Die Landtags-AfD schießt sich auf das Rottweiler Zimmertheater ein. Es geht um Landes-Fördermittel beziehungsweise deren Streichung. Das Land dürfe tendenzöse, etwa gegen eine Partei gerichtete Kunst nicht fördern, argumentiert der AfD-Landtagsabgeordnete Emil Sänze. Hintergrund ist das Stück „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts“ (unser Bild) von Intendant Peter Staatsmann, das sich kritisch mit Rechtspopulismus auseinandersetzt. Die AfD lässt damit ein Kleinstadttheater prüfen, das zwar immer wieder für Aufsehen sorgt, das aber ohnehin um seine Fördermittel kämpfen muss.
Wenn die Kunst keine Politik macht, wer sonst?“ Das fragte im Sommer 2018 schon der Documenta-Kurator Dieter Roelstraete öffentlich. Die weltweit größte Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst ist ebenfalls oft politisch. „Anders als in anderen Ländern ist die Kunstfreiheit in Deutschland im Grundgesetz verankert“, merkt das Goethe Institut als weltweit tätiges Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland dazu an. Artikel 5 Absatz 3 zählt zu den am stärksten geschützten Grundrechten in Deutschland. Darin heißt es:
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
„Unpolitische Kunst ist langweilig“, sagt dazu Mela Chu, Beraterin aus Köln. Die Kuratorin und Dozentin für Creative Management ergänzt: „Sinnliche Kunst reibt sich nicht, politische Kunst hat Potenzial für mehr Tiefe.“
Das dachte sich auch Rottweils Zimmertheater-Intendant Peter Staatsmann. „Wir wollen eine der derzeit zentralen Problemlagen aufgreifen: Dass viele das Gefühl haben, es müsse sich etwas ändern und sich mit im Grunde guten Absichten paradoxerweise einer politischen Kraft zuwenden, die letztlich autoritär ausgerichtet ist und unser demokratisches Gemeinwesen untergräbt.“ Das sagte der Intendant im Oktober 2017 der NRWZ. Diese Gedanken stünden bei der ersten Produktion einer Komödie zum Rechtspopulismus im Mittelpunkt. Titel: „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts.”
Das Interview mit der NRWZ haben auch AfD-Vertreter gelesen. Sie stören sich daran, dass das Rottweiler Theater, dessen Inszenierung von der NRWZ als „AfD-Stück“ eingeordnet worden ist, vom Innovationsfonds Kunst Baden-Württemberg mit 28.000 Euro gefördert wird.
AfD fühlt sich angegriffen
Die AfD jedenfalls fühlt sich von Staatsmanns Stück massiv angegriffen. Im „Spielzeitheft“ des Zimmertheaters Rottweil zur Saison 2017/2018 werde es als „Stückentwicklung zum Rechtspopulismus“ bezeichnet. Zudem werde neben einem Gartenzwerg auch Adolf Hitler, eine Kartoffel und ein Ensemble der (rechtspopulistischen, Anm. d. Red.) „Identitären Bewegung“ aufzeigt. Der Titel der Grafik lautet „Barbaren von Alters her, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls“.
Für den Abgeordneten Sänze und die Landtags-AfD ist klar, das macht sie auch an weiteren Zitaten des Intendanten Peter Staatsmann – den sie gerne nur P.S. nennt – fest: Das Theaterstück, das sich unter anderem auf eine Rede von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke beziehe, sei „eindeutig gegen eine Oppositionspartei, erkennbar als AfD, positioniert.“
„Einseitige Förderung“
Und dafür zahlt das Land öffentliche Gelder? „Nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus“, hält die AfD entgegen. Es bestehe die Pflicht der Staatsorgane zur parteipolitischen Neutralität, behauptet die AfD. Die einseitige Förderung von Veranstaltungen gegen eine Partei, wie sie ganz klar in Rottweil geschehen sei, „widerspricht der Neutralitätspflicht der Staatsorgane.“ Allerdings: Andersherum wird ein Schuh draus: Das Grundrecht der Kunstfreiheit verbietet Zensurmaßnahmen.
