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    Unfall mit Ansage

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    Seit Jahren gibt es Unmut in Villingendorf: Anwohner eines Neubaugebiets rund um die Neckarstraße sehen diese als Rennstrecke missbraucht. Und sie befürchten, „dass es mal kracht“, wie man so schön sagt. Das ist jetzt, am späten Samstagvormittag, passiert. Heftig: Ein Rollerfahrer wurde schwer verletzt, als ein Kastenwagen ihm die Vorfahrt nahm und ihn mit hoher Geschwindigkeit rammte. Für manche ein Unfall mit Ansage. Und die Gemeinde, sie tue nichts. Diesen Vorwurf weist Bürgermeister Türk allerdings von sich.

    Der Fahrer des Kastenwagens hatte es offenbar eilig. Er soll in der 30-er-Zone, vermuten Augenzeugen, mehr als 50 Kilometer pro Stunde gefahren sein. An diesem Samstag gegen 11.35 Uhr kam er, erfuhr die NRWZ, gerade vom Einkaufen. Er hatte zu Hause wohl seinen Geldbeutel vergessen, heißt es.

    Der Fahrer des Rollers fährt den Weg beinahe täglich. Aus der Ortsmitte von Villingendorf kommend, die Bachstraße entlang, dann nach links in die Neckarstraße. So auch an diesem Samstag. Von links kommt zeitgleich der Kastenwagen.

    Die Vorfahrtsregelung ist an sich klar. In Tempo-30-Zonen, die Neckarstraße in Villingendorf ist Teil einer solchen, gilt rechts vor links. Daraus folgt: Der Rollerfahrer hätte Vorfahrt gehabt.

    Ersthelfer versorgen den schwerverletzten Rollerfahrer bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Der Kastenwagen steht in einem Vorgarten, in dem wenige Minuten zuvor noch zwei Menschen beschäftigt gewesen sind. Foto: privat

    Augenzeugen zufolge hat das Auto den Roller seitlich voll erwischt. Vor Ort: keine Bremsspuren. „Er hat ihn abgeschossen, der Rollerfahrer ist durch die Luft geflogen“, so ein Augenzeuge. Ersthelfer versorgen den Mann und holen für den mutmaßlichen Unfallverursacher einen Klappstuhl – der Kastenwagenfahrer ist geschockt, berichten Menschen, die am Unfallort waren. Und der Rollerfahrer – schwer verletzt, Rippenbrüche, innere Blutungen. Das Rote Kreuz rückt an, er kommt in eine Klinik.

    Der Kastenwagen war nach dem Zusammenprall noch nach links in einen Vorgarten gedonnert. An genau dem Fleck, wo nun das Auto steht, hatten laut einem Nachbarn wenige Minuten zuvor noch zwei Menschen, Bewohner des angrenzenden Hauses, gebuddelt. Haben Gartenarbeiten verrichtet. „Dass die Frau mal auf die Toilette musste, hat ihr vermutlich das Leben gerettet“, so der Augenzeuge.

    Tatsächlich schaut ein Ersthelfer, der durch die Gärten gesprintet kommt, zunächst unter dem Unfallwagen nach. Der Mann ist bei der Feuerwehr, er weiß, was passiert sein könnte. „Die Sandsteine dort sind rot, das hätte auf den ersten, schnellen Blick auch Blut sein können, was ich dort unter dem Auto sah“, erzählt er der NRWZ. Das war es Gott sei Dank nicht.

    Die Polizei hat den Unfall aufgenommen. Sie bestätigt auf Nachfrage der NRWZ, dass der 65-jährige Fahrer des Kastenwagens, eines Renault, dem 58-jährigen Rollerfahrer die Vorfahrt genommen hat. Und dass er mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei. Der Sachschaden: insgesamt 10.000 Euro.

    Das Drama kommen sehen

    Einer der Augenzeugen zeigt sich durch den Unfall geschockt. Denn er hat das Drama kommen sehen, hatte vor der Katastrophe gewarnt, die nun eingetreten ist. Für ihn ganz klar: „Das war ein Unfall mit Ansage. Und die Gemeinde hat es versäumt, rechtzeitig etwas zu unternehmen.“

    Der Anwohner legt der NRWZ E-Mails an die Gemeindeverwaltung vor. Im Mai 2020 schrieb er die erste. Darin stellt er „einen konkreten Antrag bei der Gemeinde Villingendorf …, welche zu unserer aller Sicherheit und Schutz vor Schaden an Leib und Leben einen Beitrag leisten soll.“ Denn die Neckarstraße werde als Durchgangsstraße wahrgenommen, gerade aus Richtung des Netto-Marktes – aus der nun auch der Kastenwagenfahrer gekommen ist.

