„Vermurkstes Verfahren“

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Das Verfahren gegen den Friedensaktivisten Hermann Theisen wegen Hausfriedensbruchs geht in eine weitere Runde. Weder der Staatsanwalt noch der Angeklagte wollten am Schluss über die goldene Brücke schreiten die Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer ihnen mit der Einstellung des Verfahrens gebaut hatte. Am 9. April treffen sich die Sturköppe erneut.

Unter heftigen Sicherheitsvorkehrungen mit  martialisch ausgerüsteten Justizbeamten und Sicherheitsschleuse begann am Mittwochnachmittag die Verhandlung. Theisen verteidigte sich selbst. Die Anklage vertrat Oberstaatsanwalt Christoph Kalkschmid.

Das Medieninteresse an Hermann Theisen war groß. Foto: him

Worum geht es? Theisen, seit drei Jahrzehnten unterwegs im Kampf um Kleinwaffen aber auch Atombomben, war am 5. Mai 2015 in Oberndorf bei Heckler und Koch aufgetaucht, um dort Flugblätter zu verteilen. Dabei so der Vorwurf sei er auf das Firmengelände gegangen und habe Flugblätter mit dem Aufruf zum Whistleblowing verteilt. Er habe das Gelände nicht verlassen, obwohl ihn der Werkschutz mehrfach dazu aufgefordert habe.

Erst als die Polizei kam, sei er gegangen. Theisen rechtfertigte seine Aktion mit dem illegalen Waffenexporten durch das Oberndorfer Rüstungsunternehmen. Dass das Flugblatt nicht strafbar war, sei inzwischen entschieden, so Heuer, darum ginge es nicht, sondern um den Hausfriedensbruch. Theisen bestand darauf, seine Intentionen schildern zu dürfen, was ihm nach längerem Hin und Her auch gelang.

Polizei und Ordnungsamtmitarbeiter beschlagnahmen Hermann Theisens Flugblätter. Foto: Theisen

Heuer will genau wissen, wo er war, ob ihm klar war, dass er auf Firmengelände war, ob er die Verbotsschilder nicht gesehen habe. „Ich war das erste Mal dort“, so Theisen, es sei ihm nicht klar gewesen, das schon die Heckler-und-Koch-Straße und der Parkplatz Firmengelände seien. Er sei aber auch zur Pforte gegangen. Der Aufforderung des Werkschutzes, das Gelände zu verlassen, sei er nicht nachgekommen. „Ich wollte meine Aktion fortsetzen.“ Erst als die Polizei kam und mit Festnahme drohte, sei er mitgegangen.

Bei den Zeugenvernehmungen macht der ehemalige Justitiar von Heckler und Koch, Hans-Peter Miller einen  denkbar schlechten Eindruck, verwickelt sich zunehmend in Widersprüche. Der damals auch für die Sicherheit des Unternehmens zuständige Bereichsleiter Miller fragt allen Ernstes: “Woher soll ich wissen, wo die Grenze des Firmengeländes verläuft?“ Er habe später mit dem Polizeibeamten Lehmann gesprochen und der habe erklärt, er werde beim Notar die Pläne anschauen, um zu sehen, wo denn das Heckler-und-Koch Gelände genau verläuft.

Nicht nur der Richter, auch der Staatsanwalt waren baff: „Herr Staatsanwalt“, fragt Heuer entgeistert, „haben Sie davon was in den Akten gelesen?“ Hat der nicht, denn davon steht nichts drin. Als Gelächter und Beifall – im spärlich besetzten – Zuschauerraum aufkommt,  weist Heuer die beiden Justizbeamten an, die drei Lacher des Saales zu verweisen und deren Personalien aufzunehmen. Nach längerer Unterbrechung setzt Heuer die Verhandlung fort. Und er muss gestehen: „Das Gelächter kam nicht von ungefähr.“

Es mache ihn sprachlos, dass der Zeuge als Bereichsleiter für Sicherheit nicht wisse, was zum Werksgelände gehöre. Aber auch, dass er sich auf seine Zeugenaussage nicht vorbereitet habe. Später stellt sich heraus, dass Miller im Unfrieden bei Heckler und Koch ausgeschieden war: „Es gab mehrere Verfahren….“

Als dann der Zeuge auch mit den verschiedenen Daten durcheinander kommt, immer wirrere Aussagen macht, unterbricht Heuer und gönnt dem Zeugen eine Trinkpause. Danach versichert Miller, er sei „dehydriert“ gewesen, „nicht ganz bei Sinnen“. Die Pause haben auch die drei „Störer“ genutzt, sich bei Heuer entschuldigt, und daraufhin dürfen sie wieder in den Sitzungssaal.

