Es ist die Zeit der Entspannung, für die einen. Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus ist aktuell sehr niedrig im Landkreis Rottweil. Urlaubspläne sind geschmiedet, viele wollen raus, sich erholen. Doch einer warnt: Landrat Dr. Wolf-Rüdiger Michel. Und mit ihm sein Stab an Beamten im Landratsamt. „Das Coronavirus lauert nach wie vor an jeder Ecke, man sollte sich entsprechend verhalten“, warnt Michel.
Es ist auch offenbar die Zeit der Denunzianten. Da kommt ein Geschäftsmann nach einer Visite einer seiner Niederlassungen aus der Türkei zurück in die Kreisgemeinde, in der er wohnt. Prompt wird das Gesundheitsamt informiert: „Der Herr war in der Türkei.“ Das Amt ruft bei dem Geschäftsmann an, fragt nach, der fällt aus allen Wolken, woher man denn wisse, wo er sich aufhalte. Findet den Vorgang ungeheuerlich. Und bekommt heraus: Es war jemand aus dem Kindergarten seines Kindes, der die Behörde informiert hat. „Sind wir wieder soweit?“, fragt der Geschäftsmann die NRWZ rhetorisch, sieht Nazi- und Stasi-Methoden gegeben.
Andererseits ist es auch die Zeit der Angst vor einer sogenannten zweiten Welle, vor einem möglichen weiteren Lock-down, vor Krankheit und Ansteckung, ganz allgemein. Genau davor warnt etwa das Landratsamt Rottweil. Mit Landrat Michel an der Spitze. Dieser sagt: „Verhalten Sie sich weiter vernünftig. Fragen Sie sich, ob Sie unbedingt in einem Risikogebiet Urlaub machen müssen. Und ob Sie zwingend auf Veranstaltungen gehen müssen.“
Die Risikogebiete, die legt das Ministerium für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg fest und die sind hier einsehbar. Ebenfalls das Land hat verordnet, was mit Rückkehrern aus diesen Gebieten geschehen soll, was sie zu beachten und zu tun haben.
Ja, der Geschäftsmann hätte sich eigentlich in Quarantäne begeben müssen, hätte die Behörden über seine Einreise informieren müssen. Allerdings gibt er an, sich „zwingend notwendig und unaufschiebbar beruflich veranlasst im Ausland aufgehalten“ zu haben. Eine der Ausnahmeregelungen der Corona-Verordnung. Sagt’s, und geht in einem Rottweiler Restaurant zum Mittagessen.
Aus zwei Gründen könnte man glatt auch meinen, Corona sei vorbei, habe fertig. Punkt 1: Der Leiter des Gesundheitsamts im Landratsamt Rottweil, Dr. Heinz-Joachim Adam, zieht am Dienstag im Rahmen eines Pressegesprächs ein Fazit der Situation – und beginnt bei den Seuchen dieses noch jungen Jahrtausends, erinnert daran, dass man schon etwa die Geflügelpest, die Schweinegrippe und die hohe Influenzawelle 2017/18 überstanden habe.
Punkt 2: Die Infektionszahlen im Landkreis sind gering. Es gab zuletzt bis zu zehn Tage in Folge ohne eine amtsbekannte Neuinfektion.
In Zahlen, wenn man die anstehende Sommerpause als Zeitpunkt für eine Zäsur, für einen Schnitt nimmt: 683 positive Tests gab es im Landkreis seit Ausbruch im März, davon 50 in Pflegeeinrichtungen (21 Bewohner und 29 vom Personal). 27 Todesfälle gab es, davon 5 in Pflegeeinrichtungen. Rund 4000 Fälle von amtlich verordneter Quarantäne gab es zudem.
Und das Infektionsgeschehen ist aktuell niedrig bei vier Neufällen seit dem 1. Juli. Also in einem Monat. „Wir haben es geschafft, die Krankheit in den Griff zu bekommen“, so Adam. Die Corona-App des Bundes, die Hygienemaßnahmen, die flächige Testung von möglicherweise Infizierten, die Testung von Reiserückkehrern, die Abstandsregel, der Mund-Nase-Schutz, das alles habe geholfen und werde helfen.
Also alles gut? Nein. Im Landratsamt warten sie geradezu bang auf ein neues Aufflammen. Hinweise gibt es überregional: Seit dem 15. Juni gibt es in Baden-Württemberg insgesamt 225 reiseassoziierte Neufälle. Soll heißen: Urlaubs- und Geschäftsreisende bringen das Virus wieder ins Land. Das ist, was Michel meint, mit „das Virus lauert nach wie vor an jeder Ecke.“
Bundesweit sei jeder siebte Fall einer Neuinfektion auf eine Reise zurückzuführen. Und das leichte Aufflammen insgesamt auf die Lockerungen nach Pfingsten erinnerte Landrat Michel.
Was hilft? Hygienemaßnahmen beibehalten. Hände waschen, lieber einmal zu viel, sie auch mitunter desinfizieren. Den Mund-Nasen-Schutz verwenden. Und den Anstand zu anderen Menschen einhalten. Sowie, wie der Landrat auch sagte, eventuell zunächst einmal auf das Reisen zu verzichten, jedenfalls auf Reisen in Risikogebiete.
Da pflichtete ihm der oberste Ordnungshüter des Landkreises, Thomas Seeger, bei. Bis es ein Medikament gegen Covid-19 gebe, einen Impfstoff später dazu, müssten die aktuellen Einschränkungen aufrechterhalten werden. Es habe sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit aller die Ausbreitung des Virus stoppen könnten. Seeger nannte die vielen Beteiligten seitens der Gesundheitsbehörde, der Kreisverwaltung und der Kommunen bis hin etwa zu DRK und Feuerwehr mit ihren haupt- und ihren vielen ehrenamtlichen Kräften. Und die Bevölkerung. Jetzt dürfe man nicht nach-, nicht lockerlassen.
Der Lock-down sei heftig gewesen für den nicht systemrelevanten Handel. Die Gastronomie und viele weitere Bereiche seien hart betroffen gewesen. Seeger bedankte sich, wie zuvor auch schon der Landrat, bei den Menschen, die die Einschränkungen mitgetragen hätten. Immer noch sei es schwer etwa für die Vereine, sagte Seeger weiter, der sich selbst als Vereinsmensch bezeichnete, dem das Vereinsleben ebenfalls fehle. Aber es sei schlicht unvorstellbar: Menschenansammlungen und Alkohol seien das Szenario, das schnell für eine neue Ausbreitung des Virus sorge. „Das sind bekanntermaßen die Situationen mit großem Infektionsgeschehen“, so Seeger weiter.
Er, der Ordnungsamtsleiter im Landratsamt, könne daher auch keine Aussage dahin gehend treffen, ob Weihnachtsmärkte Ende 2020 oder die Fasnet im kommenden Jahr möglich sein werden. Das sei völlig offen. „Hier kann ich wirklich absolut nichts dazu sagen“, sagte Seeger.
Landrat Michel wiederum sagte, dass er sich gerne irren würde – in seiner eher pessimistischen Einschätzung, dass die Reisezeit in einem Aufflammen der Infektionen enden könnte. Niemals so gerne, meinte Michel, würde er falsch liegen.