    Wörtlich schreibt der Anwohner an die Gemeinde:

    „Die in der Nähe von unserem Haus von rechts einmündende Bachstraße wird nicht im Sinne der Rechts-vor-links-Regel wahrgenommen und es ist schon des Öfteren zu Beinaheunfällen gekommen, weil die Vorfahrt durch zu hohe Geschwindigkeit nicht beachtet wurde. Offen gesprochen bete ich um jeden Tag, an dem die auf dem Hof oder dem Bürgersteig spielenden Nachbarskinder von einem möglichen Unfall verschont bleiben, da dann das Geschrei und die Trauer groß wären. Gerade im Neubaugebiet Stephanswälde sind viele junge Familien, sodass die Anzahl der Kleinkinder in den nächsten Jahre eher noch ansteigt.“

    Eine Wartelinie, wie sie in Villingendorf aussehen könnte. So sieht sie die Straßenverkehrsordnung (StVO) aber nicht vor. Grafik: Wikipedia, NRWZ

    Der Anwohner fordert sogenannte Wartelinien. Gestrichelte Linien, die dem von links Kommenden sagen, dass hier eine Einmündung ist, er gegebenenfalls warten soll.

    Temporäre Blitzeraktionen würden derweil auf Dauer gar nichts bringen. Sei der Blitzer abgebaut, würden die Autofahrer rasen wie eh und je.

    https://www.nrwz.de/polizeibericht/30-jaehriger-verursacht-schaden-von-mehreren-tausend-euro/273198

    Folglich stellte der Bürger ganz förmlich den Antrag, „mit diesen gestrichelten Linien, zur Entschärfung der Gefahrenschwerpunkte diverser Kreuzungen und Einmündungen in der Gemeinde Villingendorf beizutragen“.

    Es sei derweil definitiv nicht der einzige Gefahrenpunkt in der Gemeinde, erfährt die NRWZ am Montag vor Ort. Das Baugebiet rund um Neckarstraße und Stephanswäldle weise viele Ecken und Straßenschnittpunkte auf, an denen unachtsame Autofahrer für gefährliche Situationen sorgten. Neubauten rücken nahe an die Straße heran, die Übersicht ist nicht mehr gegeben. Ob das alles Bebauungsplan-konform und so genehmigt worden ist? Wer weiß.

    Die Gemeinde reagierte damals auf die Mail des Bürgers – aber leider vertröstend, berichtet er der NRWZ. So sei eine Verkehrsschau geplant, gemeinsam mit der sogenannten unteren Verkehrsbehörde, dem Landratsamt. Während dieser Verkehrsschau könne erörtert werden, was an der Einmündung der Bach- in die Neckarstraße die richtige Lösung sei.

    Treffen mit dem Bürgermeister

    Erst Corona, dann der Urlaub des zuständigen Sachbearbeiters beim Landratsamt – leider habe die Verkehrsschau bislang nicht stattfinden können. Sie sei nun auf November geplant, sagt Bürgermeister Marcus Türk. Die NRWZ hat den Schultes am späten Montagvormittag an der Unfallstelle getroffen. Er hat sich umgehend Zeit genommen.

    Lustig: Während Türk und der Reporter miteinander reden, zeigen die meisten Autofahrer, die vorbeikommen, wie man vorschriftsmäßig fährt. Übervorschriftsmäßig, möchte man sagen. Eine Fahrschule hätte ihre Schüler das beobachten lassen können – maximal Tempo 30, eher 25, verzögertes und vorsichtiges Einfahren in den Kreuzungsbereich, nach von rechts kommenden Fahrzeugen schauen, im Anschluss den Bürgermeister links freundlich grüßen und dann, gaaaanz sanft, Gas geben.

    Wobei das nicht alle so machen, beileibe nicht. Eine junge Fahrerin in ihrem Kleinwagen brezelt gleich dreimal in einer Stunde vorbei, ohne auch nur einmal richtig nach rechts in die Bachstraße zu schauen. Eine heiße Kandidatin für den nächsten Crash.

