Zu einem außergewöhnlichen Konzert hatte am Sonntag Hans-Jochem Steim ins Gut Berneck eingeladen. Auf der restaurierten Schiedmayer Harmonium-Celesta-Orgel spielte erstmals seit vielen Jahrzehnten mit dem Kantor, Harmonisten und Restaurator Matthias Müller ein Mensch, wie Steim stolz verkündete. Das beeindruckende Instrument vereinigt drei Instrumente: Orgel, Harmonium und Celesta. Es kann von einem Automaten über Papierwalzen, aber eben auch „von Hand“ gespielt werden.
Schramberg. Steim berichtete bei der Begrüßung kurz über die Geschichte des Hauses und des Instruments. Der Gast des Abends sei gestern angereist und habe „die letzten Misstöne gestopft“, so Steim.
Harmonium- und Orgelspezialist
Für den Abend habe er Stücke ausgesucht, die in die Vorweihnachtszeit passten, so Müller. er wolle aber auch die Klangfülle und die vielen Möglichkeiten des Instrumentes veranschaulichen. Wie das Instrument genau hieß, sei leider nicht mehr nachzuvollziehen, da sehr viele Unterlagen in der Firma Schiedmayer verbrannt seien.
Er selbst beschäftige sich seit 1986 mit dem Harmonium, einem Instrument, das vor etwa 100 Jahren häufiger als das Klavier anzutreffen gewesen sei. Lange habe es keine eigenen Kompositionen für das 1820 erfundene Harmonium gegeben und sei deshalb belächelt worden.
Viele berühmte Komponisten hätten später Stücke fürs Harmonium geschrieben. Am Schramberger Instrument dient die untere Tastenreihe dem Harmonium, die obere der Celesta. Das ist ein weiteres ungewöhnliches Instrument. Da schlagen die Hämmerchen statt auf Saiten wie beim Klavier auf kleine Metallplättchen, die den Ton erzeugen. Die Firma Schiedmayer hatte das Patent eines Pariser Instrumentenbauers um 1890 gekauft und ist bis heute weltweit der einzige Hersteller von Celestas dieser Art.
Schließlich kommt die große Orgel mit 599 Pfeifen dazu, laut Müller eine „mittelgroße Kirchenorgel mit zehn Registern“.
Unbekannte Werke unbekannter Komponisten
In seinem Konzert im lockeren Rahmen spielte Müller überwiegend unbekannte Werke unbekannter Komponisten. Das habe zwei Vorteile, scherzte er: „Erstens hören sie etwas Neues, und zweitens merken Sie meine Fehler nicht.“
Viele Pastorale hatte er dabei, Stücke also, die besonders für die Weihnachtszeit geschrieben wurden. Müller begann mit Variationen über ein schlesisches Volkslied „O laufet, ihr Hirten“ von Max Drischner. Dieser war mit Albert Schweitzer befreundet und besuchte ihn mehrmals in Königsfeld.
Die Variationen zeigten schon die Vielfalt des Instrumentes, mal zart und sanftmütig, mal aufbrausend, dann wieder heiter und schließlich feierlich kam das Thema immer wieder in anderen Nuancen zum Vorschein. Müller hat dafür „alle Register gezogen“.
Bei einem Stück des baskischen Padres Donostia über ein Weihnachtslied ließ Müller die Celesta mit der Orgel erklingen. Man meinte „Amsel, Drossel, Fink und Star“ herauszuhören. Der Klang der Metallplättchen der Celesta erinnerte an kleine Glocken.
O Sanctissima
Mit einem Stück des Komponisten Sigfrid Karg-hlert, 1877 in Oberndorf geboren, ging es weiter. Karg-Ehlert habe äußerst schwierig zu spielende Stücke komponiert, auch seine Canconetta. Müller wies auf eine Besonderheit des Schramberger Instrumentes hin: Mit den Knien können die Organisten die Lautstärke regeln. Zwei Platten müssen sie dafür drücken. Kein leichtes Unterfangen für einen großgewachsenen Mann wie ihn.
Es folgten weitere „Pastorale“, dabei ein Stück vom Emma Ashford, die 900 Werke für Harmonium geschrieben hat, wie Müller erzählte. Er spielte „Oh Sanctissima“ nach einem sizilianischen Lied – bei uns bekannt als „O, Du fröhliche…“ Ein Ausschnitt ist hier zu sehen und zu hören.
Nach einer Pause ging die „musikalische Weltreise“ weiter. Es erklangen Pastorale eines tschechischen Komponisten, ein an schottische Dudelsackbläser erinnernde Komposition des französischen Komponisten Alexandre Guilmant.
Aus Flandern kam ein Stück des Komponisten Pierre van Damme für Harmonium und Orgel. Dieser Komponist habe seine Stück gern für beide Instrumente geschrieben – „dann konnte man sie doppelt verkaufen“.
Musik von der Papierrolle
Eindrucksvoll war dann die Vorführung des Spielautomaten mit einer Papierrolle. Müller legte eine Papierrolle mit dessen „Hirtenweise“ in den Spielautomaten ein. Auf der Walze stehen die Anweisungen für denjenigen, der am Instrument sitzt. Welche Lautstärke einzustellen ist, welche Register man zu ziehen hat.
Während die Tasten über einen Luftstrom gesteuert „von selbst“ spielen, zog Müller die Registerregler. Das Erstaunliche: Für dieses Stück gibt es keine Noten mehr: Nur die Papierrollen sind erhalten. Hier kann man es anschauen und hören.
Als Hauptwerk hat Müller zum Schluss die wunderschöne „Szene pastorale“ von Louis-James-Alfred Lefebure-Wély gespielt, eine humorvoll, meditativ vertonte Hirtenszene aus dem 19. Jahrhundert. Gedacht war sie zur Eröffnung der Orgel in der Kathedrale Notre Dame in Paris oder für die Mitternachtsmesse, wie Müller berichtete.
Die Musik beschreibt die Szene der Hirten auf dem Feld, wie sie zusammenkommen, ein Unwetter aufzieht, dann die Engelstimmen ertönen und eine Nachtigall ihr Lied singt. Die musikalische Nacherzählung eines Teils der Weihnachtsgeschichte. Es ist darin alles zu hören, was auf diesem Instrument möglich ist.
Müller spielte konzentriert und hatte „alle Hände (und Füße und Knie) voll zu tun“ um dieses Werk spielen zu können. Es sei „wirklich anstrengend gewesen“, bekannte er am Schluss.
Die Besucher dankten ihm mit langanhaltendem Beifall. Steim überreichte Müller ein Buch über Gut Berneck und versicherte, Müller habe ihm „eine große Freude mit dem Konzert“ gemacht.