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Lebenslänglich für Mord gefordert – Gericht steht „vor schwierigen Fragen“

Sie starb in den Armen ihres Sohnes: Für den Mord an Monika L. in Wellendingen im Januar 2021 soll der mutmaßliche Täter lebenslang hinter Gitter. Das fordert die Staatsanwaltschaft, die zudem die besondere Schwere der Schuld festgestellt wissen will, wodurch der Mann nicht frühzeitig entlassen werden kann. Er zeigte sich bis zuletzt reuelos. Und unnachgiebig gegenüber etwa seinen Kindern.

Eine lebenslange Haftstrafe haben Staatsanwaltschaft und Nebenklage für den mutmaßlichen Mörder von Monika L. gefordert. Für Ondrej O., der seine Lebensgefährtin am 25. Januar 2020 in Wellendingen erstochen haben soll. Die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers habe er ausgenutzt, seine Motive entsprächen dem Mordmerkmal der niederen Beweggründe. Die Schwere der Schuld sei festzustellen, so die Staatsanwältin, damit der Mann nicht nach 15 Jahren freikommen könnte. Er hatte im laufenden Verfahren Todesdrohungen gegen Zeugen ausgestoßen, die ein Justizbeamter wahrnahm und ans Gericht weitergab. Der Pflichtverteidiger O.s will dagegen ein Urteil wegen Totschlags erreichen. Und eine Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren. Das Urteil wird am Freitag, neun Uhr, verkündet. Es seien einige schwierige Fragen zu klären, so der Vorsitzende Richter.

Mittwochmorgen, Landgericht Rottweil, Saal und Zuschauerbereich haben sich geleert. Der Tag beginnt mit juristischem Klein-Klein. Die Messer, mit denen O. auf seine Frau eingestochen und später sich selbst leicht verletzt haben soll, und Kleidung wie ein blutiges T-Shirt werden von Rechts wegen eingezogen. Die Sachen bekommt der Mann nicht mehr. Er stimmt dem nickend zu.

Die Anklagevertretung

Doch dann nimmt der Prozess Fahrt aus, geht in die Zielgerade. Das Plädoyer der Staatsanwältin, die sich auf Zeugenaussagen in dem Prozess stützt, Familie, Bekannte, auf deren Berichte über die Arbeitsscheue des Angeklagten. Und über die von ihm ausgestoßenen Todesdrohungen gegen die Ehefrau, falls diese ihn verlasse. Die Anklagevertreterin fordert lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Es sei zudem die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Das verhinderte eine Strafaussetzung nach 15 Jahren.

Die Anklagevertreterin zeichnete das Bild einer ärmlich und beengt lebenden Familie mit einem drogenabhängigen, arbeitsscheuen Oberhaupt. O. Der den Lebensunterhalt als Roma zunächst in der Slowakei etwa mit Betteln verdient habe, der sich zudem von seinen Eltern unterstützen ließ. Etwa wegen dieser Zuwendungen „stellte der Angeklagte seine Bemühungen, zum Lebensunterhalt beizutragen, zunehmend ein.“ Die Familie siedelte nach Deutschland über. Dort zwar eine Mietwohnung, aber dieselbe Misere, die erste Trennung. Eine Verurteilung zu Unterhaltszahlungen für seine Kinder, denen der Mann nicht nachkam.

Seit Februar 2019 lebten die Leute in Wellendingen. Monika L. sorgte als Reinigungsfrau für den Lebensunterhalt, O. dagegen arbeitete so gut wie nicht. Ging nur sporadisch zur ersten Arbeitsstelle. Und „dann keiner geregelten Arbeit mehr nach“, so die Staatsanwältin. Einen Integrationskurs schwänzte er, das Wohngeld wurde gestrichen. Angebote des Jobcenters nahm er nicht an. Konsumierte lieber Drogen. „Er schaute nur nach sich und seinen eigenen Bedürfnissen.“ Er habe dagegen seine Frau kontrolliert, beherrscht, als seine Leibeigene betrachtet. Sperrte sie zu Hause ein, nahm ihr den Ausweis ab. So stellte es die Anklagevertreterin dar – und keiner der weiteren Prozessteilnehmer hatte daran etwas zu korrigieren.