    Bürgermeister Türk bedauert den Unfall vom Samstag. Sehr. Es kommt ihm, das lässt er durchblicken, maximal ungelegen, dass jetzt doch ein schlimmer Zwischenfall passiert ist. Denn in seinen Augen hat sich die Gemeinde längst des Problems angenommen, ist nur noch nicht so weit. Zunächst sei man ja dabei, eine Verkehrsschau zu planen, siehe oben. Zudem ist da jetzt eine elektronische Anzeigetafel, die eingangs der Neckarstraße, kurz vor der Unfallkreuzung, hängt und die zu schnelle Fahrer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen soll (und zuletzt offenbar nicht funktionierte).

    Die Verkehrsschau sei nötig, weil die Gemeinde nicht einfach ihre Straßen bemalen könne, etwa mit so einer gestrichelten Wartelinie. Türk hat zudem eine E-Mail eines Beamten aus dem damaligen Polizeipräsidium Tuttlingen in seiner zum Ortstermin mitgebrachten Akte. Darin heiße es klipp und klar, dass eine solche Line an dieser Stelle rechtswidrig sei, sagt der Bürgermeister. Er dürfe nicht gegen Gesetze verstoßen. Punkt.

    Das kann der Anwohner und Augenzeuge des Unfalls am Samstag, der auch zum Gespräch zwischen Bürgermeister und NRWZ hinzugestoßen ist, nicht nachvollziehen. In anderen Gemeinden arbeite man an derart unfallträchtigen Stellen erfolgreich mit Wartelinien.

    Die Verkehrsschau sei aber auch deshalb nötig, weil es viele Punkte im Gebiet der Gemeinde Villingendorf gebe, an denen sich Anwohner beschwerten und die vonseiten der Behörden untersucht werden müssten. Türk legt einen Ortsplan vor, auf dem die Punkte mit roten Dreieckchen markiert sind. Die NRWZ schätzt deren Zahl auf 30. Die Gemeinde wolle sich aller annehmen, versichert der Bürgermeister.

    Beim Ortstermin wird aber auch offenbar: Türks Thema war die Verkehrssituation im Neubaugebiet hinter dem Netto-Markt bislang nicht. Er muss immer wieder die Akte zur Hand nehmen, hatte die Anwohnerbeschwerde bisher bei seinem Hauptamtsleiter angesiedelt. Türk verweist aber auch darauf, dass es nicht die Gemeinde sei, die Unfälle provoziere oder gefährliche Situationen schaffe. Es seien unvernünftige Verkehrsteilnehmer.

    Er selbst sei auch längst schon, entgegen der Darstellung von Anwohnern, selbst vor Ort gewesen, nachdem die Gemeinde im Mai angeschrieben worden ist, so der Bürgermeister. Er habe sich das angesehen. Und dann, das stimme, nicht direkt das Gespräch mit den Anwohnern gesucht – „warum denn auch“, so fragte er am Montag rhetorisch. Er sehe es doch genauso: „Da muss etwas getan werden.“ Aber was, das entscheide eben die untere Verkehrsbehörde, das Landratsamt. Da könne er keinen Alleingang starten, bei allem Verständnis für die Sorgen und Nöte der Bürger.

    Allerdings hat das Gespräch vor Ort – und vielleicht auch das Bild vom verwüsteten Vorgarten und die polizeilichen Markierungen des verunfallten Rollers samt Helm einige Meter weiter auf der Straße – nun direkt gefruchtet. So trat etwa zutage, dass nach einer Asphaltsanierung eingangs der Neckarstraße die früher dort aufgemalte „30“ fehlt. Und dass dieser Geschwindigkeitshinweis etwa in der Bachstraße arg ausgeblichen ist.

    Türk versprach baldige Abhilfe. Zur Reparatur des ausgefallenen Geschwindigkeitsanzeigers schickte er noch am frühen Nachmittag den Bauhof vorbei. Und die Verkehrsschau mit dem Landratsamt, die sieht er als dringlicher an denn je. Nun will er, sagte er der NRWZ, eigentlich nicht mehr bis November warten, bis der zuständige Sachbearbeiter aus dem Urlaub zurück ist und Zeit hat. In dessen Abwesenheit will er sich nun eben an die zuständige Dezernentin wenden.

