In eine neue Dimension stieß der Vortrag des Tennenbronner Heimathauses am Mittwoch, vor. Der Ansturm der Besucher brachte die Kapazität des katholischen Pfarrsaals an seine Grenzen, Stühle rücken war angesagt. Wer spät kam, musste sich mit einem Stehplatz zufrieden geben. Mit über 200 Gästen war es der bestbesuchte Vortrag des Heimathauses seit seinem Bestehen, wie Alfred Moosmann berichtet.
Tennenbronn. Mit einem wehmütigen italienischen Abschiedslied eröffnete Sänger Franco stimmungsvoll den Abend, untermalt mit Bildern mit deutschen Untertiteln des Liedtextes. Rocco Del Colle, der selbst im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie nach Tennenbronn kam, schilderte danach die Motive und Umstände für die Ausreise vieler Italiener nach Deutschland.
„Gastarbeiter“-Abkommen
Die Regierungen beider Länder schlossen 1955 ein Abkommen, das die deutsche Anwerbung von „Gastarbeiten“ ermöglichte. Das stieß besonders in Mittel- und Süditalien auf Interesse, wo die Arbeitslosigkeit hoch war. Primär gefragt waren junge kräftige Männer für den Bau von Straßen, Bahnstrecken und Häusern, aber auch für die aufstrebende Industrie.
Die Bewerber mussten sich jedoch einer „Musterung“ durch deutsche Ärzte in Verona oder Neapel unterziehen und einen Arbeitsvertrag gab es nur bei völliger Gesundheit. Wohin man bei „Tauglichkeit“ vermittelt wurde, entschied das Zufallsprinzip und es konnte passieren, dass Verwandte oder Freunde aus einem Ort weit voneinander getrennt in Deutschland arbeiten mussten.
Positive Berichte ziehen
Der erste italienische Gastarbeiter in Tennenbronn hieß Antonio De Lucca aus Filetto in den Abruzzen. Er schrieb natürlich seiner Familie und seinen Freunden, wie es im fernen Schwarzwald aussieht und wie es mit der Arbeit und dem Verdienst funktioniert.
Es müssen sehr positive Berichte gewesen sein, denn weitere junge Männer aus Filetto und dem benachbarten Casacanditella wollten nachkommen. Mit der Gründung der EWG 1957 entfielen die bürokratischen Hindernisse und so entstand in Tennenbronn nach und nach eine italienische Gemeinschaft aus der Region Casacanditella.
Ängste bei den Deutschen
Über zwei Millionen italienische Gastarbeiter in Deutschland weckten natürlich auch Ängste und die südländischen Gäste wurden mit Argwohn betrachtet. Sie wurden als unordentlich, aufbrausend und als Frauenhelden eingeordnet, als Tschinggele, Itaker oder Spaghettifresser verunglimpft.
Rocco Del Colle hat diese Erfahrung in Tennenbronn nicht gemacht und bescheinigte den Einheimischen eine hohe Hilfsbereitschaft. Insbesondere die Frauen fanden Unterstützung bei Behörden, Schulen und Einkäufen, die Männer waren ja von morgens bis abends bei der Arbeit. Die Frauen trugen zudem durch Arbeit in der Gastronomie oder in der Fabrik zum Verdienst bei.
Die Schimpfwörter betrachtet Rocco Del Colle nicht als solche, für alle gibt es eine eher harmlose Herleitung, nur die Deutschen wüssten es halt nicht. Bei geselligen Veranstaltungen am Ort waren die Italiener stets mittendrin dabei. Schwieriger wurde es mit der Akzeptanz allerdings, wenn sich ein junger Italiener und ein deutsches Mädchen verliebten.
Dolce Vita mitgebracht
Trotzdem sind in Tennenbronn mehrere Ehen entstanden. Rocco Del Colle wusste von einem Fall zu erzählen, wo die Schwiegereltern sich dagegen wehrten, dass Spaghetti und die „Mafia-Torte“ Pizza auf den Speiseplan kamen.
Einiges der italienischen Kultur hat sich durch die Gastarbeiter jedoch etabliert, ohne dass wir heute noch darüber nachdenken. Das Rino in Schramberg, Lapenta in St. Georgen oder Zampolli in Villingen waren die ersten „Eisdielen“ der Region, einen „Italiener“ mit Spaghetti, Pasta und Pizza gibt es fast überall. Sie haben das süße Leben, das „Dolce Vita“ nach Deutschland gebracht.