Sänze will nun unter anderem vom Land wissen, „in welcher Höhe das Zimmertheater Rottweil aus welchen Haushaltstiteln institutionell oder projektbezogen seit 2013 gefördert wurde und wird“; welches Gesamtbudget und welche Besucherzahlen das Stück „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts“ hatte; „ob und wenn ja, welche weiteren „Anti-AfD“-Stücke seit 2013 in den Theatern des Landes gefördert wurden oder werden.“
Und der Abgeordnete will von der Landesregierung wissen …
… wer die Genehmigung erteilt hat, das … politisch einseitig gegen eine Oppositionspartei gerichtete Stück „Wenn der Kahn nach links kippt, setze ich mich nach rechts“ mit pro-jektbezogenen Mitteln zu finanzieren.“
Zudem hätte der Rottweiler Wahlkreis-Abgeordnete auch gerne gewusst, „welche Stücke, die sich mit Linksextremismus, linker Gewalt und ähnlichem auseinandersetzen, sie seit 2013 projektbezogen gefördert hat.“ Dazu allerdings weiß schon die Kölner Kultur-Beraterin Chu laut Goethe-Institut: „Um Erfolg zu haben, bleiben Künstler innerhalb ihres Umfeldes konform. Linkspolitische Stellungnahme ist heute gern gesehen. Aber wer zum Beispiel realpolitisch argumentieren möchte, wird es in der Kunstwelt schwer haben – sowohl beim Publikum als auch bei der Fördermittelakquise.“
Das Zimmertheater nimmt übrigens nicht nur Rechtspopulismus ins Visier. Im Stück „Raub der Europa“ (März 2018) wird auch mit den Achtundsechzigern scharf ins Gericht gegangen.
Die Akquise erschweren
Schwer machen bei der Fördermittelakquise – das möchte Sänze es dem Zimmertheater. Sein Antrag ist derweil innerhalb der AfD einer von vielen. ARD und Süddeutsche Zeitung haben sich mal hingesetzt und recherchiert. Die Reporter etwa des Kulturmagazins „Titel, Thesen, Temperamente“ kommen zu dem Schluss, dass die Anfragen Methode haben und schreiben „Manchmal sind es anonyme Hassmails oder Mord- und Bombendrohungen. Manchmal sind es Strafanzeigen, Störaktionen, Demonstrationen gegen Kunstprojekte oder Polemiken gegen ‚hohle Experimente und dümmliche Willkommenspropaganda‘ an Theatern, Opern, Museen. Manchmal sind es Anfragen und Anträge der AfD in Parlamenten, Stadträten und Kulturausschüssen.“
„Druck von rechts“
Es werde „Druck von rechts“ erzeugt, spitzen die Journalisten von ARD und SZ zu. Die Akteure aus dem rechten und rechtsextremen Milieu und ihre Mittel seien unterschiedlich, heißt es in dem Beitrag. Was sie verbinde, sei die Aversion gegen ein weltoffenes, liberales Kulturleben und der Versuch, Kunstinstitutionen zu diskreditieren. Dies sei ein „Unerträglicher Angriff auf die Kultur“, formulierte dazu der Grafiker Klaus Staeck, selbst ein politischer Mensch, in einer Kolumne in der Frankfurter Rundschau.
Das kleine Rottweiler Theater haben die Journalisten in ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Artikel nicht entdeckt, obwohl dessen Stück „Wenn der Kahn nach links kippt …“ überregional Aufmerksamkeit erlangt hat. Zimmertheater-Intendantin Bettina Schültke kommentiert den Recherche-Beitrag aber so: „Da hat man schon das Gefühl, es werden gezielt Daten gesammelt.“
Fördermittelaufstellung
Ihr kleines Theater hat ohnehin ständig um Fördermittel zu kämpfen, was Schültkes Aufgabe ist. Erst vor kurzem hat sie eine Vorlage der Stadtverwaltung Rottweil an den Gemeinderat in in eine gewisse Aufregung versetzt. Mehr als 144.000 Euro erhalte des Zimmertheater, hieß es darin, wie die NRWZ vermeldete. Das las Schültke, rechnete nach und kam zu dem Schluss: „Ist unser Zuschuss gerade erhöht worden, ohne dass wir davon wissen?“
Die Stadtverwaltung berichtete an den Gemeinderat, das Zimmertheater bekomme einen Barkostenzuschuss in Höhe von 76.500 Euro, einen Mietzuschuss und Nebenkosten in Höhe von 46.414 Euro und Geld für die Produktionen im Kinder- und Jugendbereich in Höhe von 21.200. Die NRWZ addiert: Das macht 144.000 Euro.
