Rottweiler Ferienzauber: ein coronakonformes Biergarten-Festival, kein Corona-Hotspot

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Samstag, 31. Juli, 1500 Menschen feiern unter dem Wasserturm, 150 weitere begehren Einlass. Bei gutem Wetter ist der Rottweiler Ferienzauber 2021 erstmals vollkommen ausgelastet. Die überdachte Freiluft-Veranstaltung läuft. 9000 Menschen besuchen den Ferienzauber in den ersten beiden Wochen insgesamt. Ist er deshalb ein möglicher Corona-Hotspot? Manche befürchten das. Die NRWZ ist dem nachgegangen, hat mit Veranstalter Mike Wutta und mit Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß gesprochen. Außerdem haben wir das Gesundheitsamt um eine Einschätzung gebeten.

Super Ferien-Zauber in Rottweil, ohne Test und Maske. Corona lässt grüßen. Unverantwortlich.

Anonymer Kommentar auf NRWZ.de

Vor solchen Kommentaren haben sich die Veranstalter des Rottweiler Ferienzaubers gefürchtet, allen voran Mike Wutta von der Trendfactory und Reiner „Archie“ Armleder vom MuM-Verein Rottweil. Davor, dass sich Unsicherheit breitmachen könnte unter den Ferienzauber-Besuchern. Und, schlimmer noch, davor, dass der anonyme Kommentator recht behalten könnte. Dass sie unverantwortlich handelten.

Doch taten sie genau das nicht. Sie haben nicht einfach eine fette Feier über mehrere Wochen organisiert, sondern im Gegenteil: Sie haben innerhalb des gesetzlichen Rahmens in Pandemiezeiten offenbar sicheres Feiern ermöglicht. Die NRWZ nannte es ein kontrolliertes Risiko, das die Ferienzauber-Macher eingegangen seien. Klar war derweil: Sollte es Anzeichen geben, dass es nicht funktioniert, dass es aus dem Ruder laufen könnte – dann wäre die Veranstaltungsreihe, die an der frischen Luft und unter einem beeindruckenden (und teuren) Dach stattfindet, abgebrochen worden. Sofort.

Das Erfolgsrezept: die 3G-Regeln. Strenge Einlasskontrollen stellen sicher, dass sich auf dem Festgelände selbst nur Geimpfte, Genesene oder Getestete begegnen. Zudem gibt es eine Maskenpflicht auf den Wegen und an den Ständen. Dort wiederum haben die Besucher Abstand zu halten, worauf Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma ebenso achten wie die Veranstalter persönlich. Andererseits: „Wir spielen auch nicht Polizei“, so Mike Wutta. Man setze also auch auf die Eigenverantwortung der Menschen.

Das hat geklappt. Pessimisten oder Realisten werden „bisher“ einwenden, aber es hat geklappt. Der Ferienzauber 2021 ist nicht zu einem Corona-Hotspot geworden. Die Inzidenz im Landkreis Rottweil nimmt im Vergleich zum Land und zum Bund eine unterdurchschnittliche Entwicklung.

Daher kommt nun Lob für die Veranstalter – vonseiten des Oberbürgermeisters und vonseiten des Gesundheitsamts. Diese lassen wir im Folgenden ausführlich zu Wort kommen. Zunächst aber Ferienzauber-Macher Mike Wutta.

Mike Wutta. Foto: Andreas Maier

Trendfactory-Chef Wutta: „Wir hatten, glaube ich, noch nie so viel Zuspruch“

NRWZ: Am 29. Juli hat der Rottweiler Ferienzauber begonnen. Mit bis zu 1500 Menschen ist am Wasserturm gefeiert worden – nach den 3G-Regeln. Nun, knapp zwei Wochen später, ist vielleicht die richtige Zeit, Bilanz zu ziehen. Mike, Du sagtest, die Veranstaltung sei auch ein Feldversuch. Ist dieser bislang aus Deiner Sicht gelungen?

Mike Wutta: Bisher würde ich sagen, dass er mehr als gelungen ist. Unser Ziel war es, ein Veranstaltungsangebot zu schaffen, welches auf der aktuellen Coronaverordnung aufsetzt, den Besuchern gefällt und zudem auf deren Eigenverantwortung innerhalb des Geländes setzt. Es soll sich jeder wohl und auch sicher fühlen. Die Rückmeldungen der Besucher sind durchweg positiv und die Menschen sind durchgängig froh und dankbar, dass es ein Angebot gibt, das ihren Wünschen und Vorstellungen entspricht. Wir hatten, glaube ich, noch nie so viel positiven Zuspruch. Die strahlenden Gesichter und die strahlenden Augen der Menschen aller Generationen sind unser Antrieb und Motivation.

