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    Kinderpornofall: „Nichts verharmlost oder bagatellisiert.“

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    Selten waren sich am Ende eines Straf-Verfahrens alle Beteiligten so einig: „Zum Glück ist das endlich vorbei.“ Nach einem langen Verhandlungstag hatte die 12. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil einen 59-jährigen Mann wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften zu anderthalb Jahren Haft, vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Ein Urteil, das der Erklärung bedarf.

    „Unfassbare sexuelle Gewalt an Kindern“

    Und deshalb hat Richter Dirk Hornikel seiner mündlichen Urteilsbegründung zunächst eine Vorrede vorangestellt. Ein solches Verfahren wünsche sich keiner der Beteiligten, denn es handle sich dabei um einen schrecklichen Kriminalitätsbereich, mit dem man sich da befassen müsse. „Man kriegt einen Einblick in einen Bereich, der einem den Atem verschlägt“, so der Richter. Was man da sehe, könne man mit einem „normalen“ Bewusstsein kaum fassen, wie da mit Menschen umgegangen werde.

    Hornikel wies auch darauf hin, dass Menschen, die solche Bilder anschauten, erst den Markt schüfen für diejenigen, die diese Bilder herstellten. Es sei unverständlich, dass die Konsumenten nicht sehen, dass da „unfassbare sexuelle Gewalt an Kindern ausgeübt wird,  die diese zeitlebens nicht verkraften werden, wenn sie da überhaupt lebend herauskommen.“

    Die Justiz habe die Aufgabe, individuell mit Blick auf Tat und Täter zu prüfen, welche Strafe angemessen sei. Der Angeklagte müsse sich klar werden, was das für die Kinder bedeute, auch wenn er „nur“ die Bilder anschaue. Und Hornikel machte deutlich: „Hier wird nichts verharmlost oder bagatellisiert.“

    Fünfeinhalb Jahre Verfahrensdauer

    Das Problem: Der Fall liegt inzwischen fünfeinhalb Jahre zurück. Bei einer Hausdurchsuchung im Frühjahr 2015 hatte die Polizei beim Beschuldigten viele tausend kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos auf USB-Sticks, einem Computer, einem Laptop und auf CDs und DVDs beschlagnahmt. Erst im Jahr 2018 kam es zu einem Prozess vor dem Amtsgericht in Oberndorf.

    Weil der Angeklagte im Prozess behauptet hatte, seit 2015 habe er keine solchen Bilder mehr angeschaut, ließ Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer stehenden Fußes und mit Zustimmung des Angeklagten zwei Polizeibeamte den Computer und Datenträger in der Wohnung des Angeklagten sicherstellen und untersuchen. Und siehe da: Es waren doch wieder hunderte Bilder zu finden. Am 18. März 2018 verurteilte Heuer den Mann deshalb zu anderthalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Wegen der überlangen Verfahrensdauer zog er aber zwei Monate als verbüßt ab.

    Juristisches Hin und Her

    Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt. Die 11. kleine Strafkammer am Landgericht Rottweil entschied, wieder ein Jahr später, das Urteil sei aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift nicht jede Einzeltat unverwechselbar beschrieben habe.

    Dagegen wiederum hat die Staatsanwaltschaft Rottweil Revision beantragt, der das Oberlandesgericht in Stuttgart im Oktober 2019 stattgegeben und das Verfahren ans Landgericht Rottweil zurückverwiesen hat, wo nun nach fünfeinhalb Jahren erneut verhandelt wurde.

    Nur ums Strafmaß geht es noch

    Am heutigen Verhandlungstag ging es nicht mehr um die Taten selbst, sondern die Berufung beschränkte sich nur noch auf das Strafmaß. Also: Bewährung oder keine – und so erwarteten die Prozessbeobachter eher ein kurzes Verfahren. Aber es zog sich. Zunächst musste Richter Hornikel die drei bisher schon ergangenen Urteile zumindest in Auszügen vortragen.

