Lauterbachs Bürgermeister Norbert Swoboda ist sauer: Seine Kommune taucht auf einer Liste von 29 Kommunen auf, die das Land möglicherweise als Radon-Vorsorgegebiet ausweisen lassen möchte. „Diese dienen dem Schutz der Bevölkerung vor Radon“, so das Landesumweltministerium. Radon ist ein radioaktives Gas, dessen Zerfallsprodukte gesundheitsschädlich sein können.
„Wissenschaftliche Studien belegen, dass schon vergleichsweise geringe Radonmengen in Gebäuden über Jahrzehnte hinweg bei den Bewohnerinnen und Bewohnern zu Lungenkrebs führen kann“, erläutert das Umweltministerium weiter. “Radon zählt nach dem Rauchen zu den häufigsten Ursachen für Lungenkrebs.“
Keine direkte Information
Swoboda ärgert sich, dass das Landesumweltministerium die Gemeinde nicht direkt informiert habe. Vielmehr habe er am 17. Dezember 2020 aus der Presse erfahren, dass Lauterbach Radon-Vorsorgegebiet werden soll. „Zum guten politischen Stil hätte es gehört, wenn die Gemeinden vor der Presse informiert worden wären, zumal sich die Ausweisung als Vorsorgegebiet schließlich auch sehr negativ auf viele Bereiche der Gemeinden auswirken kann“, schrieb Swoboda am 17. Februar ans Umweltministerium. Dabei verweist er auf das berühmte Wort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann vom „Gehört werden“, das in diesem Fall wohl nicht zutreffe.
Swoboda stört weiter, mit der Ankündigung vom Vorsorgegebiet werde „zunächst einmal nur Angst und Panik und Schrecken verbreitet ähnlich wie in der Corona-Pandemie“.
Nur Statistik statt echte Daten?
Der Lauterbacher Bürgermeister kritisiert zudem die Methode, wie die Landesregierung die Radon-Vorsorgegebiete ausgewählt habe: „Einzig und allein statistische Berechnungen und Methoden“ seien dafür verantwortlich, dass die Gemeinde Lauterbach als Radon-Vorsorgegebiet ausgewiesen werde.
Swoboda sieht in der möglichen Ausweisung als Radon-Vorsorgegebiet große Nachteile für Lauterbach. Er fürchtet, dass die wenigen in der Gemeinde verbliebenen Betriebe wegen teurer Sanierungen und Installationen die Gemeinde verlassen würden. Auch bei der Wohnbebauung erwartet Swoboda Nachteile für Lauterbach: „Wenn Bauinteressenten lesen, dass sie in einem Radon-Vorsorgegebiet mit erhöhter Krebsgefahr bauen, dann kann sich wohl auch der letzte Mitarbeiter im Ministerium ausrechnen, dass wir dann gar keinen Bauplatz mehr verkaufen werden.“ Lauterbach habe seit 1970 von damals 4000 Einwohnern etwa 1100 Einwohner verloren.
Radon schreckt ab
Schließlich weist Swoboda auf Radon-Messungen hin, die er nach dem Bau seines eigenen Wohnhauses in Lauterbach Anfang der2000-er Jahre durchführen ließ. Daraus gehe hervor, dass der Messwert in einem Kellerraum, obwohl er ein Jahr nicht gelüftet wurde, lediglich bei 70 Bequerel (Bq) gelegen habe. Bei einer zweiten Messung in einem regelmäßig gelüfteten Wohnraum habe die Konzentration bei 60 Bq gelegen. „Beide Messwerte lagen somit meilenweit unter dem Grenzwert beziehungsweise Referenzwert, obwohl das Kellergeschoss aus den Fels gemeißelt wurde“, schreibt Swoboda.
Auch das Lauterbacher Wasserwerk werde regelmäßig durch Eurofins Radon-Untersuchungen kontrolliert. Die Werte dort hätten bei den letzten vier Messungen zwischen 1,5 und 4,6 Bq pro Liter gelegen. „Der Grenzwert liegt bei 100 Bq pro Liter“, schreibt Swoboda. Er fragt, ob das Umweltministerium die damaligen und aktuelle Messungen des Bundesamt für Strahlenschutz herangezogen habe, „oder ob man sich nur auf mathematische Berechnungen und Vorhersagen, Schätzungen und Vermutungen verlassen hat“.
