Kenternde Boote, zerfetztes Holz, Späne, die Figuren werden: Mit einer starken Auswahl charakteristischer Arbeiten wird der Kunstpädagoge und Bildhauer Reinhard Sigle zu seinem Siebzigsten im „Kunst Raum Rottweil“ des Dominikanermuseums geehrt.
Man täuscht sich leicht. Wenn man sich Arbeiten von Reinhard Sigle nähert, sollte man nie dem ersten Anschein vertrauen. Denn je näher man einem Objekt kommt, je genauer man hinsieht, um so mehr entdeckt man – und erlebt Erstaunliches.
So kann ein Objekt erst unspektakulär wirken. Oft wie ein Bündel Späne – roh, zerrupft. Denn der 1954 in Stuttgart geborenen Kunsterzieher und Künstler verwendet meist Abfallhölzer.
Aber das scheinbare Chaos entpuppt sich dann als etwas ganz anderes. Als geordneter Organismus etwa, den eine Windböe zurechtfrisiert haben könnte. Oder nicht selten als Gruppe stilisierter Figuren, die zum Beispiel mit hochgereckten Arme vereint zu schreien scheinen. Das erst so schnöde Reste-Holz liest sich plötzlich als energiegeladene Miniatur einer Menschenmenge.
Mit solchen Mehrdeutigkeiten und Gesten arbeitet Reinhard Sigle konsequent, wie die Schau mit Arbeiten aus den Jahren 1990 bis 2024 einprägsam zeigt. Da hat jemand sein Material gefunden, seine Sprache, seine Ausdrucksformen.
Was wechselt, sind vor allem die Themen, die er bearbeitet. Wenngleich Reinhard Sigle auch hier konsequent bleibt: Es sind jeweils akute Fragen und Probleme, die er mit nie abstumpfendem moralischem Sensorium kommentiert – vom Golfkrieg über die Klimakrise bis zum Sterben der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.
Insofern ist die Ausstellung auch eine Konfrontation mit Konfliktlagen seit den 1990er-Jahren. Die Frage, die der Titel der von Jürgen Knubben kuratierten Schau „Unverwüstlich?“ aufwirft, muss man dabei klar bejahen. Im Positiven, weil die künstlerische Sprache Sigles ungemindert klar und kraftvoll klingt. Im Negativen, weil die Themen Krieg, Not und Krise nicht verschwunden sind, sondern in jeweils anderen Konfigurationen fortwirken. Reinhard Sigles subtile Zeichen aus Holz sind insofern leider dauerhaft relevante Zeit-Zeichen.
Info: Die Retrospektive, die mit Positionen von Dieter Gross, Romuald Hengstler, Helmut Stromsky und Timm Ulrichs ergänzt wird, ist bis 9. März 2025 zu sehen. Geöffnet ist das Dominikanermuseum dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.