    Und dann wollten sich die Kammer und auch der Sachverständige Ralph-Michael Schulte ein Bild vom Angeklagten machen. Mit langen grauen Haaren saß er in schlotternd weiten Hosen auf er Anklagebank. Leise antwortete er auf die Fragen, wie er denn auf diese Bilder gestoßen sei, weshalb er sie sich auf seinem PC und den USB-Sticks herunter geladen habe. Es sei „ein großer Fehler“ gewesen, bekannte er, es sei „aus Interesse“ geschehen. Da geschehe doch “abscheuliche Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, fragte der Richter. Damals habe er daran Interesse gehabt, heute nicht mehr.

    Spritzen zur Triebdämpfung

    Er berichtete, dass er nach dem Verfahren in Oberndorf bei einer Psychiaterin in Behandlung gewesen sei und „Spritzen“ bekommen habe, regelmäßig einmal im Monat, aber seit drei Monaten nicht mehr. Am 2. Juli nämlich wurde er per Räumungsklage aus seiner Wohnung im Kreis Rottweil rausgeworfen und war nach A., einem kleinen Ort im Osten Deutschlands umgezogen, weil er hier keine Wohnung gefunden habe. Er habe hier etwas gesucht, aber nichts gefunden. „Arbeitslose kriegen keine Wohnung, aber Flüchtlinge und Asylanten…“

    Er lebe von Hartz 4, außerdem erhalte er eine Invaliditätsrente von 290 Euro. Arbeit bekomme er keine, er sei zu alt oder die Arbeit passe nicht. „Ich kann keinen 40-Tonner in München fahren.“

    Was es mit den Spritzen auf sich habe, klärt Richter Hornikel auf. Es handle sich um eine anti-androgyne Behandlung, die den Sexualtrieb dämpfe. Das solle er schleunigst in A. fortsetzen, rät ihm Hornikel. Ob denn eine weitere Psychotherapie stattgefunden habe, versucht er herauszufinden. Fragen, wie es ihm geht und so, ja das habe die Psychiaterin ihm schon gestellt. Aber die Spritze habe er immer selbst bezahlen müssen, empört sich der Angeklagte. “Und die war ja nicht billig.“

    Erst war es ein Hacker, dann ist es im Suff passiert

    Und  der zweite Oberndorfer Fall? Der 59-Jährige will seine „Hand dafür ins Feuer legen, dass er die Bilder noch nie zuvor gesehen hatte.“ Erst im Gerichtssaal, als Richter Heuer sie den Prozessbeteiligten zeigte. Ein Hacker müsse die ihm aufgespielt haben. Seinem Pflichtverteidiger Wolfgang Burkhardt schwant böses. Dieselbe Ausrede hatte der Angeklagte schon in Oberndorf versucht. Er bittet um eine kurze Unterbrechung, um mit seinem Mandanten zu reden. Danach bekennt der 59-Jährige, die Bilder „wohl im Suff“ aus dem Internet gefischt zu haben.

    Es geht auf 13 Uhr zu, da fragt Richter Hornikel, ob man eine Mittagspause einlegen soll. Gutachter Schulte möchte die Pause nutzen, um mit dem Angeklagten noch einmal zu sprechen.

    Einschlägige Vorstrafen liegen lange zurück

    Um 14 Uhr berichtet Hornikel von den Vorstrafen, die, weil inzwischen so lange zurückliegend, aus dem Strafregister entfernt sind, für das heutige Urteil keine Rolle gespielt haben, sehr wohl aber für den Gutachter von Bedeutung sein könnten. Er verliest Urteile aus den frühen 90er Jahren wegen sexuellen Missbrauchs an etlicher Buben, die dem Angeklagten damals auch eine Gefängnisstrafe einbrachten.

    Gutachter Schulte berichtet von den gesundheitlichen Problemen des Angeklagten, dem von einem Arbeitsunfall kaputten Bein, einer angegriffenen Lunge, mehreren Kopfverletzungen einer Meningitis in der Kindheit, einer Hörminderung.