Wieder geht es um die Anzeige, die Miller über eine Anwaltskanzlei gestellt hat. Darin heißt es, dass Theisen vom Werkschutz gesagt worden sei,  „auf Weisung der Geschäftsleitung“ sei ihm Hausverbot erteilt. Auch der Werkschützer hatte als Zeuge ausgesagt, er habe die Geschäftsleitung, sprich Herrn Miller, angerufen, und der habe gesagt, er solle Theisen vom Gelände weisen.

Die Eingangspforte war damals noch weit hinter der Kurve. Archiv-Foto: him

Miller sagt nun: „Das Hausverbot habe nicht ich erteilt, sondern der Werkschutz.“ Das stehe so in einer Dienstanweisung, „dass der Werkschutz das machen kann“. An den Anruf des Werkschützers kann Miller sich nicht erinnern. Und dass das mit der Geschäftsleitung und dem Hausverbot in der Anzeige steht, sei ein „Übertragungsfehler“ der Anwaltskanzlei.

Der Zeuge Lehmann, stellvertretender Revierleiter in Oberndorf immerhin, weiß nichts mehr von einem Auftrag, nach den Grundstücksplänen zu schauen. „Ist zu lange her.“ Als ihm Heuer die Aussage von Justitiar Miller vorhält, meint er: „Kann so gewesen sein, wenn Herr Miller das sagt…“ Und weshalb das dann nicht in den Akten stehe, fragt Heuer. Antwort: Das habe er wohl vergessen.

Heute ist das Tor viel weiter vor der Pforte quer über die Straße gebaut. Foto: him

Wer nun denkt, das war’s, der denkt nicht wie Juristen. Ob die Anzeige richtig oder falsch ist, ist unerheblich. Wenn der Werkschutz das laut Dienstanweisung selbsttätig machen kann, ist auch egal, ob Miller die Anweisung gab oder nicht. „Wir bräuchten die Dienstanweisung“, meint Heuer.

Entscheidend ist, war Theisen auf Heckler-und-Koch-Boden? Und das war er laut eigener Aussage, nämlich am Werkstor. Damit hat er Hausfriedensbruch begangen, wenn ihn der Werkschutzmann mehrfach auffordert, wegzugehen, argumentiert Heuer.

Hinweisschild am Rand des Parkplatzes. Das Foto stammt aus dem Jahr 2011.    Foto: him

Nach der letzten Zeugenaussage, wonach Theisen maximal zehn Minuten auf dem Heckler- und-Koch-Gelände war, baut Heuer Brücken: „Ich sehe die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens für gegeben.“ Staatsanwalt Kaltenbach hält sein Angebot aufrecht: „Einstellung gegen geringfügige Geldauflage.“ Theisen dagegen sieht „gute Gründe auf einer Entscheidung zu bestehen.“ Das ganze Verfahren sei seit langem „vermurkst“.

Heuer macht ihm klar, dass er näher bei einer Verurteilung als einem Freispruch stehe. Er werde  Theisen verurteilen müssen, „zur denkbar geringsten Strafe“ zwar, aber immerhin. Theisen scheint einzulenken, ohne Geldauflage und wenn der Staat die Kosten des Verfahrens trägt. Heuer  findet, alle hätten eigentlich was Besseres zu tun als sich wegen fünf oder zehn Minuten unberechtigtem Aufenthalts auf einem Gelände rumzustreiten.

Doch Oberstaatsanwalt Kaltschmid besteht auf der Geldauflage – aus „öffentlichem Interesse“. Und Theisen lehnt das ab. Das war‘s dann, neuer Termin am 9. April.

 

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Martin Himmelheber (him)
Martin Himmelheber (him)
... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.