    Nachfrage beim Landratsamt

    Die NRWZ hat das ähnliches getan, eine Stufe unter der Dezernentin. Montagmittag antwortet Corinna Bettinger, Leiterin des Straßenverkehrsamts im Landratsamt Rottweil, für ihren im Urlaub befindlichen Sachbearbeiter: Es stimme, „die Verkehrsschau in Villingendorf hat noch nicht stattgefunden, die untere Straßenverkehrsbehörde steht allerdings im Austausch mit der Gemeinde und der Polizei, um einen entsprechenden Termin abzustimmen.“ Wegen der Corona-Pandemie hätten lange Zeit keine Verkehrsschauen stattfinden können, weshalb sich der Zeitplan generell nach hinten verschoben habe.

    Doch auch Bettinger muss denjenigen, die in Villingendorf auf eine schnelle Lösung mittels aufgemalter Linien hoffen, einen Zahn ziehen. „Was die Frage zur verkehrsrechtlichen Situation an der Einmündung der Bach- in die Neckarstraße betrifft“, schreibt sie, „so dürfen Markierungen in Form einer Wartelinie an Knotenpunkten mit der Vorfahrtsregelung ‚rechts vor links‘ grundsätzlich nicht angeordnet werden.“

    Denn diese Wartelinien, die der Anwohner als eine sichtbare Barriere vorschlägt, dürfen laut der Straßenverkehrsamtseiterin etwa nur dort angeordnet werden, wo Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren, das auf der Spitze stehende rote Dreieck) vorhanden ist oder wo Linksabbieger den Gegenverkehr durchfahren lassen müssen. „Dies ist an der beschriebenen Stelle nicht der Fall.“ Allenfalls bei Unfallschwerpunkten wäre eine Wartelinie ausnahmsweise denkbar, die Polizei habe dem Landratsamt diese Stelle jedoch bislang nicht als Unfallschwerpunkt gemeldet.

    Die Verdeutlichung der geltenden Vorfahrtsregelung durch Zeichen 102 (rechts vor links, das schwarze Kreuz im roten Dreieck) wäre „in der vorliegenden Konstellation ebenfalls nur in besonderen Ausnahmefällen denkbar“, so Bettinger.

    Im Rahmen der kommenden Verkehrsschau werde aber „unter Berücksichtigung der aktuellen Daten erörtert werden, inwieweit die genannten Voraussetzungen vorliegen und wie die verkehrsrechtliche Situation hier verbessert werden kann“, verspricht sie abschließend.

    Und das sagt die StVO

    Paragraf 8, Absatz 2 der Straßenverkehrsordnung erklärt hübsch sauber, wie der Verkehrsteilnehmer sich zu verhalten hat. Für alle, die es seit der Fahrschule verlernt haben:

    Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass gewartet wird. Es darf nur weitergefahren werden, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Kann das nicht übersehen werden, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineingetastet werden, bis die Übersicht gegeben ist. Wer die Vorfahrt hat, darf auch beim Abbiegen in die andere Straße nicht wesentlich durch den Wartepflichtigen behindert werden.

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    Peter Arnegger (gg)
    Peter Arnegger (gg)
    … ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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    Augenzeugen zufolge hat das Auto den Roller seitlich voll erwischt. Vor Ort: keine Bremsspuren. „Er hat ihn abgeschossen, der Rollerfahrer ist durch die Luft geflogen“, so ein Augenzeuge. Ersthelfer versorgen den Mann und holen für den mutmaßlichen Unfallverursacher einen Klappstuhl – der Kastenwagenfahrer ist geschockt, berichten Menschen, die am Unfallort waren. Und der Rollerfahrer – schwer verletzt, Rippenbrüche, innere Blutungen. Das Rote Kreuz rückt an, er kommt in eine Klinik.

    Der Kastenwagen war nach dem Zusammenprall noch nach links in einen Vorgarten gedonnert. An genau dem Fleck, wo nun das Auto steht, hatten laut einem Nachbarn wenige Minuten zuvor noch zwei Menschen, Bewohner des angrenzenden Hauses, gebuddelt. Haben Gartenarbeiten verrichtet. „Dass die Frau mal auf die Toilette musste, hat ihr vermutlich das Leben gerettet“, so der Augenzeuge.

    Tatsächlich schaut ein Ersthelfer, der durch die Gärten gesprintet kommt, zunächst unter dem Unfallwagen nach. Der Mann ist bei der Feuerwehr, er weiß, was passiert sein könnte. „Die Sandsteine dort sind rot, das hätte auf den ersten, schnellen Blick auch Blut sein können, was ich dort unter dem Auto sah“, erzählt er der NRWZ. Das war es Gott sei Dank nicht.