    Er berichtet von den fehlenden sozialen Kontakten des Angeklagten, der langjährigen Arbeitslosigkeit und einem möglichen sexuellen Missbrauch in der eigenen Kindheit. Er habe erhebliche Persönlichkeitsbesonderheiten, sei aber keinesfalls vermindert schuldfähig oder gar schuldunfähig. Allerding leide der Mann unter eine Anpassungsstörung, habe Ängste und sei eher depressiv. Er sei kernpädophil und bisexuell. Deshalb früher die Übergriffe bei Jungen und in späteren Jahren rein virtuell. „Am Laptop konnte er seine sexuellen Wünsche abreagieren.“

    Prognose leicht verbessert

    Im Vergleich zu seinem Gutachten vor zwei Jahren habe sich die Prognose leicht verbessert, denn der Angeklagte habe sich immerhin in Behandlung begeben und die Spritzen geben lassen, allerdings die von ihm 2018 empfohlenen weiteren Therapien nicht gemacht. Die Sozialprognose sei eher ungünstig auch durch den Wegzug nach A. „Dort hat er keine sozialen Kontakte, ist weit weg vom Schuss.“

    Er brauche unbedingt ein in solchen Fragen erfahrenen Psychotherapeuten und müsse die medikamentöse Triebdämpfung beibehalten. Im Gefängnis könne er mit dem dortigen Psychologen seine Taten aufarbeiten; bliebe er auf Bewährung wäre eine Bewährungshilfe unbedingt nötig.

    Der Angeklagte betonte, er wolle  nicht in A. bleiben und wieder in unserer Gegend eine Wohnung suchen. Sein Traum sei, “einen Job zu finden, eine Frau kennen zu lernen und wieder neu anzufangen“.

    Sitzungssaal 013 mit Coronaschutz.

    Die Plädoyers in umgekehrter Reihenfolge

    Wegen des komplizierten Verfahrens war Verteidiger Burkhardt als erster mit seinem Plädoyer dran. Er betonte, die anderthalb Jahre aus dem Oberndorfer Urteil seien angemessen. „Es geht allein um die Bewährung.“ Der Angeklagte sei voll geständig, er habe sich behandeln lassen und so das Risiko, straffällig zu werden, vermindert. Seit dem letzten Verfahren sei „nichts Negatives mehr bekannt geworden“. Die fünfeinhalb Jahre Verfahrensdauer seien sehr belastend für jemanden, der Knasterfahrung habe. Deshalb und wegen der günstigeren Prognose plädiere er auf Bewährung.

    Dem schloss sich im Wesentlichen die Vertreterin der Staatsanwaltschaft an. Auch sie fand die anderthalb Jahre „völlig in Ordnung“ angesichts der Vielzahl an Bildern und Videos. Sie plädierte für eine vierjährige Bewährungszeit, in der ein Bewährungshelfer sicherstellen könne, dass der Angeklagte die Therapie auch einhält und keine neuen Straftaten geschehen.

    In seinem letzten Wort bekannte der Angeklagte: „Ich habe „Sch…. gebaut. Ich habe mir geschworen, ich mache so was nie wieder.“ Er wolle sich in A. nach einem Arzt umschauen. „Wenn ich ins Gefängnis müsste, wäre das mein totaler Untergang.“

    „Unfassbar lange Verfahrensdauer“

    Für Richter Hornikel war die „unfassbar lange Verfahrensdauer“, für die der Angeklagte nichts könne, ein Grund, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Auch sei der Angeklagte in dieser langen Zeit nicht erneut straffällig geworden – wenn man von einem Verfahren absieht, was wohl  sehr bald wieder in Oberndorf wegen des zweiten Fundes verhandelt werden wird. Aber dazu liege eben noch kein Urteil vor.