Intendantin rechnet nach – und verspürt Vorfreude
Die Intendantin versucht, auf die von der Stadt kommunizierte Summe zu kommen. Sie schreibt das für die NRWZ nieder: Die Stadt Rottweil hat bis Anfang des Jahres 65.000 Euro bar an das Zimmertheater gezahlt, mit der vom Landesrechnungshof angemahnten seit Jahren nicht gezahlten Erhöhung sind es jetzt 76.500 Euro bar plus die Miete (unbarer Zuschuss), die bisher pro Jahr 36.714 Euro betrug und seit Januar 2019 auf 46.414 Euro erhöht wurde. Dazu kommt noch ein Zuschuss für die Miete im Vahingerhof, wo die Tribüne gelagert ist, von 540 Euro (auch unbar), ich komme da auf 76.500 Euro Zuschuss bar und 46.954 Euro unbaren Zuschuss, macht insgesamt 123.454 Euro für ein Theater, das ganzjährig spielt. Woher sollen die mehr als 20.000 Euro kommen? Oder hat die Stadtverwaltung schon vorweg genommen, dass sie den Zuschuss erhöht? Der Landkreis gibt jährlich 14.425 Euro, aber auch wenn das irrtümlich da reingerechnet wurde, komme ich nicht auf die Summe.“
Ein wenig verhaltene Vorfreude ist dabei. Schültke: „Vielleicht wäre es eine Idee, einen Artikel zu veröffentlichen mit dem Tenor: Das Zimmertheater und der Zimmertheaterverein freuen sich sehr über die Erhöhung des jährlichen Zuschusses über 21.200 Euro.“
Fehler der Kämmerei
Doch die ausgewiesenen 144.000 Euro sind ein Darstellungsfehler der Rottweiler städtischen Kämmerei. Die für den Kinder- und Jugendbereich ausgewiesenen 21.200 Euro hätten nicht aufgelistet werden dürfen, so der städtische Kultur-Fachbereichsleiter Marco Schaffert auf Nachfrage der NRWZ. Diese Summe sei in den anderen Positionen bereits enthalten.
Das bestätigt der städtische Kämmerer Herbert Walter. Seinem Amt sei da ein Fehler passiert, erklärt er auf Nachfrage der NRWZ. Die übrigen Zahlen in der dem gemeinderat vorgelegten Auflistung der Fördermittel an die Vereine in der Stadt stimmten allerdings, ergänzt er. Er habe das eigens nochmal prüfen lassen.
„Auf Kante genäht“
Erst jüngst, in der aktuellen NRWZ zum Wochenende ist das nachzulesen, hat Intendantin Schültke ihre Situation zusammengefasst. „Viele können sich gar nicht vorstellen“, sagte sie, „mit wie wenig Geld dieses Theater am Leben gehalten wird. Wie extrem alles auf Kante genäht ist und wie wenig die professionell arbeitenden Beschäftigten verdienen. Das Theater in Rottweil lebt nur, weil wir so viele Drittmittel einwerben können. Wir haben da Erfolgsquoten, von denen andere nur träumen können. Das ist eine großartige Anerkennung unserer künstlerischen Arbeit – aber die Beantragung bindet enorme Kräfte.“
Intendant Peter Staatsmann, für die künstlerische Leitung des Hauses zuständig, sagt dazu gegenüber der NRWZ: „Wir finanzieren das Theater stark über jeweils neu zu beantragende Projektmittel. Das geht nicht auf ewig. Deshalb stellt die Möglichkeit, die man aufgezeigt hat, immer neue Anträge zu stellen, keinen wirklich gangbaren Weg dar. Wir lassen uns aber nicht deprimieren. Trotz der Widrigkeiten haben wir mit großem Elan unsere Projekte umgesetzt. Das hat uns in Atem gehalten, da blieb nicht viel Zeit zum Grübeln. Und wir freuen uns über die gute Zusammenarbeit mit vielen Institutionen wie mit der Stadtkapelle, mit Solifer, der Konrad-Witz-Schule, unserem Bürgerchor, den engagierten Mitgliedern des Zimmertheater-Vereins.“
Wenn’s richtig eng wird, hilft der Oberbürgermeister
Wenn etwas auf Kante genäht wird, darf nichts dazwischen kommen. Dann werden krankheits- oder durch einen Unfall ausgelöste Ausfälle zum Existenzrisiko. Im Sommer ist das passiert. Und zwar massiv. Bislang wurde das nicht kommuniziert, aber jetzt, da der Druck eh schon enorm ist, hält Intendantin Schültke nichts mehr.
Sie berichtet davon, dass ein schwerer Unfall ihren Techniker im Sommer außer Gefecht gesetzt habe – ausgerechnet im Sommer, die Freilicht-Kommödie gilt alljährlich als Geldbringer für das kleine Haus. Neben dem Techniker-Unfall habe es mehrere schwere Krankheitsfälle im Ensemble und der Leitung gegeben. Nabelbruch, Leistenbruch, Meniskusriss.