    Die Polizei hat den Unfall aufgenommen. Sie bestätigt auf Nachfrage der NRWZ, dass der 65-jährige Fahrer des Kastenwagens, eines Renault, dem 58-jährigen Rollerfahrer die Vorfahrt genommen hat. Und dass er mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei. Der Sachschaden: insgesamt 10.000 Euro.

    Das Drama kommen sehen

    Einer der Augenzeugen zeigt sich durch den Unfall geschockt. Denn er hat das Drama kommen sehen, hatte vor der Katastrophe gewarnt, die nun eingetreten ist. Für ihn ganz klar: „Das war ein Unfall mit Ansage. Und die Gemeinde hat es versäumt, rechtzeitig etwas zu unternehmen.“

    Der Anwohner legt der NRWZ E-Mails an die Gemeindeverwaltung vor. Im Mai 2020 schrieb er die erste. Darin stellt er „einen konkreten Antrag bei der Gemeinde Villingendorf …, welche zu unserer aller Sicherheit und Schutz vor Schaden an Leib und Leben einen Beitrag leisten soll.“ Denn die Neckarstraße werde als Durchgangsstraße wahrgenommen, gerade aus Richtung des Netto-Marktes – aus der nun auch der Kastenwagenfahrer gekommen ist.

    Wörtlich schreibt der Anwohner an die Gemeinde:

    „Die in der Nähe von unserem Haus von rechts einmündende Bachstraße wird nicht im Sinne der Rechts-vor-links-Regel wahrgenommen und es ist schon des Öfteren zu Beinaheunfällen gekommen, weil die Vorfahrt durch zu hohe Geschwindigkeit nicht beachtet wurde. Offen gesprochen bete ich um jeden Tag, an dem die auf dem Hof oder dem Bürgersteig spielenden Nachbarskinder von einem möglichen Unfall verschont bleiben, da dann das Geschrei und die Trauer groß wären. Gerade im Neubaugebiet Stephanswälde sind viele junge Familien, sodass die Anzahl der Kleinkinder in den nächsten Jahre eher noch ansteigt.“

    Eine Wartelinie, wie sie in Villingendorf aussehen könnte. So sieht sie die Straßenverkehrsordnung (StVO) aber nicht vor. Grafik: Wikipedia, NRWZ

    Der Anwohner fordert sogenannte Wartelinien. Gestrichelte Linien, die dem von links Kommenden sagen, dass hier eine Einmündung ist, er gegebenenfalls warten soll.

    Temporäre Blitzeraktionen würden derweil auf Dauer gar nichts bringen. Sei der Blitzer abgebaut, würden die Autofahrer rasen wie eh und je.

    https://www.nrwz.de/polizeibericht/30-jaehriger-verursacht-schaden-von-mehreren-tausend-euro/273198

    Folglich stellte der Bürger ganz förmlich den Antrag, „mit diesen gestrichelten Linien, zur Entschärfung der Gefahrenschwerpunkte diverser Kreuzungen und Einmündungen in der Gemeinde Villingendorf beizutragen“.

    Es sei derweil definitiv nicht der einzige Gefahrenpunkt in der Gemeinde, erfährt die NRWZ am Montag vor Ort. Das Baugebiet rund um Neckarstraße und Stephanswäldle weise viele Ecken und Straßenschnittpunkte auf, an denen unachtsame Autofahrer für gefährliche Situationen sorgten. Neubauten rücken nahe an die Straße heran, die Übersicht ist nicht mehr gegeben. Ob das alles Bebauungsplan-konform und so genehmigt worden ist? Wer weiß.

    Die Gemeinde reagierte damals auf die Mail des Bürgers – aber leider vertröstend, berichtet er der NRWZ. So sei eine Verkehrsschau geplant, gemeinsam mit der sogenannten unteren Verkehrsbehörde, dem Landratsamt. Während dieser Verkehrsschau könne erörtert werden, was an der Einmündung der Bach- in die Neckarstraße die richtige Lösung sei.