Schließlich die vermeintlich endgültige Trennung. An Silvester 2020 beschließt die Frau, ihn zu verlassen. In den nächsten Tagen streiten sie wohl oft. Am 19. Januar sperrt er sie in die Wohnung ein, bedroht sie wieder mit einem Messer. Die Schwester von Monika L. und ihr Mann greifen ein, können noch mal schlimmeres verhindern. Die Frau zieht für fünf Tage zu ihrer Schwester. Und kommt zurück, um ein paar Dinge zu regeln – Schule der Kinder, die eigene Arbeit – und Sachen zu holen. Bleibt über Nacht, will zunächst zur Arbeit, später wieder in die Schweiz, zur Schwester, wie sie ihrem Mann gegenüber ankündigt. Sie habe ihm erklärt, dass sie diesmal tatsächlich gehen würde.

Und er habe damit erkannt, dass er auch seine Lebensgrundlage verlieren würde. Dass er sie und seine Kinder tatsächlich verlieren würde. Da habe er beschlossen, sie zu töten.

Der Morgen des 25. Januar. Die Frau zieht sich im schummrig beleuchteten Schlafzimmer gerade um, als ihr Mann sie angreift. In massivster Wucht und in Tötungsabsicht, so die Staatsanwältin, stach er auf die Frau ein. Die Todesschreie der Mutter wecken die Kinder. Sie finden die blutüberströmte Mutter, sehen den Vater mit dem Messer in der Hand. Vor der Badezimmertür bricht die Mutter zusammen, durch drei Stiche tödlich verletzt. Der Vater verletzt sich selbst leicht. Seine Suizidabsicht, nicht ernsthaft umgestetzt. Die Tochter versucht, Hilfe zu holen. Die Mutter stirbt unterdessen. In den Armen ihres weinenden, kleinen Sohnes. Die eintreffenden Retter konnten nichts mehr für Monika L. tun. Sie war „ausgeblutet“, wie einer vor Gericht sagte. Nach einer „Abschlachtung“.

Heimtücke und „sonstige niedere Beweggründe“ – diese beiden Mordmerkmale sieht die Staatsanwältin erfüllt. Schon deshalb, weil das spätere Opfer die Nacht gemeinsam mit dem jüngsten Sohn und ihrem Mann im Ehebett im Schlafzimmer verbracht hat. Arglos. Und wehrlos.

Zudem habe der Mann, so unscheinbar und leidend, wie er da in seiner zu weiten Kleidung auf der Anklagebank sitzt, während des Prozesses Todesdrohungen gegen Zeugen ausgestoßen, die zu seinem Leben aussagten. Auch deshalb sei seitens der Kammer die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Um ihn nicht zu früh aus dem Gefängnis kommen zu lassen.

Die drei Kinder, die Familie habe der Angeklagte zudem durch die Tat massiv traumatisiert. Alle litten auf ihre Weise unter dem Mord an der Frau.

Der Angeklagte, dem das Plädoyer der Staatsanwältin simultan übersetzt wird, hört in sich zusammengesunken zu. Sitzt auf seinen Händen. Schaut auf den Boden, hat Mühe, die Anklagevertreterin anzuschauen, kämpft ein wenig mit seiner FFP2-Maske. Scheint zu bereuen, hat aber keinerlei Angaben im Prozess gemacht, beharrlich geschwiegen. Ihm musste alles durch Zeugenaussagen nachgewiesen werden. Und durch die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen, dem gegenüber er sich nach der Tat noch geöffnet hatte.

