Wenn Leser an die Redaktionen schreiben, ist es meist eine Beschwerde. Oft eine über eine Behörde. Wie in diesem Fall. Da schrieb ein Schramberger Leser an redaktion@NRWZ.de sinngemäß, das Rottweiler Gesundheitsamt sei untätig. Beziehungsweise: Bis die Behörde in die Puschen komme, könne sich das Virus ungehindert verbreiten, könne ein Infizierter hunderte, wenn nicht tausende Menschen anstecken. Stimmt das? Tun die beim Gesundheitsamt in Rottweil nix? Wir haben den Behördenleiter, Dr. Heinz-Joachim Adam, gefragt. Er nimmt ausführlich Stellung. Und lobt seine Mitarbeiter ebenso wie DRK, THW und Feuerwehr, beispielsweise.
Der Vorwurf
Freitagnachmittag sei’s gewesen, berichtet uns unser Leser, da habe „eine junge Frau“ erfahren, „dass ein Bekannter, mit dem sie und ihre Familie am Mittwoch Kontakt hatten, positiv auf Corona getestet wurde.“ In der Zwischenzeit hatte sie Kontakt mit Kollegen und Kunden und habe beim Gesundheitsamt niemanden erreichen können. „Ist ja auch nicht notwendig, weil es ja bekannt ist, dass wenn das Gesundheitsamt nicht besetzt ist, das Virus sich nicht weiter verbreitet, das braucht ja auch seine Ruhe“, ätzt der Leser. Seine Mail schickt er nach seinen Angaben nicht nur an die örtlichen Lokalredaktionen, sondern auch ans Gesundheitsamt und darüber hinaus gleich an das Gesundheitsministerium des Landes Baden-Württemberg.
Der ärztliche Notdienst habe der Frau – die offenbar wissen wollte, ob sie sich angesteckt hat – nicht helfen können. „Es wurde ihr mitgeteilt, dass sich das Gesundheitsamt schon bei ihr melden werde, da der positiv getestete Mann sicher seine Kontakte bekannt geben würde.“
Tatsächlich: Sie wurde angerufen. Am Samstagnachmittag. Man habe ihr gesagt, dass gleichen Tags die Familie des positiv Getesteten getestet würden, und falls Frau und Kinder positiv seien, sie selbst am Montag getestet würde.
Da hätte unser Leser mehr erwartet, fordert die Quarantäne von hunderten, tausenden Menschen, um die Krankheit erfolgreich einzudämmen. Das Gesundheitsamt ginge viel zu locker mit der Situation um.
Der Widerspruch
Dr. Heinz-Joachim Adam nimmt sich an diesem Montag die Zeit, dem Leser zu antworten. Ganz in Ruhe. Zunächst einmal fehlt ihm ein genauerer Hinweis darauf, wie der Bekannte denn von seiner positiven Corona-Testung erfahren habe. Adam sieht drei Möglichkeiten – das Gesundheitsamt (im Folgenden „wir“), über die Corona-Warn-App oder über den Hausarzt. Adam wörtlich:
1. Möglichkeit:
Wenn der positiv Getestete von uns angerufen wird, wird er entsprechend beraten und wird auch gebeten, seine engen Kontaktpersonen uns mitzuteilen. Insofern wurde dieser Bekannte vom Gesundheitsamt natürlich erreicht – und dies auch am Wochenende.
2. Möglichkeit:
Der positiv Getestete erfährt (in aller Regel vor uns) über die App, dass er positiv getestet wurde. Dann bekommt er über diese App Verhaltenshinweise. Er wird auch gebeten, seine Kontaktpersonen zu informieren, damit diese gegebenenfalls vorsorglich sich separieren oder sich einem Test unterziehen. In dieser App wird dann auch mitgeteilt, dass er sich gegebenenfalls bei seinem Hausarzt/seiner Hausärztin melden soll oder dass das Gesundheitsamt sich bei dem positiv getesteten Menschen meldet. Dies machen wir auch selbstverständlich.
3. Möglichkeit
Wenn ein Mensch getestet wird (über Fieberambulanz oder Hausarzt), wird er auch zeitgleich mit dem Test beraten, wie im Fall eines positiven Ergebnisses mit der Situation umzugehen ist.
Die Labormeldungen gehen laut dem Chef des Rottweiler Gesundheitsamts grundsätzlich zwischen 13 und 16 Uhr ein und werden dann bearbeitet. „Über vergangenes Wochenende ergaben sich vier positive Meldungen am Freitag und diese wurden auch am Freitag bis 22 Uhr von dem diensthabenden Mitarbeiter entsprechend bearbeitet“, so Adam. In einem Fall seien keine Kontaktdaten auf der Labormeldung angegeben gewesen, sodass das Amt erst am Montagvormittag diese Daten über die Praxis erhalten habe.
Amtsleiter Adam im Interview
Die NRWZ hakte nach:
Warum dauert es manchmal etwas, bis das Gesundheitsamt einschreitet beziehungsweise Handlungsanweisungen gibt?
Adam: „Sobald wir einen positiven Fall vom Labor gemeldet bekommen, schreiten wir unverzüglich ein und informieren die betroffenen Menschen und beginnen bei dieser ersten Kontaktaufnahme auch schon mit der Kontaktpersonenermittlung. Dies geschieht 7 Tage in der Woche. Ausnahmen können entstehen, wenn Labormeldungen spät abends oder nachts hier eingehen. Dann werden sie umgehend am nächsten Vormittag bearbeitet.“
Schwierig wird es für uns, wenn wir am Wochenende oder an Feiertagen positive Labormeldungen bekommen, bei denen zum Beispiel nur Vorname, Name und Geburtsdatum angegeben sind oder keine (erreichbare) Telefonnummer. Wir versuchen dann über alle möglichen Kanäle im Netz eine Telefonnummer herauszubekommen. Dies gelingt immer seltener, da viele Menschen sich nicht entsprechend eintragen lassen. In Einzelfällen sind wir dann auch auf die Ortspolizeibehörden angewiesen, die jedoch am Wochenende schlecht erreichbar sind.