    Da er schon in Haft gewesen sei, habe er sich ausmalen könne, was auf ihn zukommt, wenn er ins Gefängnis muss. Auch das habe die Kammer bei der Strafzumessung berücksichtigt. Zu seinen Lasten gehe aber „die unfassbare Menge des aufgefundenen Materials. Das waren nicht zwei, drei versprengte Dateien, sondern tausende“.

    Ob man Bewährung gewähren könne, sei eine schwierige Abwägungsfrage gewesen, so Hornikel. Der Angeklagte habe sich zwar medikamentös behandeln lassen, aber eben nicht  durchgängig und vor drei Monaten abgebrochen. Das sei „suboptimal“. Auch dass er die anderen Behandlungen nicht angegangen sei. In A. bestehe die Gefahr, dass er vor Einsamkeit verzweifle und dann doch wieder  auf Bildersuche gehen könnte.

    Er braucht Betreuung

    Deshalb müsse „eine zuverlässige und engmaschige therapeutische Betreuung stattfinden“, so Richter Hornikel auch zur Begründung der vier Jahre Bewährung, die er unter Aufsicht und Weisung eines Bewährungshelfers zu absolvieren habe. Außerdem muss er sich in Therapie begeben, die medikamentöse Behandlung weiterführen und beides dem Bewährungsgericht nachweisen.

    Man müsse längere Zeit ein Auge auf ihn haben und verhindern, dass er Unsinn mache. „Sie müssen endlich Ihr Kernproblem angehen.“ Wenn er gegen die Bewährungsauflagen verstoße, müsse er damit rechnen, dass er im Gefängnis lande, macht Hornikel dem Angeklagten klar.

    Richter Hornikel schaut in die Runde und fragt, ob man das Urteil annehme. Verteidiger und Staatsanwältin nicken, auch der Angeklagte ist offenbar erleichtert. „Damit hat ein außerordentlich langes Verfahren seinen Abschluss gefunden“, stellt der Richter fest. Und mahnt den Angeklagten: „Nehmen Sie sich das zu Herzen und setzen Sie sich damit auseinander, was mit den schrecklich gequälten Kindern passiert ist.“

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    Martin Himmelheber (him)
    Martin Himmelheber (him)
    ... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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    Selten waren sich am Ende eines Straf-Verfahrens alle Beteiligten so einig: „Zum Glück ist das endlich vorbei.“ Nach einem langen Verhandlungstag hatte die 12. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rottweil einen 59-jährigen Mann wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften zu anderthalb Jahren Haft, vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt, verurteilt. Ein Urteil, das der Erklärung bedarf.

    „Unfassbare sexuelle Gewalt an Kindern“

    Und deshalb hat Richter Dirk Hornikel seiner mündlichen Urteilsbegründung zunächst eine Vorrede vorangestellt. Ein solches Verfahren wünsche sich keiner der Beteiligten, denn es handle sich dabei um einen schrecklichen Kriminalitätsbereich, mit dem man sich da befassen müsse. „Man kriegt einen Einblick in einen Bereich, der einem den Atem verschlägt“, so der Richter. Was man da sehe, könne man mit einem „normalen“ Bewusstsein kaum fassen, wie da mit Menschen umgegangen werde.

    Hornikel wies auch darauf hin, dass Menschen, die solche Bilder anschauten, erst den Markt schüfen für diejenigen, die diese Bilder herstellten. Es sei unverständlich, dass die Konsumenten nicht sehen, dass da „unfassbare sexuelle Gewalt an Kindern ausgeübt wird,  die diese zeitlebens nicht verkraften werden, wenn sie da überhaupt lebend herauskommen.“

    Die Justiz habe die Aufgabe, individuell mit Blick auf Tat und Täter zu prüfen, welche Strafe angemessen sei. Der Angeklagte müsse sich klar werden, was das für die Kinder bedeute, auch wenn er „nur“ die Bilder anschaue. Und Hornikel machte deutlich: „Hier wird nichts verharmlost oder bagatellisiert.“

    Fünfeinhalb Jahre Verfahrensdauer

    Das Problem: Der Fall liegt inzwischen fünfeinhalb Jahre zurück. Bei einer Hausdurchsuchung im Frühjahr 2015 hatte die Polizei beim Beschuldigten viele tausend kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos auf USB-Sticks, einem Computer, einem Laptop und auf CDs und DVDs beschlagnahmt. Erst im Jahr 2018 kam es zu einem Prozess vor dem Amtsgericht in Oberndorf.

