs und Esel sind hier sorgsam gemalt. Vor allem: Sie sind dem Christkind am allernächsten. Und beide blicken auf den kleinen Jesus mit größter Intensität. Dumm scheinen diese Vierbeiner nicht zu sein, zumal der Ochse hier sogar kniet – was zur alten Deutungslinie passen würde, dass es gerade Tiere waren, die Gottes Geschenk an die Welt als erstes erkannten.
Besonders bemerkenswert: Die Hinwendung geschieht beidseitig. Das Neugeborene nähert sich dem Ochsen behutsam mit seiner rechten Hand – eine Beinahe-Berührung, die auch an Segensgesten denken lässt. Der Akzent liegt auf der Beziehung zwischen dem Jesulein und den Tieren. Was erneut unterstreicht, dass Ochs und Esel nicht bloß Lückenfüller darstellen, die Weihnachtskrippen pittoresker machen. Vielmehr sind sie symbolisch vielschichtig. Und stehen womöglich sogar stellvertretend für die Schöpfung als Ganzes und deren Reaktion auf die Geburt des Christkinds.