NRWZ: Die Entwicklung der Inzidenz verläuft im Landkreis Rottweil im Vergleich zu Bund und Land unterdurchschnittlich. Offenbar hat sich der Ferienzauber nicht zu einem Hotspot entwickelt. Seht ihr als Veranstalter das ebenso?

Wutta: Ja das sehen wir ebenso. Wir sehen hier den Mix aus einer guten Grundlage, was das Konzept anbelangt, die konsequente Umsetzung von 3G – und natürlich auch das Verständnis und die Akzeptanz der Besucher. Wir hoffen, dass dies nun auch über das letzte Wochenende so bleibt – und dann bin ich überzeugt, dass es anderen Veranstaltern und auch den Behörden durch solche Pilotprojekte Mut und Zuversicht gibt. Aber natürlich wissen wir, dass ein positiver Fall jederzeit möglich ist. Das hoffen wir natürlich nicht, aber wir wollten uns auch nicht vor lauter Angst nichts trauen.

NRWZ: Der Grund für die gute Entwicklung – Glück oder Ergebnis eurer Bemühungen?

Wutta: Von allem etwas – wie oben erwähnt, sehen wir einen Mix aus vielem. Wir haben solche Themen ja seit über 15 Monaten rauf und runterdiskutiert. Unsere Maxime war immer a. verantwortlich handeln, b. attraktives Angebot, c. Eigenverantwortung. Wir wollen und können keine Coronapolizei sein. Und dann gab es den Punkt, wo wir uns einig waren, dass es absolut vertretbar ist. Freiluft, 3G, begrenzte Kapazität, Impfquote von über 50 Prozent und Eigenverantwortung. Und natürlich braucht man auch etwas Glück … Ein Spruch, den ich während der  Coronazeit mal gehört hab, lautet: „Das Glück sucht den Tüchtigen“. Wenn alles gut verläuft, könnte das ganz gut auf das Ferienzauber-Team passen. Hoffen wir, dass das Quäntchen Glück uns treu bleibt. Wir sind weiter demütig und dankbar wie es abläuft.

NRWZ: Haben die Behörden, hat also die Stadt Rottweil und hat das Landratsamt euch gut begleitet? Kann man die Begleitung als wohlwollend betrachten?

Wir waren von Anfang im engen Austausch und ich glaube, es braucht bei so was einfach auch ein gutes Stück gegenseitiges Vertrauen. Zudem offen und ehrlich miteinander umgehen und natürlich auch ein Stück Mut. Denn wenn es nicht funktioniert, muss man auch dazu stehen und das auch aushalten – und dann auch gemeinsam. Dessen waren und sind wir uns bewusst.

NRWZ: Gab es irgendwelche Interventionen der Behörden bei laufendem Ferienzauber-Betrieb?

Wutta: bisher nein. Die Polizei war aber – wie früher übrigens auch – punktuell vor Ort, um mal zu schauen, wie es abläuft. Auch das gehört zum guten Miteinander.

NRWZ: Welche Prognosen wagst Du im Hinblick auf mögliche (Groß-) Veranstaltungen im kommenden Herbst und Winter? Können diese ebenso 3G-kontrolliert über die Bühne gehen?

Wutta: aus meiner Sicht ja. Es braucht Möglichkeiten, mit 3G Veranstaltungen Stück für Stück wieder realistisch zu machen. Auch hier gehören Vertrauen und Mut dazu. Aus meiner Sicht aber auch normaler Menschenverstand und nicht Hysteriemodus. Und man darf dann auch nicht gleich vollkommen überrascht sein, wenn es mal einen positiven Fall gibt. Davon gab es auch ohne Veranstaltungen Millionen in den letzten Monaten. Wir müssen lernen und akzeptieren, mit dem Virus zu leben – egal ob im Alltag, Beruf, Schule – und auch bei Veranstaltungen. Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Das heißt nicht, unvorsichtig zu sein, aber wenn nur die Angst regiert, agiert man nicht mehr. Vor einem Jahr wären wir alle froh gewesen, wir hätten die Situation mit Impfstoff und Schnelltests, aus dem Grund sollte auch wieder mehr möglich machen.

NRWZ: Wie siehst Du die Rolle des Publikums? Wie haben die Menschen auf Euer Angebot reagiert?