    Weil der Angeklagte im Prozess behauptet hatte, seit 2015 habe er keine solchen Bilder mehr angeschaut, ließ Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer stehenden Fußes und mit Zustimmung des Angeklagten zwei Polizeibeamte den Computer und Datenträger in der Wohnung des Angeklagten sicherstellen und untersuchen. Und siehe da: Es waren doch wieder hunderte Bilder zu finden. Am 18. März 2018 verurteilte Heuer den Mann deshalb zu anderthalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Wegen der überlangen Verfahrensdauer zog er aber zwei Monate als verbüßt ab.

    Juristisches Hin und Her

    Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt. Die 11. kleine Strafkammer am Landgericht Rottweil entschied, wieder ein Jahr später, das Urteil sei aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift nicht jede Einzeltat unverwechselbar beschrieben habe.

    Dagegen wiederum hat die Staatsanwaltschaft Rottweil Revision beantragt, der das Oberlandesgericht in Stuttgart im Oktober 2019 stattgegeben und das Verfahren ans Landgericht Rottweil zurückverwiesen hat, wo nun nach fünfeinhalb Jahren erneut verhandelt wurde.

    Nur ums Strafmaß geht es noch

    Am heutigen Verhandlungstag ging es nicht mehr um die Taten selbst, sondern die Berufung beschränkte sich nur noch auf das Strafmaß. Also: Bewährung oder keine – und so erwarteten die Prozessbeobachter eher ein kurzes Verfahren. Aber es zog sich. Zunächst musste Richter Hornikel die drei bisher schon ergangenen Urteile zumindest in Auszügen vortragen.

    Und dann wollten sich die Kammer und auch der Sachverständige Ralph-Michael Schulte ein Bild vom Angeklagten machen. Mit langen grauen Haaren saß er in schlotternd weiten Hosen auf er Anklagebank. Leise antwortete er auf die Fragen, wie er denn auf diese Bilder gestoßen sei, weshalb er sie sich auf seinem PC und den USB-Sticks herunter geladen habe. Es sei „ein großer Fehler“ gewesen, bekannte er, es sei „aus Interesse“ geschehen. Da geschehe doch “abscheuliche Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, fragte der Richter. Damals habe er daran Interesse gehabt, heute nicht mehr.

    Spritzen zur Triebdämpfung

    Er berichtete, dass er nach dem Verfahren in Oberndorf bei einer Psychiaterin in Behandlung gewesen sei und „Spritzen“ bekommen habe, regelmäßig einmal im Monat, aber seit drei Monaten nicht mehr. Am 2. Juli nämlich wurde er per Räumungsklage aus seiner Wohnung im Kreis Rottweil rausgeworfen und war nach A., einem kleinen Ort im Osten Deutschlands umgezogen, weil er hier keine Wohnung gefunden habe. Er habe hier etwas gesucht, aber nichts gefunden. „Arbeitslose kriegen keine Wohnung, aber Flüchtlinge und Asylanten…“

    Er lebe von Hartz 4, außerdem erhalte er eine Invaliditätsrente von 290 Euro. Arbeit bekomme er keine, er sei zu alt oder die Arbeit passe nicht. „Ich kann keinen 40-Tonner in München fahren.“

    Was es mit den Spritzen auf sich habe, klärt Richter Hornikel auf. Es handle sich um eine anti-androgyne Behandlung, die den Sexualtrieb dämpfe. Das solle er schleunigst in A. fortsetzen, rät ihm Hornikel. Ob denn eine weitere Psychotherapie stattgefunden habe, versucht er herauszufinden. Fragen, wie es ihm geht und so, ja das habe die Psychiaterin ihm schon gestellt. Aber die Spritze habe er immer selbst bezahlen müssen, empört sich der Angeklagte. “Und die war ja nicht billig.“