Die Nebenklage

„Er hat nicht nur M. umgebracht, sondern auch uns.“ So zitierte der Nebenklagevertreter die Mutter der Getöteten. O. habe nicht einmal die Frage der schwer traumatisierten Kinder beantworten wollen, warum er ihre Mutter umgebracht habe. Die Mutter, die gearbeitet und sich um alles gekümmert hat, während er seinem Drogenkonsum nachgegangen sei und sich habe aushalten lassen. Diese Frau habe ein selbstbestimmtes Leben führen wollen, ohne Schläge, ohne Bedrohungen. Und dafür habe er sie ermordet, weil er dies nicht habe akzeptieren können. Er habe aus hemmungsloser Eigensucht und exklusiven Besitzansprüche gehandelt. Sätze gegenüber seinem späteren Opfer wie „Ich bringe Dich um, Du räudiger Hund“ zeigten dies auf.

Auch der Nebenklagevertreter forderte eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Wehr- und Arglosigkeit seien eindeutig gegeben. Etwa schon deshalb, weil es keine Abwehrverletzungen seitens des Opfers gegeben habe.

Die Verteidigung

„Mord an seiner Lebensgefährtin“, so laute der Anklagevorwurf, sagte der Pflichtverteidiger O.s. Am Ende einer Beziehung, die nur anfangs funktioniert haben möge, dann von immer größeren Problemen belastet gewesen sei. Und es stehe fest: „Der Angeklagte O. hat L. getötet.“ Es gehe darum, ob es sich um Mord oder Totschlag handelt. Ist Heimtücke tatsächlich gegeben, wie Staatsanwaltschaft und Nebenklage es sehen? Diese setze Arg- und Wehrlosigkeit voraus, zugleich.

Wehrlosigkeit ja – das Opfer habe, so der Verteidiger, „keine reale Chance“ gehabt, der Angeklagte sei ihr überlegen gewesen. Doch war sie auch arglos? Das nur, „wenn sie geglaubt hätte, sie sei völlig sicher. Dazu wissen wir wenig bis nichts“. Die beiden hätten sich mutmaßlich gestritten, wie üblich. Und die Frau habe das Messer, bevor er zugestochen hat, wohl gesehen. „Das sind Umstände, die gegen eine Arglosigkeit des Opfers sprechen.“ Zudem sei der Mann ihr gegenüber in den Monaten zuvor immer wieder übergriffig geworden, habe sie geschlagen und ihr gegenüber immer wieder Todesdrohungen ausgesprochen, habe sie mehrfach mit dem Messer bedroht. Und sie habe gewusst, dass ihr Mann sich in einer „Sondersituation“ befunden habe, so der Anwalt – angesichts der bevorstehenden tatsächlichen Trennung.

Damit entfalle das Mordmerkmal der Arglosigkeit. Bleibe das der niederen Beweggründe. Waren seine Motive besonders verachtenswert? „Das ist nicht eindeutig zu beantworten, wir wissen zu wenig.“ Eifersucht sei es nicht gewesen, eine Beleidigung habe nicht vorgelegen, er könne sich die Tat selbst nicht erklären, so zitierte der Psychiater O. Doch habe er Dominanz und Kontrolle ausgeübt, habe seine Partnerin alles erledigen lassen, selbst nicht gearbeitet, nicht einmal im Haushalt.

„Das ergibt ohne Frage ein negatives Bild von der Persönlichkeit des Herrn O.“, so der Rechtsanwalt. „Aber lässt das den Schluss auf niedere Beweggründe während der Tat zu?“ Immerhin liege die genaue Motivation bei der Attacke im Dunkeln, sei nicht bekannt, genauso wenig wie der Anlass. „Man weiß, was im Schlafzimmer geschehen ist, aber die Gründe kennt man nicht.“ Es sei nicht zu klären, was sich unmittelbar vor der Tat zwischen den Beteiligten abgespielt habe. Der Psychiater gehe „am ehesten“ von Wut, Ärger, Groll aus, von sogenannten szenischen Affekten. Diese hätten die Tat ausgelöst. Aber sicher sei das nicht, es sei nur „am ehesten wahrscheinlich“.

Es handele sich damit nicht um einen Mord, sondern um einen Totschlag. „Eine Freiheitsstrafe von zwölfeinhalb Jahren“ wäre angesichts der Tat und der Folgen „ausreichend“.