Wutta: Bis dato sehr positiv – und darüber sind wir sehr froh. Habe das Gefühl, dass diejenigen, die sich eher noch unsicher fühlen, solche Dinge noch meiden. Denke, das ist auch vollkommen in Ordnung. Jeder sollte doch selber entscheiden, wie er mit verschiedenen Situationen umgeht. Man begibt sich immer wieder im Leben in ein Risiko, ob auf der Autobahn, beim Bungee Jump, oder ähnlichem. Es sollte eines jeden freie Entscheidung sein – denn wir sind an dem Punkt, bei welchem es für jeden eine Möglichkeit gibt – Impfung oder Test.

NRWZ: Wie viele Besucher hattet ihr insgesamt bisher?

Wutta: Insgesamt rund 9000.

OB Ralf Broß. Foto: Ralf Graner

Oberbürgermeister Broß: „Ich hoffe sehr, dass die Kultur nicht erneut einem Lockdown weichen muss“

Die NRWZ hat der Stadtverwaltung einige Fragen vorgelegt, die sich mit ihrer Rolle bei der Planung des Ferienzaubers ebenso beschäftigen wie mit ihrer Sicht auf die Entwicklung des Biergarten-Festivals und der Inzidenz. Wir haben zudem gefragt, ob der Feldversuch Ferienzauber schon als geglückt gesehen werden kann und wie künftige Veranstaltungen aussehen könnten. Urlaubsbedingt, wie er sagt, hat Oberbürgermeister Ralf Broß die Fragen selbst zusammenfassend beantwortet. Wir bringen seine Stellungnahme im Wortlaut.

Nachdem die Anfrage für den Ferienzauber bei der Ordnungsverwaltung eingegangen war, fand über ein paar Tage eine enge Zusammenarbeit zwischen der Ordnungsverwaltung und dem Veranstalter statt, indem die Auflagen gemäß der Corona-Verordnung ausgearbeitet und besprochen wurden. Seitens der Trendfactory wurde daraufhin das Hygienekonzept erstellt.

Zu Verstößen der Vorgaben oder Anzeigen kam es bisher nicht. Da die Regelungen zur Durchführung einer solchen Veranstaltung verantwortungsvoll festgelegt wurden, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, waren auch keine Bedenken vorhanden. Dies insbesondere auch aus dem Grund, dass der Zutritt nur den Geimpften, Genesenen und Getesteten (3 G) gilt.

Der Stadt Rottweil ist, ausgehend vom Ferienzauber, keine negative Auswirkung auf das Infektionsgeschehen bekannt. Das spricht nach unserer Auffassung für die getroffenen Vorkehrungen und auch die korrekte Umsetzung durch den Veranstalter, dem MuM-Verein.

Der Veranstalter hat in diesem Jahr alles open air geplant und auf das ansonsten übliche Veranstaltungszelt verzichtet. Gerade geschlossene Räume bergen ja bekanntermaßen eine größere Gefahr. Der MuM-Verein hat diese im Voraus ausgeschlossen. Zudem setzt er die 3G-Regelung konsequent um.

Von einem Feldversuch würde ich nicht sprechen. Der Ferienzauber bewegt sich vollständig im Rahmen des rechtlich Möglichen. Das Land Baden-Württemberg hat – alternativ zu einer festen Besucherzahl – den Weg für eine Besucherzahl nach der 50-prozentigen Kapazität freigegeben. Hier sind die 3G-Regeln dann verpflichtend. Insofern bewegt sich der Ferienzauber im Land auf den für alle verbindlichen Vorgaben. Eine Sondergenehmigung als Corona-Modellprojekt war dabei nicht notwendig.

Welche Prognosen für den Herbst und Winter getätigt werden können? Nun, der Blick in die Zukunft ist etwas Glaskugel-Leserei. Was wir jetzt schon sehen, ist eine ansteigende Inzidenz – und dies bereits in der Sommerzeit. Ich befürchte, dass uns der Herbst und der Winter wesentlich höhere Infektionszahlen bringen werden. Aus der Erfahrung der vergangenen eineinhalb Jahre kann ich berichten, dass das Land als Gesetzgeber die Coronavorgaben in der Vergangenheit recht kurzfristig geändert hat. Ob 3G auch im Herbst oder Winter die Voraussetzung für Veranstaltungen darstellen kann, kann ich nicht einschätzen. Ich hoffe sehr, dass die Kultur nicht erneut einem Lockdown weichen muss. Wir haben in den vergangenen Monaten gemerkt, dass wir die kulturellen und gesellschaftlichen Anlässe sehr vermisst haben. Sie sind fester Bestandteil unseres Lebens und sie machen das Leben lebenswert.