    Erst war es ein Hacker, dann ist es im Suff passiert

    Und  der zweite Oberndorfer Fall? Der 59-Jährige will seine „Hand dafür ins Feuer legen, dass er die Bilder noch nie zuvor gesehen hatte.“ Erst im Gerichtssaal, als Richter Heuer sie den Prozessbeteiligten zeigte. Ein Hacker müsse die ihm aufgespielt haben. Seinem Pflichtverteidiger Wolfgang Burkhardt schwant böses. Dieselbe Ausrede hatte der Angeklagte schon in Oberndorf versucht. Er bittet um eine kurze Unterbrechung, um mit seinem Mandanten zu reden. Danach bekennt der 59-Jährige, die Bilder „wohl im Suff“ aus dem Internet gefischt zu haben.

    Es geht auf 13 Uhr zu, da fragt Richter Hornikel, ob man eine Mittagspause einlegen soll. Gutachter Schulte möchte die Pause nutzen, um mit dem Angeklagten noch einmal zu sprechen.

    Einschlägige Vorstrafen liegen lange zurück

    Um 14 Uhr berichtet Hornikel von den Vorstrafen, die, weil inzwischen so lange zurückliegend, aus dem Strafregister entfernt sind, für das heutige Urteil keine Rolle gespielt haben, sehr wohl aber für den Gutachter von Bedeutung sein könnten. Er verliest Urteile aus den frühen 90er Jahren wegen sexuellen Missbrauchs an etlicher Buben, die dem Angeklagten damals auch eine Gefängnisstrafe einbrachten.

    Gutachter Schulte berichtet von den gesundheitlichen Problemen des Angeklagten, dem von einem Arbeitsunfall kaputten Bein, einer angegriffenen Lunge, mehreren Kopfverletzungen einer Meningitis in der Kindheit, einer Hörminderung.

    Er berichtet von den fehlenden sozialen Kontakten des Angeklagten, der langjährigen Arbeitslosigkeit und einem möglichen sexuellen Missbrauch in der eigenen Kindheit. Er habe erhebliche Persönlichkeitsbesonderheiten, sei aber keinesfalls vermindert schuldfähig oder gar schuldunfähig. Allerding leide der Mann unter eine Anpassungsstörung, habe Ängste und sei eher depressiv. Er sei kernpädophil und bisexuell. Deshalb früher die Übergriffe bei Jungen und in späteren Jahren rein virtuell. „Am Laptop konnte er seine sexuellen Wünsche abreagieren.“

    Prognose leicht verbessert

    Im Vergleich zu seinem Gutachten vor zwei Jahren habe sich die Prognose leicht verbessert, denn der Angeklagte habe sich immerhin in Behandlung begeben und die Spritzen geben lassen, allerdings die von ihm 2018 empfohlenen weiteren Therapien nicht gemacht. Die Sozialprognose sei eher ungünstig auch durch den Wegzug nach A. „Dort hat er keine sozialen Kontakte, ist weit weg vom Schuss.“

    Er brauche unbedingt ein in solchen Fragen erfahrenen Psychotherapeuten und müsse die medikamentöse Triebdämpfung beibehalten. Im Gefängnis könne er mit dem dortigen Psychologen seine Taten aufarbeiten; bliebe er auf Bewährung wäre eine Bewährungshilfe unbedingt nötig.

    Der Angeklagte betonte, er wolle  nicht in A. bleiben und wieder in unserer Gegend eine Wohnung suchen. Sein Traum sei, “einen Job zu finden, eine Frau kennen zu lernen und wieder neu anzufangen“.

    Sitzungssaal 013 mit Coronaschutz.