    Treffen mit dem Bürgermeister

    Erst Corona, dann der Urlaub des zuständigen Sachbearbeiters beim Landratsamt – leider habe die Verkehrsschau bislang nicht stattfinden können. Sie sei nun auf November geplant, sagt Bürgermeister Marcus Türk. Die NRWZ hat den Schultes am späten Montagvormittag an der Unfallstelle getroffen. Er hat sich umgehend Zeit genommen.

    Lustig: Während Türk und der Reporter miteinander reden, zeigen die meisten Autofahrer, die vorbeikommen, wie man vorschriftsmäßig fährt. Übervorschriftsmäßig, möchte man sagen. Eine Fahrschule hätte ihre Schüler das beobachten lassen können – maximal Tempo 30, eher 25, verzögertes und vorsichtiges Einfahren in den Kreuzungsbereich, nach von rechts kommenden Fahrzeugen schauen, im Anschluss den Bürgermeister links freundlich grüßen und dann, gaaaanz sanft, Gas geben.

    Wobei das nicht alle so machen, beileibe nicht. Eine junge Fahrerin in ihrem Kleinwagen brezelt gleich dreimal in einer Stunde vorbei, ohne auch nur einmal richtig nach rechts in die Bachstraße zu schauen. Eine heiße Kandidatin für den nächsten Crash.

    Bürgermeister Türk bedauert den Unfall vom Samstag. Sehr. Es kommt ihm, das lässt er durchblicken, maximal ungelegen, dass jetzt doch ein schlimmer Zwischenfall passiert ist. Denn in seinen Augen hat sich die Gemeinde längst des Problems angenommen, ist nur noch nicht so weit. Zunächst sei man ja dabei, eine Verkehrsschau zu planen, siehe oben. Zudem ist da jetzt eine elektronische Anzeigetafel, die eingangs der Neckarstraße, kurz vor der Unfallkreuzung, hängt und die zu schnelle Fahrer auf ihr Fehlverhalten aufmerksam machen soll (und zuletzt offenbar nicht funktionierte).

    Die Verkehrsschau sei nötig, weil die Gemeinde nicht einfach ihre Straßen bemalen könne, etwa mit so einer gestrichelten Wartelinie. Türk hat zudem eine E-Mail eines Beamten aus dem damaligen Polizeipräsidium Tuttlingen in seiner zum Ortstermin mitgebrachten Akte. Darin heiße es klipp und klar, dass eine solche Line an dieser Stelle rechtswidrig sei, sagt der Bürgermeister. Er dürfe nicht gegen Gesetze verstoßen. Punkt.

    Das kann der Anwohner und Augenzeuge des Unfalls am Samstag, der auch zum Gespräch zwischen Bürgermeister und NRWZ hinzugestoßen ist, nicht nachvollziehen. In anderen Gemeinden arbeite man an derart unfallträchtigen Stellen erfolgreich mit Wartelinien.

    Die Verkehrsschau sei aber auch deshalb nötig, weil es viele Punkte im Gebiet der Gemeinde Villingendorf gebe, an denen sich Anwohner beschwerten und die vonseiten der Behörden untersucht werden müssten. Türk legt einen Ortsplan vor, auf dem die Punkte mit roten Dreieckchen markiert sind. Die NRWZ schätzt deren Zahl auf 30. Die Gemeinde wolle sich aller annehmen, versichert der Bürgermeister.

    Beim Ortstermin wird aber auch offenbar: Türks Thema war die Verkehrssituation im Neubaugebiet hinter dem Netto-Markt bislang nicht. Er muss immer wieder die Akte zur Hand nehmen, hatte die Anwohnerbeschwerde bisher bei seinem Hauptamtsleiter angesiedelt. Türk verweist aber auch darauf, dass es nicht die Gemeinde sei, die Unfälle provoziere oder gefährliche Situationen schaffe. Es seien unvernünftige Verkehrsteilnehmer.

    Er selbst sei auch längst schon, entgegen der Darstellung von Anwohnern, selbst vor Ort gewesen, nachdem die Gemeinde im Mai angeschrieben worden ist, so der Bürgermeister. Er habe sich das angesehen. Und dann, das stimme, nicht direkt das Gespräch mit den Anwohnern gesucht – „warum denn auch“, so fragte er am Montag rhetorisch. Er sehe es doch genauso: „Da muss etwas getan werden.“ Aber was, das entscheide eben die untere Verkehrsbehörde, das Landratsamt. Da könne er keinen Alleingang starten, bei allem Verständnis für die Sorgen und Nöte der Bürger.