Er fordert, falls man sich auf die mathematischen Berechnungen verlassen habe, Lauterbach aus dem Radon-Vorsorgegebiet herauszunehmen. „Die mathematischen Berechnungen sind dann durch tatsächliche Messungen eindeutig widerlegt“, ist der Lauterbacher Schultes überzeugt.
Umweltministerium: Noch wird geprüft
Auf Nachfrage der NRWZ hat der Sprecher des Umweltministeriums betont, dass das Ministerium die Vorsorgegebiete noch nicht ausgewiesen habe. „Es gibt Vorschläge, die Öffentlichkeit hatte Gelegenheit, sich dazu zu äußern“, so der Sprecher. Jetzt prüften Experten diese Äußerungen, und dann erst würden Gebiete ausgewiesen. Wie das Ministerium auf die 29 Vorsorgegebiete gekommen sei, lasse sich detailliert auf den Internetseiten des Ministeriums nachvollziehen.
Die 29 Kommunen habe das Ministerium „aufgrund der örtlichen Radon-Situation vorgeschlagen“. Das sei nach „festgelegten und nachvollziehbaren Kriterien“ geschehen. Das Bundesamt für Strahlenschutz habe anhand von landesweit 423 Messwerten zur Radonverfügbarkeit im Boden eine Vorhersage gemacht, wo mit Radon zu rechnen sei. Auch geologische Daten gehörten dazu, so das Ministerium auf seiner Homepage. „Weder wir noch der Bürgermeister hat die Situation zu verantworten“, betont der Ministeriumssprecher. Grundlage für die Ausweisung der Vorsorgegebiete sei das Strahlenschutzgesetz. Dieses verlange, vorzusorgen, „wenn die Situation entsprechend ist“.
Neuland Vorsorgegebiete
Radon sei ein natürlich vorkommendes Gas. Wie stark es auftrete, sei regional sehr unterschiedlich. Bei der Ausweisung der Vorsorgegebiete bewegt sich das Ministerium auf Neuland: „Es gibt keine Vergleichswerte, Radonvorsorgegebiete werden bundesweit erstmals ausgewiesen“, schreibt das Ministerium auf die NRWZ-Anfrage.
Zum Thema Grenzwert steht es in einer Broschüre des Umweltministeriums zu Radon, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehle einen Referenzwert von 100 Bq/Kubikmeter Radon in der Luft von Innenräumen, um die Gesundheitsrisiken durch Radonexpositionen zu minimieren. „Im neuen Strahlenschutzgesetz wurde ein Referenzwert von 300 Bq/m3 festgelegt.“
„Verfahren ist transparent“
Nicht gelten lassen will das Umweltministerium die Kritik Swobodas, dass man die Kommunen nicht rechtzeitig eingebunden habe. „Aus unserer Sicht war das Verfahren sowohl transparent als auch klar kommuniziert“, so der Sprecher des Umweltministeriums.
Seit mehr als einem Jahr habe das Ministerium im Rahmen der landesweiten Informationskampagne „Von Grund auf sicher“ zum Schutz vor Radon darauf hingewiesen, “dass es auch in Baden-Württemberg Radonvorsorgegebiete geben wird“. Nach den Infoveranstaltungen habe das Ministerium am 16. Dezember 2020 die Vorgehensweise und Ermittlungsergebnisse auf seiner Homepage veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. „Diese Beteiligung der Öffentlichkeit ist gesetzlich nicht vorgeschrieben“, betont der Ministeriumssprecher.
Die Kommunen habe man einerseits über die Verbände informiert. Andererseits habe das Umweltministerium die Gemeinden und die Städte im Herbst 2020 zu eigenen Informationsveranstaltungen zum Thema Radon eingeladen. „Thema dieser Veranstaltungen war unter anderem das grundsätzliche Vorgehen bei der Ermittlung von Radonvorsorgegebieten.“
Das habe er schon mitbekommen, so Swoboda zur NRWZ. Er habe aber den Termin nicht wahrgenommen, „da wir ja nicht wussten, dass wir die Auserkorenen sind“.