Ralf Broß, Oberbürgermeister, Stadt Rottweil
Gesundheitsamt Rottweil. Foto: wede

Das Rottweiler Gesundheitsamt: „Es ist schön, dass der Ferienzauber stattfinden kann“

NRWZ: Haben Sie die (Groß-)Veranstaltung Ferienzauber beobachtet oder gar inhaltlich im Vorfeld begleitet?

Gesundheitsamt Rottweil: Am 30.06.2021 wurde im Landkreis Rottweil die Inzidenzstufe 1 mit weniger als 10 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern festgestellt. Zu Beginn des Ferienzaubers am 29.07.2021 galt für den Landkreis Rottweil zunächst weiterhin die Inzidenstufe 1. Eine inhaltliche Begleitung durch das Gesundheitsamt wurde seitens des Veranstalters beziehungsweise der Stadt Rottweil nicht angefragt und war nach Corona-Verordnung auch nicht erforderlich.

NRWZ: Hatten oder haben Sie Bedenken, was eine mögliche Ausbreitung des Coronavirus betrifft? Oder haben Sie eher die Reiserückkehrer als Risikogruppe im Blick?

Gesundheitsamt: Prinzipiell stellt jede Ansammlung von Menschen auf engerem Raum eine Risikoerhöhung dar – wichtig ist, dass die notwendigen Hygienekonzepte eingehalten werden. In der Tat bringen Reiserückkehrer Infektionen ins Land herein. Gerade bei der Delta-Variante ist der Anteil bei den Rückkehrern größer als bei den nicht Verreisten, auch wenn die Delta-Variante – wie auch im übrigen Land Baden-Württemberg – zwischenzeitlich die dominierende Mutante im Landkreis ist.

NRWZ: Zeigt die Entwicklung der Inzidenz im Landkreis Rottweil aus Ihrer Sicht, dass die Veranstaltung Ferienzauber funktioniert? Oder dass sie vielmehr Gefahren birgt?

Gesundheitsamt: Bisher sind dem Gesundheitsamt in Rottweil keine Fälle bekannt, welche in einem Zusammenhang zum Ferienzauber stehen. Derzeit hat der Ferienzauber also keinerlei Einfluss auf die 7-Tage-Inzidenz oder das Infektionsgeschehen im Landkreis.

NRWZ: Halten Sie es für Glück oder Ergebnis der Bemühungen, dass der Ferienzauber wenigstens bisher nicht zu einem Corona-Hotspot geworden ist?

Gesundheitsamt: Die Überwachung der Veranstaltung erfolgt durch das Ordnungsamt der Stadt Rottweil. Daher können wir zum Hygienekonzept des Ferienzaubers keine Angaben machen.

NRWZ: Die Ferienzauber-Macher halten die Veranstaltung für einen Feldversuch. Sehen Sie das ebenso und ist dieser gelungen?

Gesundheitsamt: Eine Beurteilung, ob der Feldversuch geglückt ist, kann nicht abschließend getroffen werden. Insbesondere müssen in diesem Kontext immer auch die aktuellen Inzidenzwerte, das Wetter, das Hygienekonzept, die Besucherzahl, die Gruppe der Besucher, der Impf- und Genesenenstatus und weitere Faktoren berücksichtigt werden, um hier eine valide Aussage treffen zu können.

Dennoch: Es ist schön, dass der Ferienzauber stattfinden kann. Dies ist ein Schritt in die Normalität für uns alle und wichtig für die Kunst- und Kulturschaffenden.

NRWZ: Welche Prognosen wagen Sie im Hinblick auf mögliche (Groß-) Veranstaltungen im kommenden Herbst und Winter? Können diese ebenso 3G-kontrolliert über die Bühne gehen?

Wie sich die Lage im Herbst und Winter weiterentwickeln wird, bleibt spekulativ. Je größer eine Veranstaltung ist, desto schwieriger ist die 3G-Kontrolle und vor allem, im Falle von Infektionen, die Kontaktnachverfolgung. Entscheidend ist, dass jede zulässige Großveranstaltung das Risiko von Infektionen erhöht, selbst wenn das Hygienekonzept stimmt.

Hinweis: Der Pandemiebeauftragte des Landkreises Rottweil, Dr. Bernhard Schönemann, befindet sich im Urlaub. Wir haben auch ihn nach seiner Sicht auf die Geschehnisse befragt. Seine Antworten werden nachgereicht.

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Peter Arnegger (gg)
Peter Arnegger (gg)https://www.nrwz.de
... ist seit gut 25 Jahren Journalist. Mehr über ihn hier.