    Allerdings hat das Gespräch vor Ort – und vielleicht auch das Bild vom verwüsteten Vorgarten und die polizeilichen Markierungen des verunfallten Rollers samt Helm einige Meter weiter auf der Straße – nun direkt gefruchtet. So trat etwa zutage, dass nach einer Asphaltsanierung eingangs der Neckarstraße die früher dort aufgemalte „30“ fehlt. Und dass dieser Geschwindigkeitshinweis etwa in der Bachstraße arg ausgeblichen ist.

    Türk versprach baldige Abhilfe. Zur Reparatur des ausgefallenen Geschwindigkeitsanzeigers schickte er noch am frühen Nachmittag den Bauhof vorbei. Und die Verkehrsschau mit dem Landratsamt, die sieht er als dringlicher an denn je. Nun will er, sagte er der NRWZ, eigentlich nicht mehr bis November warten, bis der zuständige Sachbearbeiter aus dem Urlaub zurück ist und Zeit hat. In dessen Abwesenheit will er sich nun eben an die zuständige Dezernentin wenden.

    Nachfrage beim Landratsamt

    Die NRWZ hat das ähnliches getan, eine Stufe unter der Dezernentin. Montagmittag antwortet Corinna Bettinger, Leiterin des Straßenverkehrsamts im Landratsamt Rottweil, für ihren im Urlaub befindlichen Sachbearbeiter: Es stimme, „die Verkehrsschau in Villingendorf hat noch nicht stattgefunden, die untere Straßenverkehrsbehörde steht allerdings im Austausch mit der Gemeinde und der Polizei, um einen entsprechenden Termin abzustimmen.“ Wegen der Corona-Pandemie hätten lange Zeit keine Verkehrsschauen stattfinden können, weshalb sich der Zeitplan generell nach hinten verschoben habe.

    Doch auch Bettinger muss denjenigen, die in Villingendorf auf eine schnelle Lösung mittels aufgemalter Linien hoffen, einen Zahn ziehen. „Was die Frage zur verkehrsrechtlichen Situation an der Einmündung der Bach- in die Neckarstraße betrifft“, schreibt sie, „so dürfen Markierungen in Form einer Wartelinie an Knotenpunkten mit der Vorfahrtsregelung ‚rechts vor links‘ grundsätzlich nicht angeordnet werden.“

    Denn diese Wartelinien, die der Anwohner als eine sichtbare Barriere vorschlägt, dürfen laut der Straßenverkehrsamtseiterin etwa nur dort angeordnet werden, wo Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren, das auf der Spitze stehende rote Dreieck) vorhanden ist oder wo Linksabbieger den Gegenverkehr durchfahren lassen müssen. „Dies ist an der beschriebenen Stelle nicht der Fall.“ Allenfalls bei Unfallschwerpunkten wäre eine Wartelinie ausnahmsweise denkbar, die Polizei habe dem Landratsamt diese Stelle jedoch bislang nicht als Unfallschwerpunkt gemeldet.

    Die Verdeutlichung der geltenden Vorfahrtsregelung durch Zeichen 102 (rechts vor links, das schwarze Kreuz im roten Dreieck) wäre „in der vorliegenden Konstellation ebenfalls nur in besonderen Ausnahmefällen denkbar“, so Bettinger.

    Im Rahmen der kommenden Verkehrsschau werde aber „unter Berücksichtigung der aktuellen Daten erörtert werden, inwieweit die genannten Voraussetzungen vorliegen und wie die verkehrsrechtliche Situation hier verbessert werden kann“, verspricht sie abschließend.

    Und das sagt die StVO

    Paragraf 8, Absatz 2 der Straßenverkehrsordnung erklärt hübsch sauber, wie der Verkehrsteilnehmer sich zu verhalten hat. Für alle, die es seit der Fahrschule verlernt haben:

    Wer die Vorfahrt zu beachten hat, muss rechtzeitig durch sein Fahrverhalten, insbesondere durch mäßige Geschwindigkeit, erkennen lassen, dass gewartet wird. Es darf nur weitergefahren werden, wenn übersehen werden kann, dass wer die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert wird. Kann das nicht übersehen werden, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf sich vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineingetastet werden, bis die Übersicht gegeben ist. Wer die Vorfahrt hat, darf auch beim Abbiegen in die andere Straße nicht wesentlich durch den Wartepflichtigen behindert werden.

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