„Kein einziger Mann durfte schwer tragen“
„Allerdings hat OB Ralf Broß eine einmalige Zahlung von 5000 Euro aus seinem eigenen Budget geleistet“ und so das Theater offenbar gerettet, berichtet Schültke weiter. Sie habe fünf Stundenkräfte engagieren müssen, „weil kein einziger Mann im Theater zu diesem Zeitpunkt mehr als drei Kilo tragen durfte“, erklärt sie. Die Stadtverwaltung bestätigt auf Nachfrage den Vorgang. Zudem sei das Sommerstück „Backfire“ sehr aufwändig gewesen mit seinen fast 50 Leuten, die da jeden Abend am Start gewesen seien, „die alle gehändelt werden mussten“. Schültke: „Der Auf- und Abbau ist harte körperliche Arbeit und nach dem Unfall unseres Technikers fuhr Peter (Staatsmann) das Licht und für den Ton musste ich jemand engagieren.“
„Wir sind nicht geldgierig“
Es ist der Intendantin wichtig, „dass wir nicht als geldgierig im Vergleich zu den anderen Vereinen dargestellt werden.“ Mit dem Abbügeln ihres jüngsten Antrags auf städtische Fördermittel habe die Stadtverwaltung das Theater in die Position gebracht, schon wieder um mehr Geld nachfragen zu müssen. „Wir stehen also schon wieder als Bittsteller dar“, so Schültke, die erstmals über diese Misere öffentlich spricht. Es nerve sie, sich permanent rechtfertigen zu müssen für Summen, die eigentlich viel zu gering seien für das, was geleistet werde.
Schültke holt ein wenig aus, erklärt, die Beschäftigten am Zimmertheater verdiente wenig. Andere Städte, die ärmer als Rottweil seien, investierten deutlich mehr Geld in ihre Theater. Naumburg oder Tübingen gebe jedem Theater einen Zuschuss für die Ausrichtung allein des Sommerstücks zwischen 45.000 und 75.000 Euro.
Mit der einen Hand gegeben, mit der anderen genommen
Tatsächlich sieht es in Rottweil so aus, die NRWZ rechnet das mal vor: Die Stadt hat viele Jahre lang real für 40.000 Euro bar ein Theater bekommen. Dann wurde die Summe um 25.000 Euro aufgestockt für die Förderung des Kinder- und Jugendtheaters. Und seit 2019 wurde es erstmalig, allerdings auch mit einem Trick über eine Mieterhöhung, auf das vom Land seit Jahren geforderte Verhältnis 2:1 angehoben, auf 76.500 Euro. Schültke dazu: „Vergleichbare Theater verfügen über ein mindestens vierfaches Volumen beim städtischen Zuschuss.“
Zimmertheater-Fan Bernhard Pahlmann, früher selbst Stadtrat in Rottweil, sieht das so:
„Konfliktpotenzial zwischen Politik und freier Kunst“
Noch während diese Diskussion, ausgelöst von der AfD, läuft, bemüht sich Zimmertheater-Intendantin Bettina Schültke um einen weiteren, näher nicht beannnten Zuschuss. Und offenbart, dass genau das, das hat offenbar auch die AfD richtig erkannt, der Hebel ist, Kunst gefügiger zu machen. Sie hoffe, erklärt Schültke, dass die aktuelle Diskussion den in Aussicht gestellten neuen Zuschuss nicht gefährde.
Das bestätigt etwa der Musikwissenschaftler und Kulturmanager Markus Kiesel: „In der Theorie bedarf die freie Kunst keiner demokratischen Mehrheit. In der Realität werden Gelder jedoch ausschließlich aufgrund demokratischer Mehrheiten zugewiesen. Und da liegt im Grunde das große Konfliktpotenzial zwischen Politik und freier Kunst.“
„Kunst soll politisch sein“
Das Goethe Institut fasst die Diskussion so zusammen: Genauso alt wie politische Kunst sei auch die Frage, ob Kunst überhaupt politisch sein soll und darf. „Wirft man Ende 2017 einen Blick auf die Ausstellungsverzeichnisse der deutschen Museen oder die Spielpläne der deutschen Bühnen – auch und vor allem der staatlich geförderten – scheint die Antwort der deutschen Kulturszene eindeutig: Sie soll. Ein großer Teil der zeitgenössischen Ausstellungen und Inszenierungen nimmt Bezug auf gesellschaftspolitische Themen.“