    Die Plädoyers in umgekehrter Reihenfolge

    Wegen des komplizierten Verfahrens war Verteidiger Burkhardt als erster mit seinem Plädoyer dran. Er betonte, die anderthalb Jahre aus dem Oberndorfer Urteil seien angemessen. „Es geht allein um die Bewährung.“ Der Angeklagte sei voll geständig, er habe sich behandeln lassen und so das Risiko, straffällig zu werden, vermindert. Seit dem letzten Verfahren sei „nichts Negatives mehr bekannt geworden“. Die fünfeinhalb Jahre Verfahrensdauer seien sehr belastend für jemanden, der Knasterfahrung habe. Deshalb und wegen der günstigeren Prognose plädiere er auf Bewährung.

    Dem schloss sich im Wesentlichen die Vertreterin der Staatsanwaltschaft an. Auch sie fand die anderthalb Jahre „völlig in Ordnung“ angesichts der Vielzahl an Bildern und Videos. Sie plädierte für eine vierjährige Bewährungszeit, in der ein Bewährungshelfer sicherstellen könne, dass der Angeklagte die Therapie auch einhält und keine neuen Straftaten geschehen.

    In seinem letzten Wort bekannte der Angeklagte: „Ich habe „Sch…. gebaut. Ich habe mir geschworen, ich mache so was nie wieder.“ Er wolle sich in A. nach einem Arzt umschauen. „Wenn ich ins Gefängnis müsste, wäre das mein totaler Untergang.“

    „Unfassbar lange Verfahrensdauer“

    Für Richter Hornikel war die „unfassbar lange Verfahrensdauer“, für die der Angeklagte nichts könne, ein Grund, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Auch sei der Angeklagte in dieser langen Zeit nicht erneut straffällig geworden – wenn man von einem Verfahren absieht, was wohl  sehr bald wieder in Oberndorf wegen des zweiten Fundes verhandelt werden wird. Aber dazu liege eben noch kein Urteil vor.

    Da er schon in Haft gewesen sei, habe er sich ausmalen könne, was auf ihn zukommt, wenn er ins Gefängnis muss. Auch das habe die Kammer bei der Strafzumessung berücksichtigt. Zu seinen Lasten gehe aber „die unfassbare Menge des aufgefundenen Materials. Das waren nicht zwei, drei versprengte Dateien, sondern tausende“.

    Ob man Bewährung gewähren könne, sei eine schwierige Abwägungsfrage gewesen, so Hornikel. Der Angeklagte habe sich zwar medikamentös behandeln lassen, aber eben nicht  durchgängig und vor drei Monaten abgebrochen. Das sei „suboptimal“. Auch dass er die anderen Behandlungen nicht angegangen sei. In A. bestehe die Gefahr, dass er vor Einsamkeit verzweifle und dann doch wieder  auf Bildersuche gehen könnte.

    Er braucht Betreuung

    Deshalb müsse „eine zuverlässige und engmaschige therapeutische Betreuung stattfinden“, so Richter Hornikel auch zur Begründung der vier Jahre Bewährung, die er unter Aufsicht und Weisung eines Bewährungshelfers zu absolvieren habe. Außerdem muss er sich in Therapie begeben, die medikamentöse Behandlung weiterführen und beides dem Bewährungsgericht nachweisen.

    Man müsse längere Zeit ein Auge auf ihn haben und verhindern, dass er Unsinn mache. „Sie müssen endlich Ihr Kernproblem angehen.“ Wenn er gegen die Bewährungsauflagen verstoße, müsse er damit rechnen, dass er im Gefängnis lande, macht Hornikel dem Angeklagten klar.

    Richter Hornikel schaut in die Runde und fragt, ob man das Urteil annehme. Verteidiger und Staatsanwältin nicken, auch der Angeklagte ist offenbar erleichtert. „Damit hat ein außerordentlich langes Verfahren seinen Abschluss gefunden“, stellt der Richter fest. Und mahnt den Angeklagten: „Nehmen Sie sich das zu Herzen und setzen Sie sich damit auseinander, was mit den schrecklich gequälten Kindern passiert ist.“

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