In besonders kritischen Fällen (offensichtlich Kindergarten- oder Schulkinder) fahren dann auch meine Mitarbeiter zu einer ermittelten Adresse und versuchen, vor Ort die Menschen zu informieren. Hier ergibt sich die Schwierigkeit, dass wir die Ermittlungen dann vor Ort in entsprechender Schutzkleidung vornehmen müssen, da in jedem Fall eine Kontaktzeit von über 15 Minuten besteht. Hierdurch wird entsprechende Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft erzeugt.
Ist das Rottweiler Gesundheitsamt personell ausreichend ausgestattet, um die laufende Pandemie hier vor Ort zu verarbeiten? Bleiben andere Dinge auf der Strecke?
Das Gesundheitsamt hat die erste Phase der Pandemie mit enormer Anstrengung und auf Kosten extremer Belastung der Mitarbeiter (zum Teil sieben Tage die Woche über 12 bis 14 Stunden) und dem Einsatz von ehrenamtlichen Helfern aus meiner Sicht – und auch im Vergleich zu Nachbarlandkreisen – gut gemeistert. In dieser Phase haben wir auch begonnen (fachfremde) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Ämtern des Landratsamtes entsprechend zu schulen, um auf diese bei einer möglichen zweiten Welle zurückzugreifen. Zusätzlich wurden und werden wir von sogenannten Containment-Scouts des Robert-Koch-Instituts unterstützt. Wir haben auch hier das Personal flexibel aufgestockt.
Ein großes Lob geht hierbei dann auch an die Menschen, die im Ehrenamt uns bei der Arbeit unterstützen (DRK, THW, freiwillige Feuerwehr). Auch haben wir viele Bürger, die hier ihre Mithilfe anbieten, insbesondere auch Ärzte, die sich im Ruhestand befinden.
Wir befinden uns jetzt in der zweiten Phase der Pandemie und stellen wieder steigende Infektionszahlen fest. Diese liegen bei Weitem nicht auf dem Niveau, wie es der Landkreis in der ersten Pandemiephase hat erleben müssen. Eine Herausforderung wird der kommende Herbst mit der zusätzlichen Erkältungswelle darstellen.
Bleiben andere Dinge auf der Strecke?
Ja, wir haben natürlich alle unsere Kräfte für die Pandemie gebündelt. Aber neben Covid-19 gibt es auch andere Infektionskrankheiten (Tuberkulose, Masern, Meningitiden, sexuell übertragbare Krankheiten etc.), die genauso übertragbar sind und dessen Weiterverbreitung wir auch verhindern müssen. Ebenso eine weitere Aufgabe, die wir nicht hinten anstellen können, ist die Überwachung des Trinkwassers als wichtigstes Nahrungsmittel.
In der ersten Pandemiephase haben wir die sogenannten Einschulungsuntersuchungen nicht durchführen können. Dies hing aber auch mit dem Lockdown zusammen. Wir haben jetzt diese Einschulungsuntersuchungen, die ja auch eine rechtzeitige Förderung von angehenden Schulkindern ermöglichen sollen, wieder aufgenommen, da ich dies auch als eine dringliche Aufgabe sehe.
Auf der Strecke geblieben sind sicherlich die personalintensiven Bereiche der allgemeinen Prävention, Beratungssprechstunden, Überprüfung von Badegewässern, auch andere subsidiäre Aufgaben und so weiter. Auch infektionshygienische Begehungen von öffentlichen Einrichtungen – Kindergärten oder auch Arztpraxen und Krankenhäuser – werden nur priorisiert durchgeführt.
Was sicherlich auf der Strecke geblieben ist, ist das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, die im Prinzip seit März sich in Urlaubssperre befinden und zum Teil hunderte von Überstunden vor sich herschieben.
Sehen Sie aktuell ein Wiederaufflammen der Infektionszahlen?
Ja, diese Infektionszahlen steigen seit Ende der Sommerferien wieder an, in ganz Deutschland, aber auch im Landkreis Rottweil. Wir haben entsprechend darauf reagiert und unser – ausgebildetes – Hilfspersonal wieder reaktiviert. Wir haben unsere Hotline wieder eingerichtet und wir arbeiten auch weiterhin am Samstag und Sonntag. Lediglich die Hotline besteht nur Montag bis Freitag, dies auch, um die Mitarbeiter zu schonen und dann flexibel bei noch weiter steigenden Zahlen für die Fallbearbeitung an den Wochenenden und Feiertagen einzusetzen.
Zurück zum Fall unseres Lesers: Setzen Sie in solchen Fällen auch auf die Eigenverantwortung derer, die erfahren, mit einem Infizierten Kontakt gehabt zu haben? Was raten Sie solchen Menschen?
Selbstverständlich sind wir alle auf einen vernünftigen Umgang und das Einhalten der bekannten Regeln angewiesen, um unsere Mitmenschen zu stützen. Ohne Eigenverantwortung sind Epidemien oder Pandemien nicht zu bewältigen. Hierzu dient auch die oben beschriebene Corona-App.
Jeder Infizierte wird von uns umgehend kontaktiert, wird mündlich nach seinen Kontakten befragt und erhält auch im Nachgang eine Liste, zu der er gebeten wird, seine Kontaktpersonen anzugeben. Zusätzlich bekommt er eine schriftliche Anordnung mit Verhaltensempfehlungen durch die zuständigen Ortspolizeibehörden.