Die Hinterbliebenen des Opfers mussten sich diese rein juristische Argumentation nicht anhören. Sie blieben dem Prozesstag fern.

Hintergrund

Um zu verstehen, wie die Anwälte arbeiten, hat sich die NRWZ vor einigen Tagen am Rande des Prozesses mit ihnen unterhalten. Als Pflichtverteidiger fungiert hier Wolfgang Burkhardt, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht aus Rottweil. „Meine Aufgabe ist die eines Rechtsanwalts in jedem Prozess: mich darum zu kümmern, dass dem Angeklagten ein fairer Prozess gemacht wird und dass seine Belange berücksichtigt werden“, sagte er der NRWZ. Er habe, so Burkhardt weiter, hier aber keine Bedenken, die Rottweiler Landgerichts-Kammer sei bestrebt, auf die Belange des Angeklagten zu achten. Dies sei schon früh in dem Prozess klar geworden, als der Vorsitzende Richter selbst die Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit durch den psychiatrischen Sachverständigen angeregt hatte.

Nun gehe es im vorliegenden Fall, so Burkhardt weiter, auch darum, herauszufinden, ob die Tat (die Ondrej O. für ihn zweifellos begangen hat) juristisch als Mord, Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge zu werten sei. Das Gesetz, das Strafgesetzbuch, sieht hier Merkmale vor, die gegeben sein müssen, damit eine Tat ein Mord ist und entsprechend bestraft wird. Vor dieser Frage steht die Kammer nun tatsächlich.

Burkhardt lobte im Gespräch mit der NRWZ derweil auch die umfangreichen Ermittlungsarbeiten der Kriminalpolizei Rottweil, die in jede Richtung erfolgt seien. Das Gericht habe zudem weite Umfeldermittlungen angestoßen, die die Kripobeamten akribisch erledigt hätten. Die Beamtin, die die Ermittlungen geleitet habe, sei zudem tief im Fall drin und für den Prozess gut vorbereitet.

Für die Hinterbliebenen nimmt der Nebenklagevertreter am Prozess teil, für die Schwester des Opfers, für die Mutter der beiden. Hier hat der Rottweiler Fachanwalt für Strafrecht Wido Fischer diese Aufgabe übernommen. „Der Angeklagte schweigt nach wie vor“, schildert er der NRWZ den Fortgang des Verfahrens. Um sich ein genaueres Bild von der Persönlichkeit des Angeklagten zeichnen zu können, hätten Zeugen gehört werden müssen.

Zu den Beweggründen und Wünschen der Hinterbliebenen darf Fischer sich nicht äußern. Schweigepflicht. Aber er kann allgemein sagen: „Vielen Nebenklägern geht es um Antworten, sie wollen den Grund für die Tat erfahren, dem Angeklagten in die Augen schauen und ihm gegebenenfalls verdeutlichen, welche Folgen sein Handeln hat. Ansonsten wünschen sich viele eine ‚gerechte‘ Strafe, was aus Sicht der Angehörigen meistens die Höchststrafe bedeutet. In unserem Fall wäre das eine Verurteilung wegen Mordes, da damit regelmäßig eine lebenslange Haftstrafe einhergeht.“

Seine Aufgabe beschränkten sich derweil generell nicht nur auf das Erklären der prozessualen Vorgänge, Beratung im Hinblick auf prozessuale Rechte, Begleitung im Verfahren und so weiter, sondern auch hinsichtlich Fragestellungen, die über den eigentlichen Strafprozess hinausgehen. Fischer nennt hier die Beantragung der Übernahme der Beerdigungskosten, Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz, Schadensersatz und ähnliches.

So geht es weiter

Das Urteil im Verfahren gegen O. will die Kammer am kommenden Freitag um 9 Uhr verkünden. Es gebe einige schwierige Fragen zu klären, daher benötige man Zeit, erklärte der Vorsitzende Richter. O. bleibt derweil in Haft, wurde in Fußfesseln abgeführt. Mehrere Justizbeamte sorgen für einen reibungslosen Ablauf der Verhandlung.

 

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